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Die Unvernünftigen geben auf
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Die Unvernünftigen geben auf

Wie die Buchblogger-Szene sich zuerst emanzipierte und dann trivialisierte. Einige persönliche Bemerkungen zum autodidaktischen Schreiben über Literatur. Von Lothar Struck

Inhaltsübersicht

Wie ich zum Bloggen kam

Provozierend ausführlich

Medienkritik schlägt Literaturkritik

Blogger – ein fragwürdiges Rubrum

Karla Paul als Symptom

Wieso es keine Blurbs von Bloggern gibt

Warum wahres Bloggen anarchisch ist

Die Sache mit den Kommentaren

Rekord-Zugriffszahlen durch Bildblog

Was Peter Handke mir riet

Die hohe Zeit des Bloggens ist vorbei

 

Wie ich zum Bloggen kam [nach oben]

Den Begriff „bloggen“ habe ich ziemlich spät zur Kenntnis genommen. Im Jahr 2005 entdeckte ich Nensch, ein Forum, in dem man Texte zu Kultur, Politik, Wissenschaft sowie Gedichte und Erzählungen publizieren und zur Diskussion stellen konnte. Bedingung war die Kommunikation in Echtnamen, was stichprobenartig auch von den Administratoren, die sich ansonsten heraushielten und einen antiautoritären Stil pflegten, eingefordert wurde. Die Texte wurden zur Abstimmung gestellt – jeder eingeloggte Benutzer[1] konnte dort abstimmen, ob er im jeweiligen Ressort publiziert wird oder gar auf die sogenannte Titelseite kommt. Daneben konnten Kommentare bewertet werden. Wer dauerhaft schlechte Kommentarbewertungen erhielt, musste mit einer befristeten Einlogsperre rechnen. In der Praxis zeigte sich, dass dieses Verfahren nur unzureichend funktionierte. Und trotz Klarnamenpflicht gab es Trolle, die jede Diskussion kippten. Ähnlich schlimm waren die zum Teil oberlehrerhaften, paternalistisch-respektlosen Bemerkungen. Schließlich gab es einige Gestalten, die in öffentlichen Nebenforen über Benutzer in übelster Weise herzogen. Zwar war das Niveau der Beiträge zumeist sehr hoch, aber die meisten Schreiber waren Autodidakten; es war kein wissenschaftliches Forum (auch wenn es zuweilen wissenschaftliche Beiträge gab).

Mit schätzungsweise 40 bis 60 Personen (dabei mehr Nur-Kommentierer als Beitragsschreiber) blieb der Kreis von regelmäßigen Teilnehmern eher überschaubar.[2] Wenn ein Beitrag bei der Abstimmung 12 Stimmen erhielt, wurde er publiziert. Und dies bei geschätzten 100 Millionen Muttersprachlern weltweit.

Irgendwann machte es keinen Sinn mehr, für dieses Forum Beiträge zu schreiben – und so kam ich zum sogenannten Bloggen. Alles geschah zufällig – die Plattform twoday, die ich mir binnen weniger Minuten „aussuchte“, der Name des Blogs und auch das Pseudonym (beides nach Handke-Motiven ausgewählt). Der Versuch mit zwei anderen Nensch-Schreibern eine ähnliche, aber seriösere Plattform zu erschaffen, scheiterte. So blieb ich beim Blog. Irgendwann ging Nensch vom Netz; ein vor zwei Jahren gestarteter Wiederbelebungsversuch kann als gescheitert betrachtet werden.

Ich machte weiter und versuchte ein möglichst breites Spektrum abzudecken: Neben politischen Beiträgen gab es Buch-Rezensionen, manchmal nur Link-Hinweise (die ich bald einstellte, weil die meisten Hinweise schon hinreichend im Netz kursierten). Hatte ich bei Nensch noch das Gefühl, mindestens von einem gewissen Kreis von Personen gelesen zu werden, war dies auf dem Blog anders. Hier hatte – entgegen meiner ersten Euphorie – überhaupt niemand auf meine Texte gewartet. Schnell lernte ich, dass es wenig Sinn macht, sich auf die gängigen Themen zu stürzen, die in der Nachrichtenwelt allüberall thematisiert werden. Für einen eigenen Blog schien es noch wichtiger als in einem Forum, abseitige und dennoch relevante Themen anzureißen. Das galt auch für die Auswahl der Bücher, die man rezensierte. Wer hatte schon auf die 64. Rezension des neuen Grass-Romans gewartet? (Manchmal konnte ich aber nicht widerstehen.)

 

Provozierend ausführlich [nach oben]

Hilfswerkzeuge wie Zähler, die einem Daten übermitteln, wie oft ein Text angeklickt wird (nie zu verwechseln damit, wie oft er gelesen wird) trugen zusätzlich zur Ernüchterung bei. Ein Initiationserlebnis war allerdings der Skandal um die Heine-Preis-Vergabe der Stadt Düsseldorf an Peter Handke 2006. Erst wurde die Preisvergabe skandalisiert, weil Handke skandalisiert wurde, danach wurde die Einflussnahme der Politik auf den Preis skandalisiert. Ich hatte vorher schon mehrere – unpublizierte – Texte zu Handke und dessen Jugoslawien-Komplex geschrieben. Der einheitlichen Berichterstattung setzte ich eine andere Sichtweise entgegen, die um eine ausgewogene Würdigung von Handkes Jugoslawientexten bemüht war. Natürlich hatte dieser Text keinerlei Einfluss auf den Meinungsstrom, rief aber einige Handke-affine Personen auf den Plan.

