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Niewiadomski Jozef: Menschenrechte in der neuheidnischen Zeit
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Menschenrechte in der neuheidnischen Zeit
(Zur Frage nach dem "Salz der Erde" als Bestandteil der Kultur von morgen)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:Solange unsere liberale Kultur aus der religiösen Tradition zehren konnte, war ihr das religiöse Problem der Menschenrechte nicht bewusst. Sie konnte mit einem Einsatz rechnen, der den Menschenrechts-Erklärungen zu Glaubwürdigkeit verhalf. Die brennenden Fragen für die Zukunft lauten: Was wird aus den Menschenrechtserklärungen, wenn der religiös motivierte Einsatz ausbleibt? Was wird aus den Menschenrechte, wenn die modische neuheidnische Logik gesellschaftlich nicht mehr korrigiert wird?
Publiziert in:# Vortrag an der Severin-Akademie am 08.01.2001 in Linz. Publiziert in: Schriftenreihe des Forum St. Severin für Christliche Spiritualität, Bildung und Kunst. Hg. vom Katholischen Akademikerverband der Diözese Linz. Heft 33. Linz 2001.
Datum:2001-10-14

Inhalt

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"Ihr seid das Salz der Erde. Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, womit kann man es wieder salzig machen? Es taugt zu nichts mehr; es wird weggeworfen und von den Leuten zertreten." (Mt 5,13).

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Dies sagt Jesus zu seinen Jüngern, und die Kirche darf wohl diese Sätze auf sich selber beziehen. Ob als das lebensnotwendige Salz, oder aber weniger kulinarisch gedeutet: als Sakrament: Zeichen und Werkzeug für die Einheit mit Gott und die Einheit der ganzen Menschheit (Lumen gentium 1) - glaubt sie doch etwas Besonderes in dieser Welt zu sein! Steht dieser Glaube heute aber nicht auf schwachen Beinen?

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1. Menschenrechte: das lebensnotwendige Salz in der Kirche?

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Die späten 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts vermittelten hier zu Lande einen katastrophalen Eindruck. Die Welt selber, die liberale Kultur: die Mentalität, die durch Rechts- und Anspruchsdenken konstituiert wird und die Institutionen jenseits der kirchlichen Mauern: der moderne demokratische Staat etwa, die Gerichtsbarkeit in unseren Breitengraden, das sozialpolitische Management des Arbeitsmarktes und vieles andere mehr: All das könnte doch guten Gewissens als Salz der Kirche bezeichnet werden, gerade im Hinblick auf die Frage nach den Menschenrechten.(1)

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Viele Christinnen und Christen gewannen das bedrückende Gefühl, dass ihre Kirche hoffnungslos hinter den Standards der Welt zurückbleibe, dass sie weder Sakrament, noch Salz und schon gar nicht ein Hoffnungszeichen sei. Die Horrorvision eines sinkenden Schiffes, das panikartig verlassen wird, konnte oft kaum von der Hand gewiesen werden. (2)

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Immer und immer wieder geriet ja die Katholische Kirche in die medialen Schlagzeilen als jene Institution, die ihren Mitgliedern fundamentale Rechte vorenthält. Theologieprofessorinnen und -professoren beklagten die fehlende Transparenz und die mangelnden Standards bei der Regelung der Nihil Obstat-Verfahren, kirchliche Angestellte fühlten sich regelrecht verfolgt, wenn sie in Konfliktsituationen gerieten, die sich aus ihrer Lebensform und dem Anstellungsverhältnis ergaben (Geschiedene und Wiederverheiratete, oder die noch nicht verheirateten, aber doch zusammenlebenden Religionslehrer etwa). Der Papst und seine Verkündigung wurden immer wieder als doppelbödig und zynisch beurteilt. Bei jeder Gelegenheit spricht er von den Menschenrechten, beansprucht diese für die Milliarden von Armen, die noch nicht Geborenen und diejenigen, die alt, gebrechlich, ja hoffnungslos krank geworden sind; seine Sozialenzykliken lässt er eine eindeutige Sprache sprechen, die die Logik der Menschenrechte als die einzige menschenwürdige Lösung der gesellschaftlichen Probleme erscheinen lässt und als den vom Evangelium für unsere Gegenwart vorgezeichneten Weg. Bei den innerkirchlichen Problemen v.a. bei jenen, die das sakramentale Ordo betreffen (die konkrete Existenz des Priesters, sein Zölibat und seine Stellung als Rechtssubjekt in der Gesellschaft, die Zulassung der Frau zum Weiheamt), verweigert er sich der Diskussion.

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Unmodern, gestrig, feudal: So lautete doch damals das Urteil der liberalen Welt über diese Kirche, und viele Christen schlossen sich dem Urteil an und sie folgerten: Will die Kirche (nicht nur die Katholische) eine Zukunft haben, so braucht sie doch eine gewaltige Prise Salz: aus dem Salzstreuer der liberal-bürgerlichen Kultur! (3)

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2. Neuheidnische Zeit: Was ist schon dabei?

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In denselben 90er-Jahren breitete sich aber auch die Anschauung vom "bekömmlichen Heidentum" bis in die letzen Dörfer unserer Breitegrade aus. Litaneiartig wiederholten unsere Medien die These, dass der Monotheismus identisch sei mit dem Fundamentalismus und dem Totalitarismus. Bücher und Filme über die Intoleranz von monotheistischen Welt- und Glaubensverständnissen überfluteten den Markt und wurden zu

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Bestsellern: "Denn sie wissen nicht was sie glauben" (4) und "Kriminalgeschichte des Christentums" (5) waren nur Eisbergspitzen eines überdimensionalen Berges von Anschuldigungsmaterial gegen den jüdisch-christlichen Monotheismus. Und all das erschütterte das Vertrauen in die Kraft des Glaubens an den Einen Gott.

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Inkulturationsdebatte und feministische Theologie förderten den Einzug bunter Götter und Göttinnen in die vertraute christlich-katholische Glaubenswelt. Ohne Zweifel! Sie befruchteten die christliche Spiritualität, schienen also einiges von würzendem Salz in die schal gewordene Tradition gebracht zu haben; sie drängten aber die Frage nach den unverzichtbaren Zügen des christlichen Gottes oft in den Hintergrund. Analogien zum Heidentum, nicht aber Unterschiede, standen in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts auch auf akademischem Boden zur Diskussion. Der uralte Gegensatz zwischen dem Heidentum und der jüdisch-christlichen Tradition wurde banalisiert(6); die Frage nach einem für alle Menschen geltenden normativen Horizont des menschlichen Zusammenlebens verschwand aus dem Fokus der religiösen Aufmerksamkeit.

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Sie schien auch hierzulande nicht notwendig zu sein: Ein normativer Rahmen der universal geltenden Menschenrechte und das Vertrauen auf die kritische Vernunft, die im Diskurs diesem Rahmen immer wieder zur Geltung verhilft, genügte, oft auch uns selber: den Theologinnen und Theologen.

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Der Esoterikboom und die Selbstverständlichkeit des "anything goes" in Sachen Religion haben allerdings die Trends verstärkt. Der medial vermittelte Pluralismus von Religionen und Kulturen schafft uns ja inzwischen automatisch ein neues Lebensideal. Bastelmentalität steht Pate für das modern gestylte Leben: Bricollage, Self-Fashioning. Konsequent durchdacht, bedeutet dies aber nichts anderes als eine Radikalisierung heidnischer Denklogik: Was für mich in dieser Situation "Gott" ist, das bestimme ich selber und kein anderer! Auf die Kurzformel gebracht, lautet also das Credo der neuheidnischen Zeit folgendermaßen: Jedem Menschen seinen eigenen Gott, seinen eigenen Himmel und auch seinen eigenen Weg dorthin!

