Text: Anna Beltrami und Ramona Messner
Das Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck blickt auf ereignisreiche und herausfordernde 40 Jahre zurück. Als ehemaliger Institutsleiter (2010–2018) und gegenwärtiger Dekan der Philosophisch-Historischen Fakultät (seit 2018) war Dirk Rupnow maßgeblich an der Entwicklung des Instituts für Zeitgeschichte beteiligt. Am 13. Dezember 2023 trafen wir uns mit ihm im angenehmen weihnachtlich dekorierten Ambiente der Fakultäten-Servicestelle im Bruno-Sander-Haus. Im Interview mit ihm sprachen wir vor allem über die gesellschaftliche Bedeutung von Zeitgeschichte und seine Rolle als früherer Institutsleiter.
Wohl kein anderes Kernfach ist in der Öffentlichkeit und in den Medien so präsent wie die Zeitgeschichte. In diesem Kontext verweist Dirk Rupnow etwa auf den Israel/Palästina-Konflikt, den Ukraine-Krieg, die Geschichte des Landhauses in Innsbruck oder den Anstaltsfriedhof in Hall in Tirol. Das gesellschaftliche Interesse an Zeitgeschichte ist groß, ihre Themen sind ständig in der Diskussion, ihre Expertise ist gefragt. „Darüber können wir Zeithistoriker:innen glücklich sein und gleichzeitig weiß ich auch, dass Kolleg:innen uns darum beneiden“, bemerkt Dirk Rupnow. Auf unser Nachfragen hin berichtet er von zahlreichen positiven Rückmeldungen seitens fachfremder Kolleg:innen, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem 350-jährigen Uni-Jubiläum 2019. Viele erachten die (kritische) Beschäftigung mit zeitgeschichtlichen Themen als wichtig und sind bereit, sie zu würdigen. Zu betonen, dass die Auseinandersetzung mit (Zeit-)Geschichte größte Relevanz für uns als gegenwärtige Gesellschaft besitzt, sei dementsprechend keine genuin „professionelle Deformation“ von Zeithistoriker:innen, so Dirk Rupnow.
Die Beschäftigung mit umstrittenen Themen, wie es in der Zeitgeschichte häufig der Fall ist, rufe allerdings nicht nur großes gesellschaftliches Interesse hervor. Vielmehr berührt die Beschäftigung mit Zeitgeschichte zwingend immer wieder Punkte, „wo es auch weh tut“. Rupnow nennt hier Themenbereiche wie die NS-Zeit und den Holocaust sowie Migration und Flucht. Derartig kontroverse Themen bringen selbstredend auch die eine oder andere negative Rückmeldung mit sich. „Diese Dinge schreddert man am besten schnell“, erklärt uns Dirk Rupnow mit einem Schmunzeln.
Im Rahmen des 40-jährigen Institutsjubiläums haben wir Dirk Rupnow natürlich auch auf seine Rolle als Institutsleiter angesprochen. Als er die Funktion übernahm, bestand das Institut schon mehr als 25 Jahre – und genauso lange hatte es Rolf Steininger geleitet. Es sei daher durchaus herausfordernd gewesen, das Institut in eine zweite Generation zu überführen. Sein Vorgänger hat ihm auch mit auf den Weg gegeben nicht selbstverständlich davon auszugehen, dass „das Institut so als eigenständige Einheit“ fortbestehen würde, berichtet Rupnow mit Blick auf den Übergabemoment vom Gründer Rolf Steininger im Jahr 2010. Das 40-jährige Jubiläum zeigt, dass das Institut für Zeitgeschichte diesen Herausforderungen begegnet ist und sie bewältigt hat. Laut Rupnow ist es gelungen, das Institut in Innsbruck „so breit aufzustellen wie – würde ich behaupten – kein anderes Zeitgeschichte-Institut in Österreich aufgestellt ist.“ Neben Regionalgeschichte und europäischer Zeitgeschichte nennt er hier Eric Burton mit dem Forschungsschwerpunkt postkoloniales Afrika, Noam Zadoff mit seinem Fokus auf Israel und Eva Pfanzelter, die sich unter anderem mit Digital History auseinandersetzt. Auch Dirk Rupnow trug maßgeblich zu dieser Entwicklung bei, indem er einen neuen Blick auf die Migrationsgeschichte in das Institut brachte.
Mit der Geschichte der Migration und ihrer Bewahrung beschäftigt sich Rupnow auch aktuell. Er erzählt uns im Interview von dem 2016 initiierten Projekt DAM. Das Dokumentationsarchiv Migration Tirol widmet sich der Sammlung und Aufbewahrung mehrperspektivischer Migrationsgeschichten und Fluchterfahrungen nach Österreich seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Für die Realisierung des Projektes verantwortlich sind neben dem Institut für Zeitgeschichte das Zentrum für Migrant:innen in Tirol (ZeMiT), das Tiroler Landesarchiv,die Tiroler Landesmuseen und das Innsbrucker Stadtarchiv. Dies ist ein Beispiel, an dem die gute Vernetzung des Instituts für Zeitgeschichte in die Gesellschaft sichtbar wird, die in den letzten Jahren noch einmal deutlich zugenommen hat.
Plötzlich werden wir mitten in unserer Frage zu Dirk Rupnows „Herzensprojekten“ von einem Telefonklingeln unterbrochen. Das zeigt, wie vielbeschäftigt Rupnow als Dekan der Philosophisch-Historischen Fakultät ist. Nach Beendigung des Telefonats verrät er uns humorvoll, dass man als Dekan „sowieso froh sein muss, wenn man noch Zeit für Forschung hat“. Wenn Dirk Rupnow von besonders bedeutsamen Projekten spricht, darf für ihn das DAM-Projekt nicht fehlen. Weitere Forschungsschwerpunkte, mit denen er sich weiterhin intensiv beschäftigt, sind Aspekte des Holocaust und Fragen von Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, die anschließen an seine früheren Arbeiten, auch seine Dissertation und Habilitationsschrift. Spannend finden wir, dass sich Rupnow in den nächsten Jahren wieder vermehrt diesen Themen zuwenden will. Gesellschaftlich derart relevante Themen zu behandeln und gleichzeitig „wissenschaftlich sauber“ zu arbeiten, wird wohl in Zukunft eine der wichtigsten Herausforderungen für Zeithistoriker:innen sein, erklärt er.
Das Institut für Zeitgeschichte hat bereits zahlreiche Herausforderungen bewältigt und damit seine Standfestigkeit unter Beweis gestellt, sodass wir dieser Herausforderung zuversichtlich entgegenblicken. In diesem Sinne freuen wir uns, mit diesem Blogbeitrag Teil des Jubiläums zu sein und gratulieren den Mitgliedern herzlich zum 40-jährigen Bestehen, nicht zuletzt unserem Interviewpartner Dirk Rupnow. Für diesen bedeutet das 40-jährige Jubiläum, dass das Institut „für mehrere Generationen [...] auf hohem Niveau weit über Innsbruck ausstrahlend für die Zeitgeschichte steht und das ist doch irgendwie toll, oder?“
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