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Wissenschaft und Freiheit – Universität Innsbruck
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Wissenschaft und Freiheit

[08.11.2022] Die Fragen nach Wissenschaft und Freiheit ist in aller Munde und brandaktuell, gleichwohl – da waren wir uns im FSP Kulturelle Begegnungen – Kulturelle Konflikte schnell einig - braucht es eine differenzierte und ausgewogene Betrachtung. Dieser wollten wir uns im diesjährigen FSP-Tag widmen.

Eine Veranstaltung zu diesem Thema darf nicht getrieben sein von Ereignissen an Universitäten und im Kulturbetrieb und deren Darstellungen auf Sozialen Medien, obwohl sie natürlich in enger Verbindung mit diesen Ereignissen, mit Ein- und Ausladungen, mit Cancel Culture und Vorwürfen von Exklusion wie Diskriminierung steht. Am 19. Oktober 2022 fanden wir uns im herbstlich-schönen Künstlerhaus Büchsenhausen zusammen, um uns nun diesem Thema der Wissenschaftsfreiheit zu widmen. Neben Wissenschaftler:innen der Universität Innsbruck, Marie-Luisa Frick, Dominik Drexel und Nadja Neuner-Schatz durften wir auch die beiden externen Expert:innen Max Czollek und Corinne Kaszner begrüßen, ebenso wie den ehemaligen Sprecher unseres Forschungsschwerpunkts, Timo Heimerdinger.

In unserem Call warfen wir die Frage auf, in welchem Verhältnis und vor allem in welchen von Macht und Hierarchien geprägten Umfeldern Wissenschaft stattfindet und welche Objektivität von wem wie behauptet wird. Denn Wissenschaftsfreiheit ist natürlich "ebenso wenig frei von gesellschaftlichen, politischen und historischen Einflüssen und Kämpfen wie die beiden Konzepte, aus denen der Begriff sich zusammensetzt" (Gözen, 2021). Unsere Aufgabe heute sehen wir darin, Debatten zu kontextualisieren, ihre Argumente zu prüfen und Thesen gegebenenfalls zu problematisieren, um Kurzschlüsse zu vermeiden.

Wichtig ist: Die Wissenschaftsfreiheit ist kein Grundrecht für die Allgemeinheit, sie ist nicht die Meinungsfreiheit. Gleichzeitig ist der Wissenschaftsbetrieb eng verstrickt mit Gesellschaft, Politik und Ökonomie. Es geht wie überall um Teilhabe, um Mechanismen der Inklusion und Exklusion. Wer darf sprechen, mehr noch: wer wird gehört, wem wird geglaubt?

An der Debatte beteiligen sich viele: Print und soziale Medien, Hochschullehrer:innen und Studierende, Unileitungen, neu gegründete Netzwerke, Fachgesellschaften und Stammtische. Marie-Luisa Frick fragt danach: In welcher Rolle beteilige ich mich an der Debatte? Und sie schlägt Mut zur Schizophrenie vor: mal als Wissenschaftler:in und mal als Bürger:in zu sprechen sei kein Problem, solange man die Rollen kenntlich macht. Selbstreflexion war das Thema von Dominik Drexel, der fragt, in welcher Weise so die Subjektivität der Forschenden verkürzt oder expliziert wird? Nadja Neuner-Schatz fokussierte vor allem intensiv beanspruchte Schlagworte Freiheit, Verantwortung und Moral, um am anschaulichen Beispiel des Tierwohl-Diskurses aufzuzeigen, wie die Verantwortung um Tierwohl über die Werbung auf das konsumierende Ich übertragen wird. In der warmen Herbstsonne führten wir vor allem die Debatte um Konsum und Verantwortung beim Mittagessen weiter.

 

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Mittagspause in der Herbstsonne im Künstlerhaus Büchsenhausen, Foto: Teresa Millesi

Die Diskussion um Wissenschaftsfreiheit ist zu einem gesamtgesellschaftlichen Diskursfeld geworden und wirkt in viele Bereiche hinein. Diese Verbindung von Wissenschaft und Gesellschaft zeigt, dass die freie Wissenschaft ein normatives Ideal ist, dessen Voraussetzungen, Probleme und Grenzen erst dann klar erkennbar werden, wenn sich dieses Ideal in einer institutionellen Praxis und ihrem gesellschaftlichen Kontext bewähren muss, wie Timo Heimerdinger an konkreten Beispielen aus dem universitären Alltag zeigte. Auch die Diskussionen nach den Vorträgen drehten sich immer wieder um Fälle, die die Komplexität des Themas und die unterschiedlichen Logiken der Akteur:innen zeigten. Inneruniversitäre Einschränkungen und forschungspolitische Vorgaben, etwa eine Ausrichtung an der Verwertbarkeit von Forschungsergebnissen oder unterschiedliche Anreizsysteme sind dabei ebenso Teil der Debatte wie personelle Entscheidungen. Wen lade ich ein, wen stelle ich ein? Welches Zeichen ist mit dieser Einladung oder Einstellung verbunden? Max Czollek und Corinne Kaszner fragten schließlich auch danach, wer an der Formulierung und Produktion des wissenschaftlichen Ethos beteiligt ist und plädierten dafür, Wissenschaftsfreiheit und Diskriminierungskritik nicht gegeneinander auszuspielen.

Unser Fazit des Tages: Es steht Wissenschaftler:innen frei, Menschen mit unterschiedlichen Positionen – solange diese nicht verfassungswidrig sind – an die Universität einzuladen. Man muss sich in manchen Fällen fragen lassen, warum man die Einladung ausgesprochen hat, was der Zweck und erhoffte Ertrag einer solchen Einladung ist. Wer eine Veranstaltung kritisiert und canceln möchte, der oder die muss sich ebenfalls Fragen gefallen lassen. Dabei spielen Weltanschauungen, wie sie derzeit oft antagonistisch beschworen werden, gerade keine Rolle. Es geht also nicht darum, ob jemand von einer rechten und reaktionären oder einer linken und marxistischen Position aus spricht. Sondern es geht darum, dass rassistische, sexistische oder antisemitische Äußerungen keinen Platz an der Universität wie in der Gesellschaft als Ganzem haben, egal wer sie äußert.

 

Zum Weiterlesen und Vertiefen: Elif Özmen (Hg.): Wissenschaftsfreiheit im Konflikt. Grundlagen – Herausforderungen – Grenzen, Heidelberg 2021.

 

(Silke Meyer & Teresa Millesi)


Biografische Notiz

Silke Meyer ist Leiterin des Forschungsschwerpunkts und Universitätsprofessorin für Europäische Ethnologie an der Universität Innsbruck. Teresa Millesi ist Koordinatorin des Forschungsschwerpunkts und schrieb ihre Dissertation zum filmischen Widerstand Indigener im Kontext territorialer Konflikte in Lateinamerika.


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