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Sandler Willibald: Wie kommt das Böse in die Welt?
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Wie kommt das Böse in die Welt?
(Zur Logik der Sündenfallerzählung)

Autor:Sandler Willibald
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:# Beitrag für die Festschrift für Raymund Schwager zum 65. Geburtstag. Der Beitrag wird demnächst publiziert in: Dramatische Theologie im Gespräch. Symposion / Gastmahl zum 65. Geburtstag Raymund Schwagers (BMT 14). Innsbruck 2001.
Datum:2001-10-26

Inhalt

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Es gibt Einsichten, die packen einen so, dass sie einen nicht mehr loslassen, wenn man sie von jemandem gehört hat. Es ist wie bei einer Infektion. Eine Zeitlang bleibt sie unter der Oberfläche, dann bricht sie voll aus, und man weiß zuerst gar nicht, wo man sich das geholt hat. So geht es nicht nur mit Krankheiten, sondern manchmal auch mit schöneren Dingen, etwa mit Leitgedanken. Und so ist es mir - noch als Student - mit manchen Zusammenhängen gegangen, die Raymund Schwager entwickelt hat. Die Ambivalenz des Wie-Gott-Seins ist einer von ihnen.

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Dass der Mensch wie Gott ist, darin liegt einerseits die größte, schöpfungsmäßig grundgelegte Verheißung für den Menschen. Anderseits kann man das „Sein-Wollen-wie-Gott" als die Wurzelsünde verstehen, von der her sich alle Bosheit im Umgang mit der Welt, den Menschen und auch mit sich selber fast zwangsläufig ableitet. Und doch besteht hier zwischen dem Höchsten und dem Niedrigsten eine nicht nur begriffliche Verwandtschaft. Im einzelnen ist es oft schwer zu unterscheiden, ob zum Beispiel ein sehr selbstsicheres Auftreten der angemessene Ausdruck einer in der Gottebenbildlichkeit gründenden Würde ist oder aber eines arroganten wie-Gott-sein-Wollens. Theoretisch ist der Unterschied zwar nicht schwer festzumachen: Es kommt darauf an, ob man sich das Allerwichtigste als Geschenk geben lässt, oder ob man es, um mit Phil 2,6 zu sprechen, wie einen Raub an sich reißen will. Theoretisch also ist es klar, aber in der Praxis kann man es oft nicht einmal für sich selber sagen, aus welchen letzten Motiven heraus man sich verhält. Und der Übergang von der glücklichen Spielart des Wie-Gott-Seins zur abgründig entgegengesetzten kann durch minimale Verschiebungen erfolgen.

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Ist man einmal auf diese Ambivalenz des Wie-Gott-Seins aufmerksam geworden, so findet man sie hochverdichtet in der biblischen Urgeschichte wieder. Da ist auf der einen Seite Gen 1,26f: „Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich... Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn." - Auf der anderen Seite steht die Versuchung der Schlange in Gen 3,5: „Sobald ihr von dieser Frucht esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse."

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Als ganze beschreibt die biblische Urgeschichte einen erschreckenden Abfall der im Menschen kulminierenden Schöpfung von Gen 1,31 „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut" bis zum Vorabend der Sintflut in Gen 6,12: „Gott sah sich die Erde an: sie war verdorben." Und dieser erschütternde Abfall markiert eine immer steiler fallende Kurve mit einem unmerkbar flachen Anfang: nämlich der Verschiebung vom Sein-wie-Gott in der guten zum Sein-wollen-wie-Gott in der bösen Bedeutung.

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Ergibt die biblische Urgeschichte, insbesondere die Sündenfallerzählung damit nicht tiefe Einsichten in Wesen und Werden des Bösen, in seine Wurzel als Pervertierung des Guten, in seine Kraft aus der Kraft eines enteigneten Guten, - Gedanken, die für eine dramatische Theologie ebenso zentral sind wie für eine Theologie der Mimesis? (1)

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Die Ambivalenz des Wie-Gott-Seins ist ein häufig wiederkehrender Gedanke in der Theologie von Raymund Schwager. Die Bedeutung eines rivalisierenden wie-Gott-sein-Wollens als Wurzelsünde ist für seine von Girard beeinflusste biblische Anthropologie zentral. In seinem Buch „Brauchen wir einen Sündenbock" hat er das ausführlich und mit ausdrücklichem Bezug auf Gen 3,5 entfaltet. Am Ende dieses Teils weist er dann auch deutlich auf die Ambivalenz - oder besser: Ambiguität - des Wie-Gott-Seins hin:

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„Das allerletzte Problem liegt nicht darin, dass der Mensch wie Gott sein möchte, sondern in der demütigen Anerkennung, dass dieser Wunsch ihm auf eine unausdenkliche Weise tatsächlich erfüllt wird. Der Bettlerstolz muss überwunden werden, damit einer auf jene Botschaft eingehen kann, von der Paulus sagt: Wir verkünden, wie in der Schrift steht, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: wie Großes Gott denen bereitet hat, die ihn lieben (1 Kor 2,9)."(2)

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Eine Analyse mit einer Zusammenschau von Gen 1,27 und Gen 3,5, wie hier skizziert, ist so bei Schwager nicht durchgeführt. Dem soll hier - im weiteren Kontext der Frage nach der Entstehung des Bösen - nachgegangen werden. Bei einem solchen Unternehmen stößt man zwangsläufig auf Schwierigkeiten im Grenzbereich zwischen systematischer und biblischer Theologie, die eine seriöse wissenschaftliche Auseinandersetzung nicht übergehen darf. Es geht dabei um Berechtigung und Grenzen einer „systematischen Interpretation biblischer Texte", die sich hier auf eine Klärung des Begriffs „Logik der Erzählung" konzentrieren werden. (3) Erst auf der Grundlage dieser methodologischen Klärungen kann eine systematisch-theologische Auseinandersetzung mit der Sündenfallerzählung und ihrer „Logik" erfolgen. In diesem Rahmen werde ich nach Verwerfung naheliegender Entwürfe ein systematisches Lösungsmodell entwerfen, das der Ambivalenz des Wie-Gott-Seins einen zentralen Stellenwert einräumt.  

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1. Methodologischer Teil: Systematische Interpretation und „Logik der Erzählung"

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1.1 Der Einspruch der Exegese

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Gegen ein unbefangenes Drauflosspekulieren, wie man es in obiger Auseinandersetzung mit der Schöpfungs- und Sündenfallgeschichten wiederfinden könnte, erhebt die biblische Exegese Einspruch. Sie verlangt die Wahrnehmung von Texten als „Text im Kontext" und als „gewachsener Text"; (4) sie warnt davor, an den Text Fragen heranzutragen, die dieser gar nicht zu beantworten beabsichtigt; und sie fordert die Rückfrage nach der textimmanenten Intention. Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen zeigt sich: Die jahwistische Sündenfallerzählung gibt gar keine Antwort auf die Frage nach der Herkunft des Bösen und will auch keine geben. (5) Die Frage nach dem „unde malum" wird zwar im Verlauf der Erzählung immer wieder angestoßen und wachgehalten; schließlich wird sie auf die Schlange abgeschoben, aber dort versickert sie aufgrund des Desinteresses des Erzählers an diesem Tier. (6) Im Zentrum des Interesses steht nicht die Schlange als mutmaßlicher Einbruchsort des Bösen, sondern der Mensch: seine Sündenverfallenheit, die Widerspenstigkeit, in der ihm die geschöpfliche Wirklichkeit begegnet, das Leid und der Tod; wie angesichts dieser harten Wirklichkeit die ursprüngliche Güte Gottes und seiner Schöpfung noch vertretbar ist. (7) Diese Fragen spitzen sich zu zur spannungsvollen Wirklichkeit des Sündenfalls im Menschen: Einerseits ist das Böse, die Übertretung des göttlichen Gebotes, nicht einfach aus dem Menschen selber heraus entstanden; er wurde dazu angeregt, er hat auf etwas außer ihm Liegendes reagiert. Aber - und das ist das andere Ende des Spannungsbogens - der Mensch reagierte frei und verantwortlich.(8) Damit ist die Frage nach dem Ursprung des Bösen, nach der Verantwortlichkeit für es im Umfeld der Sündenfallerzählung ständig präsent; aber die biblischen Autoren verweigern jede eindeutige Zuschreibung.(9)

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1.2 Die Tragweite des Einspruchs

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Was bedeutet dieser Einspruch für ein „unbefangenes Drauflosspekulieren"? Bevor wir darauf antworten, sei die Tragweite der gestellten Frage ausgelotet. Es handelt sich hier nicht etwa um Wildwuchserscheinungen aus theologischen Stammtischgesprächen, sondern um Fragedynamiken und ein daraus angestoßenes Weiterinterpretieren und gegen-den-Strich-bürsten, die dem Text seit frühesten Zeiten angetan wurden. Dazu gehört manche wirkmächtige Kirchenväterinterpretation, von deren tief eingefahrenen Deutemustern sich die Exegese nur mühsam zu lösen vermochte, (10) die philosophischen Sündenfallspekulationen insbesondere des deutschen Idealismus, viel früher noch gnostische Textentstellungen, aber auch frühjüdische und neutestamentliche Deutungen, die gegenüber dem biblischen Text völlig neue Akzente ins Spiel brachten. Man muss sogar noch weitergehen und hier darauf hinweisen, dass der heute vorliegende Text eine breite Vorgeschichte durchscheinen lässt, aus der Motive, Symbole und ganze Erzählungen selektiv rezipiert und umgedeutet wurden. So offenbart sich eine dynamische Geschichte von Textinterpretation, -relecture und -verwertung, innerhalb derer der kanonisch-biblische Text beinahe wie ein willkürlicher Anhalt erscheint. Welche Berechtigung hat hier noch die strenge interpretative Rückbindung an eine Normativität des Textes? Ist dies die kleinliche archivarische Festnagelung eines beliebigen Zwischenstadiums in einer ununterbrochenen, wildwuchernden Interpretationsgeschichte? Gegen eine solche Verdächtigung stehen exegetischer Anspruch der Interpretationstreue und kirchlicher Anspruch auf Kanonizität und Normativität der Heiligen Schrift miteinander in einer Reihe. Gegen eine Nivellierung der Interpretationen spricht aber auch die wuchernde Vielfalt völlig disparater Rezeptionen.(11) Demgegenüber muss es irgendwelche einschränkenden Kriterien der Interpretation geben. Nur dürfen diese nicht so eng sein, dass jedes Hinausfragen über den ursprünglichen Fragehorizont des Textes sofort disqualifiziert wird.

