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Hell Silvia: Kirche und Rechtfertigung
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Kirche und Rechtfertigung

Autor:Hell Silvia
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2008-10-01

Inhalt

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1. Anliegen des Dokuments KuR[1]

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Die Rechtfertigungslehre ist in der evangelischen Theologie, so betont das bereits 1993 erschienene und 1994 in der vorliegenden Ausgabe veröffentlichte Dokument KuR (d.h. 6 bzw. 5 Jahre vor der offiziellen Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre 1999 in Augsburg), nicht nur ein Kriterium neben anderen.[2] Alles, was den christlichen Glauben ausmacht, soll deshalb mittels der Rechtfertigungslehre gedeutet werden. Die Praxis, die Strukturen und die Theologien der Kirche haben sich daran zu messen, "inwieweit sie die Verkündigung der freien und gnädigen Verheißungen Gottes in Christus Jesus, die allein durch den Glauben recht empfangen werden können, fördern oder hindern" (Nr. 2). Ein wenn auch noch so differenzierter Konsens in der Rechtfertigungslehre hätte sofort ekklesiologische Konse­quenzen. Die Verfasser von KuR wollen die Zusammengehörigkeit von Rechtfertigungslehre und Ekklesiologie herausstellen. Denn auch für die Kirche gilt, dass sie als Gemeinschaft der Gläubigen "nicht aus sich selbst, sondern ganz und gar aus der Gabe Gottes" (Nr. 116) lebt.

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Von katholischer und evangelischer Seite gibt es bezüglich der Verhältnisbestimmung von Rechtfertigung und Kirche kritische Anfragen: "Katholiken fragen, ob das lutherische Verständnis von Rechtfertigung nicht die Wirklichkeit der Kirche schmälere; Lutheraner fragen, ob das katholische Verständnis von Kirche nicht das Evangelium, wie die Rechtferti­gungslehre es expliziert, verdunkle" (Nr. 166). Es muß sowohl die heilsvermittelnde Rolle der Kirche (bes. katholisches Anliegen) als auch die Priorität der Rechtfertigungsbotschaft (des Evangeliums), der die Kirche dienend untergeordnet ist (bes. evangelisches Anliegen), gewahrt bleiben. Entscheidend ist die Art und Weise der Verhältnisbestimmung von Rechtfertigung und Kirche.

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2. Gemeinsame Grundüberzeugungen

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2.1 Trinitarische Dimension der Kirche

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Sowohl die Rechtfertigung des Sünders als auch die Existenz der Kirche haben ihre Wurzel in der Trinität: "Beides [die Rechtferti­gung und die Kirche] weist uns in das Mysterium des dreifaltigen Gottes ein und ist somit Mysterium, Geheimnis des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe" (Nr. 5). Rechtfertigung und Kirche gründen in der Sendung des Sohnes und des Heiligen Geistes. "Das Christus- und Trinitätsgeheimnis ist der Grund für dieses unverdiente Gnadengeschenk der Rechtfertigung und der Kirche..." (Nr. 8).

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Die Kirche hat ihren einzigen Grund in Jesus Christus. In ihm verwirklichen sich die alttestamentlichen Verheißungen. In ihm kommt die Bundestreue Gottes, der von Anfang an an seinem Heilswil­len gegen alle Untreue der Menschen festhält, zur Vollendung. In groben Linien wird in KuR die heilsgeschichtliche Kontinuität, die in Christus ihren Höhepunkt findet, nachgezeichnet.

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Die christologische Sicht ist dabei zutiefst von einer trinitarischen geprägt: "Jesu gesamtes Wirken ist vom Geheimnis der Trinität bestimmt und durchdrungen: Es erfolgte stets im Gehorsam gegenüber dem Vater, der ihn gesandt hat (vgl. Joh 5,19). Es war zugleich von der Vollmacht und Kraft des Heiligen Geistes erfüllt, durch den Jesus seine Existenz hatte (vgl. Lk 1,35), der ihn von der Taufe an als Sohn Gottes ausgewiesen hat (vgl. Lk 3,22) und ihn seit der Auferstehung von den Toten als Sohn Gottes in Macht eingesetzt hat (vgl. Röm 1,4). Als Lobpreis des ein für allemal geschehenen Heilswerkes ist das trinitarische Glaubensbekenntnis somit schon in der Urgestalt des Christusbekenntnisses mit angesetzt" (Nr. 12).

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Die Gründung der Kirche wurzelt im Christusgeschehen und damit im Geheimnis der Trinität. Gott läßt die Kirche "an seinem dreifaltigen Leben teilhaben: Kirche ist Gottes eigenes Volk, Leib des auferstandenen Christus selbst, Tempel des Heiligen Geistes...; ...die Einheit oder Gemeinschaft (koinonia / communio) der Kirche hat an der Einheit des dreieinigen Gottes teil und spiegelt diese wider..." (Nr. 49).

