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Niewiadomski Jozef: Hoffen auf „kopernikanische Wende“: Ein Kontrapunkt zur aktuellen Debatte über den Segen für homosexuelle Paare
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Hoffen auf „kopernikanische Wende“: Ein Kontrapunkt zur aktuellen Debatte über den Segen für homosexuelle Paare
(Der Volle Wortlaut eines Interviews mit kathpress)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2021-03-22

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Kurzmeldung am 22.04: Homosexualität: Braucht die Katholische Kirche einen Befreiungsschlag? (kathpress.at)

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Wie schätzen Sie die Situation ein?

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Wir befinden uns wiederum in einem Positionskrieg: Das kirchliche Lehramt, samt den „getreuen Gläubigen“ versus die große Schar jener, die mit den Weisungen des Lehramtes nicht mitgehen. Es liegt in der Logik solcher Auseinandersetzungen, dass man bei Positionskriegen mit immer schwereren Geschossen aufeinander feuert. Der schon geäußerten Meinung, es handle sich bei der Untersagung des Segens für homosexuelle Paare um eine endgültige und unfehlbare Entscheidung des Papstes, steht auf der anderen Seite der Vorwurf theologischer Niveaulosigkeit des lehramtlichen Schreibens entgegen. Solche Polemiken bringen keine Veränderung mit sich, sie tragen wie alle Positionskriege nur zur Zerstörung des Hinterlandes bei, hier also zur Zerstörung des gläubigen Vertrauens.

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War das Schreiben notwendig?

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Auch ich bin zuerst der Meinung, dass es besser gewesen wäre, das Schreiben wäre nicht publiziert worden. Damit wäre auch die sowieso angespannte Lage an der kirchlichen Basis nicht provoziert. Vielleicht sollen wir uns aber einen völlig anderen Verstehenshorizont für kirchliche Stellungnahmen zu Fragen der Sexualität zulegen. Vielleicht sind wir Zeugen eines Paradigmenwechsels in der Katholischen Kirche.

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Was meinen Sie damit?

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Der Begriff kommt aus der Wissenschaftstheorie und erklärt plausibel den fundamentalen Wandel von wissenschaftlichen Theorien. Demnach wird das Paradigma einer Theorie keineswegs aufgrund der empirischen Daten verworfen. Man bemüht sich vielmehr um die Entwicklung von Zusatzhypothesen, mit Hilfe derer „die abweichenden Daten“ in die gängige und gültige Theorie integriert werden. Erst wenn die Zahl der Zusatzhypothesen dermaßen groß ist, dass das Paradigma nicht mehr im Blick ist und eigentlich nur noch Probleme bereitet, setzt sich ein neues Paradigma durch. Und dies einzig und allein deswegen, weil es eine einfache und bessere Integration von komplexen Zusammenhängen erlaubt.

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Wie hängt das zusammen mit der Auseinandersetzung um den Segen für homosexuelle Paare?

