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Die Statistik des Unsichtbaren – Universität Innsbruck
Illustration eines Satelliten

Das Weltraumteleskop Euclid erstellt die bisher größte und genaueste 3D-Karte des Universums von Galaxien, die bis zu 10 Milliarden Lichtjahre entfernt sind. Die ESA-Mission wird wichtige Fragen zur Rolle der Schwerkraft und zur Natur des dunklen Universums erforschen.

Die Sta­tis­tik des Unsicht­ba­ren

Um aus den Daten­berg­en der neuen ESA-Sonde Euclid künftig Infor­mation­en über dunkle Mat­erie und dunk­le Energ­ie zu gewinnen, setzt ein Team um Astro­physiker­in Laila Linke an der Univer­sität Innsb­ruck neue sta­tistische Methoden ein. Sobald Euc­lid erste Daten zur Erde schickt, soll ein Tool stehen, das neue Infor­ma­tio­nen zu den wichtig­sten Fragen der unsicht­baren Seite des Kos­mos liefert.

Wabernde Gasnebel, glitzernde Sternhaufen und majestätische Galaxien – so zeigt sich unser Universum durch die Linsen moderner Weltraumteleskope wie Hubble und Webb. Das All erscheint von einer leuchtenden Struktur durchzogen. Doch was unseren Kosmos wirklich prägt, bleibt auf diesen Bildern unsichtbar.

Wie astronomische Messungen zeigten, liegt versteckt zwischen all den hübschen Sternen, Nebeln und Galaxien eine unbekannte Welt. Dieser als „dunkles Universum“ bekannte Teil des Kosmos hat zwei Bestandteile: dunkle Materie und dunkle Energie. Erst diese beiden Kräfte ergeben gemeinsam mit der herkömmlichen Materie das Standardmodell der Kosmologie.

„Dieses Modell ist eine sehr gute Beschreibung des Universums, da es Beobachtungen auf unterschiedlichsten Größen- und Zeitskalen erklären kann“, sagt die Astrophysikerin Laila Linke von der Universität Innsbruck. „Wir wissen, dass dieses Modell dunkle Materie und dunkle Energie enthalten muss, wir wissen aber nicht, worum es sich dabei handelt.“

Dunkle Rätsel

Dunkle Materie liefert zusätzliche Schwerkraft, um etwa Galaxien und Galaxienhaufen zusammenzuhalten, die es ohne die rätselhafte Substanz nicht geben könnte. Dunkle Energie dagegen bewirkt die beschleunigte Expansion des Universums, wie Messungen an entfernten Sterneninseln zeigen. Doch völlig offen ist, was hinter den beiden Kräften steckt. Fachleute haben zur dunklen Materie zahlreiche Theorien vorgeschlagen. Die Ideen reichen von unbekannten, massereichen Teilchen, die kaum mit Materie interagieren, bis hin zu einer Population aus verschiedenen schwarzen Löchern, die kurz nach dem Urknall entstanden ist.

Dunkle Energie lässt den Kosmos wie einen Kuchen aufgehen. Doch Versuche, diesen Überdruck etwa mit Einsteins „kosmologischer Konstante“ zu erklären, überzeugen bisher nicht: Der so vorhergesagte Wert für die dunkle Energie liegt um viele Größenordnungen daneben. Weltweit jagen Wissenschaftler:innen nach Antworten auf die Rätsel des dunklen Universums – eine Aufgabe, deren Bedeutung nicht überschätzt werden kann, denn wie Berechnungen zeigen, macht die gewöhnliche Materie nur fünf Prozent aller im Kosmos enthaltenen Masse aus. Der Löwenanteil des Universums ist also dunkel.

Verzerrte Galaxien

Licht in das dunkle Universum zu bringen, diesem Ziel hat sich die Euclid-Mission der Europäischen Weltraumagentur ESA verschrieben. Doch wie kommt die am ersten Juli dieses Jahres gestartete Sonde ihren unsichtbaren Beobachtungszielen näher? Linke erklärt: „Konkret wird Euclid Galaxien vermessen, und zwar über etwa ein Drittel des Himmels hinweg.“ Euclid wird planmäßig die Form von unglaublichen eineinhalb Milliarden Galaxien vermessen, die teils weit entfernt sind. Da große Distanz im All wegen der endlichen Lichtgeschwindigkeit gleichbedeutend mit einem Blick in die Vergangenheit ist, enthalten Euclids Daten auch Informationen über die zeitliche Entwicklung des Alls.

Um den Rätseln des kosmologischen Standardmodells auf die Schliche zu kommen, betrachten Fachleute vor allem die Formen der Galaxien: Wie bereits Hubble-Bilder eindrücklich zeigen, gleicht keine Galaxie der anderen. Dennoch lassen sich die Sterneninseln danach ordnen, wie weit sie vom Kreis abweichen. „Wir sprechen dabei von Elliptizität“, erläutert Linke.