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1.3 Semiotische Vergewisserung

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1.3.1 Umberto Eco: Interpretation und Gebrauch eines Textes

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Zur Klärung kann ein Ausflug in die Semiotik hilfreich sein. Die angeschnittene Problematik wurde von Umberto Eco behandelt mittels der beiden Begriffe „Interpretation" und „Gebrauch" eines Textes.(12) Während die Interpretation der intentio operis verpflichtet ist und damit nicht beliebig ist, können Texte auf willkürlichste Weise gebraucht werden. Sie dienen dann nur mehr als Stimulans oder Steinbruch für beliebige sprachliche Operationen. Der vorhin besprochene freie Umgang mit den Symbolen und Motiven in der Wirkungsgeschichte der Sündenfallerzählung wäre demnach nicht Textinterpretation, sondern Textgebrauch. Nun hat Eco diese Unterscheidung nicht einfach eingeführt, um einen unproblematischen „reinen" Interpretationsbegriff zu retten, sondern um gegen eine gewisse Dynamik früherer Studien gegenzulenken. In seinen früheren Werken hat Eco die kreativen Anteile am Akt der Textrezeption, also beim Lesen, stark herausgearbeitet: Vor und unabhängig von seiner Rezeption ist ein Werk nicht abgeschlossen; zu ihm gehören wesentlich eigenständige interpretative Leistungen des Lesers. Damit geriet Eco in ein von ihm so nicht beabsichtigtes Nahverhältnis zu radikalen Interpretationisten. Nachdem er gegenüber naiven Sender-Code-Empfänger-Modellen eine gewisse Flüssigkeit der Interpretation angemahnt hatte, musste er sich nun gegen die Tendenz ihrer totalen Verflüssigung abgrenzen. (13) In vollem Bewusstsein der zahllosen Möglichkeiten, Texte beliebig zu verwenden, unterschied er die nicht beliebige Interpretation von den unbegrenzten Möglichkeiten seines Gebrauchs.

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Interessant dabei sind die kreativen Anteile an der Interpretation von Texten durch den Leser. Diese beginnen bereits mit einer selektiven Auswahl und Ausblendungen aus der lexikographischen Bedeutungsfülle von Begriffen; weiters sind sie gegeben im unwillkürlichen Ausfüllen gewisser Lücken, die der Text lässt, durch den Leser.(14) Ein Text kann niemals alles sagen; so sieht er gewisse Lücken geradezu vor, die vom Leser ausgefüllt werden. Der Leser versucht, sich einen Reim auf die Geschichte zu machen.

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1.3.2 Auf dem Weg zu einer „Logik der Erzählung"

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Bei Erzählungen ergibt sich von daher der Unterschied zwischen dem Plot und der Fabel, wobei letztere den zeitlichen Ablauf meint, der vom Leser aus dem nicht notwendig chronologisch geordneten Erzählverlauf erst rekonstruiert werden muss. Eco spricht bei der so zu verstehenden Fabel bereits von „Logik der Erzählung". (15) „Logik der Erzählung" ist hierbei eine textimmanente Struktur (eine kohärente Ordnung von Textelementen) die durch den Leser erst synthetisiert werden muss, - Eco spricht in diesem Sinn von „erzählerischen Makropositionen". Neben der Fabel, die eine verhältnismäßig einfache (chronologische) Struktur darstellt, behandelt Eco auch komplexere Erzähllogiken, - nämlich aktantielle und ideologische Strukturen. Die letzteren sind für uns hier von besonderem Interesse.(16) Zu ihnen gehören implizite systematische Positionen, die verschiedene Aussagen der Erzählung organisieren.

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Konkret im Zusammenhang der Sündenfallerzählung: Die Frage nach dem Ursprung des Bösen (i.S. einer unheilvollen und willentlich zugelassenen Entfremdung zwischen Schöpfer und Geschöpf) wird in dieser Erzählung durch bestimmte Einzelpositionen berührt: (a) Das Böse ist nicht auf Gott zurückzuführen; (b) es wurzelt auch nicht in einer gegengöttlichen Macht, und (c) es ist auch nicht mit der Schöpfung mitgegeben. Damit ist zwar keine positive Antwort des Textes auf die Frage nach dem Ursprung des Bösen impliziert, wohl aber eine „Logik der Erzählung", von der her Antwortversuche des Interpreten beurteilt werden können.

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Hier entsteht erneut das Problem der Grenzen der Interpretation, - in einem Bereich, den Eco mit dem Stichwort der „grundlegenden Interpretation" markiert und der das problematische Schnittfeld von Exegese und systematisch-theologischer Deutung bezeichnet. Ist eine bestimmte systematische Frage tatsächlich im Text selber angelegt, oder wird sie - in Verfehlung der intentio operis - von außen an den Text herangetragen? (17)

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Mit besonderem Blick auf die Sündenfallerzählung vertrete ich zu dieser Problematik eine vorsichtige Position mit folgenden Thesen:

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(1) Wenn ein Text zu einer bestimmten systematischen Frage mehrere relevante Aussagen enthält, so kann von einer Logik der Erzählung im Hinblick auf diese Frage dann gesprochen werden, wenn sich die Kohärenz dieser Aussagen aufweisen lässt.

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Konkret für die Sündenfallerzählung: Wenn die Frage nach der Entstehung des Bösen systematisch so beantwortet werden kann, dass alle diesbezüglichen Aussagen in der Sündenfallerzählung berücksichtigt sind, so sei es erlaubt, das Gesamt dieser Aussagen als „Logik der Erzählung" im Hinblick auf die Frage nach der Entstehung des Bösen zu bezeichnen.

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(2) Wenn die Kohärenz der relevanten Aussagen nicht auf der Hand liegt, so kann man versuchen, sie mit Hilfe eines systematischen Modells aufzuweisen. Das systematische Modell kann Aussagen enthalten, die den Rahmen einer Interpretation des fraglichen Textes sprengen. Gelingt es diesem Modell, alle relevanten Aussagen des fraglichen Textes zu integrieren, so ist damit deren Kohärenz bestätigt; somit kann auch berechtigt von einer Logik der Erzählung im Hinblick auf die diskutierte Frage gesprochen werden.

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(3) Der Entwurf eines systematischen Deutungsmodells ist nicht willkürlich. Er wird legitimiert durch das Auftreten scheinbarer Inkohärenzen zwischen verschiedenen Textinhalten in bezug auf die diskutierte Frage und durch den Anspruch, den Anschein der Inkohärenz auszuräumen. An der Erfüllung dieses Anspruchs wird das Modell gemessen.

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(4) Wenn ein systematisches Deutungsmodell diese Kriterien erfüllt, so ist es als mit dem Text verträglich bestätigt. Das heißt aber nicht, dass die Erzählung dieses Modell impliziert (bestätigt). Es könnte ja auch andere Modelle geben, die dieselbe Aufgabe ebenso oder vielleicht sogar besser (etwa: ökonomischer) erfüllen.

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(5) Solange die Kohärenz von Aussagen eines Textes zu einer bestimmten systematischen Frage noch nicht entschieden ist, soll die Rede von einer diesbezüglichen „Logik der Erzählung" zugelassen werden. Diese Sprachregelung entspricht einer Vorannahme zugunsten der Kohärenz eines Textes in Bezug auf eine bestimmte systematische Frage. Sollte sich diese Kohärenz nicht (durch erfolgreiche Erstellung eines Modells) bestätigen lassen, so muss diese Vorannahme zurückgenommen werden. (18) Damit ist nicht notwendig der Text als widersprüchlich disqualifiziert (wie im Falle des aufgewiesenen Widerspruchs in einer Geschichte, die ein Verdächtiger in einem Verhör erzählt). Abgesehen davon, dass eine fehlende Bestätigung nicht schon eine Falsifizierung bedeutet, (19) liegt in diesem Fall die Annahme nahe, dass eine systematische Frage an den Text gestellt wurde, die dieser gar nicht beantworten wollte.

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(6) Für das Verhältnis von Textinterpretation und systematischer Deutung ergibt sich damit folgende Zwischenposition zwischen Interpretation und Gebrauch: Die Sündenfallerzählung mit ihrer Mehrzahl von Aussagen zum unde-malum-Problem, deren Kohärenz nicht evident ist, fordert eine systematische Deutung (den Entwurf eines Modells s.o.) heraus. Eine solche Deutung sprengt einerseits die Grenzen der Interpretation. Sie liegt klar jenseits der intentio operis und dem vom Werk entworfenen „impliziten Leser"(20) . Die systematische Deutung ist ein Konstrukt des Interpreten. Anderseits ist dieses Konstrukt nicht willkürlich: Wenn die systematische Deutung im Sinne der oben genannten Kriterien (Kohärenz mit der „Logik der Erzählung") erfolgreich ist, handelt es sich bei ihr dennoch nicht einfach um einen willkürlichen Gebrauch des Textes. Sie ist nachweislich mit dem Erzähltext verträglich.