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Hand in Hand mit diesem Bekenntnis geht das emphatische Vertrauen, dass Polytheismus, Pluralismus und Toleranz austauschbar sind. Sind sie es aber wirklich?

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Solange Gott, Fangobad und Vitaminpräparate im kulturellen Bewusstsein problemlos nebeneinander gereiht werden, scheint die Rechnung jedenfalls aufzugehen. Mindestens solange ma jung, gesund, schön und potent bleibt.

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Von der existentiellen Perspektive her gesehen, versagt dieses kulturelle Bewusstsein, wenn man alt und gebrechlich wird. Da verwandelt sich das mysterium fascinosum des Neuheidentums, das aus der Logik des Bekenntnisses: „Jedem Menschen seinen eigenen Gott, seinen eigenen Himmel und auch seinen eigenen Weg dorthin!" lebt in ein mysterium tremendum: das Mysterium der Konkurrenz, der Einsamkeit und der Isolation. (7)

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Im politischen Kontext gibt es momentan nur einen Zusammenhang, in dem wir die Katastrophe einer solchen Mentalität erahnen. Nur im Kontext der Konfrontation mit den "braunen Göttern" findet der bekömmliche Polytheismus seine Grenze! (8) Die destruktiven Erscheinungsbilder passen ja nicht in das Schema der Toleranz. Deswegen werden sie von unserer Öffentlichkeit aus dem pluralistischen Himmel verstoßen. Jeder darf sich zwar seine Götter wählen, gewalttätig und rechtsradikal dürfen sie allerdings nicht sein.

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Und warum eigentlich? Weil unsere Öffentlichkeit die religiöse Problematik tabuisiert, tut man sich mit der Begründung für die Ablehnung der "braunen Götter" immer schwerer. Natürlich gibt es den uns vertrauten Rückgriff auf die Argumentationsketten, die solche Phänomene als "ewig gestrig" qualifizieren.(9) Doch wem hilft er schon?

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Was hilft der einfache Hinweis auf rational nicht nachvollziehbare mythische Konnotationen in der rechtsradikalen Weltanschauung angesichts der Omnipräsenz von mythischen Denkmustern im Alltag? Genau dasselbe ist auch von dem anderen Standardargument zu sagen: dem Verweis auf Geheimnisvolles, Rituelles: Die suggestive Kraft dieses traditionellen Argumentes, die das Geheimnisvolle und Rituelle in den rechtsradikalen Kulten anvisierte, geht verloren angesichts des allgegenwärtigen Hungers nach Mythen und Riten; schlussendlich ist auch das Faktum einer führerorientierten Sozialisierung Jugendlicher in den Gruppen solcher Kreisen immer weniger exotisch angesichts des zunehmenden Bedürfnisses nach überschaubaren und stabilen Gruppenbeziehungen.

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Wie gesagt, der vertraute Rückgriff auf die Argumentationsketten, die solche Phänomene als "ewig gestrig" qualifizieren, wird in einer neuheidnisch gewordenen Alltagskultur immer weniger helfen, um der rechtsradikalen Herausforderung zu begegnen: Unsere Welt hat sich ja nicht entzaubert, sondern auf eine Art und Weise wieder verzaubert, dass es einem den Atem verschlägt Nicht kritische Vernunft, sondern Göttinnen, Götter und Gottheiten verschiedener Couleurs tummeln sich auf der Agora - auch der liberalen Öffentlichkeit.

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Reicht dann der Standpunkt einer humanistischen Tradition und die Berufung auf die universal geltenden Menschenrechte aus, um die Ächtung der "braunen Götter" zu rechtfertigen? Auch hier ist zuerst Skepsis angesagt: Die Öffentlichkeit verkündet zwar pausenlos humanistische Werte als normativ, der Mensch auf der Straße macht allerdings ständig die Erfahrung, dass sich "der Stärkere" durchsetzt. Jeder Mensch darf zwar seinen eigenen Gott wählen, doch der Unterschied zwischen den Erfolgreichen und Erfolglosen Göttern ist nicht zu übersehen. Warum soll also der Mensch nicht aus Erfahrung auf den normativen Wertehorizont schließen und folgern, dass sich der Stärkere durchsetzen soll. Wenn die allerletzte Regel heißt: „Jedem seinen eigenen Gott, seinen eigenen Himmel und seinen eigenen Weg dorthin!", so gilt in Praxis uneingeschränkt: „Rette sich, wer sich retten kann!"

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Solche Rückschlüsse, von der faktischen Erfahrung auf die Normativität - von dem was ist, auf das was sein soll - strukturieren ja ständig die Logik des "gesunden Menschenverstandes" und dies nicht nur bei den Heranwachsenden. Gesteht man sich selber ein, dass man sich der Faszination dieser Logik nicht immer entziehen kann, so wird man den Boden für die Botschaft der braun gefärbten Götter nicht nur bei den anderen suchen und finden. Wie alle Götter des Polytheismus sind nämlich auch die braunen bloß Verlängerungen partikulärer Zwecke und Interessen!

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Und wie steht es dann mit der „humanistischen Tradition" und dem Glauben an die universal geltenden Menschenrechte?

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Schließt man sich der Meinung an, dass wir bereits in einem radikal neuheidnischen Zeitalter leben, so wird man konsequenterweise auch die Berufung auf „humanistische Tradition" mit der Zeit bloß zum Ausdruck partikulärer Interessen degradieren müssen!

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Wirft man die Frage des Heidentums in einem solchen Kontext auf, so verliert der Polytheismus seine Bekömmlichkeit und offenbart das ihm innewohnende Gewaltpotenzial. Aus diesen Gründen muss man auch in unserer Öffentlichkeit die Frage nach dem Problem des religiösen Ursprungs der "humanistischen Werte" im monotheistischen Glaubensbild und nach dem religiösen Kern der Menschenrechte neu stellen.

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3. Religiöser Kern der Menschenrechte?

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Das im ersten Teil gefällte Urteil über die katholische Kirche: „Unmodern, gestrig, feudal; will diese Kirche Zukunft haben, so braucht sie doch eine gewaltige Prise Salz aus dem Salzstreuer der liberalen Kultur!" muss ergänzt werden: Will unsere liberale politische Tradition mit dem sie tragenden Rahmen der universal geltenden Menschenrechte im Zeitalter des Neuheidentums überleben, braucht sie eine noch größere Prise Salz aus dem Salzstreuer christlicher Tradition - selbst aus jenem des institutionalisierten Katholizismus.

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Der Kirchenfresser wird nun laut lachen! Er wird auf die Tradition der französischen Revolution hinweisen und auch auf die Tatsache, dass die Kirche selber jahrzehntelang der Kultur der Menschenrechte den Rücken gekehrt hat, sah sie in ihr doch bloß das Werk des Antichristen (der verstorbene Erzbischof Marcel Lefebvre sprach ja davon, dass Sie mich aber einen kurzen - allzu selbstverständlichen - Exkurs über die uns allen do Menschenrechte satanischen Ursprungs sind (10)); der Kirchenfresser wird auch nicht müde sein, daran zu erinnern, dass der Vatikan die Menschenrechtsdeklaration der UNO nicht unterschrieben hat und dass, wenn die katholische Kirche die Menschenrechtspolitik auf die Fahnen ihrer Verkündigung schreibt, sie bloß aus opportunistischen Gründen auf den fahrenden Zug aufgesprungen sei, ohne zu merken, was sie da tut (hat sie sich doch damit etliche interne Probleme aufgehalst; Lefebvre ahnte es!). Stimmt dies aber?

