Dass bereits die erste Vorlesung, die Leonhard Dobusch im Rahmen seines Studiums der Betriebswirtschaftslehre an der johannes-Kepler-Universität Linz besuchte, den Titel „Organisation“ trug, ist im Nachhinein betrachtet wohl nur ein Zufall. Dennoch: Organisationale Praktiken und ihre gesellschaftlichen Wechselwirkungen wurden zum beherrschenden Thema in der weiteren hochschulischen Laufbahn des Wissenschaftlers. „Mein Zweitstudium der Rechtswissenschaften verstärkte das Interesse an diesem Themenbereich und bekräftige meinen Wunsch nach einer forschenden Tätigkeit“, so Leonhard Dobusch. Besonderes Augenmerk legte Dobusch dabei schon sehr früh - auch geprägt durch sein hochschulpolitisches Engagement in der österreichischen HochschülerInnenschaft – auf neue technologische Entwicklungen. „Internet und Digitalisierung bringen für Organisationen neue Herausforderungen verschiedenster Art mit sich: Es eröffnen sich viele neue Möglichkeiten, die aber auch mit einer Forderung nach mehr Transparenz und Partizipation einhergehen“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler. Herausforderungen, die speziell in den Bereichen BWL und Recht neue Forschungsfelder für die jeweiligen Disziplinen eröffnen. Die Ausschreibung eines Stipendiums im Rahmen eines Graduiertenkollegs der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) an der Freien Universität Berlin zum Thema „Pfade organisatorischer Prozesse“ kam für Dobusch nach dem Abschluss seiner beiden Studien in Linz sehr gelegen.
Pfade
Windows wurde in vielen Unternehmen oder im Bereich der staatlichen bzw. städtischen Verwaltung ursprünglich als Ersatz für Schreibmaschinen eingesetzt und verbreitete sich ab den 90er Jahren stark. „Mit dieser Entscheidung für einen Anbieter schlägt die jeweilige Organisation einen Pfad ein, der weitreichende Konsequenzen hat und ein Abweichen nur sehr schwer möglich macht“, erklärt Leonhard Dobusch den Hintergrund seiner weiteren Forschungsfragen in Berlin. „Was passiert aber, wenn eine Organisation diesen Pfad verlassen möchte und beispielsweise sagt: Wir wollen auf ein anderes System umstellen?“ So geschehen Anfang der 2000er Jahre in der Stadtverwaltung München, die sich dazu entschied von Windows flächendeckend auf die Open-Source-Software Linux umzustellen. Ein jahrelanger Prozess, den Dobusch mit großem Interesse beobachtete und im Vergleich zu anderen Städten vor dem Hintergrund organisationaler und technologischer Strukturen und ihren Pfadabhängigkeiten analysierte. „Die Herausforderung liegt nicht nur in der Umstellung von Computern und Netzwerken, sondern auch im Heranziehen eines ‚offenen’ Systems wie Linux“, verdeutlicht Dobusch. Erst die Offenheit des Software-Quellcodes machte Linux überhaupt zu einer attraktiven Alternative zu Windows, weil damit keine neuerliche Herstellerabhängigkeit eingegangen wurde. „Offenheit als Organisationsprinzip kristallisierte sich daher in weiterer Folge als Kernpunkt meines Forschungsinteresses heraus. Von der kleinen Firma bis zur Stadtverwaltung – Offenheit und Transparenz sind zu wesentlichen und umkämpften Aspekten organisationaler Strukturen und Prozesse geworden.“
Wissen für alle?
Wikipedia gilt als eines der berühmtesten Beispiele für Offenheit auf verschiedenen Ebenen: Das in der Online-Enzyklopädie gesammelte Wissen ist nicht nur für alle zugänglich, sondern wird auch „von allen“ erstellt. Zumindest theoretisch, wie Dobusch erläutert: „Wenn man sich ansieht, wer dann aber tatsächlich für die Enzyklopädie Beiträge erstellt und erweitert, ergibt sich dennoch ein relativ homogenes Bild: weiß, mittleren Alters, männlich. Die Wikimedia Foundation hat außerdem seit Jahren mit einer schwindenden Zahl von Beitragenden zu kämpfen.“ Bei der Analyse dieses Verhältnisses zwischen einer formalen Organisation, die auf Freiwillige angewiesen ist, und informellen Online-Communities greift Dobusch auch auf seine rechtswissenschaftliche Expertise zurück. „Gerade im Bereich des freien Zugangs zu Wissen spielen Fragen des Urheberrechts und des Einsatzes offener Urheberrechtslizenzen wie Creative Commons eine zentrale Rolle.“ Der Wissenschaftler macht am Beispiel der Wikipedia aber auch grundsätzlich neue Management-Herausforderungen fest: „Wie gehe ich als Organisation damit um, wenn es eine formale Hierarchie und die damit verbundenen Steuerungsmechanismen einfach nicht gibt?
Diskurse
„Open“ ist ein Schlagwort, das in den letzten Jahren in verschiedenste gesellschaftliche Bereiche vorgedrungen ist: Open Strategy, Open Knowledge, Open Access oder Open Educational Resources, also offen lizenzierte Lehr- und Lernunterlagen. Dementsprechend breit gefächert sind auch die gegenwärtigen Interessensgebiete Dobuschs, die er künftig in Forschung und Lehre an der Uni Innsbruck etablieren möchte. Dass er sich mit diesen Themenbereichen auch auf dem politischen Parkett bewegt, ist dem Wissenschaftler durchaus bewusst, ja sogar erwünscht. „Sozialwissenschaftliche Fragen sind immer auch politische Fragen. Ich suche mir bewusst Themen aus, die ich für gesellschaftlich relevant erachte und bringe mich aktiv in den öffentlichen Diskurs ein. Dabei sehe ich keineswegs nur Probleme, sondern vor allem auch Potenziale: Gerade im Bereich des offenen Zugangs zu Bildung und Wissenschaft werden die großen Chancen und Vorteile der Kombination digitaler Technologien mit offenen Lizenzen einfach oft noch verkannt“, ist Dobusch überzeugt.
Zur Person:
Leonhard Dobusch (*1980) promovierte nach Abschluss der Studien der Betriebswirtschaft (2003) und der Rechtswissenschaften (2004) in Linz an der Freien Universität Berlin zum Thema „Weg vom Windows-Pfad? Vier Städte zwischen Markt, Technologie und Organisation“. Nach Forschungsaufenthalten am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung Köln, an der Stanford Law School sowie an der Wirtschaftsuniversität Wien war er von 2012 bis 2016 als Juniorprofessor für Management am Management-Department der Freien Universität Berlin tätig. Im Februar 2016 folgte Leonhard Dobusch dem Ruf nach Innsbruck.
Dobusch bringt sich regelmäßig in Gastbeiträgen und Kommentaren (z.B. „Die Zeit“, „Süddeutsche Zeitung“) in öffentliche Diskurse ein. Als Mitgründer der Momentum-Kongressreihe versucht er außerdem wissenschaftliche Ideen mit politischer Praxis zusammenzubringen. Er betreibt ein privates Blog sowie ein englischsprachiges Forschungsblog und äußert sich als regelmäßiger Autor auf netzpolitik.org zu verschiedenen netzpolitischen Themen und digitalen Rechtsfragen. Auf Twitter ist der Wissenschaftler als @leonidobusch aktiv.