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Überdies kann eine systematische Deutung, ohne selber Interpretation im engen Sinn zu sein, für eine angemessene Interpretation des Textes erhellend sein, indem sie die Möglichkeit seiner Kohärenz im Hinblick auf die diskutierte Frage belegt. Dies trifft m.E. in hohem Maße auf die Sündenfallerzählung zu: Als ein Resultat exegetischer Analyse haben wir - mit Claus Westermann - die betonte Enthaltsamkeit des Erzählers bezüglich der Frage des „unde malum" festgehalten. Diese dürfte nicht unschuldig an der durch die Epochen anhaltenden Faszinationskraft des Textes und den damit immer wieder auftretenden (Um-)Deutungsversuchen sein. (21) Wenn er erst einmal für die Frage nach dem „unde malum" sensibilisiert ist, wird der Leser diese Leerstellen ausfüllen. Er kann gar nicht anders. Auch wenn er die Epoché des Erzählers nachzuvollziehen versucht, wird ein unterdrücktes Vorurteil bezüglich der Herkunft des Bösen seine Textinterpretation beeinflussen. Ob er den Akzent auf die hochgespielte Verantwortlichkeit des gebotsübertretenden Menschen setzt, oder der zum Satan hochstilisierten Schlange die Letzverantwortung zuschreibt, oder ob er den schwarzen Peter Gott zuspielt, - die glückliche Balance zwischen jedem dieser Straßengräben wird ihm kaum so gut gelingen wie dem biblischen Erzähler. (22) Ich halte es für besser, dass man der Verführung zur systematischen Weiterinterpretation, nachdem man ihr grundsätzlich nicht entkommt, kontrolliert nachgibt, als dass sie unkontrolliert ihr Unwesen treibt.

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1.3.4 Die spezifische Problematik biblischer Texte

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Auf eine zusätzliche Komplikation bei biblischen Texten muss noch eingegangen werden. Unsere semiotische Analyse im Gefolge Ecos bezog sich auf homogene Texte im Sinne ihrer Rückführbarkeit auf einen einzigen realen Autor. Lassen sich die diesbezüglichen Ergebnisse unterschiedslos auf gewachsene, mehrschichtige, aus verschiedenen Quellen komponierte Texte anwenden?(23) Gegenüber früheren Tendenzen zu extensiv diachronen Interpretationen, die jede Spannung im Text sofort mit Traditions- und Textkritik zu beantworten suchten, wird mittlerweile der erzählerischen Kompositionskraft der Endredaktoren mehr zugetraut. (24) Zumindest auf Ebene der Endredaktion wird mit sorgfältig komponierten homogenen Texten gerechnet, auf die sich die oben entwickelten semiotischen Überlegungen weitgehend anwenden lassen. Allerdings sind damit diachrone Interpretationsmethoden, welche die Spannungen zwischen Textelementen nicht zum Gegenstand systematischer Interpretationsversuche machen, sondern sie verschiedenen Quellen zuordnen, nicht einfach abgewiesen. Aber synchrone Interpretationsmethoden erweisen manches frühere Urteil, das bestimmte Textelemente als miteinander unverträglich kritisierte, als voreilig.

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In diesem Zusammenhang kann auch systematischen Deutungen eine klärende Funktion zukommen, die auf Fragen von Text-, Traditions- und ideologischer Kritik zurückwirkt (und nicht nur auf solche aufzubauen haben). Der Nachweis mit Hilfe systematischer Modelle, dass scheinbar disparate, im Sinne Ecos „ideologische" Aussagen auch miteinander kompatibel sein können, kann solcher Kritik unter Umständen den Boden entziehen. (25)

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Genau betrachtet ist die Berücksichtigung diachroner Methoden für das hier verfolgte Konzept einer systematischen Deutung von Erzählungen nicht nur nicht hinderlich, sondern sogar unverzichtbar. Es bedarf der Berücksichtigung diachroner Zusammenhänge, um aus bestimmten Elementen der Erzählung ein allgemeines Aussageinteresse zu erheben. So können traditionsgeschichtliche Untersuchungen zum Beispiel aufzeigen, dass die Bezeichnung der Schlange als Geschöpf nicht ein zufälliges Erzählelement ist, das ohne wesentliche Veränderung der Geschichte auch anders sein könnte, sondern dass sie eine polemische Absetzung gegenüber anderen Traditionen beinhaltet. Erst dadurch kommt dieser Aussage ein Gewicht zu, das seine Heranziehung für eine systematische Fragestellung - als Teil eine Logik der Erzählung - rechtfertigt.

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2. Inhaltlicher Teil: Wie kommt das Böse in die Welt? Lösungsversuche angesichts der Logik der Sündenfallerzählung

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Die hier interessierende Fragestellung ist schon mehrfach angeklungen: Gibt es eine systematische Antwort auf die Frage nach der Herkunft des Bösen, welche den Positionen in der Sündenfallerzählung entspricht, dass das Böse weder in Gott noch in der Schöpfung noch in einer ungeschaffenen gottfeindlichen Macht gründet? Bevor verschiedene systematische Antwortmöglichkeiten im Licht der Sündenfallerzählung untersucht werden, ist die Fragestellung zu präzisieren. Angezielt ist (zunächst)(26) nur die Frage, wie das ursprünglich positive Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf in ein Verhältnis der Entfremdung umschlagen konnte. (27) Es geht dabei vor allem um den ersten Ansatz der in Gen 1-6 beschriebenen kontinuierlichen Abwärtsbewegung: Ist es möglich, das Verhältnis zwischen Gott und Schöpfung als ursprünglich unbeeinträchtigt, - im Sinne des priesterschriftlichen „gut" und „sehr gut" - zu denken, ohne dass die Entstehung jener Entfremdung, die durch die Gebotsübertretung Evas und Adams am Baum der Erkenntnis symbolisiert wird, schlichtweg unerklärlich wird? Es ist diese Frage gemeint, wenn ich im folgenden kurz vom Unde-malum-Problem sprechen werde.

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2.1 Unzureichende Lösungsversuche

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Folgt man einer eindeutigen Zuordnung, so kommen nur drei mögliche Verursacher für das Böse in Frage:

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(1) die Schöpfung, und zwar (1.1) der Mensch oder (1.2) ein anderes geschaffenes Wesen, wobei durch die Sündenfallerzählung die Schlange als Geschöpf nahegelegt wird;

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(2) Gott selber;

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(3) eine nichtgöttliche, ungeschaffene Macht.

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Jede dieser drei Lösungen liegt irgendwie in der Reichweite der Sündenfallerzählung und wird von dieser negiert.

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2.1.1 Zurückführung des Bösen auf die Schöpfung

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Die erste Alternative besteht in der Annahme, dass die Sünde ihre Wurzel in einer anfänglichen Bosheit oder Unvollkommenheit im Schöpfungsbereich hat. Solche Gedanken finden sich bereits in gnostischen-dualistischen Deutungen. (28) Bei neueren Deutungen wären Kierkegaard und Drewermann zu nennen, insofern bei ihnen die Angst eine anfängliche Bestimmung der Freiheit ist, die dem Sündenfall nicht folgt, sondern ihm ursächlich vorausgeht. (29)

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Die Sündenfallerzählung gibt Anhaltspunkte für eine solche Deutung sowohl durch die Beschreibung der Schlange (als Geschöpf Gottes!) mit ihrer Listigkeit als auch des Menschen mit seiner Verführbarkeit. Gegen eine Verwurzelung des Bösen (oder einer zwangsläufig zum Bösen führenden Schwäche) spricht die klare Bezeichnung von allem Geschaffenen als ursprünglich gut. Das ist explizit im priesterschriftlichen Schöpfungsbericht ausgedrückt; aber was P deutlich sagt, findet sich auch bei J in narrativ-beschreibender Form. (30) Ob man nun die Wurzel des Bösen im Geschöpf Mensch oder im Geschöpf Schlange ansetzt, - in jedem Fall würde man damit der „intentio operis" einer ursprünglichen Gutheit des Geschaffenen widersprechen.

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2.1.2 Zurückführung des Bösen auf Gott

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Die zweite Alternative stellt - meist zusammen mit der Gutheit der Schöpfung - die Gutheit des Schöpfers selber in Abrede. Dieser Weg wurde von gnostischen Deutungen des Sündenfalls beschritten. Für eine solche Deutung gibt die Sündenfallerzählung zunächst indirekte Anhaltspunkte: die scheinbare Willkür des Verbots; - warum musste Gott einen verbotenen Baum in die Mitte des Gartens setzen? Oder die augenscheinliche Unverhältnismäßigkeit zwischen Übertretung und Größe der Strafe. Durch solche Unstimmigkeiten gewinnt die Verdächtigung der Schlange an Plausibilität. Ist Gott vielleicht wirklich eifersüchtig? (31) Gnostische Texte wie das Philippusevangelium geben der Schlange gegen Gott recht. (32) Eine solche Antwort widerspricht ganz offensichtlich der Intention des Textes. Die genannten indirekten Anhaltspunkte ergeben sich aus einer Überstrapazierung des Textes. Außerdem spricht dagegen, dass Gott durchgehend als fürsorglich beschrieben wird. (33)

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2.1.3 Zurückführung des Bösen auf eine ungeschaffene dämonische Macht

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Die dritte Extremlösung führt das Böse auf eine widergöttliche Macht zurück. Diese Antwort, die für zahlreiche Schöpfungsmythen charakteristisch ist, sucht gewöhnlich in der Deutung der Schlange einen Anhalt zu finden. Aber sie kann damit nicht berücksichtigen, dass die Schlange eindeutig als Geschöpf bezeichnet wird. (34)

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Somit ist von keiner dieser drei systematischen Positionen her eine kohärente Interpretation der Sündenfallerzählung möglich. Allgemein ergibt sich: Die Sündenfallerzählung verweigert zwar eine eigene Lösung, verhält sich aber anderen Lösungsversuchen gegenüber keineswegs gleichgültig.