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Die trinitarische Begründung der Kirche darf, so wird in KuR betont, nicht falsch verstanden werden: "Daß sie [die Kirche] im Leben des dreieinigen Gottes selbst verankert ist, bedeutet nicht, daß ihr damit ihre menschliche Dimension abgespro­chen und der Weg zu ekklesialer Anmaßung freigegeben wird. Wohl aber wird damit ein Verständnis von Kirche unmöglich, das dahin neigt, sie nur oder primär als gesellschaftliches Phänomen auf seiten der Menschen zu sehen" (Nr. 49). Weder eine ekklesiale Überhöhung noch eine Reduktion auf eine bloß soziologische Wirklichkeit werden der theologischen Bedeutung der Kirche gerecht.

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2.2 Die Kirche als trinitarisch begründete koinonia / communio

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Die Kirche wird in KuR verstanden als koinonia, die in der trinitarischen koinonia gründet. Dies beschreiben die biblischen Ausdrücke Gottesvolk, Leib Christi und Tempel des Heiligen Geistes. Die zahlreichen Schriftstellen, die in diesem Zusammenhang angeführt werden, wollen die Schriftgemäßheit dieses Kirchenverständnis­ses untermauern. Dass die Kirche als koinonia in der trinitarischen koinonia wurzelt, zeigt und verwirklicht sich "in der Verkündigung des Evangeliums, in der Taufe und im Herrenmahl" (Nr. 66). "Die Taufe im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes (vgl. Mt 28,19) führt in die Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott und die Teilhabe an seinen Segnungen hinein und fügt dadurch die Gläubigen auch untereinander zu einer Gemeinschaft zusammen" (Nr. 68). "Durch die Danksagung (eucharistia) an den Vater, das Gedächtnis (anamnesis) Christi und die Anrufung (epiklesis) des Heiligen Geistes bringt die Feier des Herrenmahls die Gläubigen in die Gegenwart und Gemeinschaft des dreieinigen Gottes" (Nr. 69).

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Die Kirche hat zwar schon jetzt an der koinonia des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes teil, sie ist aber noch im Zustand der "Vorläufigkeit und Gebrochenheit" (Nr. 73), d.h. in Erwartung der noch endgültig ausstehenden Erfüllung.

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2.3 Die Kirche als Geschöpf des Evangeliums

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Die Bezeichnung der Kirche als Geschöpf des Evangeliums stammt aus der evangelischen Tradition. Luther hat die Kirche ausdrücklich als "creatura Evangelii" bezeichnet.[3] Das Evangelium ist Wort Gottes. Als Wort Gottes ruft es Menschen "in die Nachfolge Christi" und " läßt die Kirche entstehen" (Nr. 34). "Dem hörbaren Wort der Evangeliums­verkündigung stehen Taufe und Herrenmahl als sichtbare Mittel des Heilswirkens Gottes und der Sammlung seines Volkes zur Seite..." (Nr. 35). Das Evangelium umfaßt dabei mehr als nur die hörbare Verkündigung. Es umfaßt auch die sakramentale Dimension. "Auch wenn die Reformatoren die Wichtigkeit der Wortverkündigung besonders betonten, hielten sie daran fest, daß das Evangelium zugleich durch die Sakramente vermittelt wird und daß das gepredigte Wort und die gespendeten Sakramente zusammenge­hören" (Nr. 39).[4] Für die Kirche folgt daraus: "Kirche lebt aus dem Evangelium, das in Wort und Sakrament zugesprochen und durch den Glauben angenommen wird" (Nr. 39). Priorität kommt dem Evangelium zu. Die Kirche im allgemeinen und deren Verkündiger (Amtsträger) im besonderen stehen in seinem Dienst. Das im Konsenspapier angeführte Zitat aus dem Apostolischen Schreiben "Evangelii nuntiandi" (1975) unterstreicht dies auch von katholischer Seite: "Die Kirche entsteht aus der Evangelisierung durch Jesus und die Zwölf... Geboren folglich aus der Sendung, ist die Kirche ihrer­seits durch Christus gesandt... Selber gesandt und für das Evangelium gewonnen, entsendet die Kirche Glaubensboten... Sie sollen nicht ihre eigene Person oder ihre persönlichen Ideen predigen, sondern ein Evangelium, dessen absoluter Herr und Besitzer weder jene [sc. die Kirche] noch sie selber sind, um darüber nach ihrem eigenen Gutdünken zu verfügen, wohl aber sind sie dessen Diener, um es in vollkommener Treue weiterzugeben" (Nr. 37).