2007 wurde ich Schreiber beim Online-Magazin Glanz und Elend. Hier gab es Rezensionsexemplare, wobei immer klar war, dass dies keinerlei Einfluss auf den entsprechenden Text haben wird. Herbert Debes, der bis heute dieses Online-Magazin herausgibt, duldete in fast stoischer Gelassenheit alle meine Texte – sogar die 13seitige Besprechung von Littells Die Wohlgesinnten.

Ich bekam nun enorm viele Neuerscheinungen („das könnte doch was Gutes sein“) zugeschickt – mehr als ich lesen konnte und auch wollte. Neben meinem Beruf konnte ich rund 40–50 Bücher pro Jahr lesen und in zuweilen opulent-provozierender Ausführlichkeit besprechen. Meist wurden die Texte parallel auf meinem Blog publiziert; einige veröffentlichte ich unter Klarnamen nur bei Glanz und Elend.

Die Lektüre und das zeitnahe Besprechen der Neuerscheinungen (dank Vorabexemplaren bzw. Fahnen der Verlage häufig gleichzeitig mit dem Feuilleton) zeigte mir in zum Teil frappierender Deutlichkeit die unterschiedlichen Qualitäten der Rezensenten in den gängigen Medien. Zuweilen war überdeutlich, dass der- oder diejenige das Buch oberflächlich oder vielleicht gar nicht gelesen hatte. Die heutzutage scheinbar unerlässlichen Inhaltsangaben orientieren sich oft am sogenannten „Waschzettel“, jener Verlagsbeigabe, die das Buch bewirbt und gelegentlich auch zusätzliche Informationen zum Autor anbietet. Der potentielle Leser, der das Buch ja zum Zeitpunkt der Kritik nicht rezipiert hatte, wird diese Diskrepanzen während oder nach einer Lektüre eher selten bemerken. Er ist zumeist nur noch in der Lage, das Geschmacksurteil des jeweiligen Rezensenten nachzuvollziehen oder abzulehnen. Um die Fehler, die in der Rezension aufgrund mangelhafter Lektüre auftauchen, zu entdecken, müsste er sich die Mühe machen, diese zu analysieren. Dies wird in den meisten Fällen schon aus Zeitgründen unterbleiben. Es ist nicht zuletzt diese Erfahrung, die mich von der Literaturkritik des Feuilletons immer mehr entfremdete.

 

Medienkritik schlägt Literaturkritik [nach oben]

Neben Literaturkritik schrieb ich auf meinem Blog auch Einschätzungen über politische und historische Bücher. Die meiste Aufmerksamkeit erreichte man jedoch mit medienkritischen Beiträgen und Kommentaren auf einschlägigen Webseiten, etwa dem Blog von Stefan Niggemeier. Eine Zeit lang war es sehr interessant, dieser eigentlich kleinteiligen Medienkritik zu folgen und diese selber zu betreiben: Es waren beispielsweise eben nicht mehrere Wahlgänge für einen Bachmannpreisträger nötig (wie fälschlicherweise berichtet). Und Putin saß beim G20-Treffen nicht durchgängig alleine am Tisch, wie dies ein Foto suggerierte.

Kleinteilig ist diese Form der Medienkritik deshalb, weil sie sich auf vermeintlich unwichtige Dinge stürzt, die als archetypisch für den Umgang mit Nachrichten durch Medien gesehen werden können. Das ist augenöffnend und aufklärerisch. Aber wenn es nur dabei bleibt, wird man schnell zum Meckerer. Denn die neutralen medienkritischen Untersuchungen über die großen Ereignisse (wie Kriegsberichterstattungen u. ä.) gab es im Netz nicht. Hier wurde das Feld den Aktivisten bzw. Propagandisten überlassen, die einfach nur die um180 Grad entgegengesetzte Sicht präsentierten. Es blieb bei der (einfach recherchierbaren) Kleinteiligkeit. Sich über Scientology, die AfD oder einen Sat1-Politikmoderatordarsteller aufregen – das ist einfach. Und wie überraschend ist es, dass die Yellow Press Müll verbreitet? Man blieb in der Filterblase mit Tendenz zum Treibhaus mit Gesinnungsaroma. Bild und die Bunte kritisieren ist einfacher und befriedigt die Klientel zuverlässig.

Als twoday dahinsiechte (Ende Mai 2018 stellt man die Seite endgültig ein), zog ich 2011 auf eine eigene Domain um. Ohne Ralph Stenzel, der bis heute meine Seite (Wordpress getrieben) betreut, wäre ich schon damals an den technischen Anforderungen wie der Übernahme der Texte und Kommentare von der alten auf die neue Webseite gescheitert. Er hält mir den Rücken frei – ich muss mich um nichts kümmern, außer darum, die jeweiligen Texte einzustellen. Mit technischen Problemchen und Problemen brauche ich mich nicht zu beschäftigen; ich würde auch grandios scheitern. Dass ich mein Lese- und Schreibpensum derart ausführen konnte, ist seiner Hilfe maßgeblich zu verdanken.