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2.1.4 Zurückführung des Bösen auf Satan als geschaffenes Wesen

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Eine wirkungsgeschichtlich mächtige Interpretation führt das Böse auf eine teuflische Macht zurück, die allerdings selber als ursprünglich gut geschaffen interpretiert wird. Damit entspricht diese Lösung der Logik der Erzählung. Zwar zeigen exegetische Untersuchungen durchgängig, dass eine solche Deutung nicht im Horizont des Textes liegt; das ist aber auch keine notwendige Bedingung für eine systematische Deutung im hier vertretenen Sinn. So erfüllt die Satan-Deutung die Kriterien einer systematischen Deutung, die mit der Sündenfallerzählung kompatibel ist. Dennoch ist sie nicht zufriedenstellend als systematische Beantwortung des Unde-malum-Problems. Dieses Problem wird hier nämlich nicht beantwortet, sondern nur verschoben. Es wandelt sich zur Frage: Wie konnten als gut geschaffene Engel von einem guten Gott abfallen? 

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2.1.5 Die dialektische Auflösung der Unde-malum-Problematik

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Die radikalste Lösung des Unde-Malum-Problems besteht in der Bestreitung des zu erklärenden Sachverhalts: Das Problem erledigt sich von vornherein, wenn es gar keinen Sündenfall gegeben hat, oder wenn sich das, was vordergründig als Sündenfall erscheint, bei näherer Prüfung oder aus einer höheren Perspektive als gar nicht schlecht erweist. (35) In dieser Richtung durchziehen dialektische Deutungen des Sündenfalls die europäische Geistesgeschichte von Francis Bacon bis Ernst Bloch und finden ihre Höhepunkte im Denken der Aufklärung und des deutschen Idealismus. (36) Der Drang nach autonomer, von Gott losgelöster Daseinsbewältigung im Essen vom Baum der Erkenntnis, die nachfolgende Erkenntnis der eigenen Nacktheit als Aufkommen des sittlichen Bewusstseins, - hier wurde der Sündenfall zum Inbegriff der Befreiung des Menschen aus dem Mutterschoß der Natur zu seiner geistigen und sittlichen Autonomie. Dass damit Komplizierungen gegeben waren, wurde wohl wahrgenommen und auch bedauert. Aber dies konnten Erscheinungen der Unreife sein, die letztendlich überwunden sein würden. Dann hätte der Mensch seine ursprüngliche Unbefangenheit wieder, - aber mit dem entscheidenden Zugewinn, ein verantwortliches Geistwesen zu sein. (37)

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Auch diese Interpretation hat Anhaltspunkte im Text. Die Eigenschaften von versuchten Menschen und versuchender Schlange sowohl im Umfeld als auch in der Folge des Sündenfalls sind nach hebräischem Wortgebrauch keineswegs eindeutig negativ. (38) Dies trifft zu auf die Listigkeit der Schlange, auf den Baum der Erkenntnis, ja selbst auf die Erkenntnis der Nacktheit. Dennoch ist eine Verurteilung des Essens vom Baum der Erkenntnis als Bruch mit der vom Schöpfergott aufgestellten Ordnung - die, gegen gewisse gnostische Deutungen, eindeutig als gut angenommen wird - klare intentio operis.

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Zu prüfen bleiben im Umfeld des dialektischen Lösungsmodells noch Überlegungen, die eine Schlechtigkeit des Sündenfalls zwar anerkennen, diese aber durch das daraus entstehende größere Gute als aufgewogen bewerten. Angesichts der Härten einer Gott entfremdeten Schöpfung dürften damit unvermeidlich Schatten sowohl auf die anfängliche Güte der Schöpfung als auch auf jene des Schöpfers zurückfallen. Auch wenn der Sündenfall durch ein größeres Gut mehr als wiedergutgemacht wird - eine Annahme, die zentral zum heilsgeschichtlichen Verständnis bereits der biblischen Texte gehört, allerdings nicht als Geschichtsautomatik oder als Leistung des Menschen, sondern aus Gottes Gnade (39) - bliebe zu erklären, warum der Umweg ins relativ Böse geschehen musste. Das Unde-malum-Problem bleibt also ungelöst.

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2.2 Das „autopoietische" Lösungsmodell

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Ich untersuche noch ein letztes Modell, und der Leser wird schnell merken, dass ich auf dieses meine Hoffnungen zur Rettung der „Logik der Sündenfallerzählung" setze. Durch eine gewisse Konstellation von an sich guten Elementen kommt es zu einer verhängnisvollen Aufschaukelung, sodass das Böse gleichsam aus nichts heraus entsteht. Ich bezeichne diesen Lösungsansatz als „autopoietisch", denn er erinnert an die „autopoietische" Selbstorganisation von Phänomenen in komplexen Systemen, zum Beispiel an den „Schmetterlingseffekt" in der Meteorologie. (40) Demgemäß genügt in bestimmten labilen atmosphärischen Konstellationen der Flügelschlag eines Schmetterlings, um in einem anderen Kontinent einen Wirbelsturm auszulösen.

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2.2.1 Narrative Hinführung: Dostojewskijs „Traum eines lächerlichen Menschen"

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Eine anschauliche Hinführung zum Gemeinten gibt die Erzählung „Der Traum eines lächerlichen Menschen" von Fedor Dostojewskij. In ihr hat Dostojewskij eine Fiktion des Sündenfalls entwickelt: Der (Anti-)Held der Erzählung ist seines Lebens überdrüssig. In der Folge erfährt der Leser von dessen Selbstmord, der sich am Ende aber als Anfang eines Traumes des eingeschlafenen Verzweifelten erweisen wird. Den Verstorbenen erwartet nicht die Verdammnis, sondern ein Paradies in Form einer prälapsarischen, jungfräulichen Welt auf einem fremden Stern. Über mehrere Seiten setzt Dostojewskij seine ganze dichterische Kraft ein, ein unschuldiges und glückliches Paradies zu entwerfen. Mitten in diesem wird der fremde Gast nun Zeuge und - zumindest erfährt er sich so - Auslöser eines Sündenfalls, der - gleichsam aus dem Nichts heraus - alles zerstört.

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„Sie lernten lügen und gewannen die Lüge lieb und erkannten die Schönheit der Lüge. Oh, das begann vielleicht ganz harmlos, mit Scherz, mit Koketterie, mit verliebtem Spiel, wirklich vielleicht mit einem Atom; aber dieses Atom Lüge drang in ihre Herzen ein und gefiel ihnen. Darauf entstand schnell Sinnlichkeit; die Sinnlichkeit erzeugte Eifersucht, die Eifersucht Grausamkeit... Oh, ich weiß nicht, ich erinnere mich nicht; aber bald, sehr bald floss das erste Blut." (41)

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2.2.2 Die Macht der kleinen Verschiebungen

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Vergleicht man Dostojewskijs originelle Neu-Erzählung der biblischen Sündenfallerzählung mit ihrem Original in struktureller Hinsicht, so ergeben sich erhellende Einsichten. Die Stelle der Schlange nimmt bei Dostojewskij der Selbstmörder ein - gleichsam ein gefallener Engel; aber die von diesem ausgehende Versuchung ist minimal. Er tut nichts wirklich Böses. Auch der Schlange in der biblischen Sündenfallerzählung wird man durch Dämonisierung nicht gerecht. Was sie verbricht, sind zunächst nur minimale perspektivische Verschiebungen der Wahrheit: Die Rede von Elohim anstelle von Jahwe-Elohim, die fragende Verschärfung des Verbotes: „Hat Gott wirklich gesagt, ihr dürft von keinem Baum essen?"; die Feststellung, dass die Menschen nach dem Genuss der Frucht nicht sterben werden, sondern dass ihnen die Augen aufgehen werden - das ist in gewissem Sinn sogar richtig! Zuletzt erfolgt die allerdings schwerwiegende Verfälschung des Wesens Gottes. In den Worten der Schlange finden sich kleine Verschiebungen mit extremen Konsequenzen im Gottesbild. Dass dahinter eine souveräne teuflische Verführungskunst der Schlange stünde, ist bloße Spekulation des Interpreten.

