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Stadt und Universität wirken gemeinsam – Universität Innsbruck
Frau blickt in die Kamera

Die Publizistin und Beraterin Verena Ringler ist Alumna der Universität Innsbruck.

Stadt und Uni­ver­si­tät wir­ken gemein­sam

In dieser Woche treffen sich Mitglieder des EUniverCities-Netzwerks an der Universität Innsbruck. Dort wird die Publizistin und Beraterin Verena Ringler darüber sprechen, wie Stadt und Universität gemeinsam zur Avantgarde für die Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele werden können. Wir haben mit ihr über die Perspektiven und Möglichkeiten gesprochen.

Frau Ringler, Innsbruck ist seit 2019 Mitglied von EUniverCities. Als Mitglied vernetzt sich Innsbruck mit Partnern wie Parma, Ghent, Trondheim oder Lausanne, um Herausforderungen europäischer Unistädte besser adressieren zu können. Welche Bedeutung haben solche Netzwerke aus ihrer Sicht?

In solchen Netzwerken erkennen Bürgermeisterinnen und Universitätsrektoren, dass sie mit ihren Visionen, Fragen und Dilemmata nicht alleine sind. Sie können voneinander auf Top-Niveau lernen und miteinander gestalten, ohne einander Konkurrenz zu sein. Das ist wichtig, denn kein Algorithmus und keine digitale Plattform kann unsere Städte zur Nachhaltigkeit bringen; nur Menschen können es. Und Menschen brauchen Zeit und Kontakt, den direkten Austausch miteinander, um einander zu vertrauen und so in Zeiten des Umbruchs Geleit zu geben.

Meine langjährige Arbeit in Vorhaben für Europa und Gesellschaft hat mir gezeigt, dass solche wiederkehrenden Zusammenkünfte und kollegialen Bindungen abseits des Tagesgeschäfts – oft kaum sichtbar, abseits von Schlagzeilen und Prominenz – wesentliche Vorbereitungen für Momente von Krise und Wandel treffen. Denn diese kapillaren Netze von Kontakt und Vertrauen, diese informellen Knotenpunkte, tauchen in entscheidenden Momenten wie aus dem Nichts auf, manchmal Jahre später. Diese Akteure setzen dann entscheidende Impulse.

Ein Beispiel ist ein überparteiliches Frauen-Netzwerk im U.S. Kongress. Es hat sich vor der entscheidenden Abstimmung der Gesundheitsreform von Präsident Barack Obama als letzte Brücke zwischen Demokraten und Republikanern erwiesen; dank dieses informellen Clubs konnte im entscheidenden Moment noch eine Mehrheit für das Reformpaket organisiert werden.

Ein anderes Beispiel sind die Fora für Begegnung und Austausch in der Welt der Kultur und Kunst zwischen Ost und West, bereits während des Kalten Kriegs entwickelt und gepflegt werden konnten. Sie haben sich rund um die Ereignisse 1989/91 als belastbar erwiesen, wenn wir etwa an Vaclav Havel denken.

Sie werden auf der Tagung über nachhaltige Entwicklung in Europa sprechen. Welche Thesen werden Sie dabei präsentieren?

Europa wird zwar oft von innen als bürokratisch und abstrakt gesehen, doch genau diese regulatorische und kooperative Identität der Europäischen Union hat sie international zu einer „Supermacht von Normen und Standards“ gemacht. Was sich die EU in Sachen Nachhaltigkeit zutraut, hat eine wesentliche Signalwirkung, das habe ich persönlich in den Ländern des Westbalkans erlebt oder etwa am Baikalsee.

Es ist richtig, dass die EU vor der großen Herausforderung steht, die Nachhaltigkeit sowohl zuhause als auch in der Welt gerecht und inklusiv zu gestalten. Doch es scheint dringend und wichtig, dass man hier vorangeht: der European Green Deal ist ein weitreichende und tiefgreifendes Gesetzes- und Maßnahmenpaket, das die Dekarbonisierung des Wirtschaftskreislaufs und den konsequenten Natur- und Ressourcenschutz erreichen soll. Die Regierungen von 27 Staaten haben es beschlossen. Sind hier, etwa in Fragen des CO₂-Grenzausgleichssystems, der Taxonomie – noch profunde Konflikte auszutragen und ist hier eine globale Governance zu schaffen? Ja! Doch im Großen ist Europa am Weg, zur globalen Garantiemacht für Nachhaltigkeitsinteressen zu werden.