 

Blogger – ein fragwürdiges Rubrum [nach oben]

Knapp ein Jahr zuvor, im September 2010, wurde ich von Marc Reichwein in der Welt portraitiert. Reichwein begann, zu wechseln: Von der unterhaltsamen (aber nicht trivialen) Feuilletonwebseite Der Umblätterer zur Welt. Sein Text in der Printausgabe trug den schönen Untertitel: „Blogger im Bleistiftgebiet“[3]. Online wurde daraus der bis heute mir anhaftende Spruch vom „Mann, der alles über Handke weiß“. Immerhin sprach man mich bei meinem Besuch auf der Frankfurter Buchmesse auf den Text an. Ich hatte dort sogar einen Termin mit dem Handke-Biographen Malte Herwig, der meine Domain in seinem Buch erwähnte. Es wurde mir klar, dass das Branding, die Person, für die öffentliche Meinungsbildung mindestens genauso wichtig ist, wie der Text, den diese schreibt. Dies kollidierte mit meiner naiven Einstellung, dass es primär auf den Text ankomme und weniger auf das persönliche Umfeld des Schreibers.

Aber wie soll man als Blogger sonst Aufmerksamkeit generieren? Wobei mich seit jeher dieses Rubrum „Blogger“ beschäftigt, das mir bis heute anhaftet. Ganze Bücher, die ich über Teilgebiete von Handkes Schaffen publiziert habe (und die teilweise auch in Printmedien besprochen wurden) oder meine (krachend erfolglose) Erzählung über meinen Vater halfen nicht: Ich bleibe der „Blogger“; ein Begriff, der subkutan einen publizistischen Außenseiter beschreibt.

Natürlich, ich bin weder „Journalist“ (das will ich auch gar nicht sein) noch Kritiker und natürlich auch kein Literaturwissenschaftler, da nicht im akademischen Betrieb zu Hause. Aber die Festlegung, da macht einer Handke und Literaturkritik hobbymäßig „im Netz“, wird man nicht los. In Klagenfurt gab es 2017 anlässlich des 75. Geburtstages von Peter Handke eine Ringvorlesung, in der ein Dutzend Menschen, die sich mit Handke und dessen Literatur beschäftigt haben (von seinem Lektor Raimund Fellinger über die Filmemacherin Corinna Belz bis zu veritablen Literaturwissenschaftlern), Woche für Woche je ein Thema behandelten. Obwohl ich Bücher über Handkes Jugoslawientexte und seine Filme verfasst hatte, schlug man mir das Thema „Handke im Internet“ vor, was ich zwar gerne akzeptierte, aber eben die Schublade aufzeigt, in der ich mich befinde. 

Blogger bleibt Blogger. Dies galt schon für die Diskussion über Literaturkritik im Rahmen des Erlangener Poetenfestes 2015. Florian Felix Weyh hatte mich eingeladen, und nun saß ich dort u. a. mit der Kritikerin Ursula März und dem Verleger Jörg Sundermeier, der zuvor in einigen kritischen Beiträgen Aufmerksamkeit erregt und eine neue Debatte über Sinn und Zweck der Literaturkritik entfacht hatte. Frau März und René Aguigah (Deutschlandradio) waren als Vertreter der Publizistik eingeladen. Mit dem „Blogger“ Struck, der sich wiederholt kritisch mit der zeitgenössischen Literaturkritik auseinandergesetzt hatte, war nun eine Art Kritiker der Kritik dabei, zumal Sundermeier sehr gemäßigt auftrat. Im Nachklapp zu der Diskussion, die Frau März gleich zu Beginn als Zeitverschwendung abtun wollte, wurde mir unter anderem Arroganz unterstellt, weil ich die Bloggerszene nicht hinreichend vertreten und allzu sehr auf meine Eigenständigkeit gepocht hätte.

Der Einwand war nicht ganz von der Hand zu weisen, denn schon lange konnte ich mit der Buch-/Literaturbloggerszene nicht viel anfangen. Zwar fand ich es interessant, dass einige Blogger, nach welchen Kriterien auch immer, an einer Art Rezensionswettlauf zum Deutschen Buchpreis teilnahmen, aber die Resultate fand ich dann doch eher ernüchternd. Umgekehrt war ich in der Szene praktisch nicht existent. Generell konnten die Bücherblogs mit mir – und ich mit ihnen – nicht viel anfangen. Das hatte den Vorteil, von „Blogbuster“-Anfragen (Blogger wählen aus Manuskripten aus, die einer Jury vorlegt werden, die dann den Sieger als Buch in einem Verlag herausbringt) und ähnlichem verschont zu bleiben.

Irgendwann entwickelte ich die Unterscheidung zwischen Literaturblogs und Buchblogs. Letztere waren deutlich in der Überzahl und erschöpften sich zumeist in affirmativen Texten von „Fans“, zuweilen gar in Empfehlungsschreiben, die in mit „Toll, dass Du mich darauf aufmerksam gemacht hast“ in den Kommentaren gewürdigt wurden. Literaturblogs, die sich mit ästhetischen Fragestellungen beschäftigen, ohne jedoch Zuflucht auf einer wissenschaftlichen Ebene zu suchen, waren (und sind) selten.

Natürlich gibt es anspruchsvolle literarische Onlineangebote. Zu nennen sind hier beispielsweise literaturkritik.de (hier schreibe ich gelegentlich), Culturmag, Fixpoetry, satt.org, selbstverständlich auch literaturkritik.at und natürlich auch Glanz und Elend, dem Magazin, dem ich besonders verbunden bin. Aber hier handelt es sich nicht um Blogs, auch die zuweilen als „Blogs“ daherkommenden Angebote von Literaturzeitschriften sind keine. Genauso wenig wie die Seiten von Kritikern wie Uwe Wittstock oder Jan Drees – so interessant sie auch sein mögen. Hier wird der Begriff des „Blogs“ als Appetithäppchen für ein spezielles Angebot (Zeitschriften) oder für den zusätzlichen Output eines Journalisten verwendet – vielleicht für Texte, die sonst keinen Platz finden oder in den „regulären“ Arbeitsablauf nicht hineinpassen. Der Begriff des Bloggens wird schließlich bis zur Lächerlichkeit gedehnt, wenn Chefredakteure öffentlich-rechtlicher Medien „bloggen“.

