Die historisierende Erinnerungskultur hatte auch die Universität Innsbruck im letzten Jahr voll im Griff. Ein Jahr lang wurde Wissenschaft mit vielen Projekten und Veranstaltungen auch in die Öffentlichkeit vermittelt, z.B. mit dem „Fest der Wissenschaft“ im Juni. Neben altgewohnten wurden auch neue Akzente gesetzt, nach dem Motto: „Wir bauen Brücken in die Zukunft“.
Am 15.10.1669 soll die Universität Innsbruck dadurch gegründet worden sein, dass Kaiser Leopold I. zur Finanzierung der Hohen Schule einen Steueraufschlag von 12 Kreuzer auf jedes in Hall geförderte Fuder Salz genehmigte. Doch damit war die Universität noch nicht gegründet, sondern erst ein Anfang gesetzt. Die akademische Lehre konnte nur beginnen, weil die Jesuiten schon zuvor in ihrem Gymnasium ein quasi-akademisches Jahr eingeführt hatten. Und so begann die Universitätslehre mit Logik am Montagmorgen. Eine Tradition, die das philosophische Institut bis heute aufrechterhält. Bis 1677 dauerte es, bis alle Fakultäten konstituiert und die Instanzen Kaiser, Papst, Bischöfe und Landesregierung sich einigten und das volle Promotionsrecht mit entsprechender Autonomie feierlich in der Jesuitenkirche proklamiert wurde. Dass zeitweise (1782 und 1791, sowie zwischen 1810 und 1825) die Universität zu einem Lyzeum herabgestuft worden war und nach 1826 lange Jahre nur zwei Fakultäten aufwies, störte den Mythos der runden Zahl schon vor 50 Jahren nicht. Die heitere und kurzweilige Inszenierung im Landestheater mit Sequenzen aus der Universitätsgeschichte und einem schrägen Blick in die Zukunft war der Höhepunkt des heurigen Jubeljahres, das durch ein Festkonzert und einen Ball beschlossen wurde.
Im Blick auf die gesamte Geschichte relativieren sich manche Diskussionen heute, auch wenn mit der Expansion der Studierendenzahlen und der stark forschungsgeleiteten Ausrichtung die heutige Universität mit der Universität bis vor ca. 100 Jahren organisatorisch kaum zu vergleichen ist. Doch finden sich in ihrer Geschichte strukturelle Analogien, die sich als spannungsreiche Konstellationen in verschiedenen Formen zeigen: die Finanzierungsfrage, das Ringen um die eigene Selbstständigkeit im Spannungsfeld der Interessen von Staat und verschiedensten gesellschaftlichen und ökonomischen Akteuren, sowie der immer wieder neu zu erringende Glaube, dass Wissenschaft zum Gelingen des menschlichen Lebens beitrage.
Die aktuelle Publikation von Margret Friedrich und Dirk Rupnow zur Universitätsgeschichte arbeitet vor allem die Verwicklungen des 20. Jahrhunderts auf, insbesondere das Ringen um die Einheit des Landes Tirol nach dem Ersten Weltkrieg und die Verstrickung mit der NS-Ideologie nach 1938. Starke Zeichen wurden gesetzt, weil die Universität nicht nur Opfer, sondern auch Akteurin war. Die 1938 aus rassistischen und politischen Gründen vertriebenen Studierenden und Lehrenden wurden ins Gedächtnis gerufen. Dass unsere Fakultät 1938 aufgelöst wurde und ein Jahr später alle Jesuiten, wie auch andere Ordensangehörige, den „Gau Tirol“ verlassen mussten, bleibt ein markantes Signal. Die Exmatrikulation von Christoph Probst, einem Mitglied der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, dessen Gedächtnis die Katholische Hochschulgemeinde unter Bernhard Hippler immer wachhielt, wurde in einem bewegenden Akt symbolisch rückgängig gemacht. Zwei künstlerische Interventionen verdienen besondere Erwähnung. In der Aula wurde durch sichtbare Bohrungen an das nach 1945 rasch verdeckte Hitler-Mosaik erinnert. Wolfgang Flatz versah das vaterländische Denkmal von 1926, an dem schon früher zwei Gedenktafeln für Christoph Probst und die 1988 in El Salvador ermordeten Jesuiten Segundo Montez und Ignacio Ellacuría angebracht worden waren, mit einer weißen Rose und hinterlegte die Leitbegriffe „Ehre, Freiheit, Vaterland“ mit den nachdenklich machenden Fragepartikel „welche, welches“.
Als Theologe gewann ich den Eindruck, dass alte Gräben noch nicht wirklich überbrückt sind. Rektor Märk dankte in seiner Rede den Kaisern, dem Land und der Stadt, doch die Jesuiten, ohne die die Universität damals nie entstanden und auch später nie ihre frühe Internationalität gefunden hätte, wurden nicht erwähnt. Der konfessionalistische Beginn und die noch langanhaltende antiliberale Grundhaltung des Tiroler Katholizismus wirken noch nach. Adolf Pichler (1819–1900) scheint für diese Konfliktzone immer noch eine Symbolgestalt zu sein. Eine Festmesse am 13. Oktober mit Bischof Glettler und Kirchenrektor Marte SJ mit Glockenweihe durfte zwar nicht fehlen, und die multireligiöse Realität der Universität wurde mit einem Gesprächsabend zu „Glauben und Wissen“ sichtbar. Doch erschien mir gerade diese Themenstellung die entscheidende Fragestellung heute zu verfehlen.
Die Jesuiten haben nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil ihre Erneuerung unter die Orientierung „Glaube und gerechtigkeit“ gestellt und in der weiteren Entwicklung die urbiblische Grundoption in die Gegenwart vermittelt: Es geht um das gute Leben für möglichst alle in einer Zeit, die von Ängsten und Untergangsszenarien beherrscht wird. Warum in dieser Herausforderung Wissenschaft und Technik, die sich im 20. Jahrhundert keineswegs nur als Segen zeigten, als Hoffnungsträger erweisen können, beruht auf jenem unverwüstlichen Glauben, der die moderne Wissenschaft von Anfang an utopisch überhöhte: Dass wir ohne Wissenschaft und Technik diese Herausforderung nicht bestehen werden, scheint mir evident zu sein. Die Frage lautet daher mit Wolfgang Flatz: „Welche Wissenschaft?“
Es ist ein wichtiges Zeichen, dass die Theologische Fakultät dieses Gedenkjahr am 18. und 19. November mit einer Veranstaltung im Gedenken an die Märtyrer von El Salvador abschließen wird. Wie kaum zuvor werden wir nach den vorrationalen Bedingungen unseres Denkens und Handelns gefragt. Denen aber kommen wir nur auf die Spur, wenn wir jene Selbstbesinnung kultivieren, die in der ignatianischen Tradition „Unterscheidung der Geister“ genannt wird. Also: Welche Wissenschaft? Welche Theologie? (Roman A. Siebenrock)
Literaturhinweis
Margret Friedrich, Dirk Rupnow (Hg.): Geschichte der Universität Innsbruck 1669-2019. Band I: Phasen der Universitätsgeschichte, Teilband 1: Von der Gründung bis zum Ende des Ersten Weltkriegs; Teilband 2: Die Universität im 20. Jahrhundert. Band II: Aspekte der Universitätsgeschichte. innsbruck university press 2019.
Tilmann D. Märk, Birgit Holzner (Hg.): Umbrüche und Perspektiven im 21. Jahrhundert. innsbruck university press 2019.