Welche zentralen Herausforderungen sehen sie aktuell auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung?

Ich sehe drei Herausforderungen:

Wir haben das Problem des „short-termisms“, das bedeutet, dass viele Systeme heute kurzatmig, im dauernden Feuerwehrmodus sind. Doch die nachhaltige Entwicklung folgt per se einer Logik der Langfristigkeit. Einige Forscherinnen und Experten sagen, wir müssten die Folgen all unserer Entscheidungen an der siebten Generation nach uns messen.

Zweitens, wir überschätzen Ereignisse und unterschätzen Prozesse, viele Führungspersonen empfinden stille Prozesse und Vorbereitungen als undankbare Investition. Das führt dazu, dass wir – in Kommunen und Regierungen oder in den Leitungsebenen von Banken und Gewerbe – erst dann handeln, wenn wir bereits an der Kante des Abgrunds balancieren. Doch das ist der misslichste und der teuerste Moment für Interventionen. Ungleich sinnvoller ist es, in Transformation und Reformen zu investieren, solange die Ampel quasi grün ist oder wenigstens gelb. Solange wir Visionen ausarbeiten und die Willigen und die Fähigen aktivieren können, solange die Grundbedürfnisse aller erfüllt werden können, solange Frieden herrscht.

Schließlich gilt es, unser ökonomisches Modell komplett umzubauen. Keine Norm, keine Berechnung, keine Risikoeinschätzung bleibt! Vorreiterinnen und Vorreiter sprechen von der Vision der „regenerativen Ökonomie.“ Das bringt mit sich, dass wir unsere Volkswirtschaften, ja, unser gesamtes bisheriges System von Wirtschaft, Werten und Wertschöpfung auf den Kopf stellen und neu denken müssen.

Welche Bedeutung haben für sie die EUnivercities, die 15 Uni-Städte in Europa, bei der Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele?

In Europa ist die verflochtene Entwicklung von Städten und Universitäten fast tausend Jahre alt, in Parma – einer der Städte im Netzwerk – noch älter. Die physische Konzentration von Bürgern*innen in ihrem Lebensumfeld und den Fragen, denen sie als Gesellschaft in ihrem akademischen Viertel nachgehen, machen unsere Universitätsstädte zu besonderen Orten in Hinblick auf das Rahmenwerk der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs).

Einerseits können wir unsere Städte im Lichte unserer jahrhundertelangen Lernkurve heute als lebendige Labore für gemeinsame Forschung und Entwicklung zwischen Stadt und Universität sehen, als Anwendungsräume für Rapid Prototyping und für Praktiken der Partizipation und Konfliktlösung zu den SDGs.

Andererseits verfügen Universitätsstädte in Europa über eine einzigartige Geschichte von citoyens, über so etwas wie ein „zivilistisches Privileg“ (ich nenne das unser „civic privilege“), eine demokratische Patina. Hier haben unsere Vorfahren für unsere politischen und sozialen Rechte gekämpft, für unsere bürgerlichen Freiheiten und die Vielfalt. Sie haben Konflikte ausgetragen, Versöhnung geschafft und Wandel gemeistert. All das ist in unsere Städte heute – wenn auch nicht vordergründig sichtbar – als örtliche und kollektive Erfahrung eingeschrieben. Die demokratische Identität unserer Städte ist besonders wertvoll in einer Zeit, in der mächtige Privat- und Partikularinteressen unsere öffentlichen Räume und Plätze, Güter und Dienstleistungen in Frage stellen.

Und wie sieht es mit den Universitäten und Hochschulen aus? Welchen Beitrag können sie leisten.

Die Universitäten können gestaltendes Korrektiv sein, indem sie in sämtlichen Projekten und Prozessen der Nachhaltigkeit die Stimmen der Humanwissenschaften einfordern und einbringen. Denn: Wir Menschen lieben Technik und Technologie, viele Finanzchefs in unseren Organisationen ebenso. Doch wir schaffen die Nachhaltigkeitsziele nur, wenn wir den Aspekten von Bildung, Diskurs, Konflikt und Kulturwandel genauso viel politischen Willen, Aufmerksamkeit, Zeit und Ressourcen widmen wie den technischen Elementen der Transformation.

