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Abstracts – Universität Innsbruck

Abstracts

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Ass.-Prof. Dr. Marco AGNETTA (Innsbruck)
Experientia & metaphora: Die metaphorischen Wege von Erfahrungsvermittlung und Erfahrungserwerb

Konzeptualisiert man die Vermittlung von Erfahrungswissen in ihrer eminenten Dialogizität als eine Form der Translation, so stellt sich die Frage danach, ob es bestimmte verbale (und nonverbale) Mittel gibt, die zu dieser spezifischen Form von Transfer bevorzugt verwendet werden. In meinem Beitrag möchte ich argumentieren, dass die Metapher – unter anderem in ihrer Funktion als „Scharnierelement“ zwischen den semiotischen Systemen –, überhaupt bildhafte Sprache, als solches Mittel fungieren kann, ja vielleicht sogar eine herausragende Rolle spielt. Ausgehend von der kognitiven Metapherntheorie, die ich als ‚Theorie der Erfahrungskommunikation‘ skizzieren möchte, werde ich aufzeigen, wie im musikalisch-instruktiven Kontext des Instrumentalunterrichts Sprachbild und Vergleich zum Austausch über gemachte Erfahrungen und dem Aufbau eines eigenen Erfahrungsschatzes führen kann.
 

Prof. Dr. Rotraud von KULESSA (Universität Augsburg)
Vermittlung von Erfahrungswissen und weibliche Autorschaft: Marie Leprince de Beaumont: Mémoires de Madame de Batteville ou la veuve parfaite (1766) und Giustiniana Wynne: Réflexions morales et sentimentales (1782)

Im 18. Jahrhundert hat die Erziehungsliteratur Hochkonjunktur und richtet sich verstärkt an ein weibliches Publikum. Häufig sind es die Frauen selbst, die aus ihrer Lebenspraxis heraus ihre Erfahrungen und Lebensweisheiten an ihre (jüngeren Geschlechtsgenossinnen) in Form von Essays oder Briefen zu Papier bringen und so weitergeben, beispielhaft seien hier die Marquise de Lambert, Stéphanie Félicité de Genlis, Louise d’Epinay oder Marie Leprince de Beaumont angeführt. In diesen Texten wird zumeist die Autorisierungsfrage weiblichen Schreibens (mehr oder weniger explizit) mitreflektiert und eine Haltung bezüglich der weiblichen Autorschaft entworfen. Diese Legitimierungsstrategien sollen exemplarisch an zwei Texten des 18. Jahrhunderts vorgeführt werden: Marie Leprince de Beaumont: Mémoires de Madame de Batteville ou la veuve parfaite (1766) und Giustiniana Wynne: Réflexions morales et sentimentales (1782).
 

Dr. Hélène MIESSE (Liège)
Il concetto di ‚esperienza’ a Firenze all'inizio del Cinquencento

L’intervento si concentrerà sugli usi e i significati della parola “esperienza” che emergono dalle lettere, soprattutto politiche e artistiche, del primo Cinquecento fiorentino. In particolare, saranno oggetto di attenzione le numerose missive dello storiografo Francesco Guicciardini, braccio destra dei Medici, famoso per la sua Storia d’Italia. Oltre alle lettere di Guicciardini (1499–1540), l’intervento prenderà in considerazione una quarantina di lettere sul contributo militare dell’architetto Giuliano da Sangallo a Pisa (1500–1512). Lo studio di questi testi ci permetterà di evidenziare i settori chiave in cui l’esperienza fu applicata e di identificare coloro che furono considerati “esperti” in un periodo di continui conflitti, sia tra Firenze e Pisa che tra gli Stati italiani e le potenze che avevano mire sulla Penisola. Il corpus studiato, ovvero scritti di carattere pratico, redatti in un volgare non ancora standardizzato, è particolarmente interessante per cogliere tutte le sfumature del termine, specialmente attraverso l’osservazione delle coppie sinonimiche e dei campi lessicali che si sviluppano intorno all'esperienza.
 

Prof. Dr. Christina SCHAEFER (Kiel)
Experientia & exemplum: Zur Relation von Erfahrung und Beispiel in der Literatur der Frühen Neuzeit

Der Beitrag folgt den Überlegungen ausgewählter frühneuzeitlicher Schriftsteller:innen (von Alberti über Montaigne bis zu den Aufklärern und Aufklärerinnen), um den seit der Antike immer wieder evozierten Zusammenhang von Erfahrung und Beispiel, experientia und exemplum, zu erhellen. Im Zentrum steht dabei die Frage, inwiefern gerade das Exemplum (durch seinen Anteil sowohl am Partikularen wie auch am Allgemeinen) dazu beiträgt, die als nicht vollständig vermittelbar geltende Erfahrung doch vermittelbar zu machen und in Sprache zu übersetzen. In den Blick kommen dabei verschiedene Realisationsmodi des Beispiels, vom lebendigen Vorbild bis zum literarischen Exemplum, sowie die je unterschiedlichen Arten, wie sie – aus Sicht der Frühen Neuzeit – Erfahrung übersetzen bzw. als Träger für Erfahrung fungieren.
 