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2.4 Kirche als Empfängerin und Vermittlerin des Heils

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Da die Kirche an der trinitarischen koinonia teilhat, ist sie zum einen Empfängerin, zum anderen Vermittlerin des Heils. Beide Aspekte gehören zusammen. Es sind zwar faktisch unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt worden: Aus evangelischer Sicht wird die Kirche vor allem als Empfängerin des Heils beschrieben, aus katholischer Sicht vor allem als Vermittlerin des Heils. Der eine Schwerpunkt darf aber nicht gegen den anderen ausgespielt werden.

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Wenn die Kirche als Empfängerin des Heils bezeichnet wird, ist damit gesagt, dass die Kirche ihr ganzes Sein und Leben von Christus erhält. Sie ist sein Leib. Er ist es, der sie "durch seinen Heiligen Geist erneuert, heiligt und leitet" (Nr. 110). Die Kirche ist somit ganz und gar Gabe, "weil sie vom Geist Gottes und von dem in ihr gegenwärtigen Herrn lebt" (Nr. 110). Der Blick ist dabei auf das Wort Gottes gerichtet, auf die Verkündigung des Evangeliums und auf die Feier der Sakramente. Wird die Kirche als Empfängerin des Heils bezeichnet, ist damit nicht die Heilsnotwendigkeit der Kirche in Frage gestellt. Denn die Kirche ist Ort der wirkmächtigen Zusage des Heils.

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Wenn die Kirche als Vermittlerin des Heils bezeichnet wird, ist damit gesagt, dass das Evangelium die Kirche in den Dienst heilswirksamer Vermittlung nimmt: "Das Evangelium, durch das die Kirche geschaffen wurde und lebt, wird in zweifacher Weise äußerlich-leibhaft vermittelt: worthaft und sakramental. [...] Das Verkündigungswort ist hörbares Zeichen, die Sakramente sind sichtbares Wort" (Nr. 118). Ausgeschlossen wird ein bloß äußeres Informieren über das Heil. Auf das Heil wird nicht nur verwiesen, es wird auch nicht bloß darüber informiert, "sondern das Evangelium trifft so als gegenwärtig wirksam von außen her und leibhaftig die Menschen im Innersten, bringt sie zum Glauben, rechtfertigt und heiligt sie" (Nr. 118).

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Die Rolle der Kirche als Vermittlerin des Heils schlägt sich vor allem in der katholischen Rede von der Kirche als "Sakrament" nieder. Damit ist das Empfängerin-Sein der Kirche nicht außer Kraft gesetzt. "Mit dem Begriff des ‚Sakramentes' als Zeichen und Werkzeug des Heils werden die universale Sendung der Kirche und ihre radikale Christusabhängigkeit zum Ausdruck gebracht. So wird deutlich, dass weder der Grund der Kirche noch ihr Ziel in ihr selbst liegen, sie also nicht aus sich und für sich existiert. "Nur in und durch Christus, nur im und durch den Heiligen Geist ist die Kirche heilsmittlerisch wirksam" (Nr. 122). In diesem Zusammenhang wird auf die Analogizität des Sakramentenbegriffs aufmerksam gemacht. Auch im katholischen Glaubensdenken wird der Sakramenten­begriff analog auf die Kirche angewandt (Nr. 123). "Analog" heißt, dass es eine Entsprechung zwischen zwei Wirklichkei­ten gibt, die Unähnlichkeit aber bei weitem größer ist als die ausgesagte Ähnlichkeit (vgl. NR 280, DH 806). Wird die Kirche "Sakrament" genannt, dann ist dies nur unter Wahrung der Analogizität möglich. Nur analog zu Taufe und Abendmahl kann die Kirche "Sakrament" genannt werden. Zwischen äußerer, sichtbarer Struktur und verborge­ner geistlicher Wirklichkeit besteht eine Spannung, die die Bezeichnung "Sakrament" verdeutlicht. Damit darf allerdings die Priorität des Heilsempfangs nicht aufgehoben werden.

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Kann die Sakramentalität der Kirche zwar unter bestimmten Voraus­setzungen anerkannt werden, so erfährt die Rede von den "Einzelsakramen­ten" als "Selbstvollzügen" der Kirche heftige Kritik. Es könnte, so wird eingewandt, der Blick auf den Heilsempfang verdunkelt werden: "...in ihnen [den Einzelsakramenten] vollzieht nicht die Kirche ihr eigenes Sein, sondern sie empfängt das Heil von Christus, und nur als empfangende vermittelt sie das Heil" (Nr. 128).