 

Karla Paul als Symptom [nach oben]

Längst gilt man als arrogant, oder, noch häufiger: elitär wenn man gewisse Standards als Kriterien anlegt. Dieser Vorwurf kommt immer dann, wenn das Dilettantentum verteidigt werden soll. Besonders deutlich wird dies bei Karla Paul, einer Literaturagentin, einstiges Lovelybooks-„Gesicht“, einstige Hoffmann & Campe-Mitarbeitern, die neben anderen Aktivitäten auch drei-, viermal im Jahr „rein redaktionell festgelegte“ Buchempfehlungen für die ARD gibt. Ihr Blog, der unter ihresgleichen fast einen Kultstatus genießt, sieht derzeit[4] arg zerrupft aus. Wer auf „Buchtipps Gegenwartsliteratur“ klickt, findet keinen Eintrag außer der Ankündigung „wird ergänzt“.

In Diskussionen in sozialen Netzwerken ist Karla Paul umso aktiver. Für sie ist alles Literatur, was in Buchform erscheint ­– und alles gleich gut. Sie wird von ihrem Gefolge als Literaturpäpstin bezeichnet (ob sie widerspricht, weiß ich nicht) und ist auf dem besten Weg, den beiden anderen Literaturvernichterinnen und Buchmissionarinnen, Elke Heidenreich und Christine Westermann, nachzufolgen, obwohl sie Heidenreichs immerhin vorhandenen literarischen Kenntnisstand längst nicht erreicht.

2016 forderte Paul eine Professionalisierung der Bloggerszene. Darunter verstand sie allerdings keine qualitative Professionalisierung. Es ging ihr darum, Monetarisierung von Bloggern zu ermöglichen. Dies kann natürlich nur funktionieren, wenn Blogger zu Marketingpuppen werden. Und natürlich findet Paul Topliste der deutschen [sic!] Buchblogger gut. Es ist eine Rankingliste, die aktuell rund 1200 deutschsprachige Buch- und Literaturblogs „hinsichtlich ihrer Vernetzung und Popularität ordnet“. Für mich strahlt diese Liste in ihren Spitzenplätzen empirisch gemessenes Elend aus.

Laut Julius Heinrichs von der Leipziger Volkszeitung sind „92 Prozent der Blogger Frauen, 89,7 Prozent der Blogleser ebenfalls. Rund 41 Prozent der Bücher kommen aus der Jugendliteratur, es folgen Fantasy-, Unterhaltungs- und Kinderliteratur. “ Immerhin hatte der Initiator dieser „Topliste“ meinem Ansinnen, mich aus dieser Liste (irgendwo auf Platz 200 stehend) zu entfernen, anstandslos stattgegeben.

Journalistische Kritik an der Buchbloggerszene wird bislang mit auffälliger Entrüstung geahndet. Oliver Jungen besuchte 2016 eine Veranstaltung in Köln, in der Verlage Buchblogger eingeladen hatten. Sein Fazit zu den Umworbenen fiel ernüchternd aus: „Romane haben für diese Szene nichts mit Stil und also Literatur zu tun, sondern allein mit Handlung, die am besten auch nur minimal variiert wird […] Je mehr es nach nutzergeneriertem Content aussieht, umso besser“.[5] Wer so etwas schreibt, erntet wütende Kommentare. „Beschämend“ ist noch der geringste Vorwurf an die Kritiker der Booktuber.

In manchen Reaktionen regiert sogar ein blanker Schutzschild-Paternalismus à la: „Wer Bücher liebt, verdient keine Häme“. Aber jemand, der öffentlich über Bücher bloggt, steht nicht automatisch außerhalb jeder Kritik. Er muss sich messen und beurteilen lassen.

 

Wieso es keine Blurbs von Bloggern gibt [nach oben]

An Selbstbewusstsein mangelt es in der Szene längst nicht mehr. In den Zeiten, in denen „Fack ju Göthe“ reüssiert, ist Unwissenheit nicht mehr peinlich sondern zur coolen Sekundärtugend befördert worden. Der Wissende wird zum Spielverderber, jemanden, den man früher „Spießer“ nannte.

Der Zweck heiligt dabei die Mittel. Hauptsache, die Leute lesen. Dahinter steht allerdings: Hauptsache, die Leute kaufen Bücher. Und für Verlage, die in den gängigen Medien wenig oder keine Aufmerksamkeit finden, sind Buchblogger exzellente und vor allem preiswerte Werbeidioten. Je besser diese vernetzt sind und gleiche Interessen haben, umso erfolgversprechender die Kampagne.

Dennoch: Im Literaturbereich wird sich die Kommerzialisierung schon aus Gründen der unterschiedlichen finanziellen Mittel nicht im gleichen Maße etablieren wie beispielsweise in der Modebranche, wo Fashionblogger ihre Webseiten verramschen, indem sie gegen Bezahlung Produkte vorstellen und dies als „redaktionellen“ Beitrag ausweisen. Fashionkonzerne haben einfach mehr Geld als Verlage. Dabei ist es nahezu rührend, wenn auf einigen Blogs brav erzählt wird, dass man vom Verlag ein Rezensionsexemplar erhalten habe. Als wäre dies der Auslöser der Korruption.