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Auch bei Eva führen minimale anfängliche Verschiebungen zum Dammbruch der Gebotsübertretung: In ihrer Zurückweisung der von der Schlange formulierten Übertreibungen („von keinem Baum") bleibt etwas von einer Verschärfung hängen, die geeignet ist, das Gottesbild zu verdunkeln: Sie übernimmt die relativierende Verschiebung in der Gottesrede von „Jahwe Elohim" zu „Elohim" und erklärt, man dürfe nicht am verbotenen Baum rühren. Und in ihr wächst ein Begehren: nach der Frucht mit ihrer Schönheit und ihrem Geschmack, sowie nach der Weisheit, - ein Begehren, das in seinen Ursprüngen gewiss schöpfungsmäßig gut ist. (42)

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2.2.3 Die Ambivalenz der schöpfungsmäßig guten Eigenschaften

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Die Möglichkeit solcher folgenschwerer minimaler Verschiebungen gründet in einer Ambivalenz oder Pervertierbarkeit von Eigenschaften, die durchaus auch gut sein können. J benennt die Eigenschaften der Geschöpfe, mittels derer sie zur Übertretung beitragen, und diese sind nicht einfach schlecht, wohl aber ambivalent. Beim Menschen ist es das Begehren nach Erkenntnis und ewigem Leben, in diesem Sinn das Begehren, wie Gott zu sein, sowie die sinnliche Lust, bei der Schlange die Klugheit. Keine dieser Eigenschaften ist einfachhin schlecht. (43) 

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2.2.4 Sein wie Gott

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Fasst man diese exegetisch gut belegbare Ambivalenz und Verschiebbarkeit bei ursprünglicher Gutheit als Grundzug in der Konstitution der „klugen" Geschöpfe, dann lässt sich dies in jener systematischen Deutung verdichten, die ich als Ambivalenz des Wie-Gott-Seins an den Anfang des Aufsatzes gestellt habe. Diese Deutung findet bzgl. Gen 3,5 und die jahwistische Textumgebung guten Anhalt: Beim Wie-Gott-Sein geht es nicht um einzelne Eigenschaften des Menschen, sondern um seine schöpfungsmäßige dynamische Gesamtkonstitution, die in der Sehnsucht nach Erkenntnis und ewigem Leben kulminiert. Bei der Versuchung, Gut und Böse zu erkennen und zu sein wie Gott geht es mithin um einen Anspruch auf autonome Daseinsbewältigung, der in größter Nähe steht zur geschaffenen Grundkonstitution des Menschen als Wesen, das nach Erkenntnis und ewigem Leben strebt.(44)

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Eine eigens zu prüfende Frage ist, ob auch P mit der Rede der Gottähnlichkeit in Gen 1,26 eine solche schöpfungsmäßige Seinsdynamik meint.

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Hier gehen die exegetischen Meinungen weit auseinander. Während Westermann mit Karl Barth die Gott-Ebenbildlichkeit gerade im Verhältnis des Menschen zu Gott festmachen will, sieht Walter Gross den Bezug im Verhältnis des Menschen nicht zu Gott, sondern nur zur restlichen Schöpfung - durch einen Herrschaftsauftrag - gegeben.(45) Während eine Parallelisierung von Gen 1,26 und 3,5 gemäß Westermanns Deutung sachlich berechtigt erscheint, liegen in der Deutung von Gross offenbar inhaltliche Differenzen vor. Folgt man Gross, so ist die Ausrichtung der Gottähnlichkeit von Gen 1,26 nicht auf Gott, sondern auf die vom Menschen verschiedene Schöpfung ausgerichtet, während sich in Gen 3,5 der Anspruch, zu sein wie Gott, rivalisierend-vergleichend auf Gott richtet. Nun kann eine systematische Deutung gerade in der Verschiebung des Blickwinkels im Sein-wie-Gott vom warum-losen Wahrnehmen der damit gegebenen Würde und Verantwortung hin zu einem selbstvergewissernden Vergleichen gerade das Wesen jener minimalen Verschiebung sehen, die sich so fatal auswirkt. Insofern ist für die hier vertretene systematische Deutung des Wie-Gott-Seins die Interpretation von Gross sogar die erhellendere. 

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2.2.5 Erste Bewertung des autopoietischen Lösungsmodells; ein Einwand

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Die bisherigen Ausführungen belegen eine hohe Kompatibilität des „autopoietischen Lösungsmodells" mit der Logik der Sündenfallerzählung. Der Ursprung des Bösen wird weder der Schöpfung noch Gott noch einer satanischen Macht zugeschoben. Überdies entspricht die „Logik der kleinen Verschiebungen" der Erzählung ebenso wie die strukturelle Eigenart, dass das Böse sich erst in Interaktion mehrerer Akteure wirklich werden kann.

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Allerdings bleibt noch eine harte Anfrage an die Lösungskraft des Modells. Wirft die Annahme einer anfänglichen Ambivalenz nicht einen dunklen Schatten auf die Güte der Schöpfung? Damit stünde es mit diesem Modell günstigstenfalls(46) wie mit dem Modell der Rückführung auf einen Satan, der als Geschöpf Gottes begriffen wird: Die Kompatibilität mit der Sündenfallerzählung wäre zwar gegeben, aber das Unde-malum-Problem würde nicht beantwortet, sondern nur verschoben.

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Besser stünde es, wenn der Aufweis gelänge, dass die schöpfungsimmanenten Ambivalenzen nicht willkürlich sind, sondern „in der Natur der Sache" liegen, und zwar in der Natur einer einer wesentlich guten Sache. Ein solcher Aufweis soll in Hinblick auf die Freiheit der Schöpfung und im Hinblick auf die Gottebenbildlichkeit versucht werden. 

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2.2.6 Die unvermeidliche Ambivalenz in der Freiheit

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Dem eben skizzierten Ausweg entspricht der traditionelle Hinweis, dass die Versuchbarkeit eine unvermeidliche Kehrseite der Freiheit des Menschen darstellt. (47) Nur wenn der Mensch sich auch frei gegen Gott entscheiden kann, ist er frei in seiner Wahl für Gott. Eine solche Argumentation wird allerdings beeinträchtigt durch den Verdacht eines reduzierten, auf bloße Wahlfreiheit eingeschränkten Freiheitsbegriffs. Hier soll eine Hilfsüberlegung aus dem menschlichen Beziehungsleben klärend sein:

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Lassen wir uns dazu zunächst von der jahwistischen Erzählung leiten. Gott pflegt dort einen unwahrscheinlich intimen Umgang mit den Menschen.(48) Aber dennoch ist er nicht immer bei ihnen. Die eigentliche Problematik beim Gespräch mit der Schlange besteht in einer Verfremdung Gottes, (49) welche nur möglich ist, weil Gott sich vom Menschen ferngehalten hat. Warum tat er das? Gerade aus den engsten zwischenmenschlichen Bindungen - zwischen Mutter und Kleinkind - wird die Bedeutung dieses Abstandes für die werdende Freiheit deutlich. (50) Aus Bindungserfahrungen auch zwischen erwachsenen Menschen - etwa im Zustand der Verliebtheit - ist überdies einsichtig, dass der für eine gesunde Beziehung nötige Abstand für einen Liebenden manchmal nur schwer erträglich ist. Der in der frei-lassenden Beziehung notwendige Abstand bringt in die Gutheit der Beziehung ein Moment der Ambivalenz. Positiv wird er in Hoffnung getragen, negativ in Angst. (51)

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2.2.7 Das Double-bind der Gottebenbildlichkeit

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Eine weitere Hilfsüberlegung, die die Unvermeidbarkeit der Ambivalenz aufweisen soll, setzt direkt beim Sein-wie-Gott an. Wenn eine überlegene Person A einer unterlegenen Person B verheißt, in allem ihr gleich zu werden, so liegt darin ein Keim des Konflikts, der als double-bind analysiert werden kann. (52) Dies lässt sich eindrucksvoll an einer bestimmten Lehrer-Schüler-Konstellation veranschaulichen:

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Man denke an einen Schüler der seinen Lehrer leidenschaftlich verehrt. Der Schüler wird seinen Meister als vollkommenes Vorbild nachahmen, und seine größte Sehnsucht wird darin bestehen, wie er zu werden. Dies befähigt ihn zu höchsten Leistungen, und das wiederum wird den Lehrer dazu motivieren, sein Bestes zu geben. Diese ideale Konstellation kann allerdings durch geringe Verschiebungen nachhaltig pervertiert werden. Nehmen wir an, der Lehrer beginnt, sich von den Ambitionen des Schülers bedroht zu fühlen. So geht er auf vorsichtige Distanz. Der arglose Schüler wird dadurch irritiert werden. Er wird den Grund für die Zurückhaltung des Lehrers im eigenen Ungenügen suchen und seine Anstrengungen nochmals steigern. Dadurch verstärkt er aber gerade die Reserviertheit des Lehrers. So wird ein Teufelskreis in Gang gesetzt, der die vielversprechende Lehrer-Schüler-Beziehung schließlich zerstört.

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Übertragen wir diese Überlegungen auf das Verhältnis zwischen Schöpfergott und dem Menschen, der von Gott nach seinem Bild als dynamische Existenz geschaffen wurde. In Übertragung des obigen Beispiels müsste der erste Anfang des Konflikts nun darin bestehen, dass Gott beginnt, sich von den Ambitionen des Menschen bedroht zu fühlen. Das entspricht der Sichtweise der Schlange vom neidischen Gott. Die Dynamik des Misstrauens kann aber auch von seiten des Schülers ausgelöst werden. Diesem kann nämlich an einem bestimmten Punkt der Verdacht kommen, dass der Lehrer ihm etwas Entscheidendes aus Neid vorenthält. (53) Und selbst dieser Verdacht genügt bereits, dass das Verhalten des Lehrers ins Zwielicht gerät. So kann eine Spirale des Misstrauens auch ganz von seiten des Schülers ausgelöst werden. Der Lehrer hat dann keine Chance mehr.