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Bereits der Hinweis auf die Präambel der drei Erklärungen: der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO aus dem Jahr 1948, der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und der französischen Declaration des droits de l'homme et du citoyen erlaubt es nicht, die Fragen nach dem hier zur Diskussion stehenden Salz allzu schnell vom Tisch zu wischen. "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren" (so die UNO); 150 Jahre früher formulierten die Franzosen: Die Menschen sind frei geboren und bleiben frei und gleich in ihren Rechten. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt (Ende des Satzes); die Formulierung "begabt" wurde von der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung übernommen: Dort sind die Menschen allerdings mit Vernunft und Gewissen "von ihrem Schöpfer" begabt. Die Franzosen lassen den Schöpfer weg; das "Begabtsein" hängt nun ein bisschen in der Luft; die UNO- Deklaration verzichtet auf die Begabung ganz.

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Was bringt uns dieser Hinweis? Er macht auf etwas aufmerksam. Es findet in den letzten 200 Jahren eine Neutralisierung der religiösen Perspektive statt. Aus der ursprünglichen Perspektive, in der die Würde des Menschen auf den Status der Geschöpflichkeit zurückgeführt wurde: Der Mensch ist deswegen ein Träger der Rechte, weil er seine Würde hat und diese kommt einem jeden Menschen zu: von ein und demselben - einzigen - Gott (der für den letzten normativen Horizont des menschlichen Lebens und des Zusammenlebens steht), aus dieser ursprünglichen Perspektive wird mit der Zeit der Mensch, der ein bisschen in der Luft hängt und dies im Hinblick auf die zentrale Frage:

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Wer gibt ihm diese seine Würde? Er selber? Seine Familie? Seine Gemeinde? Sein Volk? Wenn dies der Fall ist, wie kann man dann von den universal geltenden Menschenrechten sprechen? Oder ist die Würde etwas, was von der Evolution im allgemeinen kommt, oder aber von der konkreten Zellteilung im Besonderen? (11) Der kurze Exkurs macht jedenfalls eines deutlich: Anscheinend hatten die Menschenrechte einen religiösen Kern gehabt; inzwischen scheinen sie diesen aber radikal verloren zu haben. Nicht einmal die Theologen trauen sich noch zu, diesen Kern zu benennen. Bringt es aber etwas, diesen verlorenen Kern zu suchen? Und wenn ja: Auf welche Art und Weise ist dieser Kern zu artikulieren, gerade in einer Welt, die mit dem Heidentum nicht nur kokettiert, sondern dieses tatsächlich auch lebt? Hilft es da nur immer wieder daran zu erinnern, dass einmal dahinter das jüdisch-christliche Gottesbild stand? Ändert die Erinnerung etwas an der prekären Situation?

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Eines fällt jedenfalls auf! Es sind fast nur die radikalen Kritiker der Menschenrechte, die immer wieder auf diesen religiösen Kern rekurrieren. Hans Magnus Enzensberger hat in seinem Buch "Ansichten auf den Bürgerkrieg" den Universalismus der Menschenrechte als moralische Falle beurteilt und dabei folgendermaßen argumentiert: "Die Idee der Menschenrechte erlegt jedermann eine Verpflichtung auf, die prinzipiell grenzenlos ist. Darin zeigt sich ihr theologischer Kern, der alle Säkularisierung überstanden hat. Jeder soll für alle verantwortlich sein. In diesem Verlangen ist eine Pflicht enthalten, Gott ähnlich zu werden, denn es setzt Allgegenwart, ja Allmacht voraus."(12) Der christliche Theologe soll hinhören, was ihm der Kritiker sagt: Losgelöst vom Glauben an den einen Gott, der sich gleichermaßen seinen Geschöpfen mitteilt, verwandelt sich dieses Denken zur moralischen Keule, vermittelt nur noch das Bewusstsein der Überforderung, oder aber: Es wird zu einer säkularen Heilslehre: einer Zivilreligion, die die Logik der Politik zunichte macht.

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Wie jede Heilslehre leistet sie nicht das, was sie verspricht, konserviert die politische Kultur keineswegs, ist selber also schal geworden, verhindert die Fäulnis und die Korruption nicht; siehe bloß: die Betonung der Menschenrechte in politischen Reden und deren gleichzeitige Missachtung in der politischen Praxis!

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Soll also Abschied von ihnen genommen werden? Und wenn ja: zugunsten von welchen Standards? Gerade im Kontext jener Politik, die über das Verwalten von anfallenden Problemen nicht hinausgeht, weil sie keine normativen Kriterien und Visionen mehr hat? Es gibt in Mitteleuropa eigentlich nur eine kulturelle Strömung, die diesen Weg ausdrücklich fordert: die Vertreter der sog. Neuen Rechten. Sie weisen auf den religiösen Kern der Menschenrechte hin! Und sie tun dies seit fast 40 Jahren, so als ob sie mit dem Hinweis auf die theologische Heimat des normativen Rahmens unserer gegenwärtigen politischen Kultur dieser heidnisch gewordenen Welt bloß ihre Rückständigkeit bewusst machen wollten. Lassen sie sich die Hauptaussagen dieser Denkrichtung in Erinnerung rufen. (13)

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Zwar gehen die Menschen heutzutage nicht mehr in die Kirchen und in die Synagogen, doch dies sei noch kein Beweis dafür, dass die europäische Kultur wirklich heidnisch geworden ist. Die letzten religiösen Anzeichen alten Schlages in unserer Kultur erblicken die Neuen Rechten eben in der normativen Ausrichtung unseres Lebens auf die allen Menschen gleich zukommende Würde. Dies sei bloß das Überbleibsel des "religiösen Aberglaubens" an die gleiche Würde aller Menschen vor Gott. Schuld an diesem "Aberglauben" sei bloß der biblische Schöpfungsglaube; gekoppelt mit der entsprechenden Philosophie förderte er die Vision einer Welt, in der die Menschen die gleiche Würde vor dem Gesetz beanspruchen und denselben Traum von der sozialen Gleichheit haben. Immer und immer wieder wird Liberalismus als spätes Kind des jüdisch-christlichen Menschenbildes angegriffen.

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Zum Entsetzen der Kritiker sind in den Kreisen der Neuen Rechten die Thesen des italienischen Faschisten G. Evola salonfähig geworden: "Aus der bloßen Zugehörigkeit zur biologischen Spezies Mensch lässt sich nicht auf das Vorhandensein von Individualität schließen. Nicht jedem Erstbesten kann Menschenwürde zugesprochen werden, und auch da wo sie zukommt, erscheint sie in verschiedenen Abstufungen. Eine allgemeine Achtung vor der menschlichen Person ist ein Aberglaube".(14) Der führende Kopft der französichen neurechten Denker Alain de Benoist (15) entwarf Konturen einer ethnopluralistisch strukturierten Politik, die konsequent den heidnischen Wertesystemen verpflichtet bleibt; anstelle abstrakter Gleichheit das Recht auf Unterschied: bis hin zu den zynischen Bemerkungen über das Recht auf Unterschied im Kontext der entwickelten und unterentwickelten Länder, der Armen und Reichen, der demokratisch und despotisch Strukturierten!