Durch meine Mitarbeit bei Glanz und Elend habe ich – bis auf wenige prominente Verweigerer – problemlos Rezensionsexemplare auch direkt von Verlagen erhalten. Nur einmal dürfte ein Verriss eines Buches dazu geführt haben, dass der Verlag mir danach nicht einmal mehr geantwortet hatte (nachdem es just von diesem Verlag zahlreiche Angebote beispielsweise zu Veranstaltungen gab – Angebote, die ich abgelehnt hatte). Einflussnahmen hat es nie gegeben. Umgekehrt wurde aus meinen Besprechungen nur selten zitiert – selbst wenn es sich um Lob handelte. Im Zweifel besaß wohl eine knackige Schlagzeile aus dem Feuilleton der Kieler Nachrichten mehr Werbewert als ein Satz aus meinem Text. Recht so.

Das häufig zu hörende Bekenntnis der Buchbloggerszene, man habe gar nicht den Anspruch, ein Alternativ-Feuilleton zu entwerfen, scheint einen Ausweg zu weisen. Indem man die Messlatte tiefer hängt, wird allerdings das Etikett  „Blogger“ weiter trivialisiert. Am Ende werden Blogger im Ansehen von publizistischen Anbietern etwa dort rangieren, wo heutzutage der Autoverkäufer im Einzelhandel eingeordnet wird.

Dabei war Bloggen für mich immer auch anarchisch. Es ist eigentlich unvernünftig, weil es fast nie pekuniäre Erträge bringt (ich habe stets auf Werbung und/oder Amazon-Button verzichtet). Aber nicht alles, was man aus Neigung oder gar Leidenschaft tut, muss entlohnt werden. Manchmal stört dies sogar.

 

Warum wahres Bloggen anarchisch ist [nach oben]

Das anarchische (idealistische?) Moment des Bloggens besteht darin, dass es für Blogger keine andere Möglichkeit gibt, diesen Text in dieser Form auf seiner Webseite, seinem Blog zu publizieren und gleichzeitig Resonanz darauf in Form von Kommentaren zu ermöglichen. Blogger ist man, wenn man frei von jeglichen Zwängen ist – seien sie wirtschaftlicher, ästhetischer oder auch medialer Art, etwa durch Umfangbeschränkungen etablierter Medien. Aber Blogger müssen mehr bieten als nur „Meinung“. Die ist uninteressant und gibt es massenweise im Büro, in der Kneipe, im Literarischen Quartett oder auf Twitter. Wer bloggt, publiziert, und das bedeutet auch Verantwortung – Verantwortung für den öffentlichen Raum. Meinungen sind die billigste Währung („my two cents“ heißt es nicht umsonst im Englischen) – es sollten Urteile sein, die begründet werden.

Der Blogger muss sich mühen, nicht zuletzt für sich selber, um sich selber klarzuwerden, worum es geht. Am schwierigsten ist es dabei, sich vom Zwang der Aufmerksamkeitsökonomie zu verabschieden. Schließlich ist jeder Text eben auch auf Wirkung ausgerichtet. Die Versuchung, sich von dem Trend zur Skandalisierung oder Hysterisierung anstecken zu lassen, ist groß. Ich will nicht missionieren (das sollen andere übernehmen), aber ich will gelesen werden. Ich habe Blogger, die diesen Aspekt ignorierten, nie verstanden. Ihnen war es gleichgültig, ob sie einen oder tausend Leser hatten. Ich wollte Leser, wollte Resonanz, war neugierig auf Kommentare – aber ich war nicht bereit, den Preis zu bezahlen, der darin bestanden hätte, meine Texte zuzuspitzen, zu polemisieren oder sich zu verbiegen und anderen, sogenannten Meinungsführern, nach dem Mund zu reden. So billig war selbst der Gratisidiot nicht.

Daher habe ich Probleme, wenn Journalisten, die ihre sicheren publizistischen „Absatzkanäle“ haben, bloggen. Denn sie sind eben auch hier nicht frei von Rücksichtnahmen. Bloggen ist im besten Sinn ein Schreiben ohne Limits. Es ermöglicht Tiefe, wo es sonst nur Oberfläche oder Komplexitätsreduzierung gibt. Aus diesem Grund sind die meisten „Rezis“ (gebräuchliche Kurzform von Rezension von Buchbloggern) so lächerlich. Sie haben mit Bloggen nichts zu tun – sie sind Affekte. Und sie haben mit „Rezensionen“ nichts zu tun, aber das ist eine andere Sache.

Und so hat Roman Bucheli recht, als er vor einigen Jahren eine Neuorientierung der zeitgenössischen Literaturkritik auf das Essayistische hin forderte und feststellte: „Für solche anspruchsvollen Texte werden auch (und vielleicht gerade) im digitalen Zeitalter Raum und Bedürfnis gegeben sein. Das Digitale muss darum nicht der Totengräber der analogen Kritik sein, es könnte vielmehr Plattform werden für eine kritisch-analytische Kompetenz...“

Ich transformiere diesen Gedanken nicht nur auf den Feuilletonisten, sondern auch auf den Literaturblogger. Denn er kann rücksichtslos sein: Kein Redakteur hemmt seinen Schreibfluss oder bittet ihn um Beachtung der Annoncenkunden. Natürlich gibt es auch Nachteile: Es fehlt das Korrektiv. Aber hierfür sind die Kommentare gedacht.