Methodisch geht es beim Beitrag der Universitäten also um die Stimme, die Erkenntnisse, die Beiträge der Humanwissenschaften in sämtlichen Prozessen und Projekten zur Nachhaltigkeit. Praktisch geht es darum, diesen Auftrag auch aufspürend und proaktiv zu leben. Die Universitäten können hier den Stadtverwaltungen Schritt für Schritt Zugang zu den Methoden von Co-Creation gewähren und ihnen die Vorteile von Partizipation erschließen. Studierende wiederum schätzen es, wenn sie an Vorhaben in ihrer Stadt mitwirken können, Forschende und Lehrende sind für transdisziplinäre Fragestellungen meist zu haben.

Gibt es konkrete Vorzeigeprojekte für die SDGs in Innsbruck?

In Innsbruck tragen meiner Beobachtung nach zwei heimischen Innovationen handfest zu den Nachhaltigkeitszielen bei, in beiden kooperieren Universität und Rathaus miteinander: die Design- und Architekturschule „Bilding“ und das internationale „Innsbruck Nature Film Festival“. Beide Initiativen begeistern, bilden und befähigen breite Zielgruppen bzw. junge Menschen, sie transportieren Wissen und Know-how auf kreative, kurzweilige und sinnliche Weise. Bilding und INFF lösen sie am Familientisch, bei Lehrpersonen, in Chefetagen plötzlich den berühmten Funken aus, sie setzen Sinneswandel und Entwicklung in Gang.

Soziologen wie Jane Jacobs und Eric Klinenberg und Studien wie das Edelman Trust Barometer und der EU Cohesion Monitor zeigen: Wer Wandel will, investiere in den „People Factor“, das bringt hinterher das nötige breite Verständnis und Wissen sowie die Akzeptanz und Befähigung zur Veränderung. Meiner Erfahrung nach verdienen Initiativen wie INFF und bilding es daher, massiv aufgewertet zu werden. Sie wirken wenig sichtbar, sie tauschen keine Heizungen, dämmen keine Gebäude, stellen keine Windräder auf. Doch sie schulen und begeistern, weil sie internationale fachliche und kulturelle Begegnung organisieren. Sie bringen Kinder und junge Menschen aus nah und fern ins Tun. Diese Architekturschule und das Filmfestival bereiten die Stadtgesellschaft und womöglich auch Besucher*innen der Stadt also auf Umwegen auf die Nachhaltigkeit vor. Ich durfte in der Projektarbeit mit eigenen Augen sehen, dass gerade bei den Nachhaltigkeitszielen der Weg das Ziel ist. Was wir also in einer Stadt oder Region als Hidden Champions von heute sehen, haben, zeitigt oft Potenziale zum Signature Project von morgen.

Zur Person

Verena Ringler leitet den Think & Do Tank European Commons und die neugegründete, gemeinnützige AGORA European Green Deal in Innsbruck. Sie fokussiert heute auf das Thema „Green Transition Leadership“ und bringt in ihrer Herkunftsstadt ihre langjährigen Erfahrungen im internationalen Magazinjournalismus (Foreign Policy Magazine, Washington), der EU-Diplomatie am Balkan (EU-Rat, Pristina) und der europäischen Stiftungswelt (Stiftung Mercator, Essen) gebündelt ein. Ringler entwickelt Projekte und Prozesse an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft. 2022 hat sie das Erste Neue Europäische Bauhaus Festival mit sieben Kurzfilmen aus Innsbruck mitgestaltet. Sie begleitet die European Climate Initiative (EUKI) und publizierte 2021 ihre Feldstudie, „Regionen am Weg zum European Green Deal.“ Ringler betätigt sich ehrenamtlich als Gremienmitglied des BürgerInnen Forums Europa und der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik sowie in Beratergruppen des Clubs of Venice, der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung, des European Policy Centres in Brüssel und der Fondation Jean Monnet pour L’Europe in Lausanne. Ringler studierte Politikwissenschaft und Publizistik in Innsbruck, Uppsala und Wien sowie Internationale Beziehungen an der Johns Hopkins University’s School for Advanced International Studies (JHU/SAIS).

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