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Mit dieser klaren Position machte er der liberalen Welt auf jeden Fall deutlich, dass es in der Gegenwart keine Alternative zur Politik der Menschenrechte gibt! Also schlugen die linken Aktionisten Benoist zusammen, weil sie in ihm den ideologischen Wortführer des Fremdenhasses sahen. Die Tageskommentare fokussierten seinen widersprüchlichen Rassismusbegriff, griffen die Ethnopluralismus-Idee an usw. usf. und beteuerten die Unverzichtbarkeit der Geltung der Menschenrechtspolitik.

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Nur eines wollte und will niemand zur Kenntnis nehmen: Dass Alain de Benoist wie ein Theologe denkt! Zwar lautete der Titel eines seiner wichtigsten Werke: "Heide sein. Zu einem neuen Anfang. Die europäische Glaubensalternative": Im Zeitalter der Kirchenfrustrationen, des neuen Hexenbewusstseins und der Wiederverzauberung des Alltags im Geiste der uralten Mythen und Sagen reißt der Titel auch niemanden vom Sessel. Wohl tut dies aber die Wandlungsfähigkeit der Szene.

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Derselbe Alain de Benoist hat vor kurzem eine Sammlung von Essays und programmatischen Texten veröffentlicht mit einem bezeichnenden Titel: "Der Aufstand der Kulturen: Europäisches Manifest für das 21. Jahrhundert". (16)

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Analog zum Kommunistischen Manifest ruft auch dieses zu einer Allianz auf. Nicht aber die Proletarier, und schon gar nicht die "Ewig-Gestringen" werden da zusammengerufen. Und anscheinend auch nicht die "neurechten" Genossen der 70er- Jahre. Wer dann? Die „alten" und vertrauten Begriffe treten in den Hintergrund. Man findet weder den Ethnopluralismus und schon gar nicht die an allem Übel Europas schuldigen Fremden.

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Benoist scheint genauso wandlungsfähig zu sein wie etwa der Jörg Haider, dessen ehemaliger Vordenker Andreas Mölzer jahrelang mit den französischen "Neurechten" Kontakte pflegte.

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Verblüfft werden sich nun die linken und die alternativ angehauchten Leser, die ihre antirassistische Brille unmöglich ablegen können, ausgerechnet von Benoist das sagen lassen müssen, was sie selber schon seit eh und je gedacht haben. "Die Eröffnung einer Fast-Food-Filiale oder eines Supermarktes stellt für unsere Identität sicher eine größere Bedrohung dar als der Bau einer Moschee!" Und: "Die Parteien, die sich auf Anti-Immigranten-Erklärungen spezialisiert haben, sind nichts weniger als kleinbürgerliche demagogische Parteien, die versuchen, aus den Ängsten der heutigen Welt Kapital zu schlagen, indem sie eine Sündenbock-Politik praktizieren." (17) Wo liegt da noch die Grenze zu den Schablonen, mit denen die Liberalen, die Linken und auch die Alternativen arbeiten? Das Problem wird noch schwieriger: Die Analysen zum Problem der "neuen sozialen Frage" (18), könnten (mit einigen wenigen Abstrichen) von Caritasdirektor Küberl stammen. Da ist nicht nur von den sozial schwächsten Gruppen, den Frauen, den Alleinstehenden und den Arbeitslosen die Rede, auch das Problem der Massenanonymität, des affektiven Elends und der allgemeinen Vereinsamung wird thematisiert. Die neue soziale Frage hat etwas mit den Ausgeschlossenen zu tun: jenen Menschen und Gruppen, die für die Gesellschaft unnütz geworden sind . Wo sind aber die Ursachen des Übels zu orten und die Rezepte für dessen Beseitigung zu suchen? Ausgerechnet in diesem Zusammenhang kritisiert de Benoist die Rechte Szene Europas. Deren fremdenfeindlicher Flügel löst die Probleme bloß nach der Logik des Sündenbocks; die liberale Fraktion träumt von der flexiblen Gesellschaft. Von den Gesetzen des Marktes gesteuert, wird sie die endgültige Ausgrenzung von einem Drittel ihrer Bevölkerung in Kauf nehmen.

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Der Autor scheint moderner zu sein als viele seiner Kritiker! Wie schon in den 60ern greifen die Neuen Rechten auch um die Jahrtausendwende "die in der Luft liegenden" Begriffe auf, missachten bewusst deren ideologische Herkunft und verblüffen durch lagersprengende Assoziationen. Weder die Migration noch die Ausländer bedrohen heutzutage das europäische Bewusstsein, sondern der Globalisierungsprozess.

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An die Stelle der Algerier und anderer Einwanderer treten die Amerikaner: "Wir sagen es unumwunden, die Globalisierung kommt von jenseits des Atlantiks, und nicht von jenseits des Mittelmeers." (19) Weiterhin erblicken sie den aktuellen Hauptfeind - und das ist wichtig für unser Thema - im Liberalismus. Die aus den 60er-Jahren vertraute Kette: Jüdisch-christlicher Universalismus auf der einen Seite und Liberalismus als dessen Konsequenz im politischen Kontext wird aber um die ökonomische Nuance ergänzt. Weil der Liberalismus das Modell des Marktes zum Paradigma aller gesellschaftlichen Erscheinungen macht, den Menschen von seiner kulturellen Verwurzelung abtrennt, ihn auf ein abstraktes Individuum und ein Konsumwesen reduziert, die Welt schlussendlich zu einer "McWorld" verwandelt, ruft das Manifest alle Gegner des Liberalismus zu einer Allianz gegen ihn auf. Und auf welcher Basis? Diese Frage, nicht aber die einzelnen politischen Postulate, stellen das Eigentliche Problem des Umgangs mit den Neuen Rechten.

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Die verwirrten Linken, Liberalen und Alternativen, die es zunehmend schwieriger haben, eine eindeutige Grenze zu den wendigen Neuen Rechten zu ziehen, wären gut beraten, den Theologen Benoist genauer unter die Luppe zu nehmen.

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Bereits vor 30 Jahren traf die Nouvelle Droite den Nerv der Zeit, indem sie die jüdisch-christliche Religiosität als den Inbegriff des Totalitarismus, den heidnischen Polytheismus aber als die Verkörperung der Vielfalt pries. Die Politik der Menschenrechte und der "unnatürliche Schutz des Schwachen" in der abendländischen Kultur waren ihnen der Dorn im Auge, die Migration und die Flüchtlingsproblematik nur der Anlass, um politisches Kapital zu schlagen. Was die Empörung der Gegner erregte, war der Anlass, nicht aber die Begründung der Haltung. Und wie lautete die Begründung:

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Aus der Gleichheit des Menschen vor Gott ist die Gleichheit des Bürgers vor dem Gesetz entstanden und diese setzt sich konsequenterweise fort in der Gleichheit des Konsumenten am Markt; der totalisierenden religiösen Perspektive entspricht die totalisierende Perspektive des Liberalismus und diese setzten sich konsequent fort in der totalisierenden Perspektive des Marktes!

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So provozierend es klingen mag, die meisten Gegner der Nouvelle Droite verstehen das hier angesprochene religiöse Problem nicht, oder sie verdrängen dieses, mehr noch: u.U. würden sie sogar den Ansichten Benoists beipflichten.