 

Die Sache mit den Kommentaren [nach oben]

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass ich durch Kommentare häufig auf neue Ideen gekommen bin, zuweilen auch die im Text geäusserten Standpunkte überdacht habe. Diese Form der diskursiven Auseinandersetzung ist fast immer wertvoller als ein redigierender Redakteur, der Formulierungen herausstreicht oder ganze Abschnitte als überflüssig deklariert. Womöglich sind die herausgestrichenen Abschnitte wirklich überflüssig, aber sie zeigen immer auch eine Linie. Blogtexte müssen nicht in allen Dingen perfekt sein und das ist nicht ihr Fehler, sondern ihre Chance.

Daher braucht der Blogger nicht nur Leser, sondern auch Kommentatoren. Er braucht Publikum, das ihn kritisiert, befragt oder vielleicht in Abschweifungen verstrickt. „Supi“-Kommentare mit Smileys sind nicht hilfreich. Das Problem, dass sich bei Besprechungen von Neuerscheinungen stellt, ist allerdings, dass kaum jemand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung das jeweilige Buch gelesen hat. Der Text müsste also den Kauf des Buches nebst dessen Lektüre nach sich ziehen. Und dann muss die Person noch einen Kommentar dazu schreiben. Die Praxis zeigt, dass dies fast nie geschieht. Nicht zuletzt, weil die Menschen eben auch anderes zu tun haben. Wenn es Kommentare zu einer Neuerscheinung gibt, beziehen sich diese zumeist auf andere Rezensionen zu dem Buch oder auf vergangene Werke des besprochenen Autors.

Ich habe zwei-, dreimal zu sogenannten Leserunden aufgerufen. Es waren stets Sachbücher, die einen aktuellen Zeitbezug hatten. Einmal ging es anlässlich einer Weltmeisterschaft um ein Fußballbuch. Die letzte Leserunde behandelte das Buch Was ist Populismus? von Jan-Werner Müller. Die Zumutung an die potentiellen Kommentierer: Sie mussten das Buch kaufen (ich gestehe, ich hatte ein Rezensionsexemplar)  – ein Sponsoring durch den Verlag hatte ich nicht erwogen. Der Vorteil: Indem es kein Sponsoring gab, waren die Kommentatoren frei. So gab es insbesondere zum Populismus eine sehr anregende Diskussion und mit mehr als 200 Kommentaren den längsten Strang in meinem Blog. Ein literarisches Buch in die „Leserunde“ zu werfen, ist mir bis heute nicht in den Sinn gekommen. Womöglich ein Versäumnis.   

Aber wer wäre willens gewesen, diese Leserunde mitzumachen? Es ist tendenziell einfacher, sich zu Sachbüchern zu äußern, zu deren Themen man einen Zugang hat. Zudem zeigt die Zeit, dass viele anspruchsvolle Literaturblogs nie besonders lange durchgehalten haben. Die Unvernünftigen geben auf – im besten Fall lassen sie ihre Präsenz noch im Netz stehen. Eines der bedauernswerten Beispiele ist der sogenannte Bücherblogger. Niemand hat sich meines Wissens im Netz kenntnisreicher und detaillierter mit dem Werk von Roberto Bolaño beschäftigt. Und ja, auch ich habe nichts dazu beigetragen, ihn zu unterstützen – beschäftigt, wie ich war mit der Lektüre anderer Bücher. Schande über mich.

Neben einem Freund aus Nensch-Zeiten, der ab und zu Beiträge einstellt, habe ich verschiedentlich versucht, andere Autoren zu gewinnen. Auch hier musste natürlich an den Idealismus appelliert werden – Honorare konnte ich nicht bezahlen. Wichtig war für mich, dass auf Begleitschreiben  keine Texte publiziert wurden, die bereits in anderen Online-Medien veröffentlicht wurden. Nicht bedenklich hingegen schien mir, wenn der Text in einer Zeitschrift erstveröffentlicht wurde. Die Leserschnittmengen sind hier kaum gegeben.

So veröffentlichte Peter Stephan Jungk ein paar Kapitel aus seinen Tagebüchern. Bei anderen Schreibern verschwand die Euphorie rasch wieder. Einzig Leopold Federmair schreibt regelmäßig sowohl kurze Sentenzen als auch längere Essays für Begleitschreiben

 

Rekord-Zugriffszahlen durch Bildblog [nach oben]

Einige der Protagonisten, die als Blogger gestartet waren, sind längst in Journalistik oder Publizistik übergewechselt. Andere, insbesondere Literaturblogger, sind verschwunden. Denn der Literaturbetrieb ist sehr hermetisch. Schließlich ist er eine Nische, die stetigem Aufmerksamkeitsschwund ausgesetzt ist. Man hat auf Blogs weder gewartet noch wünscht man sie explizit. Sie nehmen nämlich das Kostbarste, was es gibt: Aufmerksamkeit. Wer Blogs liest, hat weniger Zeit für das Feuilleton. Blogs saugen die Zeitressourcen der potentiellen Leser ab – und damit auch irgendwann den Gang zum Kiosk.