Jede Galaxie ist also mehr oder wenig eiförmig. Doch es gibt einen Haken: Ihre wahre Form können wir von der Erde, selbst mithilfe von Weltraumteleskopen, nicht wahrnehmen. Das liegt am Gravitationslinseneffekt: Passiert Licht auf seinem Weg zu uns eine Ansammlung von Materie, wird es von seinem Pfad abgelenkt, da die Masse den Raum krümmt und den Lichtstrahlen so neue Wege aufzwingt. Dieser Vorgang hat spektakuläre Folgen: Galaxien, die hinter massereichen Galaxienhaufen liegen, schlagen wilde Bögen oder werden sogar mehrfach abgebildet. Da beinahe jede Sichtlinie zwischen extragalaktischen Objekten und der Erde an Massenansammlungen vorbeiführt, ist praktisch jedes Bild verzerrt – wenn auch mitunter nur geringfügig.

Kosmologie der Vielen

Doch von der Verzerrung einer Galaxis lässt sich noch nichts über das dunkle Universum lernen: „Galaxien können an sich elliptisch sein. An einzelnen Exemplaren sehen wir also nicht, wie viel davon durch Gravitationslinsen entstanden ist“, erklärt Linke. Daher werten die Astrophysikerin und ihr Team mehrere Sterneninseln gleichzeitig aus. „Wir messen die Elliptizität vieler benachbarter Galaxien. Waren sie alle zufällig orientiert, fällt deren intrinsische Elliptizität im Mittelwert weg“, so Linke. „Übrig bleibt also nur der Anteil, der auf Gravitationslinsen zurückgeht.“ Ist die Galaxiengruppe also in eine gemeinsame Richtung verschmiert – Fachleute sprechen von Scherung –, fällt das mit dieser Methode auf.

Damit lässt sich etwas über die Verteilung der Masse im Kosmos aussagen – wertvolle Information, wie Linke weiß: „Dadurch können wir zwei Dinge verstehen: Zum einen, wie sich Strukturen im Universum gebildet haben. Und zum anderen können wir aus Veränderungen der Massenverteilung im Laufe der Zeit auf die Expansionsgeschichte des Alls schließen, die durch dunkle Energie bestimmt ist.“

Die Massenverteilung ist eine statistische Größe, die für kosmologische Aussagen relevant ist. Kennt man sie für jeden Abstand, wissen wir, wie sich Materie in der Vergangenheit geballt hat oder auseinandergedriftet ist. Doch um an die Parameter der Verteilung, wie etwa die Varianz, zu kommen, müssen Fachleute in den Datenbergen von Sonden wie Euclid wühlen.

Linke erklärt die bisherige Methode: „Ausgehend von einer Galaxie vergleichen wir die Elliptizität vieler Galaxienpaare im gleichen Abstand. Damit wissen wir, wenn es an einem Punkt eine gewisse Verzerrung gibt, wie groß die Scherung an einem anderen Ort ist. Diese Information korreliert mit der Varianz der Massenverteilung.“

Neue Methode

Doch da die kosmische Massenverteilung nicht gaußförmig ist, sondern komplizierter aussieht, reicht die Varianz nicht aus, um sie zu charakterisieren. Es braucht mehr Information. Anstatt jeweils Paare zu bilden, gruppiert Linke daher die Galaxien zu Dreiergespannen. „Dadurch erhalten wir ein höheres Moment der Verteilung, das von den Parametern der Verteilung anders abhängt“, sagt Linke. „Gemeinsam mit den Messungen an den Paaren lernen wir durch die Dreiergrüppchen mehr über die Massenverteilung.“

Obwohl diese statistische Methode tiefe Einblicke in den Kosmos erlaubt, wurde sie bisher kaum eingesetzt. Der Grund: Um je drei Galaxien miteinander zu vergleichen, braucht es bei den gigantischen Galaxienkatalogen erhebliche Rechenleistung – die es bis vor Kurzem nicht gab. Linke konnte allerdings zeigen, dass dieses Problem mit Grafikkarten behebbar ist.

Darüber hinaus fehlten jedoch praktische Algorithmen. Das soll sich im Rahmen des vom FWF geförderten ESPRIT-Projekts von Linke ändern. „Die Modelle der Statistik dritter Ordnung sind zudem komplizierter, es treten systematische Effekte auf, die bisher nicht berücksichtigt wurden. Das müssen wir jetzt einfach mal machen“, ergänzt Linke.

Momentan feilen die Astrophysikerin und ihr Team noch an ihren Methoden. Doch sobald Euclid erste Daten zur Erde schickt, werden wir ein neues Tool haben, den Datenmengen Informationen zur unsichtbaren Seite des Kosmos zu entlocken. Mögen einzelne Objekte noch so faszinierend sein, eines ist klar: In der Statistik liegt der Schlüssel zum dunklen Universum.

Zur Person

Laila Linke ist Astrophysikerin am Institut für Astro- und Teilchenphysik der Universität Innsbruck. Nach einem Physikstudium in Heidelberg promovierte Linke 2021 an der Universität Bonn in Astronomie. Dort war sie als Postdoktorandin tätig, bis sie 2023 nach Innsbruck wechselte, um sich weiter Fragestellungen rund um das dunkle Universum und die Entstehung von Galaxien zu widmen. Dabei arbeitet Linke nicht mit dem Teleskop, sondern analysiert Daten großer Himmelsdurchmusterungen am Computer, wobei sie neue Methoden entwickelt, um mithilfe von Gravitationslinseneffekten kosmologische Modelle zu präzisieren. Das Projekt „Kosmologie und Galaxienausrichtungen mit Lensing 3. Ordnung“ (2023–2026) wird vom FWF mit rund 316.000 Euro gefördert.

(scilog.fwf.ac.at)

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