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Weil die Begründung der Menschenwürde und der Menschenrechte ihnen kein Problem darstellt, oder weil sie sich einig sind, dass jüdisch-christliche Religiosität einen totalisierenden - menschenfeindlichen - Impuls darstellt, arbeiten oft auch die Gegner - wenn auch ungewollt - an der Etablierung „heidnischer" Wertehorizonte mit, tragen also ständig zur Aushöhlung der Tradition auf der sie selber stehen bei. Kann man nun etwas von diesem wendigen Denker lernen? Und warum widme ich ihm so viel Zeit und Aufmerksamkeit?

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Weil er ein echter Heide ist und die Chancen, aber auch die Sackgassen des Heidentums, unverblümt zur Sprache bringt! Damit aber auch zur Verwirrung bei den tatsächlichen Heiden beiträgt, die sich aber diesen Anschein doch nicht geben wollen und ihr Heidentum mit säkularen Heilslehren übertünchen. Und wo wird diese Verwirrung sichtbar? Benoists neueste Lösungsstrategien sind in der Antiglobalisierungsdebatte entstanden und sind jenen zum Verwechseln ähnlich, die die Kommunitaristen vertreten. (20) Der Vision eines global village, in dem die Menschenrechte als moralische Keule immer wieder zur Sprache gebracht werden, das aber nur die Fleischwerdung der nivellierenden ökonomischen und kulturellen Einheitsmechanismen ist, setzt Benoist den Begriff der Gemeinschaft entgegen: als den konkreten Ort, an dem die Werte gelebt und auch eingeübt werden. Er spricht von der echten Anerkennung der Verschiedenheit und der Besonderheiten und von der freien Wahlentscheidung, auf der eine solche Gemeinschaft beruht. Um welche Werte kann es sich aber dabei handeln? Sind die Werte einer rechtsradikalen Schlägerbande und einer sich um die alten Menschen kümmernden Jugendgruppe unter einem Begriff subsumierbar? Im Unterschied zu Kommunitaristen tabuisiert Benoist solche Fragen! Aber er polemisiert systematisch gegen den jüdisch-christlichen Gottes- und Menschenbegriff. Und damit zeigt er seine Ehrlichkeit - im Unterschied zu vielen seiner Kritiker, die übrigens das letzte Buch kaum kritisieren können, weil sie sich überhaupt nicht mehr auskennen. Vielleicht ist ihnen auch Benoist einen Schritt voraus: Er erkennt etwas, was sie noch verdrängen. Sie alle sitzen im gleichen Boot, selbst dann, wenn sie empört gegeneinander schreien. Wie alle Modernen glaubt nämlich auch Benoist, seine Weltanschauung selber basteln zu können. Dem Individualismus setzt er zwar "Gemeinsamkeiten" entgegen; ob sie dann aber "Gott, Kosmos, Sein oder Nichts genannt werden": das ist ihm zweitrangig. Aber genau diese Frage, ob das wirklich zweitrangig ist, bleibt in unserem Zusammenhang fundamental. Und um diese Frage kommt unsere politische Kultur längerfristig nicht herum.

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Es ist nicht zweitrangig, ob wir den letzten Horizont als Gott oder als Zufall beschreiben. Es reicht nämlich nicht aus, abstrakt gegen universale Denkfiguren und Strukturen zu polemisieren und diese zum Sündenbock abzustempeln, wie dies Benoist tut. Es reicht auch nicht aus, Solidarität bloß zu beschwören, kulturell aber einiges zu tun, um derer Grundlagen zu zerstören (wie dies die Linken und die Liberalen tun). Es braucht zuerst der Besinnung auf den Ort, von dem aus man universale Urteile fällen und auch eine solche Kritik noch sinnvollerweise betreiben kann. Die jüdischen Propheten wussten es, dass man angesichts der Totalität des Unheils unmöglich auf einen - in der Gemeinschaft konkret erfahrbaren, aber doch - transzendenten Gott verzichten kann. Wie soll dieser heute zur Sprache gebracht werden?

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4. Von der "Dichten" und "Dünnen Moral". Kirchlicher Zugang zur Frage der Menschenrechte: doch eine Prise Salz für die allzu "Dünne Moral" der neuheidnischen Welt

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Gibt es noch einen religiösen Kern der Menschenrechte und wie kann dieser thematisiert werden? So lautete die Frage im letzten Teil. Zur Sprache kamen bisher eigentlich nur die Ankläger, die den Universalismus der Menschenrechte abstrakt mit dem jüdisch-christlichen Monotheismus in Verbindung brachten und deswegen auch keine Probleme gehabt haben, diesen mit dem politischen und ökonomischen Liberalismus in Verbindung zu bringen.

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Schaut man sich die kirchlichen Begründungen der Menschenrechte an, so wird man allerdings eine völlig andere Argumentationsstruktur entdecken. (21) Das kirchliche lehramt hat sich - wenn auch nicht hundertprozentig und eben verspätet - der "Bürgerlichen Revolution" erst im 20. Jahrhundert angeschlossen. Am 11. April 1963 veröffentlichte Johannes XXIII. seine Enzyklika: "Pacem in terris", in der nun ohne die programmatische Skepsis und auf eine umfassende Art und Weise zwar nicht die Logik des Bürgertums, aber doch die Logik der Menschenrechte als jene Logik dargelegt wird, die unser aller Leben strukturiert, ja geradezu strukturieren soll: Der Mensch habe die Pflicht, die ihm zustehenden Rechte als Zeichen seiner Würde zu beanspruchen. Und warum stehen ihm diese Rechte zu? Der Mensch ist eine Person; seine "unantastbare Würde" ist jenes - damals noch von niemandem hinterfragte - Prinzip der Rechte und Pflichten. Die naturrechtliche Untermauerung dieser ersten Menschenrechtserklärung des katholischen lehramtes war ihr Gütesiegel und ihr Stolperstein zugleich. Emphatisch konnte man damals auf die allen Menschen - auch den Nichtgläubigen - gemeinsame nicht hinterfragbare Basis dessen vertrauen, was menschliche Natur und menschliche Person sei; das Gespräch mit der nicht religiösen Welt konnte seinen Lauf nehmen. Der durch Johannes XXIII. erschlossene Zugang zur Frage nach der Gestaltung des menschlichen Lebens war aber nur der Anfang; die Botschaft von den Rechten der menschlichen Person wurde in der kirchlichen Doktrin systematisch ausgeweitet und konkretisiert. Man könnte sogar inzwischen das Urteil wagen: Sukzessiv ist die Logik der Menschenrechte zu einem der wichtigsten normativen Rahmen des kirchlichen Handelns und Denkens in der Gegenwart geworden. Die wichtigsten Schritte dieser Ausweitung sollen ganz kurz in Erinnerung gerufen werden.

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Die spektakulärste Veränderung ist wohl in der Erklärung "Dignitatis humanae" (Über die Religionsfreiheit") des zweiten Vatikanischen Konzils (1965) zu sehen; "Gaudium et spes" spricht nicht nur von Rechten, die Konstitution spricht von der Pflicht zur Veränderung der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Ordnung, damit diese den Menschen, die ihre Rechte haben, besser dienen könne; "Populorum progressio" von Paul VI. (1967) spricht bereits vom Unrecht des Hungers, des Elends, der Krankheit und der Unwissenheit; die Bischofskonferenzen von Medellin (1968) und Puebla (1978) leiten daraus nicht nur konkrete pastorale Folgen ab, sondern vor allem neue Impulse für das Verständnis der kirchlichen Gemeinschaft; Johannes Paul II. sieht in der Logik der Menschenrechte die einzige menschenwürdige Lösung der gesellschaftlichen Probleme und den vom Evangelium für unsere Gegenwart vorgezeichneten Weg.