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Dies ist nun das Szenario, das für eine systematische Deutung der Sündenfallerzählung geeignet ist: Das Sein-wie-Gott, das Gott dem Menschen mitgibt, ist grundsätzlich grenzenlos. Da ist nichts, was der grenzenlos liebende Gott dem Menschen vorenthalten will. Und doch gibt es einen entscheidenden Punkt, in dem der Mensch Gott niemals einholen können wird. Selbst wenn der Mensch alles von Gott empfangen hat, so bleibt doch der Unterschied, dass Gott es gegeben und der Mensch es empfangen hat, dass Gott Urbild und der Mensch Abbild ist. Der unschuldig-unbefangene Blick wird auf diese Differenz niemals aufmerksam werden. Er wird sich an den von Gott gegebenen Gütern freuen und sie ihm danken. Es bedarf aber nur der kleinen Verschiebung, dass der Mensch den Blick vergleichend-abmessend auf sich und auf Gott richtet, dass die Verheißung, zu sein wie Gott, zur abgründigen Versuchung wird: dass der Mensch sich nämlich von Gott das holen will, was Gott dem Menschen nicht geben kann: nämlich die Unverdanktheit, das „Aus-sich-selber". Über diese „Frucht" zu verfügen wäre gleichzeitig - und zwar eo ipso - der Verlust von allem, was Gott dem Menschen gnädig gewährt hat. Es ist Teil seiner Wahl, dass er es nun „im Schweiße seines Angesichts" selber der Erde abringen muss.

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Im Rahmen dieses Modells ist eine systematische Deutung von Elementen aus der Sündenfallerzählung möglich, die - wenn unerklärt - dunkle Schatten auf den guten Schöpfergott werfen:

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(1) der verbotene Baum: Dass Gott einen verbotenen Baum in den Garten setzt, ist gemäß unserer systematischen Deutung kein Willkürakt, sondern symbolisiert eine zwangsläufige, in der Natur der Sache liegende Begrenzung von Gottes Ansinnen, mit dem Menschen alles zu teilen, d.h. ihn ganz zu seinem Ebenbild zu machen.

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(2) Nacktheit und Klugheit: Semantische Analysen weisen auf die lautliche Ähnlichkeit der hebräischen Worte für „nackt" und für „klug" hin.(54) Die Nacktheit - gemäß der lautlichen Ähnlichkeit: nackt(/klug) - ist eine schöpfungsmäßige Grundgegebenheit für die Menschen, die vor dem Sündenfall noch als problemlos und erst in der Folge des Sündenfalls als seinsmindernd erfahren wird. Dazwischen steht die Versuchung der Schlange, die klug(/nackt) ist und eine Klugheit verspricht, die sich in der Folge der Übertretung als eine ihrer selbst gewisse Nacktheit entpuppen wird. Gemäß unserer systematischen Deutung lässt sich die wesentliche und grundsätzlich unüberwindbare Differenz zwischen Gott und Mensch, nämlich dass Gott seine Seinsfülle aus sich hat und der Mensch seine Seinsfülle einem anderen verdankt, der biblischen Rede von der Nacktheit zuordnen. Die so verstandene Nacktheit ist vor dem Sündenfall eine unbewusste und unproblematische: Der Mensch hat selbstverständlich an den Gütern Gottes und seiner Souveränität teil (der Namengebung und dem Herrschen über die andere Schöpfung); die Differenz bleibt ohne Beachtung und auch ohne Bedeutung. Damit ist auch eine Klugheit gegeben, die sich aber noch nicht auf den Punkt der wesentlichen Differenz zwischen Gott und Mensch richtet. Die Schlange, als ein Wesen „klüger als die alle Tiere des Feldes" steht einem solchen kritischen Wissen näher. Das zeigt sich in ihrer Rede, die die Aufmerksamkeit auf einen direkten Vergleich zwischen der Seinsfülle Gottes und der Geschöpfe richtet und dabei einen Vorteil Gottes ausmacht, den Gott eifersüchtig wahren wolle. Die Übertretung (der Genuss der Frucht vom Baum der Erkenntnis) ebnet in gewisser Hinsicht die Differenz tatsächlich ein. Nun hat auch der Mensch - so wie Gott - etwas aus sich allein, - etwas, das er also nicht einem anderen, nicht Gott verdankt. Dies kann aber paradoxerweise nur sein Wissen um die Uneinholbarkeit des göttlichen Vorsprungs sein. Nur das Wissen, nicht-Gott zu sein, - und zwar in seinem Modus als erfahrene Seinsminderung - hat der Mensch nicht von Gott, sondern aus eigenem. Damit hat er zugleich etwas, was Gott nicht hat, was Gott sozusagen fremd ist, und auf das er stolz und eifersüchtig pochen kann: indem er sich weigert, sich von Gott beschenken zu lassen.

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(3) Strafen auf den Sündenfall (Mühsal der Arbeit und Vertreibung aus dem Paradies): Die vorausgehenden Überlegungen führen unmittelbar zu einer Interpretation der Strafen aus dem Sündenfall: Wenn der Mensch sich nicht mehr fraglos von Gott beschenken lassen will, so muss er sich die Güter mühsam aus eigener Kraft beschaffen. Der Verlust des Paradieses ist nicht von Gott willkürlich verfügt, sondern liegt direkt in der Konsequenz des Sündenfalls, es ist Teil der in ihm erfolgten Wahl. (55)

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In großer Näher zur hier unternommenen systematischen Deutung steht die Interpretation des Literaturwissenschaftlers David Damrosch. Er stellt fest, dass eine monotheistische Lösung der Sündenfallproblematik (interpretiert als existentielles Entfremdungsproblem) die Ansätze der Entfremdung nur aus der ursprünglichen Gottähnlichkeit heraus gewinnen kann. (56) Anfängliche kleine Differenzen verschieben sich zu immer größeren; in ähnlicher Weise wie hier durchgeführt betont Damrosch die Macht der kleinen Verschiebungen und die Ambivalenzen. Ein entscheidender Unterschied liegt allerdings in Damroschs Erklärung des ersten, infinitesimalen Ursprungs der Irritationen: erster Ansatzpunkt ist für ihn ein Mangel Gottes; um diesen zu überwinden, hat er sich in Adam ein Ebenbild geschaffen. Damit spiegelt sich aber der Mangel Gottes in der Gestalt des ihm ähnlichen Adam ab: Wie Gott einen Adam braucht, so braucht Adam eine Eva. Der Mangel wird somit nicht wirklich überwunden, sondern nur weiterverschoben. Gott korrigiert seine Schöpfung durch die Erschaffung Evas. Sie, als Symbol für einen nicht bewältigten, sondern nur verschobenen anfänglichen Mangel, wird zur Einbruchsstelle des Sündenfalls, d.h. der Entfremdung zwischen Schöpfung und Gott.

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In Damroschs Interpretation steht Gott selber im Zwielicht. Im Unterschied dazu versteht die christliche Theologie Gottes Schöpfung als freie Initiative, die frei von jedem Mangel ist. Die Defizienz entsteht allein auf seiten der Schöpfung und ist damit nicht tragisch festgeschrieben, sondern grundsätzlich erlösbar. Die hier vorgelegte systematische Deutung ist mit einer solchen Sicht kompatibel.  

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3. Resümee

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Was ist das Ergebnis? Wir haben eine systematische Antwort auf die Frage nach dem „unde malum" versucht, d.h. auf die Frage, wie in einer guten Schöpfung von einem guten und allmächtigen Gott das Böse im Sinn einer freiwillentlichen Entfremdung des Menschen gegenüber dem Schöpfer einbrechen konnte. Dazu wurde ein „autopoietisches" Modell vorgeschlagen, in dem sich das Böse in Interaktion zwischen mehreren Beteiligten gleichsam aus nichts aufschaukelt. Am Anfang steht eine gute, aber in wesentlichen Punkten labile Schöpfung. Durch zwei Überlegungen wurde gezeigt, dass solche anfängliche Labilität keine willkürliche Beeinträchtigung der Schöpfung ist, sondern zwangsläufig gegeben ist. Diese Überlegungen bezogen sich auf die unterschiedlich wahrnehmbare Distanz in freier Gemeinschaft, sowie auf die double-bind-Gefahr im Verhältnis zwischen Urbild und Abbild. Die letztgenannte Überlegung ermöglichte überdies eine systematische Deutung einiger schwieriger Elemente der Sündenfallerzählung.

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Das so entwickelte Modell entspricht der Logik der Sündenfallerzählung, oder genauer: es stellt einen kohärenten logischen Zusammenhang her zwischen verschiedenen zentralen Aussagen der Erzählung, die relevant sind für die Frage nach dem Ursprung des Bösen. Diese Aussagen waren negativer Art: nämlich dass das Böse weder in der Schöpfung noch im Schöpfer noch in einer ungeschaffenen dämonischen Macht wurzelt. Für die systematische Deutung habe ich ein „autopoietisches Modell" vorgeschlagen. Gemäß der hier vertretenen Position kann dieses Modell nicht als innerhalb der intentio operis liegend bezeichnet werden. Es ist vielmehr ein eigenständiges Modell, das aber der Logik der Erzählung entspricht. Auch wenn dieses Modell damit nicht im engen Sinn zur Interpretation des biblischen Textes gehört, ist es doch für eine adäquate Interpretation hilfreich: Dadurch dass sie die widerspruchsfreie Akzeptanz aller genannten Vorgaben erlaubt, wird eine unvoreingenommene Interpretation möglich, - und zwar auch für Menschen, denen die Frage nach dem „unde malum" bereits so in den Knochen steckt, dass sie sich ihr nicht mehr zu entziehen vermögen. 