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Die heilsvermittelnde Rolle der Kirche wird auch gern mit dem Begriff "Leib Christi" umschrieben. Auch hier gilt es, die darin enthaltene Spannung durchzuhalten, nämlich die zwischen Haupt und Leib Christi: "Somit zeigt sich noch einmal, daß die Kirche nicht einfachhin mit Christus identifiziert werden darf, obwohl sie sein Leib ist" (Nr. 124). Christus nimmt die Kirche als seinen Leib zur Vermittlung des Heils in seinen Dienst. Eine Totalidentifikation zwischen Christus und Leib der Kirche würde zu eine ekklesialen Überhöhung führen und die eschatologische Spannung zwischen dem Schon und Noch Nicht aufheben. Die Aussage, dass die Kirche stets der Erneuerung bedarf, wäre dann ein theologischer Unsinn.

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Das Gegenteil einer Totalidentifikation wäre eine Trennung von Haupt und Leib. Auch das wird in KuR entschieden abgelehnt. "Haupt und Leib sind zu unterscheiden, aber keineswegs zu trennen..." (Nr. 132).

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Die Kirche ist, so können wir festhalten, sowohl Empfängerin als auch Vermittlerin des Heils. Letzteres gilt auch für die evangelische Tradition. Auch sie sagt, dass das heilvermittelnde Handeln der Kirche und das heilschaffende Handeln Gottes zusammen­gehören. Sie betont aber sogleich, dass es Christus ist, der durch das heilvermittelnde Handeln der Kirche handelt: "Zwar ist es die Kirche, die dem Glaubenden die Heilsteilhabe vermittelt; aber es ist nicht sie, sondern allein Christus, der der Welt das Heil erwirkt hat und den Glaubenden durch Wort und Sakrament die Teilhabe an diesem Heil schenkt" (Nr. 127). Zu beachten ist der Unterschied zwischen heilschaffendem (betr. Gott) und heilvermittelndem Handeln (betr. Kirche).

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2.5 Die Kirche als antizipatorische Wirklichkeit im Span­nungsverhältnis von Heiligkeit und Sündhaftigkeit

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Antizipation meint Vorwegnahme. Die Kirche steht in der eschatolo­gischen Spannung zwischen dem Schon und Noch Nicht. Vorwegnehmend erwartet sie, "was ihr tiefstes Sein und die Quelle ihres Lebens ist" (Nr. 72). Die Kirche ist pilgernde Kirche. Sie hat als pilgernde Kirche an der trinitarischen koinonia in Vorläufigkeit und Gebrochenheit teil (Nr. 73).

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Wird die antizipatorische Wirklichkeit der Kirche ernst genommen, stellt sich die Frage nach ihrer Heiligkeit und Sündhaf­tigkeit. Gemeinsam ist den Konfessionen das Bekenntnis zur Heiligkeit der Kirche. Die Kirche ist "heilig", insofern sie in der Heiligkeit des dreieinigen Gottes wurzelt (Nr. 149). Sie ist heilig "durch die gnädige Erwählung und die Treue Gottes", "durch das Erlösungswerk Christi" und "durch die Gegenwart des Heiligen Geistes" (Nr. 148). In diesem Sinn ist die Heiligkeit der Kirche, weil in der Heiligkeit des dreieinigen Gottes verwurzelt, unzer­stör­bar.

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Dass die Gläubigen als Glieder der Kirche in einem beständigen Kampf gegen die Sünde stehen, ist beiden Konfessionen klar. Das Zweite Vatikanische Konzil sagt ausdrücklich, dass die Kirche Sünder in ihrem eigenen Schoß umfaßt und dass sie zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig ist (LG 8). Den Ausdruck "sündige Kirche" gebraucht das Konzil allerdings nicht. Der Grund dafür mag eine unterschiedliche Einschätzung der konkreten institutionellen Verfaßtheit der Kirche sein. Darauf wird noch näher einzugehen sein. Als gemeinsame Grundüberzeugung wird in KuR auf eine Unter­scheidung hingewiesen: auf die Unterscheidung zwischen "Lehre" und "Leben" der Kirche (ev.) und auf diejenige zwischen dem von der Kirche auszulegenden "Glaubensschatz" und den einzelnen "Gliedern" der Kirche (kath.).

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Die für die evangelische Tradition wichtige Unterscheidung zwischen "Lehre" und "Leben" der Kirche besagt, dass unter "Lehre" die Verkündigung des Evangeliums zu verstehen ist, die Gottes eigenes Wort enthält, das ohne Sünde ist, und dass das "Leben" der Kirche sich nicht ohne Sünde abspielt.