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Sukzessiv verschiebt sich in diesen lehramtlichen Texten der Schwerpunkt der Argumentation im Kontext der Frage nach dem eigentlich religiösen Kern der Problematik. Hat sich Johannes XXIII. auf das Naturrecht berufen, auf die Würde der menschlichen Person, so argumentiert Johannes Paul II. teilweise anders, wenn er von Menschenrechten spricht. Er beruft sich zuerst auf das Evangelium und er spricht darüber zuerst zu den Christen. Warum ist den Christen der Mensch ein Rechtssubjekt? Natürlich, weil er Ebenbild Gottes ist. Er ist es aber auch, weil sich Christus in seiner Menschwerdung mit jedem Menschen verbindet (vgl. Gaudium et spes 22). Das klingt zuerst fromm und nichtssagend, ist aber von einer Tragweite sondergleichen. Auf diese Weise wird nämlich zuerst dem Christen klar vor Augen gestellt, wo für ihn die Grenzen des normativen Menschenbegriffs liege: Bei jedem konkreten Menschen. Die Frage nach dem Menschen setzt für den Christen nicht beim abstrakten Individuum (wie dies der Liberalismus tut) und auch nicht bei dem starken, seine Rechte selbst durchsetzenden Menschen (wie dies die Rechtsradikalen tun) an, sondern bei der konkreten, oft leidenden und geschundenen Kreatur. "Ecce homo!" (Joh 19,5): Seht da den Menschen! Das gilt für Christus, der von seinen Mitmenschen verfolgt wird, das gilt aber auch für jede ihrer Rechte beraubten Existenz. "Was ihr dem Geringsten angetan habt, das habt ihr mir getan" (Mt 25).

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"Ecce homo!": Das verweist auf das Szenario in dem bei Deuterojesaja vom leidenden Gottesknecht erzählt wird. Dieses stellt ja den eigentlichen Ort der Offenbarung des biblischen Universalismus. (22) Das Bekenntnis zum "einen und einzigen Gott" und eine universalistische Haltung sondergleichen entstehen hier im Kontext einer Unheilserfahrung. Deuterojesaja bekennt die Nichtigkeit anderer Götter (Jes 41,23f.; 44,6-20) also nicht angesichts eines real-politischen Sieges seines Gottes, sondern angesichts seiner augenscheinlichen Niederlage: Nicht die Macht der Tatsachen schafft hier die Wahrheit! Anstatt an seinem Gott zu verzweifeln, demaskiert der Prophet den Machtbereich anderer Götter: So wie sie letzten Endes nur die von den Menschen selbst gemachten Statuen aus Holz und Erz sind (Jes 44,9), so ist auch ihre Macht mit der Durchsetzungskraft von Menschen identisch; die Gottheit der heidnischen Götter stellt nur die Verlängerung der partikularen menschlichen Interessen dar. Sein Gott stellt aber keine Verkörperung der Hegemonialgelüste von Menschen dar. Im Gegenteil: Seine göttliche Wahrheit besteht gerade darin, daß er als Schöpfer von allem sich nicht nur den Starken, sondern eben Allen zuwendet, vor allem aber jenen, die unter die Räder kommen, und ihnen so zum Heil verhilft. Die Wahrheit des einen biblischen Gottes wird hier normativ mit der Vorstellung der universalen Gerechtigkeit gekoppelt; selbst der kultische Gottesdienst wird der Rechts- und Gerechtigkeitspraxis untergeordnet.

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Geht man die Frage nach dem religiösen Kern der Menschenrechte auf diese Art und Weise an, so wird man direkt Parallelen ziehen können: In einer heidnischen Welt offenbart der biblische Gott seine Einzigartigkeit nicht durch abstrakte Argumentationsfiguren - und schon gar nicht durch Hegemonialansprüche, Totalitarismus und gewaltsame Beseitigung der Götter, Göttinnen und der Strukturen. Der biblische Monotheismus des Deuterojesaja kann unmöglich des Totalitarismus bezichtigt werden. Gerade bei ihm gehen Schöpfungstheologie und Monotheismus aber auch stellvertretendes Tun und Erleiden in ein und dieselbe Geschichte ein. Deswegen auch offenbart der biblische Gott seine Einzigartigkeit und seinen Universalismus in der heidnischen Welt v.a. durch seine Haltung zum Leidenden. (23) Dieser Gott sprengt die Sackgasse des Heidentums, jene Sackgasse, die von dem emphatischen Vertrauen: "Jedem Menschen seinen eigenen Gott, seinen eigenen Himmel und seinen eigenen Weg dorthin" lebt, in dem er sich einem jeden Menschen zuwendet, sich also grenzüberschreitend zeigt. Und dies ausgerechnet in jener Situation, in der sich das Mysterium fascinosum des Heidentums in das Mysterium tremendum verwandelt. Er wendet sich dem isolierten, leidenden, gebrechlichen Menschen zu: und zwar einem jeden ohne Ausnahme, und er offenbart seine Würde als Mensch.

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Mit der Erkenntnis des auf diese Weise thematisierten religiösen Kerns der Menschenrechte ist das Vertrauen des Christen gekoppelt, dass dieser Gott ihm die Fähigkeit zur Proexistenz, zum Mitleid, zur Empathie schenkt, dass er sich selber auch in mir dem leidenden Subjekt zuwendet, oder nur in meiner Ohnmacht auch seine eigene Ohnmacht im Kontext der Unrechtsstrukturen erleidet. Das ist eine vollkommen andere Logik als jene, der Alain de Benoist verpflichtet ist, wenn er distanziert und damit auch heidnisch aus der bloß abstrakten Erkenntnis der Gleichheit aller Menschen vor Gott eine abstrakte Gleichheit vor dem Gesetz folgert (und diese auch verwirft). Es ist aber auch eine andere Logik als jene, der die Bloß-Liberalen verpflichtet sind, wenn sie zwar abstrakt die Geltung der universal geltenden Menschenrechte betonen, sich aber aus der Verantwortung herausnehmen und bloß den Staat und andere Institutionen in die Pflicht nehmen. So paradox es klingen mag, der religiöse Kern der universal geltenden Menschenrechte liegt weniger im Gedanken der Allmacht (24), als in dem der Konkretheit. Der religiöse Kern liegt in der Fähigkeit und in der Bereitschaft zur Proexistenz; in diesem so verstandenen Kern ist auch das Salz der Erde zu sehen.

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Die Fähigkeit und Bereitschaft zur Proexistenz und Solidarität schließen auch die Fähigkeit und Bereitschaft zum stellvertretenden Erleiden von Menschenrechtsverletzungen ein. Kann eine solche Fähigkeit wiederum durch Rechtsansprüche definiert werden? - Nein! Nicht einmal durch den Begriff der Pflicht wird diese Fähigkeit und Bereitschaft 100%ig übersetzt. Sie stellt für den Christen den Inbegriff der Gnade dar. Und das haben die Christen gut begriffen und in den letzten Jahren auch in die Tat umgesetzt. Wann? Ich erinnere an all jene Erfahrungen der 70er, 80er und auch 90er-Jahre: Solidarität mit den Ärmsten der damals so definierten 3. und 4. Welt; Initiativen von der Asyl- und Flüchtlingspolitik hin zur Hospizbewegung oder aber Aids-Hilfe-Gruppen: All diese - für viele nur - politischen und gesellschaftlichen Initiativen, sind gnadentheologisch wichtig. Das sind Ausweise jener Proexistenz, Zeichen für die Gnade, die die Menschenrechtslogik erst möglich machen. Die theologische Reflexion solcher Aufbrüche in den vielfältigen Formen der neuen Theologien: Befreiungstheologie, feministische Theologie, kontextuelle Theologien aller Art, stellt diese Logik als Logik der Gnade dar. Nicht die dem liberalen Europäer spontan sich nahelegende Perspektive, die vom Anspruchsdenken herkommt: Wo kann ich mein Recht einklagen? - sondern deren Umkehrung: Welche Bedeutung hat Gnade und Solidarität der Menschenrechtspolitik und Menschenrechtsphilosophie? - wird in der neuheidnischen Welt von entscheidender Bedeutung sein.