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Mehrfach verwendete Literatur:

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  • Damrosch, D., The Narrative Covenant. Transformations of Genre in the Growth of Biblical Literature. Ithaca 1991.
  • Dostojewskij, F., Der Traum eines lächerlichen Menschen und andere Erzählungen. Frankfurt 1986.
  • Eco, U., Die Grenzen der Interpretation. München/Wien 1992.
  • Eco, U., Lector in fabula. Die Mitarbeit der Interpretation in erzählenden Texten. München 1990.
  • Ganoczy, A., Chaos - Zufall - Schöpfungsglaube. Die Chaostheorie als Herausforderung der Theologie. Mainz 1995.
  • Gunn, D.M., Fewell, D.N., Narrative in the Hebrew Bible. New York and Oxford 1993.
  • Gross, W., Art. Gottebenbildlichkeit, in: ³LThK 4, 871-873..
  • Hamilton, V.P., The Book of Genesis. Chapters 1-17 (The New International Commentary on the Old Testament). Michigan 1990.
  • Pagels, E., Adam, Eva und die Schlange. Die Theologie der Sünde. Reinbek b. Hamburg 1991.
  • Ruppert, L., Genesis. Ein kritischer und theologischer Kommentar. 1. Teilband: Gen 1,1-11-26. Würzburg 1992.
  • Schreiner, K., Das verlorene Paradies - Der Sündenfall in Deutungen der Neuzeit, in: Erfindung des Menschen. Schöpfungsträume und Körperbilder 1500-2000. Hg. Richard von Dülmen, Wien-Köln-Weimar 1998, 43-71.
  • Schwager, R., Niewiadomski J. u.a., Dramatische Theologie als Forschungsprogramm, in: ZkTh118 (1996) 317-344.
  • Ska, J.L., „Our Fathers have told us". Introduction to the Analysis of Hebrew Narratives. Rom 1990.
  • Wenham, G.J., Word Biblical Commentary. Volume 1. Genesis 1-15. Waco, Texas 1987.
  • Westermann, C., Genesis. Biblischer Kommentar Altes Testament I/1. Neukirchen-Vluyn 1974.
  • Wolde, E. van, Words become Worlds. Semantic Studies of Genesis 1-11. Leiden-New York-Köln 1994.
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AnmerkungenAnmerkungen:  

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 1. Zum Begriff der dramatischen Theologie vgl. Sandler, W., Was ist dramatische Theologie?, sowie: Schwager, R., Niewiadomski, J. u.a., Dramatische Theologie als Forschungsprogramm. In: ZkTh 118 (1996) 317-344. - An einer Theologie der Mimesis arbeite ich zur Zeit als Habilitationsprojekt. Einstweilen vgl. dazu: Sandler, W., Inspiration, Besessenheit oder geistlose Kopie? Überlegungen zu einer Theologie der Mimesis. In: Religion - Literatur - Künste. Perspektiven einer Begegnung zur Zeitenwende (Im Kontext 15). Hg. P. Tschuggnall, Anif/Salzburg: Müller-Speiser 2000 (Publikation in Vorbereitung).

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Alle unvollständigen Zitationen verweisen auf die Literaturliste am Ende des Beitrags.

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2. BSB, 185.

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3. Auch dieser methodologische Teil zielt auf eine Auseinandersetzung mit dem Denken Raymund Schwagers. Im Unterschied zu vielen systematischen Theologen hat er sich stets auf ausführliche exegetische Analysen gestützt und ist damit nicht selten ins Gehege mit Bibelwissenschaftlern geraten. Vgl. neben der Deutungsmethode von alttestamentlichen Gewalttexten in BSB, JHD und dazu die exegetischen Auseinandersetzungen in: Niewiadomski, J. / Palaver W. (Hg.), Dramatische Erlösungslehre. Ein Symposion. (ITS 38). Innsbruck - Wien 1992.

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4. Vgl. Dohmen, Ch., Schöpfung und Tod. Die Entfaltung theologischer und anthropologischer Konzeptionen in Gen 2/3. Aktualisierte Neuausgabe (Stuttgarter Biblische Beiträge 35). Stuttgart 1996, 247.

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5. „Die uns bedrängende Frage, wie denn das Böse - durch die und in der Schlange - in Gottes Schöpfung eindringen konnte, lag den biblischen Autoren von Gen 3 noch fern" (Ruppert, Genesis 146f). - „Damit, dass in Kap. 3 J die Menschen durch die kluge Schlange, ein Geschöpf Gottes, verführt werden lässt, bringt er zum Ausdruck, dass es nicht möglich ist, die Herkunft des Bösen zu erkennen. Es bleibt bei der schroffen Aporie, dass Gott das Wesen geschaffen hat, das den Menschen zum Ungehorsam verführt; das Böse bleibt in seiner Herkunft absolut rätselhaft. Diese für J äußerst wichtige Aussage: für die Herkunft des Bösen gibt es keine Ätiologie, würde zerstört werden in der mythischen Deutung, in der eine präzise Herkunft angegeben wird" (Westermann, Genesis 326).

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6. „Die Erwähnung der Schlange hat hier fast etwas Beiläufiges. ... Nicht, was die Schlange ist, sondern was sie sagt, soll uns beschäftigen." G. von Rad, zit. nach Westermann, Genesis 325.

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7. „Die Frage, die hinter der Erzählung [vom Sündenfall, W.S.] steht, ist nicht primär: Wie ist der Tod in die Welt gekommen? oder Wie ist die Sünde entstanden?, auch wenn die Fragen am Werden der Erzählung beteiligt sind. Die eigentliche, die Erzählung bestimmende Frage ist: Warum ist der von Gott geschaffene Mensch ein von Tod, Leid, Mühe und Sünde begrenzter Mensch?" Westermann, Genesis 377.

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8. Nach Gen 3,13f versucht der Mensch zwar, seine Schuld abzuschieben, aber diese Rechtfertigung ent-schuldet ihn nicht; vielmehr erscheint sie als weiteres Indiz für die Entfremdung des Menschen gegenüber Gott.

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9. „Die Schlange wird nicht gefragt [von Gott, warum sie 'das getan' hat, W.S.]. Der eigentliche Ursprung der Tat bleibt unerklärt. Die Absicht des Erzählers im Abbrechen an dieser Stelle ist eindeutig: Das Böse kann in seiner Herkunft nicht erklärt werden." Westermann, Genesis 349, vgl. ebd. 347.

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10. Z.B. die Aufteilung der Gottebenbildlichkeit nach Gen 1,26 in einen naturalen und einen moralischen Aspekt seit Irenäus, oder die Deutung der Schlange als Satan.

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11. Man denke an die extrem gegensätzlichen allegorischen Deutungen der Sündenfallerzählung in der Gnosis. Vgl. dazu den Überblick in E. Pagels, Adam, Eva und die Schlange, 133-169.

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12. Vgl. zum folgenden: Eco, Lector in fabula; weiters ders., Die Grenzen der Interpretation. Zu einer Anwendung des hier verfolgten semiotischen Konzepts einer Logik der Erzählung in den Bibelwissenschaften vgl. J.L. Ska, Our fathers have told us, v.a. 31f.

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13. Gegen die Position: „Jede Interpretation ist beliebig, es gibt keine falsche Interpretation" hält Eco: Es gibt zwar kein Kriterium um eine hundertprozentig richtige Interpretation als solche zu identifizieren, aber es gibt eine Falsifikation von scheiternden Interpretationen, und es gibt Möglichkeiten, bessere von schlechteren Interpretationen zu unterscheiden. Vgl. Eco, Grenzen der Interpretation 51.

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14. Ein Beispiel aus der Sündenfallerzählung: Darin ist nicht ausdrücklich die Rede davon, dass Eva vom Verbot des Baums der Erkenntnis erfuhr. Auch wenn diese Lücke traditionsgeschichtlich auf eine Nahtstelle zwischen zwei ursprünglich verschiedenen Erzähltraditionen hinweist (vgl. dazu Westermann, Genesis 265), so ist sie doch kein Bruch. Die Lücke wird vom Leser selbstverständlich ausgefüllt, und zwar gewiss im Sinn des Autors.

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15. „Die Fabel ist das grundlegende Schema der Erzählung, die Logik der Erzählung, die Syntax der Personen, der zeitlich geordnete Ablauf der Ereignisse" (Eco, Lector in fabula 128, Hervorhebung von mir).

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16. Eco definiert: „Eine ideologische Struktur manifestiert sich, wenn axiologische Konnotationen mit Aktantenrollen, die dem Text eingeschrieben sind, assoziiert werden, und wenn ein Aktantengerüst mit Werturteilen ausgestattet wird und die Rollen axiologische Gegensätze beinhalten wie Gut und Böse, Wahr und Falsch (oder auch Leben und Tod, Natur und Kultur), wobei der Text seine Ideologie sozusagen in Filigran darbietet" (Eco, Lector in fabula 223).

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17. „Was aber geschieht, wenn der Leser - indem er grundlegende Strukturen herausarbeitet - irgend etwas ans Licht bringt, das der Autor nicht sagen konnte und niemals hätte sagen wollen und das dennoch der Text mit absoluter Klarheit auszusagen scheint? Es ist einleuchtend, dass sich hierin die subtile Grenze zwischen interpretativer Mitarbeit und Hermeneutik abzeichnet..." (Eco, Lector in fabula 224).

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18. Eine solche Vorannahme ist von besonderer Bedeutung bei Glaubensfragen, die in systematisch-theologischer Perspektive an einen kanonischen Text gerichtet werden.

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19. Der Grund für das Scheitern kann auch auf Seiten des Interpreten liegen, dem die Erstellung eines die Homogenität aufweisenden Modells nicht gelang.

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20. Zum Konzept des impliziten Lesers vgl. Ska, Our fathers have told us 41-43.

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21. Offen bleibt hierbei die Frage, ob solche Anregung des Leserinteresses Teil der Erzählstrategie ist, - im Sinne von: „A good plot stirs up interest and curiosity" (Ska, Our fathers have told us 61).