Prof. Dr. Martin SEXL (Innsbruck)
Ästhetische Erfahrung als Übersetzung von Erfahrungswissens?

Ausgehend von George Steiners Auffassung, dass jede Form der Versprachlichung letztlich eine Übersetzung darstellt, und ausgehend von der Tatsache, dass jede Form von Erfahrung nur als sprachliche (d. h. übersetzte) kommunikativ verfügbar ist, geht der Vortrag zwei Fragen nach: Welche Formen der Sprache sind imstande, Erfahrungswissen – das implizit ist, aber seinerseits ein Konstrukt von Diskursprozessen (im Sinne Michel Foucaults) darstellt – zu versprachlichen, d.h. zu übersetzen? Und welche erkenntnistheoretischen und methodischen Probleme ergeben sich für die wissenschaftliche Untersuchung dieses Übersetzungsprozesses?

Referenzpunkt dabei ist ein empirisches Projekt mit sechs Krankenpflegerinnen, das mehr als vier Jahre lang im Rahmen eines Gruppendiskussionsverfahrens durchgeführt wurde. Dabei reflektierten die Teilnehmerinnen ihre Berufserfahrung/en und lasen und diskutierten literarische Texte, die auf bestimmte, in der Gruppe zur Sprache gebrachte, berufliche Probleme reagierten. Erkenntnisleitend dabei war die These, dass die Sprache der Literatur Worte für das berufliche Erfahrungswissen ganz konkreter, nicht-professioneller Leserinnen gleichsam zur Verfügung stellen und ästhetische Erfahrung, die durch die Lektüre literarischer Texte oder durch Theaterbesuche ausgelöst wird und ihrerseits nicht restlos versprachlicht werden kann, eine Art Übersetzungsinstrument für tacit knowledge werden kann. Eine literarische (d. h. metaphorisch verfasste) Sprache könnte, so die These, eine Form des Zeigens darstellen, die auch dort noch kommunikative Zugänge findet, wo das Sagen an seine Grenzen kommt. Literarische Texte (darunter auch konkrete Aufführungspraktiken im Theater) bilden dabei eine spezifische Form metaphorischer Brücken, um einen (noch unbekannten) Erfahrungsbereich in die Bedeutungsstruktur eines anderen (bereits bekannten) Erfahrungsbereichs zu übersetzen (der natürlich seinerseits erst einmal zur Sprache gebracht werden muss).
 

Dr. Hannah STEURER (Saarbrücken)
Erfahrung, Erzählung, Heilung? Narrationen der Seuche

Die Erfahrung einer Seuche hinterlässt Spuren und Verletzungen, die nicht rückgängig gemacht werden können – auf der Ebene der individuellen Erkrankung ebenso wie im Blick auf die kollektive Infektion einer Gesellschaft. Mein aktuelles Forschungsprojekt zur Erfahrungspoetik der Seuche geht der Frage nach, wie Literatur auf diese Erfahrung reagiert, sie fiktionalisiert und wie in der Entstehung neuer narrativer Formen und Erzählstrategien der Irreparabilität ein Potential des Neuanfangs entgegengesetzt werden kann. Im Vortrag möchte ich meine Überlegungen anhand von Beispielen der italienischen Literatur – von Boccaccio über Manzoni bis ins 20./21. Jahrhundert – vorstellen. Ein Schwerpunkt wird dabei auf dem Verhältnis zwischen den fiktionalen Texten und faktualen Dokumenten, die eine reale Erfahrung der Erkrankung festhalten, liegen: Wie gehen Chroniken, Fallakten oder Briefe in die Narration ein und können neue bzw. andere ästhetische Formen hervorbringen? Gleichzeitig interessieren mich insbesondere die Erzählperspektiven, aus denen die Erfahrung der Seuche geschildert wird – wer berichtet (und wie) von einer Zeit Nel Contagione, so der Titel von Paolo Giordanos tagebuchartigem Essay über die Covid19-Erfahrung. Und schließlich fällt den Erfahrungsräumen der Seuche eine zentrale Rolle zu: Dazu zählen topographische Räume wie Krankenhäuser, Wohnungen oder der öffentliche Raum der Straße als Ort, an dem vor allem die kollektiven Ängste und Beschädigungen verhandelt werden. Die Erfahrungsräume meinen darüber hinaus aber auch den Körper, an dem Symptome sichtbar werden und Narben zurückbleiben; die psychisch-emotionalen Innenräume der Figuren, die die Seuche z. B. in Traumepisoden verarbeiten – und schließlich die Erzählung selbst: als Raum der Übertragung und Übersetzung der Seuchenerfahrung, der sich auf die Zukunft öffnet.
 