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Weil sich die Christen von dem Einen Gott in ihrer Würde geschaffen und getragen wissen und ihnen diese Würde durch die Zuwendung anderer Menschen zuteil wird, können sie selber diese Würde auch den anderen, vor allem jenen, die ihrer Würde beraubt sind, vermitteln. Ohne diese vorrangige gnädige Zuwendung des einen Gottes zu allen Menschen, die in verhängnisvollen Strukturen des Unheils und der Sünde verstrickt sind, kann es weder die Erkenntnis noch das Engagement für Menschenrechte und Menschenwürde im universalen Kontext geben. Die Erfahrung dieser gnädigen Zuwendung Gottes gibt es allerdings nur aufgrund der Vermittlung durch die ganz konkreten Menschen.

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Ist das aber nicht bloß theologische Haarspalterei? In Amerika wurde in den letzten Jahren eine interessante Unterscheidung erarbeitet zwischen der "Dichten" und der "Dünnen Moral". (25) Mit der "Dünnen Moral" ist jene Moral gemeint, die durch staatliche Institutionen und gesetzliche Standards geschützt wird. Sie stellt die minimalen Standards des Lebens und des Zusammenlebens von Menschen im öffentlichen Bereich dar und artikuliert sich vornehmlich in der gängigen Anspruchskultur. In den nicht staatlichen Organisationen, Kirchen, Familien und Gruppen wird aber selbstverständlich eine "Dichte Moral" gelebt, geübt und erfahren. Die Kommunitaristen weisen immer wieder darauf hin, dass die liberale Kultur und die liberale Öffentlichkeit nur deswegen lebensfähig ist, weil in den Gruppen, den Kirchen, eben in Kommunen ständig eine "Dichte Moral" der Solidarität eingeübt und gelebt wird. Der politisch geltende Rahmen der Menschenrechte, definiert im Kontext des Rechts- und Anspruchdenkens, ist demnach nach im Kontext der "Dünnen Moral" zu sehen. Im neuheidnischen Zeitalter, in einer einseitigen Anspruchskultur, droht dieser Rahmen zu kollabieren, außer er wird gespeist aus den Quellen der "Dichten Moral". Diese setzt das Problem der universal geltenden Menschenrechte tiefer an.

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Thematisiert man den religiösen Kern der Menschenrechte auf diese Art und Weise, wie er in den päpstlichen Enzykliken von Johannes Paul II. formuliert wird, als Fähigkeit und Bereitschaft zur Proexistenz, zur Empathie, zum Erleiden, so wird man in der kirchlichen Praxis der Menschenrechte und kirchlichen Menschenrechtstheologie das Salz der "Dichten Moral" erblicken, deren Subjekt ist allerdings nicht der Staat und auch nicht die liberale Öffentlichkeit, also nicht der durchschnittliche Zeitgenosse, sondern die Kirche selbst.

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Christinnen und Christen sind Subjekte der Menschenrechtspraxis. Sie sind dies durch ihre Sprechhandlungen, ihr Tun und auch Erleiden. In einer neuheidnischen Welt sind sie Subjekte der Menschenrechtspraxis, weil sie der Logik der „Dichten Moral" verpflichtet, für jene die keine Stimme haben, die Menschenrechte einklagen und für alle jene, die dem christlichen Glauben gemäß als Personen zu gelten haben, ihr Personsein bezeugen - selbst dann, wenn die liberale Öffentlichkeit sie nicht mehr als Personen anerkennt und sieht. Die Christen sind aber auch Subjekte der Menschenrechtspraxis, weil sie sich für eine rechtliche Absicherung der Lebensräume engagieren. Schlussendlich indem sie ihr Engagement oft mit ihrem Leben bezeugen, dieses Leben einsetzen, oder auch dieses Leben verlieren. Warum tun sie das aber? Sie tun dies eben ausdrücklich deswegen, weil sie sich selber von ihrem Gott als ins Recht gesetzte, gerechtfertigte Begnadete begreifen und verstehen.

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Kann aber der Status einer begnadeten Existenz durch Rechtsansprüche erworben werden? Nein. Auf dem Hintergrund dieser Positionierung wird vielleicht verständlich, warum dieser Papst gegen die liberale Logik der Menschenrechte (die "Dünne Moral") in der Kirche allergisch ist. Je mehr er die Menschenrechte im weltpolitischen Kontext einfordert und die Christen dazu ermutigt, sich in diesem Kontext zu engagieren, umso mehr betont er die Logik der Hingabe im binnenkirchlichen Bereich. Auffallend wird diese Asymmetrie im Fall des Priesters, hier rückt der Papst die Dimension der Proexistenz in den Vordergrund, spricht deswegen fast nur noch von der Ganz-Hingabe, begründet diese gnadentheologisch durch den Hinweis auf den "Charakter indelebilis" und thematisiert die Ebene der Rechte für den Priester nicht mehr. Vor allem hält er aber daran fest, dass niemand ein Recht auf die so verstandene Existenz hat. Ich habe den Eindruck, dass bei diesem Papst beide Kulturen geradezu einander bedingen; je mehr er im einen Kontext das eine einfordert, um so härter hält er an der zweiten Logik im binnenekklesialen Kontext fest. Fast so, als wäre die opfer-theologische Logik der Gnade der Preis für die Logik der Menschenrechte. Wird dies verstanden in unserer Zeit? Eindeutige Urteile wären hier zu billig. Man hat zwar das Gefühl, dass in unseren Breitengraden die päpstliche Logik nicht verstanden wird, in der weltweiten Perspektive wird das Urteil u. U. anders ausfallen. Gerade in diesem Kontext scheint der Papst selber kritischer zu sein als viele seiner Kritiker. (26)

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Kann aber die "Dichte Moral" der Proexistenz die "Dünne" aus der heutigen babylonischen Sprachverwirrung befreien und die weitgehen säkulare Kultur vor den Widersprüchen des Neuheidentums retten? Das ist hier nicht die Frage. Menschenrechtsphilosophie und auch die Theologie der Menschenrechte sind keine Heilslehren. Nur eines ist sicher: Solange unsere liberale Kultur aus der religiösen Tradition zehren konnte, war ihr das religiöse Problem der Menschenrechte nicht bewusst. Sie konnte mit einem Einsatz rechnen, der den Menschenrechts-Erklärungen zu Glaubwürdigkeit verhalf. Die brennende Frage für die Zukunft lautet aber: Was wird aus den Erklärungen, wenn der religiös motivierte Einsatz ausbleibt? Wenn neuheidnische Logik gesellschaftlich nicht mehr korrigiert wird, wird dann die Kirche vermutlich die einzige Großinstitution sein, die die Botschaft von Menschenrechten auf ihre Fahnen schreiben wird: Sie wird eben weiterhin das Salz der Erde bleiben.

