em. o. Univ.-Prof. Dr. Karlheinz Töchterle
anlässlich des akademischen Festaktes zur Verabschiedung von Universitätsprofessorinnen und Universitätsprofessoren sowie von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, am Donnerstag, den 14. Dezember 2017
Magnifici, Spectabiles, Collegae,
jeder Abschied bedeutet einen Verlust, und so mischt sich auch in den heutigen ein wenig Wehmut. Aber als Angehörige einer Universität sind wir sogar in unserem Ruhestand noch privilegiert, und daher muß der Übertritt in ihn uns keine größeren Schmerzen bereiten. Wir haben ja zumeist unsere Passion zu unserem Beruf gemacht und können dieser auch künftig weiter frönen, nun sogar ohne die in der Berufstätigkeit oft lästigen Begleitumstände, die wir nun einfach los sind. Gerade auch in dieser Hinsicht trifft auf unseren Ruhestand ziemlich genau das zu, was die Römer otium nannten: eine Zeit der Muße mit zwei wesentlichen Kennzeichen, dem Freisein von lästigen Geschäften und Verpflichtungen und dem Zeit haben für die wesentlichen Dinge, vor allem im Bereich des Geistigen und des Erkenntnisstrebens, und das im Umgang mit Gleichgesinnten und an den gleichen Dingen Interessierten. Seht schön zeichnet z. B. Cicero dieses Idealbild in den Eingangsszenerien seiner philosophischen Dialoge, wenn sich etwa am Beginn seiner Staatsschrift zu den feriae Latinae ein gelehrter Freundeskreis im haus des Scipio zur Reflexion über das richtige Staatswesen versammelt.
Dieses Idealbild findet seinen schönen sprachlichen Ausdruck in der Tatsache, daß die Römer das Gegenteil, nämlich die Notwendigkeit und Lästigkeit, geschäftig sein zu müssen, mit dem Negativbegriff des negotium bezeichneten, analog zum Griechischen, wo ascholía (mit Alpha privativum) die lästige Geschäftigkeit und der positive Gegensatz scholé die freie Zeit bedeutet, die man am besten mit geistiger Tätigkeit füllt, hier noch augenfälliger dadurch, daß wir da ja die Wurzel unserer „Schule“ vor uns haben.
Cicero war es auch, der den Begriff des otium mit einem bewertenden Zusatz versehen hat: otium cum dignitate, wörtlich übersetzt „Muße mit Würde“. Er nennt für diesen Zustand zwei Bedingungen, nämlich das Vorhandensein eigener Leistungen für Staat und Gesellschaft sowie das Leben in einem funktionierenden, geordneten Gemeinswesen. Auch diese beiden Bedingungen treffen für uns in hohem Ausmaß zu. Jeder der heute zu Verabschiedenden hat entsprechende Leistungen erbracht, wie schon in den notwendigerweise sehr kurzen laudationes sichtbar wurde, und wir haben das Glück, in einem der wohlhabendsten, sichersten und lebenswertesten Länder der Welt zu leben.
Zwar habe ich Ihnen nun schon einiges an Latinismen zugemutet, dennoch der einleitenden Provokation von Rektor Märk, man werde heute wohl noch einiges an Latein hören, vielleicht noch nicht in ausreichendem Maß Genüge getan. Lassen Sie mich daher mit einem lateinischen Dichterwort schließen, aus dem Ihnen zwei Wörter sicher bekannt sind. Vielleicht ist es aber auch reizvoll, einmal deren unmittelbare Umgebung und Kontext zu vernehmen. Es sind die beiden letzten Zeilen des kurzen elften Lieds aus dem ersten Odenbuch des Horaz (angeredet ist eine junge Tisch- und wohl auch Bettgenossin):
(... spatio brevi)
Spem longam reseces. Dum loquimur, fugerit invida
Aetas: carpe diem quam minimum credula postero.
Eine Paraphrase (denn wörtlich übersetzen kann man Horaz kaum):
(... auf eine kurze Spanne)
schneide die Hoffnung auf ein langes Leben zurück. Während wir uns hier unterhalten, ist schon wieder ein Teil des mißgünstigen Lebens entflohen:
Pflücke den Tag (genieß ihn!) und rechne möglichst nicht auf den nächsten.
Valete!