Hinzu kommt, dass anspruchsvolle Blogger auch Konkurrenz darstellen können. Sehr viele professionelle Kritiker befinden sich als „feste Freie“ in ökonomisch prekären Umständen – ein listiges Verfahren, verbotene Scheinselbstständigkeit nicht als solche zu deklarieren. Die Honorare sind längst im Sinkflug. Da ist zusätzlicher Wettbewerb störend. Nicht umsonst tauchen in den immer noch zahlreichen deutschsprachigen Literaturzeitschriften fast immer die gleichen Namen als Autoren auf. Man verschafft sich gegenseitig die kleinen Stückchen aus dem Kuchen. Dies setzt sich fort bei der Vergabe von Stipendien und Preisen. Wer sich hierüber empört, werfe bitte den ersten Stein.

Dennoch kann ich mich à la longue nicht nur beschweren. Sehr früh erlangte ich den Respekt des Schriftstellers Alban Nikolai Herbst – im Übrigen einer der wenigen fiktionalen Blogger, der seit vielen Jahren kontinuierlich und mit großem Einsatz mit seinem Die Dschungel – Anderswelt ein riesiges anspruchsvolles und wildes literarisches Textgewebe erschafft. Im Büchermarkt des Deutschlandfunks reichte es einmal für eine Erwähnung. Während mein Blog in der Presse- und Bücherschau des Perlentauchers bis auf sehr wenige Ausnahmen nicht vorkommt und ich auch im Aggregator lit21 nicht aufgenommen wurde (was womöglich auch an meiner Handke-Affinität liegt), wurden im Perlentaucher Medienticker einige meiner Beiträge zum Teil prominent verlinkt.

Dabei bringen Verlinkungen von Webseiten im Vergleich immer geringere Ergebnisse. Bei Twitter klicken mit etwas Glück drei, vier Leute auf einen Hinweis (bei rund 350 Followern). Bei Facebook ist es ähnlich. Von rund 140 Abonnenten auf feedly erhalte ich mit Glück ein oder zwei Klicks. Als meine medienkritischen Texte früher zuweilen vom Bildblog verlinkt wurden, gab es heuschreckenartige Zugriffe von bis zu 6.000 Klicks in zwei Tagen. Geblieben ist von diesen meines Wissens niemand. Die „Netzgemeinde“ ist flüchtig. 

 

Was Peter Handke mir riet [nach oben]

2012 erhielt ich von Klaus Kastberger eine Einladung zu einem Vortrag bei einem Handke-Symposium in Mürzzuschlag. Die Aufnahme durch die Handke-Exegeten war überaus freundlich. Es folgten weitere Einladungen zu Veranstaltungen über Handke in Wien, Graz und Klagenfurt. Drei Forschungsbeiträge auf Handkeonline wurden aufgenommen. Ich behaupte, dass der Text Reichweins von 2010 im konventionellen Printmedium (nebst einer kurzen Darstellung im Deutschlandfunk) der Auslöser für die spätere Anerkennung des „Amateurs“ Struck in der Handke-Forschung war. Die Texte lösten bei Entscheidungsträgern die Aufmerksamkeit aus, mich einzuladen. Ob meine drei Bücher über Handke irgendwann „kanonisiert“, d. h. zitierfähig in der Handke-Forschung werden, wird die Zukunft zeigen.

Immerhin waren auch drei Texte gut genug für die manuskripte. Ein Text von mir über Josef Winkler erschien in der leider inzwischen eingestellten Klagenfurter literatur/a. Mit anderen Zeitschriften hatte ich weniger Glück: entweder war ich zu essayistisch oder zu wissenschaftlich oder vielleicht auch nur ein Blogger – wer weiß? Für ein Schweizer Printmagazin hatte ich abgelehnt, Kurzrezensionen zu schreiben; wenig Platz, zu viel Beeinflussung. Aber für das Schweizer Magazin Medienwoche.ch habe ich medienkritische Texte unter anderem auch zur Literaturvermittlung im Fernsehen schreiben dürfen. Insgesamt sieht man: Der Möchtegern-Prophet wurde im eigenen Land sehr viel weniger beachtet als in Österreich und in der Schweiz.   

Häufig bekam ich zu hören: Die Kritiker der Elche wären gerne selber welche. Zumeist von Leuten, die selber ganz gut im Betrieb vernetzt sind. Dabei habe ich noch den Ton von Peter Handkes Warnung anlässlich meines Besuches bei ihm vor vier Jahren im Ohr: „Halten Sie sich fern von diesem Betrieb! Er ist mörderisch.“ In einigen der Texte, die ich ihm zugeschickt hatte, glaubte er eine beginnende Anpassung zu spüren. Da war er wieder: Der schmale Grat zwischen Eigensinn und Opportunismus. Erstaunlich, dass jemand wie Handke einen Autodidakten wie mich, oder, wie er es ohne negative Konnotation verstehend sagen würde: den Idioten, im Gegensatz zur „Betriebswelt“ der Journalisten, wahrnimmt. Immer dann, wenn unsere Gespräche in einen Frage-Antwort-Modus kippten, wenn ich vom Leser zum Reporter zu mutieren drohte, wurde er fast zornig. Berichten durfte ich jedes Mal über meine Besuche (und dies ohne Autorisierung – „schreiben Sie, was Sie wollen“ –), aber er vertraute und beharrte darauf (ohne dies direkt auszusprechen), dass ich anders darüber berichte, vielleicht sogar eher erzähle.