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Anmerkungen:  

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 1. Der Begriff: „Menschenrechte" wird im folgenden Text (in dem der Stil der mündlichen Rede bewusst beibehalten wurde) im weiteren Sinn des Wortes verwendet, nicht nur im Kontext jener Rechte, die das Individuum dem Staat gegenüber einklagen kann.

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2. Vgl. etwa die „demagogisch" klingende Formulierung von R. Gronemeyer, Wozu noch Kirche? Berlin 1995: "Wenn am Jahresende 1999 die Champagnekorken knallen, dann geht ... auch das letzte christliche Jahrhundert zu Ende. Die Kirche blutet aus..."

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3. Über die Standards tagespolitischer Kommentare hinaus brachte der evangelische Theologe J. Moltmann, Menschenrechte, Rechter der Menschheit und Rechte der Natur. In: Conc. (D) 26 (1990) 165-174 eine solche Einstellung auf den Begriff. Er sprach davon, das zur Sicherung des Überlebens der Menschheit alle Religionen der universalen Rechts-Ethik untergeordnet werden müssen. Eine theologische Begründung der Menschenrechte sei dabei nicht notwendig, sind sie doch etwas Selbstverständliches und allen Menschen unmittelbar Einleuchtendes.

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4. F. Buggle, Denn sie wissen nicht was sie glauben oder warum man redlicherweise nicht mehr Christ sein kann; eine Streitschrift. Reinbek 1992.

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5. K.-H. Deschner, Kriminalgeschichte des Christentums. 4 Bde. Reinbek 1994

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6. Eine der wenigen feministischen Theologinnen, die auf die Gefahr der ungewollten Allianzen zwischen der feministischen Monotheismuskritik und der rechtsgerichteten Weltanschauung hingewiesen hat war M.-Th. Wacker, Feministisch-theologische Blicke auf die neuere Monotheismus-Diskussion. In: Der eine Gott und die Göttin. Gottesvorstellungen des biblischen Israel im Horizont feministischer Theologie. Hg. von M.-Th. Wacker und E. Zenger. QD 135 Freiburg i.Br. 1991, 17-48, v.a. 21-23.

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7. Vgl. J. Niewiadomski, Die betrogenen Götter. Religion und Wirtschaft im Zeitalter des Neuheidentums. In: cpb 113 (2000) 66-69.

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8. Vgl. J. Niewiadomski, Die neuen Heiden, in: Das Weltbild des Rechtsextremismus. Hg. von H. Reinalter, Innsbruck 1998, 170-187.

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9. Natürlich schöpft die Kritik der rechtsextremen Weltanschauung v.a. aus der Erschütterung über den Nationalsozialismus, die Judenvernichtung und die Konzentrationslager ihre Überzeugungskraft; die in der „rationalen" Diskussion gängigen Argumente gegen rechtsgerichtete Weltanschauungen kannten aber v.a. drei Standardsvorwürfe: mythische und rituelle Konnotationen und führerzentrierte Gruppenmentalität in der Sozialisierung der Jugend. Als Beispiel solcher Kritik vgl. E. Guggenberger, R. Schweidlenka, Die Fäden der Nornen. Zur Macht der Mythen in politischen Bewegungen. Wien 1993.

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10. Zu dieser Position vgl. J. Niewiadomski, "Wohl tobet um die Mauern..." Fundamentalistische katholische Gruppierungen. In: Die verdrängte Freiheit. Fundamentalismus in den Kirchen. Hg. von H. Kochanek. Freiburg 1991, 156-180, v.a.156-161 und 170-173.

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11. Die gegenwärtige Diskussion im Kontext der Bioethik und Biopolitik macht deutlich, wie wenig hilfreich eine abstrakte Berufung auf die Menschenwürde ist: so fragt etwa "Die Zeit" in der ersten Nummer des Jahres 2001 (G. von Randow, Das Jahr der Biopolitik. Menschliche Klone, Gentests, Sterbehilfe: Der Staat soll die Menschenwürde schützen. Aber auf welche Ethik können sich Politiker berufen?): "Was hat es mit Menschenwürde zu tun, ob einzelne Erbanlagen vom Zufall oder vom Arzt beeinflusst wurden? Schließlich wird die Menschenwürde auch nicht davon berührt, ob jemandes Existenz geplant oder das Ergebnis eines Zufalls ist". Losgelöst von dem ihr zugrundeliegenden Personenbegriff versagt auch der Begriff der Menschenwürde als Entscheidungskriterium.

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12. H.-M. Enzensberger, Aussichten auf den Bürgerkrieg. Frankfurt a.M. 1993, 74.

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13. Für eine kurze Einführung und Bewertung aus theologischer Perspektive vgl. J. Niewiadomski, Das Denken der Neuen Rechten aus theologischer Sicht. In: Materialdienst der EZW 58 (1995) 194-202.

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14. Zit. nach M. Christadler, Die „Nouvelle Droite" in Frankreich. In: Neokonservative und „Neue Rechte". Hg. von I. Fetscher. München 1983, 187.

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15. Seine Hauptwerke: Vue de Droite (1977 Preis der Academie Francaise): Aus rechter Sicht. Tübingen (im rechtsgerichteten Graber-Verlag) 1983/1984; Heide sein. Zu einem neuen Anfang. Die europäische Glaubensalternative. Tübingen 1982; Revolution von rechts! Krefeld 1976.

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16. A. de Benoist, Aufstand der Kulturen: europäisches Manifest für das 21. Jahrhundert. Berlin 1999.

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17. de Benoist 113 und 112.

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18. Ebd. 133-144.

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19. Ebd. 92.

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20. Gegen die moderne universalistische Ortlosigkeit betonen die Kommunitaristen die geschichtliche und kulturelle Einbettung jeder Ethik und die damit gegebene Rückbesinnung auf eigene Tradition. Allzu missverständlich wurde der kommunitaristische Ansatz in den letzten Jahren in die Nähe der rechtsgerichteten Ansätzen gebracht. Zur Darstellung der kommunitaristischen Debatte und einer theologischen Würdigung vgl. W. Palaver, W. Guggengerger u.a., Pluralismus - ethische Grundintention - Kirche. In ZKTh 120 (1998) 257-289.

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21. Zum Folgenden vgl. J.Niewiadomski, Herbergsuche. Auf dem Weg zu einer christlichen Identität in der modernen Kultur. Münster-Thaur 1999, 115-132.

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22. E. Nordhoffen sprich in diesem Zusammenhang vom "privativen Monotheismus" der jüdisch-christlichen Tradition, den er radikal vom "usurpatorischen Monotheismus" unterscheidet. Vgl. dazu: Die Zukunft des Monotheismus. In: Merkur 53 (1999) 828-846.

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23. Vgl. dazu: J. Niewiadomski, Herbergsuche 89-114.

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24. Vgl. die Position von Enzensberger: Jedem wird die Verpflichtung aufgetragen, für jeden verantwortlich zu sein, was den Gedanken der Allmacht einschließt.

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25. M. Walzer, Thick and Thin: Moral Argument at Home and Abroad.. Notre Dame 1994; vgl. auch: St. Hauerwas, Dispatches from the Front: Theological Engagements with the Secular. Durham 1994; ders., In Good Company: The Church as Polis. Notre Dame 1995; ders., Christians Among the Virtues: Theological Conversations with Ancient and Modern Ethics. Notre Dame 1997.

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26. Vgl. dazu das brillante Buch von J. Ross, Der Papst Johannes Paul II. Drama und Geheimnis. Berlin 2000.

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