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Guggenberger Wilhelm: Mancherlei Dogmatismus
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Mancherlei Dogmatismus
(Eine kurze Reflexion um die Debatte über: Christoph Schönborn "Finding Design in Nature".)

Autor:Guggenberger Wilhelm
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2005-07-18

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Dass die Aussagen von Kardinal Christoph Schönborn zum Thema Evolution und Schöpfung bei manchen Naturwissenschaftern und in einer nur oberflächlich informierten und mit stereotypen Bildern von Kirche und Glauben durchsetzten Öffentlichkeit auf wenig Gegenliebe stoßen, ist nicht weiter verwunderlich. Die mitunter recht massive Kritik an seinem Gastkommentar in der New York Times, die aus kirchlichen Kreisen kommt, überrascht hingegen doch einigermaßen. Sollte man von einem Würdenträger der Katholischen Kirche oder auch nur von “einfachen” Christen etwas anderes erwarten, als dass sie an der gewollten und gezielten Erschaffung dieser Welt durch Gott festhalten? Nun wird freilich eingewandt werden: An die Erschaffung der Welt mag jeder glauben wie es ihm beliebt, hier aber geht es um eine wissenschaftliche Frage. In diesem Argument kommt jedoch deutlich zum Ausdruck, dass gegenwärtig der Wissenschaftsbegriff radikal auf Naturwissenschaft eingeengt wird. Gerade damit aber öffnet man dem Fundamentalismus Tür und Tor. Wer all jene Fragen, die nicht durch streng mathematische Schlüsse oder empirische Evidenz beantwortet werden können, dem völlig beliebigen Meinen und Vermuten anheim gibt, leistet der Gesellschaft einen Bärendienst.

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Im Grunde wurde in der Debatte der zurückliegenden Tage bereis alles gesagt, was zu sagen ist - von Schönbornkritikern mitunter in Einem Tonfall, der danach fragen lässt, von wem hier eigentlich Kulturkampf betrieben wird. Dennoch möchte ich nochmals betonen, dass Naturwissenschaft und Glaube, bzw. Naturwissenschaft und theologisch reflektierter Glaube, keineswegs in Widerspruch zueinander geraten müssen. Sie tun das nur dann, wenn Theologie meint, sie könne aus eigener Kraft das Weltgeschehen in seinem Funktionieren detailliert beschreiben, oder aber, wenn Naturwissenschaft sich zum Weltbild aufschwingt und meint sie könne die Welt umfassend erklären. Beide Positionen halte ich im Letzten für unwissenschaftlich, beide Positionen verstehen nicht nur nichts von der jeweils anderen Seite, sie verstehen auch nichts von der eigenen Aufgabe und den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit.

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Schönborn mag eventuell ungeschickt formuliert haben, er mag sich auch in den USA vor den falschen Karren haben spannen lassen (ob das wirklich so ist, vermag ich nicht zu beurteilen), er hat aber dezidiert keine kreationistische Position vertreten. Zu argumentieren, dass es wissenschaftlich legitim ist, am Schöpfungsgedanken festzuhalten, ist nicht fundamentalistisch, ganz im Gegenteil. Das wird klar, wenn man den Schöpfungsglauben als das versteht, was er ist: eine lebensprägende Weltanschauung. Diese Weltanschauung lässt sich in unterschiedlichen Modellen konkretisieren, m.E. zählt dazu auch das Evolutionsmodell. Wenn ich an den Schöpfergott glaube, weiß ich damit noch gar nichts über die menschliche DNS und ihre Veränderbarkeit; ich kann das naturwissenschaftliche Wissen über sie aber in einen größeren Rahmen einordnen. Theologie und christliche Philosophie tun das auf rational verantwortbare Weise. Wird die Existenz eines umfassenden, auch sinnstiftenden Rahmens dessen, was Naturwissenschaft erkennen kann als unmöglich geleugnet und als rein menschliche Projektion behauptet, weil sie der spezifisch naturwissenschaftlichen Erkenntnismethode nicht zugänglich ist, sprengen Biologie, Biochemie, Physik etc. ihren Rahmen und beanspruchen illegitimer Weise eine Autorität, die sie nicht besitzen. Wo solches geschieht, greift tatsächlich ein Dogmatismus übelster Sorte um sich. Denn diese Form der Dogmen behauptet von sich, empirisch beweisbar zu sein. Die empirische Belegbarkeit wird unter der Hand plötzlich zur umfassenden und unumstößlichen Wahrheit umgedeutet. So etwa im Gastkommentar von Kurt Kotrschal in der PRESSE vom 14.07.2005: ”Sie erliegen einem demagogischen Relativismus, wenn Sie meinen, die Evolutionstheorie sei ja auch bloß ‘Ideologie’. Wissenschaftstheoretisch ist Evolution ‘Theorie’. Aufgrund der überwältigenden Evidenz gilt diese Theorie samt ihren Zufälligkeiten aber längst als Realität.” (1) Der Vorwurf des Biologen an den Kardinal, er vermische Glaube und Naturwissenschaft in unzulässiger Weise muss wohl an diesen zurück gegeben werden, wenn das Festhalten an der Überzeugung, dass auch noch so bewährte ERklärungsmodelle der Natur eben bloß Theorien sind, die für sich keine Unfehlbarkeit beanspruchen dürfen.

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Ich hatte in der Vergangenheit eigentlich immer den Eindruck, dass das Verhältnis von Schöpfungslehre und Evolutionstheorie im Europäischen Kontext im Sinne der Vereinbarkeit längst geklärt sei. Diesen Eindruck gewann ich auch im Gespräch mit Naturwissenschaftern. Die derzeitige Debatte jedoch scheint darauf hinzuweisen, dass in dieser Frage noch viele Missverständnisse zu klären sind, Missverständnisse die bei weitem nicht nur auf der Seite von Theologie und Glauben bestehen. Die Kirche hat eben kein Monopol auf Dogmen und sie ist nicht der privilegierte Ort für die Entstehung von Dogmatismen; deren gibt es offenbar mancherlei.

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Anmerkungen:

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1.

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  http://www.diepresse.at/Artikel.asp x?channel=m&ressort=g&id=494563&archiv=false

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