Prof. Dr. Anita TRANINGER (Berlin)
Erfahrung übersetzen. Zur Spannung zwischen Wissen und Können in der frühneuzeitlichen Rhetorik und Dialektik

Mein Vortrag legt Gilbert Ryles Diskussion von „knowing how“ (Können) und „knowing that“ (Wissen) zugrunde und rekonstruiert unter diesem Vorzeichen eine Debatte des 16. Jahrhunderts, in der erfahrungsgeleitete Gewandtheit in der Disputation als Signum theologischer Kompetenz ausgeflaggt wurde: es geht um den Briefwechsel über erasmus‘ von Rotterdam Lob der Torheit zwischen erasmus, Maarten van Dorp und Thomas More. Im Weiteren wird die Rolle von Erfahrung im frühneuzeitlichen universitären Kontext zu bestimmen versucht, einem Kontext, der typischerweise als Negativfolie für die Emergenz des Erfahrungswissens positioniert wird.
 

Erica VIANELLO (Augsburg/Venedig)
L’Europa dei Lumi so/o lo sguardo di Anne-Marie du Boccage. Dall’esperienza del viaggio alla pubblicazione delle Lettres sur l'Angleterre, la Hollande et l'Italie

Nel 1750, Anne-Marie du Boccage – scrittrice, drammaturga e traduttrice francese – parte da Parigi per visitare l’Inghilterra, l’Olanda e l’Italia. Durante il suo Grand Tour, l’autrice invia delle lettere alla sorella – Madame du Perron – per raccontarle la sua avventura cosmopolita: questa ricca corrispondenza odeporica, che ho scelto come corpus di riferimento per la mia relazione, sarà pubblicata nel 1764, sotto il titolo di Lettres sur l’Angleterre la Hollande et l’Italie. La scrittura epistolare permette alla scrittrice di tradurre in parole l’esperienza del viaggio e di lasciare così una preziosa testimonianza del suo tour europeo. L’obiettivo principale di Anne-Marie du Boccage non era, tuttavia, solamente quello di restituire una narrazione fedele dei suoi soggiorni all’esterno quanto, piuttosto, quello di costruire – attraverso la rielaborazione letteraria dell’esperienza vissuta – un’immagine precisa di sé stessa. Partendo da questo presupposto, mi sono interrogata su quale fosse l’immagine che l’autrice volesse trasmettere – prima alla sorella, poi al pubblico di lettori: ciò che è emerso dal mio studio – e che cercherò di dimostrare nella presente relazione – è che Anne-Marie du Boccage, da un lato, aspirasse a presentarsi in quanto cosmopolita, suggerendo in questo modo la sua affiliazione al movimento socio-culturale dei Lumi; dall’altro, che volesse affermare pubblicamente il suo ruolo di scrittrice. La narrazione del viaggio assume così, in Anne-Marie du Boccage, una dimensione autoriflessiva e autobiografica: le Lettres possono essere interpretate come il luogo metaforico dove l’autrice ha potuto (ri-)definire la sua identità e la sua posizione all’interno della rigida società dell’Antico Regime. La traduzione in parole dell’esperienza odeporica dell’autrice francese sarà così studiata come una strategia narrativa funzionale alla rappresentazione sociale dell’io autoriale.

Riferimento bibliografico: Anne-Marie du Boccage, Lettres sur l’Angleterre, la Hollande et l’Italie, in Recueil des œuvres de Madame du Boccage, t. 3, Lyon, Frères Perisse, 1762–1764.
 

Dr. Katharina WALTER (Innsbruck)
Zwischen Textoberfläche und „Hinterland“: Human- und maschinelle Übersetzungen von Yoko Tawadas transkultureller Erfahrungswelt