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Die für die katholische Tradition wichtige Unterscheidung zwischen "Glaubensschatz" und den einzelnen "Gliedern" der Kirche besagt, dass der Glaubensschatz auf die göttliche Stiftung in Jesus Christus zurückgeht und als solcher unveränderlich ist und dass die einzelnen Glieder sehr wohl stets der Sündenvergebung und Erneue­rung bedürfen (Nr. 159).

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3. Unterschiedliche Sichtweisen

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Das Anliegen des Konsenspapiers ist es, das Gemeinsame herauszust­reichen. Unterscheidendes wird zwar genannt, aber nicht als grundsätzlich unvereinbar mit den Anliegen der anderen Kirche betrachtet.

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3.1 Die institutionelle Kontinuität der Kirche

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Es braucht strukturelle und institutionelle Gegebenheiten, die der Kontinuität der Gemeinschaft der Kirche dienen, indem sie ihr kontinuierlichen Bestand verleihen. Anerkannt wird, dass es von Gott gesetzte Mittel und Zeichen der Kontinuität der Kirche gibt wie z.B. die apostolische Verkündigung, die Sakramente der Taufe und des Herrenmahls und den bevollmächtigten "Dienst der Versöhnung" (Nr. 178). Verwiesen wird auf die geschichtlich bedingte Ausgestal­tung, die die mit der Kirche gesetzten Gegebenheiten im Laufe der Geschichte erfahren haben (Nr. 179).

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Das Konsenspapier argumentiert hier äußerst vorsichtig. Die zwischen den Kirchen kontroversielle Problematik wird nur sehr allgemein und vage angeschnitten. Geschweige denn, dass gesagt wird, welche "Mittel und Zeichen institutioneller Kontinuität" man denn nun tatsächlich im Auge hat. Deutlich jedoch wird, dass diese "ihre dienende Zuordnung zum Evangelium" (Nr. 181) nicht verlieren dürfen, "auch dann nicht, wenn man meint, ihnen kirchliche Unabdingbarkeit und Verbindlichkeit zusprechen zu müssen" (Nr. 181). "Aus lutherischer Sicht ergeben sich wesentliche Fragen an die katholische Auffassung erst dort, wo die von Gott geschenkte unzerstörbare Heiligkeit der Kirche und das von ihm der Kirche verheißene Bleiben in der Wahrheit in bestimmten kirchlichen Gegebenheiten derart definitiv festgelegt sind, daß diese der Möglichkeit kritischer Befragung entzogen scheinen. Diese lutheri­sche Anfrage richtet sich vor allem an bestimmte, dem Heil und der Heiligung der Menschen dienende Ämter und Entscheidungen der Kirche, sofern ihnen der Beistand des Heiligen Geistes in einer Weise zugesprochen wird, daß sie als solche menschlicher Irrtumsfä­higkeit und Sündigkeit und damit auch der Notwendigkeit der Überprüfung nicht zu unterliegen scheinen" (Nr. 160).

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3.2 Das kirchliche Amt

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Gerade hier werden Fragen aufgeworfen, die zeigen, dass es noch immer Schwierigkeiten gibt. Bevor aber diese genannt werden, wird versichert, dass auch nach evangelischer Tradition kein Widerspruch existiert "zwischen der Rechtfertigungslehre und dem Gedanken eines von Gott eingesetzten und für die Kirche notwendigen ordinierten Amtes" (Nr. 185). Das Amt ist, so lautet die gemeinsame Grundüber­zeugung, bleibend konstitutiv für die Kirche (Nr. 186).

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Kontroversielle Schwierigkeiten tauchen bei der Beurteilung der geschichtlich gewordenen Ausgestaltung des kirchenleitenden Amtes auf. Für die Lutheraner ergeben sich dann Probleme, wenn diese zum Maßstab für das Vorhandensein von Kirche wird (Nr. 192). Im Auge hat das Konsensdokument das in historischer Sukzession stehende Bischofsamt. Auch nach lutherischer Auffassung wird das in historischer Sukzession stehende Bischofsamt nicht als eine "rein innergeschichtliche, nur durch soziologische und politische Faktoren ausgelöste und bestimmte Entwicklung" (Nr. 191) betrach­tet. Es ist ausdrücklich von einer Entwicklung "unter dem Beistand des Heiligen Geistes" die Rede. Und trotzdem wird davor gewarnt, gewordene Strukturen in den Rang von etwas Heilsnotwendigem zu erheben. Dadurch würde die Bedingungslosigkeit der Heilsgabe und des Heilsempfangs gefährdet: "...diese Bedingungslosigkeit schließt ein, daß allein das, was nach biblischem Zeugnis von Jesus Christus selbst als Mittel zum Heilsempfang vorgegeben ist, als notwendig für das Kirchesein der Kirche betrachtet werden darf. Werden hingegen im Laufe der Geschichte gewordene kirchliche Strukturen in diesen Rang erhoben, so werden sie zu Voraussetzungen des Heilsempfanges und geraten so aus lutherischer Sicht in illegitimer Weise auf dieselbe Ebene mit dem für Heil und Kirche allein notwendigen, in Predigt und Sakramenten verkündigten Evangelium" (Nr. 192).