 

Die hohe Zeit des Bloggens ist vorbei [nach oben]

Es besteht kein Zweifel: Die hohe Zeit des Bloggens, oder besser: der ausführlichen schriftlichen Äußerung im Internet, ist vorbei. Das gilt insbesondere für das Schreiben über Literatur. Außerdem hat man irgendwann das Gefühl, Alles gesagt zu haben; ein gewisser Überdruss stellt sich ein. Vielleicht verlagert sich das Geschehen kurzfristig noch auf das Videobloggen. Aber auch dessen Tage dürften – was das halbwegs anspruchsvolle Sprechen über Literatur angeht – gezählt sein. Und: Die Kommentare werden weniger. Zudem haben sich die Kommentatoren innerhalb der 12 Jahre des Blogbestehens verändert. Es gibt auf meinem Blog nur noch eine Handvoll Menschen, die seit damals kommentieren. Und es kommen weniger nach. Für einige ist es vielleicht einfach zu viel geworden – das Angebot im Netz ist ja sehr umfangreich, da muss man Prioritäten setzen. Zuweilen bekommt man Feedback über Twitter oder Facebook oder auch per mail. Angesprochen darauf, dies als Kommentar im Blog zu posten, erntet man meist ein „keine Zeit“.

Gelegentlich habe ich einen Blogtext als pdf-Dokument zum Download zur Verfügung gestellt. Über die Jahre kommen vereinzelte Texte auf mehr als 2.000 Downloads (nur ein Text – eine Besprechung eines älteren Buches – machte eine Ausnahme und wurde doppelt so häufig angeklickt). Ein Text über eine Besprechung eines Handke-Buchs, der vollständig nur als pdf-Download lesbar war, wurde in etwas mehr als fünf Jahren rund 1.300 mal heruntergeladen. Diese Zahlen zeigen ernüchternd, wie klein der Kreis ist, den man bedient und der sich bedienen lässt.

Mit einem Blogangebot, das mit langen, womöglich zu langen Texten aufwartet, das einen gewissen Anspruch erwartet, aber eben nicht perfekt ist – war und ist man ein Exot. Zumal – und das haben die Diskussionen in der jüngsten Zeit gezeigt – Literatur selber immer mehr zur Nische wird. Die Zeiten, in denen ein Filmbuch von Peter Handke als Taschenbuch mehr als 50.000 Stück Auflage erzielte, sind unwiderruflich vorbei. Der Trend geht zum Krimi, zur gut konsumierbaren Geschichte, zum historischen, dokufiktionalen Roman. Aus Science Fiction wurde Fantasy. Wer diese Bücher anpreist, trifft auch weiterhin auf eine große Resonanz.

Die Zukunft des Bloggens wird aber auch durch eine andere Maßnahme auf die Probe gestellt: Die neue sogenannte Datenschutzgrundverordnung der EU. Ein bürokratisches Monstrum, das auch private Webseiten betreffen wird. Ich überlege eine Schließung, weil ich mit vielen Punkten nicht nur überfordert wäre, sondern auch nicht übereinstimme. So ist es einigen Juristen zufolge zumutbar, dass Blogger alte Kommentartexte jederzeit aus ihrem Blog löschen können. Ferner muss man IP-Adressen irgendwann löschen, besser erst gar nicht erheben. Gleiches gilt für mailadressen. Jetzt möchte ich aber mindestens eine funktionierende mailadresse von einem neuen Kommentator haben – der kann ja auch anonym bei mir schreiben. Und warum muss man einen Kommentarstrang zerstören, nur weil jemand seine Meinung plötzlich geändert hat? Er könnte dies ja in einem neuen Kommentar darlegen. Durch den Verzicht auf Google Analytics habe ich ohnehin nur mehr sehr wenige Informationen über meine Leser. Wer im juristischen Sumpf nur einen falschen Schritt unternimmt, wird von Abmahnanwälten belästigt werden. Wieder einmal schüttet die EU das Kind mit dem Bade aus; in meinem Fall zum zweiten Mal, aber das ist privat. Die Frage ist jetzt, warum man sich das alles noch antun soll, wenn die Schublade (der Festspeicher) eine Alternative ist.

Es ist ja ein Mythos, dass das Internet nicht vergisst. Wer einmal einen Text einer kleinen, inzwischen eingestellten Webseite sucht, kommt in der Regel mit den Wayback-Maschinen nicht weiter. Selbst große Anbieter löschen irgendwann ihre Texte, die dann zuweilen nur noch mühselig zu rekonstruieren sind. Manche verschwundenen Seiten sind vielleicht vorher noch digital archiviert worden. Wer besorgt sich schon eine Kopie in einem digitalen Archiv?

 

Lothar Struck, 08.05.2018

Lothar Struck publiziert seit 2005 autodidaktisch über Literatur. Sein Blog begleitschreiben.net wird am Innsbrucker Zeitungsarchiv im Rahmen von DILIMAG archiviert: http://iza-server.uibk.ac.at/dilimag/magazineDetail.jsf?id=274.

 


Anmerkungen:

[1] Grundsätzlich gilt in diesem Text das generische Maskulinum. 

[2] Die Zahl ist umso interessanter als 2003, als die Seite begann, das Bloggen noch weitaus komplizierter war als zehn Jahre später. Das Publikum, die sogenannte „kritische Masse“, war also da. Warum dieses Forum quantitativ nicht reüssierte, ist nachträglich sehr schwer einzuschätzen.

[3] Marc Reichwein: „Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms – Bloggen im Bleistiftgebiet: Eine Düsseldorfer Begegnung mit Peter Handkes treuestem Fan“. In: Die Welt vom 02.09.2010, S. 23.

[4] Stand: 30.04.2018.

[5] Oliver Jungen: „Wie entsteht ein Mega-Bestseller? “. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 06.06.2016, S. 9.