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22. Dass auch Exegeten immer wieder durch eigene Präsuppositionen über das im Text Gesagte hinausgehen, zeigt Westermann wiederholt kritisch auf. Vgl. z.B. Westermann, Genesis 327.

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23. Vgl. das Kapitel „La ‚logique' du recit se limite à un seul épisode" in: J.-L. Ska, J.-P. Sonnet, A. Wénin, L'analyse narrative de l'Ancien Testament (cahiers evangile 107) 1999. - Würde man diese Frage ohne jede Einschränkung bejahen, so wären damit auch gewaltsame fundamentalistische Bibelauslegungen gerechtfertigt, nach dem Muster von Edwards, B., Nothing but the Truth. An explanation of the inspiration and authority of the Bible. Hertfordshire 1978.

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24. Vgl. die kritischen Übersichten in Hamilton, Genesis 11-38, sowie Wenham, Genesis xxxii-xli.

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25. Vgl. in diesem Sinn z.B. Schwagers Auseinandersetzung mit Peter Fiedler inJHD, 130-133.

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26. Es bleibt aber durchaus unbenommen, die hier verfolgten Ansätze zu einer umfassenden Theologie des Bösen weiterzuführen. Das kann hier aber natürlich nicht unternommen werden.

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27. Wie D. Damrosch verdeutlicht, geht es in der Sündenfallerzählung nicht um das Böse in seiner ethischen Dimension, sondern um die existentielle Dimension einer Entfremdung von Gott. Vgl. ders., The narrative covenant 137f.

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28. Dabei wird die anfängliche Schlechtigkeit in der Schöpfung allerdings gewöhnlich auf dunkle Seiten in Gott oder auf ein gegengöttliches Prinzip zurückgeführt. Damit liegen hier Varianten von Alternative 2 oder 3 vor.

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29. Zur Uneindeutigkeit von Drewermann in dieser Frage vgl. EHD, 37f.

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30. Die j Darstellung hat allerdings gegenüber P den Unterschied, dass die Vollkommenheit hier nicht anfänglicher Wurf ist, sondern über mehrere Korrekturen Jahwes erfolgt.

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31. „Most commentators, for obvious theological reasons, want to 'protect' God, to remove the divine character from scrutiny... Some readers, however, are willing to pluck the fruit, eager to learn what the knowledge of good and evil is all about. Tensions and contradictions within the text, and between text and reader, may challenge us to re-enter the garden with our eyes opened, even if that means eventually running up against the contradictory, unstable character of God." (Gunn, Fewell, Narrative in the Hebrew Bible 201; vgl. ebd. 201-205, mit dem Resümee: „This is the kind of reading, that can transform us.").

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32. Vgl. Pagels: Adam, Eva und die Schlange 152f.

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33. Selbst nach dem Sündenfall und seiner Verurteilung sorgt Gott für die Menschen durch Ausstattung mit Fellkleidern. Vgl. Gen 3,21.

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34. „Regarding the serpent's origin, we are clearly told that he was an animal made by God. This information immediately removes any possibility that the serpent is to be viewed as some kind of supernatural, divine force. There is no room here for any dualistic ideas about the origins of good and evil" (Hamilton, Genesis 188).

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35. Nach Leibniz ist der Sündenfall nur in begrenzter Perspektive böse (z.B. der Intention nach), aus einer höheren Perspektive ist er aber gut. Vgl. Art. Sündenfall, in: HWP Bd. 10, 622.

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36. Vgl. Schreiner, Das verlorene Paradies.

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37. Vgl. das Ende von Heinrich von Kleists Erzählung „Über das Marionettentheater".

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38. Vgl. Feilschuss-Abir, A.S.: "... da werden eure Augen geöffnet und ihr werdet sein wie Gott, wissend Gutes und Böses" (Gen 3,5), in: Theologie und Glaube 74 (1984) 190-203

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39. Es geht hier um das paulinische Motiv einer „felix culpa" und Funktionalisierungen dieses Gedankens zu einem Geschichtsprinzip. Vgl. dazu Schreiner, Das verlorene Paradies 59.

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40. Vgl. Ganoczy, Chaos - Zufall - Schöpfungsglaube 43.

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41. Dostojewskij, Traum eines lächerlichen Menschen 349. Die Logik dieser Erzählung enthält eine Annäherung an ein autopoietisches Sündenfallmodell, noch nicht deren Verwirklichung. Denn ein Keim des Bösen wird in diese Welt - wie durch einen gefallenen Engel - von außen implantiert. Aber die Dynamik, wie aus einem Fast-nichts das Böse zu wuchern beginnt, ist auf erhellende Weise beschrieben.

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42. Vgl. Westermann, Genesis 339.

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43. Vgl. Anm. 39.

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44. vgl. Westermann, Genesis 372.

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45. „Die Blickrichtung geht vom Menschen zu den Wesen unter ihm, nicht vom Menschen zu Gott." Gross, Gottebenbildlichkeit 872. Ähnlich van Wolde, die die Gottebenbildlichkeit als Zeichen oder Repräsentation Gottes versteht. Vgl. van Wolde, E., Stories of the Beginning. Genesis 1-11 and Other Creation Stories. London 1996, 25-29.

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46. Im ungünstigeren Fall widerspricht das autopoietische Modell doch der Annahme einer ursprünglich guten Schöpfung und damit der Logik der Sündenfallerzählung.

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47. Vgl. Greshake, G., Wenn Leid mein Leben lähmt. Leiden - Preis der Liebe? Freiburg 1978, 24-35. Zur logischen Analyse des „free will defense" in der Theodizee vgl. Kreiner, A., Gott im Leid. Zur Stichhaltigkeit der Theodizee-Argumente (QD 168). Freiburg i.Br.-Basel-Wien 1997, 207-274.

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48. Vgl. Gen 3,8.

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49. Diese Verfremdung wird im Text dadurch manifest, dass erstmals nicht zu, sondern über Gott gesprochen wird.

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50. Jacques Lacan hat dies in seinen Analysen auf die Sprachwerdung beim Kind angewandt: Sprache als fortgesetztes Substitut für die nicht mehr verfügbare Mutter. Vgl. Möde, E., Das Begehren: Das Identitätsproblem in der Ethik der analytischen Psychotherapie. München 1995, 28, 215 .

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51. Man könnte hier für die systematische Sündenfallanalyse auf Kierkegaards Angstbegriff zurückgreifen, der allerdings als Beziehungsgeschehen zu reflektieren wäre, (vgl. dazu: Bongardt, M., Der Widerstand der Freiheit. Eine transzendentaldialogische Aneignung der Angstanalysen Kierkegaards (FTS 49). Frankfurt am Main: 1995) wobei überdies der Schwindel der Freiheit vor dem Fall noch nicht als Angst zu bezeichnen wäre, sondern als Ambivalenz zwischen hoffender Erwartung und ängstlicher Entbehrung.

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52. Ein double-bind ist eine widersprüchliche Aufforderung, wobei der Widerspruch meist zwischen einer offenen Aufforderung und einer gegensätzlichen verdeckten besteht. Gregory Bateson hat die massiv irritierende Wirkung von double-binds aufgedeckt und konnte aufzeigen, dass Schizophrenie mit einer verbreiteten double-bind-Kommunikation im Elternhaus zusammenhängt. Vgl. besonders Bateson, G., Vorstudien zu einer Theorie der Schizophrenie. In: ders., Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven. Frankfurt a. Main 1981, 270-301. René Girard hat die double-bind-Theorie mehrfach aufgegriffen, aber auch modifiziert. Vgl. Girard, R., Das Heilige und die Gewalt. Einsiedeln-Zürich-Köln 1987, 217f; ders., Things Hidden since the Foundation of the World. London 1987, 219-222.

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53. Und dies, im Anschluss an die vorausgehende Überlegung mit der Beziehungsfreiheit, gerade dort, wo die Lehrer-Bezugsperson aus Respekt vor der freien Selbstentwicklung des Schülers ein wenig auf Reserve zu diesem geht, also ihn z.B. etwas weniger lobt.

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54. arum: klug (Gen 2,25); arom: nackt (Gen 3,1 [unmittelbar anschließend an Gen 2,25]). Vgl. van Wolde, Words become Worlds 7f, sowie Damrosch, The narrative Covenant 141.

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55. Nach Friedrich Schiller hat der Mensch als ‚freihandelndes Geschöpf' und ‚sittliches Wesen' durch ‚Nachdenken, Fleiß und Mühe' eine zweite, neue Welt geschaffen, in der zu leben mehr Glück bringe als das sorglose, instinktgeleitete Dasein im Paradies. „Das selbstgepflanzte Kraut ... überraschte ihn mit einer Schmackhaftigkeit, die er vorher nicht kennengelernt hatte; der Schlaf beschlich ihn nach der ermüdenden Arbeit und unter selbstgebautem Dache süßer als in der trägen Ruhe seines Paradieses. Im Kampfe mit dem Tiger, der ihn anfiel, freute er sich seiner entdeckten Gliederkraft und List, und mit jeder überwundenen Gefahr konnte er sich selbst für das Geschenk seines Lebens danken." Fr. Schiller, Etwas über die erste Menschengesellschaft nach dem Leitfaden der mosaischen Urkunde, zitiert nach Schreiner, Das verlorene Paradies 61.

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56. „If Adam cannot drift away from God through evil, as both he and God are good, and cannot drift away even through [corr. von „though" W.S.] sheer unlikeness to God, as he is created in God's image (as the Priestly writers will put it), then he must drift away precisely through the consequences of his likeness to God" (Damrosch, The narrative Covenant 140).

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