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Nach katholischer Auffassung ist in der geschichtlich gewordenen Aufgliederung des Amtes der göttliche Wille zu erkennen. Dementsprechend ist von "göttlicher Einsetzung" die Rede: "Bi­schofsamt und apostolische Sukzession als geordnete Weitergabe des ordinierten Amtes haben sich unter der Wirkung des Heiligen Geistes innerhalb der apostolischen Überlieferung als Ausdruck, Mittel und Kriterium der Kontinuität der Überlieferung in der nachapostoli­schen Zeit voll herausgebildet. So sind die Bischöfe durch Gottes lenkende und leitende Vorsehung (‚divina ordinatione') ‚aufgrund göttlicher Einsetzung' an die Stelle der Apostel nachgefolgt" (Nr. 195).

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Nach evangelischer Auffassung ist das Amt, wie es sich im Laufe der Zeit herausgebildet hat, im besonderen das Bischofsamt, zwar nicht bloß rein innergeschichtlich (soziologisch, politisch usw.) zu verstehen, aber auch nicht als heilsnotwendig.

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Der Unterschied zwischen katholischer und evangelischer Auffassung besteht somit in einer unterschiedlichen theologischen und ekklesiologischen Bewertung des Bischofsamtes. Für Katholiken ist das Bischofsamt "notwendig" und "unverzichtbar" (Nr. 197), für Lutheraner hingegen nur "wichtig", "sinnvoll" und "wünschenswert". Kirche und Rechtfertigung werden einander jeweils verschieden zugeordnet (vgl. Nr. 198).

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Nach lutherischem Verständnis ist es allein das in Wort und Sakrament verkündigte Evangelium, das die Rechtfertigung bewirkt. Das Amt dient der Verkündigung des Evangeliums, insofern ist es wichtig, heilsnotwendig ist jedoch einzig das Evangelium.

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Nach katholischem Verständnis ist das in apostolischer Sukzession stehende Bischofsamt unter der Rücksicht der objektiv-ekklesiologischen Sicht der Kirche notwendig und unverzichtbar. Unter der Rücksicht der subjektiv-personalen Sicht ist es das nicht. Notwendig und unverzichtbar ist das Bischofsamt, weil es im Dienst am heilsnotwendigen Evangelium steht und die Kirche dadurch als Empfängerin und Vermittlerin des Heils ausweist. Nicht heilsnotwendig ist das Bischofsamt in bezug auf den einzelnen Menschen (subjektiv-personale Sicht). Letzteres geht aus den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils hervor: Wäre dem nicht so, wäre nicht verständlich, wieso das Konzil auch in nichtkatholi­schen Kirchen und Gemeinschaften, ja sogar bei denen, die das Evangelium ohne ihre Schuld nicht kennen, Gottes Heilswirken annimmt.

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Probleme gibt es dort, wo dem, was gut und nützlich ist, "ekklesiale Notwendigkeit im strengen Sinn" (Nr. 200) zugesprochen wird und wo die alleinige Heilsnotwendigkeit des Evangeliums in Frage gestellt zu sein scheint (vgl. Nr. 200).

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Probleme gibt es auch bezüglich der in der römisch-katholi­schen Kirche anzutreffenden Aussage vom "defectus" des Weihesakra­mentes:[5] Weil das Weihesakrament fehle bzw. - wie es eigentlich heißt - nur mangelhaft ausgeprägt sei ("defectus"), sei die ursprüngliche und vollständige Wirklicheit des eucharistischen Mysteriums bei den nichtrömisch-katholischen kirchlichen Gemein­schaften nicht bewahrt. Kritisch angefragt wird, ob das Bischofsamt und die historische Sukzession dadurch nicht geradezu den Charakter der Heilsnotwendigkeit bekommen und dadurch dann tatsächlich im Widerspruch zur Rechtfertigungslehre stehen würden (vgl. Nr. 203). "Hier ist katholischerseits darauf hinzuweisen, daß auch eine am Sukzessionsbegriff orientierte Ekklesiologie, wie sie in der katholischen Kirche gilt, keineswegs Heil schaffende Gegenwart des Herrn im lutherischen Abendmahl leugnen muß" (Nr. 203). Wünschens­wert wäre eine deutlichere Klärung dessen, was jeweils "notwendig" bedeutet.