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Weder die Hinweise auf empirische Daten über das Verhalten von Menschen, noch die Argumente pro und contra gewisse Seelsorgestrategien (wie jetzt die Sache mit dem Segen für homosexuelle Paare) rütteln am Paradigma kirchlicher Einschätzung der Sexualität. Deswegen können die Daten und Strategien (und dies von beiden Seiten) mit Hilfe von Zusatzhypothesen und Schlachten bei den Positionskriegen im kirchlichen Leben letztlich doch bewältigt werden. Wie bei allen Positionskriegen wird es auf der Front irgendwann Ruhe geben. Die Erinnerung an die letzten Jahrzehnte zeigt aber deutlich, dass wir in der Kirche mit einem langsam stattfindenden Wandel des Paradigmas selbst zu tun haben. Der kulturelle Umbruch der 60er Jahre in Sachen Sexualität befreite im kulturellen Bewusstsein die gelebte Sexualität vom „Geruch der Unkeuschheit“. Die Kirche vermochte aber darin kein „Zeichen der Zeit“ zu sehen, vielmehr wurde der Umbruch als „Zeitgeist“ abqualifiziert. Das Paradigma, von dem aus diese kirchliche Position entwickelt wurde, stellt noch das Erbe der Kirchenväter (vor allem der Theologie des Augustinus) dar. Demnach ist die Sexualität des Menschen auf eine besondere Weise durch die Erbsünde infiziert. Deswegen sei jeder Sexualakt (selbst die Berührung) eine (schwere) Sünde. Die sakramentale Ehe sowie die Bereitschaft, Nachkommenschaft in die Welt zu setzen, und die Lehre von Ehepflichten verwandeln die Sünde zu einer „erlaubten“ Sünde. Die im Zweiten Vatikanischen Konzil entwickelte Theologie der Ehe rüttelte gewaltig an dieser Legitimationsstrategie, stellte aber das Paradigma selbst keineswegs in Frage. Die neuen Zusatzhypothesen zur Frage der Legitimation der gelebten Sexualität wurden an verschiedenen Fronten entwickelt. johannes Paul II. hat mit seiner Theologie der Geschlechtlichkeit einen großen Schritt in Richtung Veränderung gemacht, weil er die Geschlechtlichkeit als eine gute Schöpfungsgabe Gottes würdigte. Gleichzeitig „schleppte“ er aber unter den durch ihn selbst veränderten Bedingungen die alten Fragen von „vorehelich und außerehelich“ mit. Es war aber nicht mehr ganz einsichtig, warum die an sich „gute Gabe“ noch zusätzlicher Rechtfertigungen durch die Eheschließung bedarf. Das Problem der Selbstbefriedigung, des vorehelichen Geschlechtsverkehrs und der Empfängnisverhüttung entfachten den Kampf an den Fronten des Positionskrieges. Längst ist dort aber Ruhe eingekehrt. Man könnte fast sagen: Man hat ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen. Dafür wurde der Kampf um die Bewertung der Lebenssituation der „Geschiedenen-Wiederverheirateten“ und auch um die Bewertung der Homosexualität mit voller Wucht entfacht. Und dies vor allem deswegen, weil es in beiden Fällen sehr viel subjektives Leid gibt. Die Position des Katechismus in Sachen Homosexualität widerspiegelt die paradoxe Situation, in der sich die Kirche bei diesem Paradigmenwechsel befindet. Den Homosexuellen ist mit Achtung zu begegnen, die homosexuelle Tat sei aber eine Sünde. Und warum eigentlich? Genauso wie der sexuelle Akt bei den Wiederverheirateten, der diese Bindung zu einer sündhaften Gemeinschaft macht. Wenn die Betroffenen „wie Bruder und Schwester leben“, sind sie von den kirchlichen Sanktionen ausgenommen und dürfen zur Kommunion gehen. Genau an solchen Punkten zeigt sich, dass all die neuen – dem personalen Ansatz entspringenden Begründungen für die Sakramentalität der Ehe zwar positiv zu werten sind, sie sich aber um die entscheidende Frage drücken, um jene nämlich, wie das Lehramt der Kirche zum Wert und der Würde der gelebten Sexualität steht. Das Pontifikat von Papst Franziskus brachte an die Fronten etwas Dynamit. Die Bemühungen, den seelsorgerlichen Blick der Kirche von der engen Perspektive „des Schlafzimmers“ zu lösen und neue Wege (gerade in der Geschiedenen-Wiederverheirateten Pastoral) einzuschlagen (stillschweigend ist da auch die Pastoral an den Homosexuellen mitgelaufen), werden durch das letzte Schreiben der Glaubenskongregation konterkariert. Paradoxerweise muss ich sagen: zu Recht! Weil auch  Papst Franziskus das in der Perspektive des Schlafzimmers schlummernde – damit im Grunde immer noch gültige – Paradigma, von dem aus die Kirche alle mit der menschlichen Sexualität zusammenhängenden Fragen entschied, nicht korrigiert hat. Damit aber hat er selber die Situation verschärft und dem Paradigmenwechsel einen Schritt näher gebracht.

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Was müsste also geschehen?

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Es ist illusionär zu glauben, der Papst würde aufgrund der Proteste das veröffentlichte Schreiben verwerfen; abgesehen davon, dass auch er mit der dort vertretenen Position übereinstimmt. Denn auch er ist in dem kirchlich-kulturellen Klima aufgewachsen und hat dieses auch internalisiert, wonach „gelebte Sexualität“ – noch vor allen konkreten Fragen, die die Verantwortung der Betroffenen ansprechen – einer grundsätzlichen Rechtfertigung (durch das Sakrament der Ehe) bedarf.

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Soweit ich sehe, gibt es eine ähnlich paradoxe Situation in der Kirche nur noch bei der Frage der Gewalt. Jede Anwendung der Gewalt muss gerechtfertigt werden. Und warum? Weil die Gewalt etwas Schlechtes ist! Ähnlich war es jahrhundertelang bei der Sexualität. Weil sie (aufgrund der Erbsünde) etwas Schlechtes ist, bräuchte die gelebte Sexualität immer eine Legitimation. Diesem Paradigma wird heutzutage im kirchlichen Kontext zwar kaum jemand direkt zustimmen. Es ganz aus der Welt schaffen wollte aber (im Kontext der lehramtlichen Verkündigung) bisher auch niemand. Was ich dem Papst Franziskus wünsche und darum bete ich: dass er jenen Mut aufbringt, den johannes Paul II. 1992 gezeigt hat, als er Galilei rehabilitierte und damit den Konflikt zwischen Bibel, kirchlicher Lehre und Naturwissenschaft lehramtlich beendete. Er hat eingestanden, dass bei der Verurteilung von Galilei naturwissenschaftliche Theorien mit Glaubenslehre verwechselt wurden. Und er mahnte die Theologen, sie sollen bei ähnlichen Zusammenhängen vorsichtiger sein. Papst Franziskus müsste also eine ähnliche „kopernikanische Wende“ in Sachen theologischer Deutung gelebter Sexualität vollziehen. Mit der klaren Absage an das alte Paradigma würden auch all jene Fronten obsolet, an denen immer noch Positionskriege geführt werden. Franziskus würde damit der Kirche einen „Befreiungsschlag“ schenken, den unsäglichen Positionskrieg in Sachen Sexualethik beenden und damit auch ein Zeichen der „missionarischen Umkehr“ des Lehramtes geben. Diese fordert er ja unaufhörlich von der kirchlichen Basis ein.

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