- Leseraum
| Leo XIV. – „What’s in a name?”Autor: | Moosbrugger Mathias |
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Veröffentlichung: | |
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Kategorie | kommentar |
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Abstrakt: | |
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Datum: | 2025-05-09 |
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InhaltsverzeichnisInhalt1
 | In einer bemerkenswerten – nicht zuletzt bemerkenswert kurzen – Wahl haben sich die Kardinäle auf Kardinal Robert Francis Prevost als neuen Papst geeinigt. Die Aufregung war kirchlich und medial groß. Zu Recht, denn diese Wahl hat einige außergewöhnliche Züge: Nicht nur haben wir mit ihm den ersten gebürtigen Nordamerikaner (und überhaupt erst den zweiten englischen Muttersprachler seit Hadrian IV., der im 12. Jahrhundert gelebt hat) und den ersten Mönch seit 1831. Und auch nicht nur haben wir mit ihm einen – und auch das ist kirchenhistorisch schon lange nicht mehr gewesen –, der zwar in der jüngsten Vergangenheit in der Kurie als Kardinalpräfekt Karriere gemacht hat, aber vorher jahrzehntelang effektiv als Seelsorger tätig gewesen ist, zuerst als Missionar und dann als Bischof im lateinamerikanischen Peru, und damit sowohl den vatikanischen Apparat als auch die pastorale Realität kennt. Vor allem lässt auch seine Namenswahl aufhorchen. Leo XIV. ist ein Name mit Programm. Die große Frage ist: mit welchem? | 2
 | Wenn man diesen Namen als katholischer Sozialethiker liest (und in den ersten Reaktionen war diese Perspektive naheliegenderweise vorherrschend), dann erinnert man sich natürlich sofort an Leo. XIII., der 1878 Papst wurde und die Kirche bis 1903 geleitet hat. Berühmt geworden ist er als der Papst, der die Soziallehre zu einem integralen Bestandteil der kirchlichen Lehrverkündigung gemacht hat. Mit seiner berühmten Enzyklika „Rerum Novarum“ von 1891 hat er die Rechte der Arbeiter ins Zentrum kirchlicher Aufmerksamkeit gerückt; auch mit seiner Erklärung, dass die Republik natürlich eine legitime Staatsform sein kann und nicht nur die Monarchien, die am Vorabend des Ersten Weltkriegs noch allgegenwärtig waren, hat er Geschichte gemacht. – Man kann den neuen Papstnamen aber auch als Dogmatiker hören – und dann denkt man sofort an Leo I., dem die Geschichte als einem von nur zwei Päpsten den Beinamen „der Große“ gegeben hat. Dieser Leo der Große hat im 5. Jahrhundert gelebt und war der erste römische Bischof, der sich auch als Theologe ausgezeichnet hat. Die massiven christologischen Streitigkeiten, die damals im Osten des Römischen Reiches gerade eskalierten – war Christus auch Mensch und wenn ja, was bedeutete das? – und die zu massiven Verwerfungen nicht nur auf theologischer, sondern auch auf sozialer und politischer Ebene geführt haben, hat er erfolgreich mit einer außergewöhnlichen dogmatischen Intervention befriedet. Sein „Brief an Flavian“ (Tomus Leonis) wurde 451 auf dem Konzil von Chalcedon zum Gamechanger und hat für die mindestens vorläufige Versöhnung der zuvor unversöhnlichen dogmatischen Parteien gesorgt. Christus ist demnach wahrer Gott und wahrer Mensch, unvermischt und ungetrennt. | 3
 | Das alles sind naheliegende und wichtige Bezüge, wenn es darum geht, die Namenswahl von Leo XIV. einzuordnen. Er ist zweifellos ein Mann, dem die sozialen Fragen am Herzen liegen, mit denen er es in seiner seelsorglich-missionarischen Arbeit in Südamerika zu tun gehabt hat. Man darf ihm auch zutrauen, ein Bewusstsein für die Bedeutung der kirchlichen Lehrtradition zu haben und die Rolle des römischen Bischofs bei der Vermittlung theologischer Unstimmigkeiten; gerade hier gibt es zwischen Traditionalistischen und Reformern in der Kirche Gräben, die unüberwindlich scheinen und wo man sich einen Papst wünschen darf, der hier Brücken zu bauen imstande ist. | 4
 | Als Kirchenhistoriker mit einem besonderen Faible für die frühe Neuzeit, drängt sich aber noch ein Bezug auf: Papst Leo X. Das ist vielleicht auf den ersten Blick überraschend. Leo X. genießt keinen besonders guten Ruf. Er war tatsächlich ein Renaissancepapst klassischen Zuschnitts. Er stammte aus der noblen Florentiner Familie der Medici; er hat den Prunk geliebt hat und sogar den durchaus verstörenden Spruch geprägt hat: „Gott hat uns das Papsttum verliehen, also lasst es uns genießen!“ Berüchtigt geworden ist er aber vor allem als Papst, der die Sache mit Martin Luther in den kirchenhistorischen Sand gesetzt hat. Er hielt die Anliegen Luthers für Mönchsgeschwätz und hat, nachdem klar war, dass sich hier doch etwas Größeres anbahnte, mit seiner Bannandrohungsbulle „Exsurge Domine“ von 1520 die ganze päpstliche Autorität in die Waagschale geworfen, um ihn endlich zum Schweigen zu bringen; wenn nötig, auch mit Gewalt bis hin zur Todesstrafe. Den tatsächlichen Bann gegen Luther hat dann im Jahr drauf sein Nachfolger ausgesprochen. – Warum also dieser Leo X. als möglicher Bezugspunkt für die Namenswahl von Leo XIV.? Es geht um Folgendes: Tatsächlich verbindet der neue Papst in sich selbst die beiden Pole der im 16. Jahrhundert sich in der Reformation zertrennenden westkirchlichen Tradition. Einerseits gehört er mit seiner Ordensbiographie als Augustinermönch dem Orden an, dem seinerzeit auch Martin Luther angehört hat; mit seiner Namenswahl stellt er sich aber andererseits zugleich auch in die Nachfolge von Leo X. Als Kirchenhistoriker kann man da kaum an einen Zufall glauben. Vielleicht ist die Namenswahl unseres neuen Papstes nicht nur ein Zeichen für die Sensibilität für die Abgründe der sozialen Ungerechtigkeit in unserer hyperkonsumistischen und hyperkapitalistischen Welt (Leo XIII.); vielleicht ist sie auch nicht nur ein Zeichen für die wichtige päpstliche Rolle bei der Vermittlung scheinbar unvermittelbarer theologischer Perspektiven in einer von Reformern wie Traditionalisten für sich beanspruchten Kirche (Leo I.). Vielleicht ist sie auch ein kirchenhistorisch-ökumenisches Zeichen für die Rolle des Papstes als Brückenbauer in der vor mehr als einem halben Jahrtausend zerbrochenen westkirchlichen Tradition (Leo X. – Luther). Klar ist: In allen diesen Bereichen braucht es Brückenbauer – und das ist letztlich ja das Jobprofil des Papstes als Pontifex maximus (großer Brückenbauer). Möge er Erfolg haben! |
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