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3.3 Verbindliches Lehren

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Gemeinsam ist beiden Kirchen die Überzeugung, dass es Auftrag der Kirche ist, "die Wahrheit des Evangeliums zu wahren und den Irrtum zurückzuweisen" (Nr. 207). Den Bischöfen kommt dabei auch nach evangelischer Auffassung "eine besondere Lehrverantwortung" ( Nr. 209) zu. Aufgrund der damaligen geschichtlichen Situation wurde allerdings in den meisten Kirchen der Reformation die bischöfliche Verfassung nicht bewahrt. Die Bischöfe des 16. Jahrhunderts waren nicht bereit, die Reformation zu unterstützen.[6] Das hatte zur Folge, dass sich innerhalb des Rahmens des landesherrlichen Kirchenregiments andere Einrichtungen herausbildeten, die sich für die gemeindeüber­greifende Lehraufsicht verantwortlich erklärten: Superintendenten, Visitatoren bzw. Visitationskommissionen (Nr. 209). Heute sind es Bischöfe, Synoden und Kirchenleitungen, "an denen kirchliche Amtsträger, Gemeindeglieder und theologische Lehrer gemeinsam beteiligt sind" (Nr. 209).

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Kritisiert wird von evangelischer Seite, dass sich in der katholischen Kirche die der ganzen Kirche verheißene Irrtumslosig­keit auf die Bischöfe und den Papst verlagern (Nr. 210). "...sofern dieses Amt [das kirchliche lehramt] - wie jede kirchliche Institu­tion - irrtumsfähige Menschen als ihre Träger hat, wäre damit nicht nur die Gefahr des Irrtums potenziert, weil der Irrtum dann den Charakter kirchlicher Verbindlichkeit annähme; zugleich und vor allem aber kämen den Entscheidungen und Bestimmungen dieses Amtes und seiner Träger jene Souveränität und Letztverbindlichkeit zu, die allein dem Evangelium vorbehalten ist" (Nr. 212). Das einzige Kriterium kirchlicher Lehre, so wird evangelischerseits betont, ist die "Evangeliumsgemäßheit" (Nr. 214). Die Entscheidungen des kirchlichen lehramtes müssen "grund­sätzlich für eine Überprüfung durch das ganze Volk Gottes offen­bleiben" (Nr. 213).

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Nach katholischer Auffassung sind die Bischöfe zusammen mit dem Bischof von Rom die authentischen Lehrer des Glaubens. Eingebettet ist ihr lehramt in das Glaubensleben des ganzen Gottevolkes (vgl. Nr. 216). Der Episkopat als ganzer ist bleibend in der Wahrheit des Evangeliums gehalten. Dies gilt auch dann, wenn einzelne Bischöfe aus der Kontinuität des apostolischen Glaubens herausfal­len (vgl. Nr. 217). Kriterium sind der Kanon der Schrift und die apostolische Überlieferung (vgl. Nr. 217).

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In einer sehr behutsamen Weise geht das Konsensdokument auf den lehramtlichen Entscheidungsprozeß ein: Nach katholischem Glaubensverständnis wird im Konsens eines Konzils das Evangelium ausgelegt, in besonderen Fällen kann eine letztverbindliche Aussage (Dogma) vorliegen, "auf die sich das Glied der Kirche als Aus­drucksgestalt des Evangeliums verlassen darf" (Nr. 220). Zugleich wird gesagt, dass auch nach katholischem Verständnis eine dogmati­sche Aussage "keine unhinterfragbare Größe" darstellt (Nr. 221), d.h. dass es einen Fortschritt in der Überlieferung gibt sowie einen gemeinsamen Prozeß der Wahrheitssuche.

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Die Problematik lehramtlicher Entscheidungen des Papstes, die er aufgrund höchster apostolischer Autorität trifft und die ex sese Gültigkeit haben, wird hier nicht thematisiert.

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Für beide Kirchen gilt, dass verbindliches Lehren nicht der Rechtfertigungslehre widerspricht. Die Frage ist nur, wie jeweils die Wahrheit des Evangeliums zur Geltung gebracht wird. Während Lutheraner deutlich zwischen "Verbindlichkeitsanspruch" und "Verbindlichkeitsvorbehalt" unterscheiden, fragen Katholiken kritisch an, ob dadurch die Wahrheit des Evangeliums nicht relativiert werde (vgl. Nr. 222). Allerdings wissen auch die Katholiken "um die Vorläufigkeit menschlicher Wahrheitserkenntnis, selbst in letztverbindlichen Entscheidungen des kirchlichen lehramtes" (Nr. 222).

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Kirchliche Rechtssatzungen, die es in beiden Kirchen gibt, dürfen, so die gemeinsame Überzeugung, keinen Verbindlichkeitsan­spruch erheben, der die Heilsnotwendigkeit und damit die Letztver­bindlichkeit des Evangeliums in Frage stellen würde (Nr. 228). Dass dem Amt jurisdiktionelle Funktion zukommt, ist auch nach evangeli­scher Auffassung unbestritten. Aber auch hier stellt sich die Frage nach der Art und Weise der Ausübung. "Das kirchliche Amt als Hirtenamt schließt - nach reformatorischer Auffassung - jurisdik­tionelle Funktionen ein, allerdings derart, daß sich diese nicht verselbständigen, sondern in die gesamte pastorale Verantwortung des Amtes eingebunden bleiben und damit ihren pastoralen Charakter wahren" (Nr. 231). Die kirchenrechtlichen Bestimmungen müssen sich am Evangelium ausrichten. Wenn bestimmte kirchliche Bestimmungen als "heilsnotwendig" deklariert werden, sehen die Evangelischen darin einen Widerspruch zur Rechtfertigungslehre.

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Für die römisch-katholische Kirche bedeutet die kritische Anfrage von evangelischer Seite, darüber nachzudenken, wie konkrete kirchliche Strukturen (Amt, Lehrentscheidungen, u.ä.) aussehen müssen, um die absolute Priorität der göttlichen Gnade (um die es bei der Rechtfertigung in Wort und Sakrament geht) zu wahren, zu verdeutlichen und erfahrbar zu machen. Die Frage nach dem Verhältnis von Rechtfertigung und Kirche spitzt sich in der nach dem Amt zu. Die in KuR aufgeworfenen Fragen werden uns im ökumenischen Dialog noch lange beschäftigen.

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[1] Gemeinsame römisch-katholische / evangelisch-lutherische Kommission, Kirche und Rechtfertigung. Das Verständnis der Kirche im Licht der Rechtfertigungslehre. Paderborn 1994 (im folgenden mit KuR abgekürzt, Rechtschreibung der Zitate aus KuR im Original).

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[2] Darauf ist dann in der späteren ‚Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre‘ (1997, Einig im Verständnis der Rechtfertigungsbotschaft? Erfahrungen und Lehren im Blick auf die gegenwärtige ökumenische Situation. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz 19. Bonn 1998, 35-58 ), die 1999 in einem offiziellen Akt in Augsburg feierlich unterzeichnet wurde, entschieden hingewiesen worden: Nr. 18. Vgl. dazu Hell, Silvia: Einig im Verständnis der Rechtfertigung. Auf der Suche nach einem tragfähigen Konsens, in: Die Glaubwürdigkeit christlicher Kirchen. Auf dem Weg ins 3. Jahrtausend. Hg. S. Hell. Mit Geleitworten von Kardinal Dr. Christoph Schönborn und Bischof Dr. Alois Kothgasser. Innsbruck / Wien 2000, 85-113.

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[3] WA 2,430.

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[4] Die Klassifizierung der katholischen Kirche als "Kirche der Sakramente" und der evangelischen Kirche als "Kirche des Wortes" ist ungenau und unzulässig.

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[5] "Obgleich bei den von uns getrennten Kirchlichen Gemeinschaften die aus der Taufe hervorgehende volle Einheit mit uns fehlt und obgleich sie nach unserem Glauben vor allem wegen des Fehlens des Weihesakraments die ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit (substantia) des eucharistischen Mysteriums nicht bewahrt haben, bekennen sie doch bei der Gedächtnisfeier des Todes und der Auferstehung des Herrn im Heiligen Abendmahl, daß hier die lebendige Gemeinschaft mit Christus bezeichnet werde, und sie erwarten seine glorreiche Wiederkunft" (Vat. II, Ökumenismusdekret 22, Hervorheb. S.H.). "Defectus" wird im ‚Kleinen Konzilskompendium‘ (Hg. K. Rahner / H. Vorgrimler) verkürzt mit "Fehlen" und nicht mit "Mangel" übersetzt. Daraus ergeben sich für den ökumenischen Dialog, im bes. für die Amtsthematik entscheidende Konsequenzen. Auf den lateinischen Originaltext wäre Acht zu geben!

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[6] Siehe dazu Lohse, Bernhard: ‚Bischof nach dem Evangelium‘. Zur Frage des Bischofsamtes im deutschen Luthertum, in: Bischofsamt - Amt der Einheit. Ein Beitrag zum ökumenischen Gespräch. Hg. W. Sanders. München 1983, 31-47, hier 35.

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