Dieser Beitrag beleuchtet Möglichkeiten und Grenzen der interlingualen Übersetzung von Yoko Tawadas exophoner literarischer Erfahrungswelt, womit die von Schaefer als „praktische Erfahrung im Sinne von allgemeiner Lebenserfahrung“ bezeichnete Art von experientia gemeint ist (2022: 2). In Tawadas Texten, die Walkowitz als „born-translated“ beschreiben würde (2015: 6), wird eine Erfahrungswelt artikuliert, die sich bei Entkopplung von ihrem ursprünglichen deutsch-japanisch sprachlich-kulturellen Zwischenraum grundlegend verändert. Um den damit verbundenen Herausforderungen zu begegnen, hat Chantal Wright bei der Übertragung eines Auszugs aus Tawadas Überseezungen (2002) ihre Subjektivität und persönlichen Erfahrungen explizit in den Text eingeschrieben. In Antwort auf die Grenzen der Übersetzbarkeit hat sie so in der englischsprachigen Version den hermeneutischen Prozess hervorgehoben. Aber wie verändert sich Tawadas exophones Schreiben, wenn zusätzlich zur humanübersetzerischen Subjektivität eine KI-gesteuerte Anwendung wie DeepL oder ChatGPT zwischen die literarisierte Erfahrungswelt des Originaltexts, ihre interlinguale Übersetzung und eine potenzielle Leserschaft tritt? KI-Werkzeuge zur Sprachmittlung basieren auf Algorithmen, die lediglich eine Textoberfläche zu produzieren vermögen, ohne Intentionalität und Rückhalt im „Hinterland“ subjektiver Erfahrungen, wie Mjölsnes in Bezug auf neuronale maschinelle Übersetzungssysteme anschaulich darlegt (2022: 28). Die Kernfragen in diesem Beitrag sind, wie Humanübersetzer:innen die sprachlichkulturellen Zwischenräume aus Yoko Tawadas Texten in anderen Sprachen erfahrbar machen und ob KI-Anwendungen trotz ihrer Einschränkungen dabei nützliche Werkzeuge sein können. Um diesen Fragen nachzugehen, werden Auszüge aus Tawadas Originaltexten ihren Human- und maschinellen Übersetzungen gegenübergestellt.

Zitierte Quellen: Mjölsnes, E. (2022). Der stumme Text: Eine Kritik der maschinellen Übersetzung. Digiboo. | Schaefer, C. (2022). Facetten frühneuzeitlicher experientia-Diskurse. Zur Einleitung. In I. Fellner und C. Schaefer (Hrsg.), Facetten der experientia: Zum Rekurs auf Erfahrung und Erfahrungswissen in der frühneuzeitlichen Romania (S. 1-37). Harrassowitz Verlag. | Tawada, Y. (2002). Überseezungen. konkursbuchverlag. Walkowitz, R. L. (2015). Born Translated: The Contemporary Novel in an Age of World Literature. Columbia UP. | Wright, C. (2013). Yoko Tawada’s Portrait of a Tongue: An Experimental Translation by Chantal Wright. U of Ottawa P.
 

Prof. Dr. Dirk WESTERKAMP (Kiel)
Der Löffelschnitzer, der Kerzenzieher und der Linsenschleifer. Thesen zur neuzeitlichen Epistemologie des Erfahrungsbegriffs

1. Der Löffelschnitzer (Cusanus), der Kerzenzieher (Bruno) und der Linsenschleifer (Spinoza) sind Sozialcharaktere der (früh)neuzeitlichen Erkenntniskritik. An ihrem handwerklichen Tun kommt der geschichtliche Bedeutungsgewinn zum Ausdruck, den die Erfahrungskenntnis gegenüber dem Gelehrten- und Experten-, vor allem aber dem Offenbarungswissen erhält.
2. Die frühneuzeitliche Philosophie nobilitiert mit der Erfahrungskenntnis und dem handwerklichen knowing how zuletzt auch die ratio naturalis – bzw. den bon sens, den common sense, den „gesunden Menschenverstand“ – gegenüber der scholastischen Wissensarchitektonik einer sacra scientia (Albertus Magnus, Thomas von Aquin); sie emanzipiert die „sich selbst überlassene Vernunft“ (Bacon: mens sibi permissa) von der ratio revelationis und macht den selbstbewussten Geist, die mens, zum Ausgangspunkt aller Erkenntnis.
3. In diesem philosophiehistorischen Entwicklungsprozess vom 15. Jahrhundert bis zum „age of reason“ (Paine), der sich in Kants Transzendentalphilosophie abschließt, stellen die genannten Sozialcharaktere entscheidende Stufen dar. Sie lassen die ökonomische Basis manufaktorieller Produktion als Bedingung der Verwandlung auch der neuzeitlichen Epistemologie erkennen; sie werden zum Sinnbild eines am Verhältnis von Handwerk und Vernunft darstellbaren Epochenbewusstseins einer „Legitimität der Neuzeit“ (Blumenberg).
4. Drei Stationen dieser epochalen Verwandlungen sollen in meinem Vortrag schlaglichtartig beleuchtet werden: Cusanus' Löffenschnitzer beschämt in Idiota de mente (1460) seine humanistischen Gesprächspartner, indem er aus der Entfaltung (explicatio) seiner illiteraten ratio naturalis die Einfaltung (complicatio) allen spekulativen Wissens gewinnt. Demgegenüber steht in Girodano Brunos Candelaio (1582) die Figur des Kerzenziehers für die Erzeugung von Scheinwahrheit im Gegenbild zu Erfahrungskenntnis, Weltgewandtheit und Lebensklugheit. Spinozas Linsenschleifer (1660), der er selber war, wird zum Sinnbild für die handwerkliche Präzision eines Erkennens, das durch die natürliche Einsicht in die Konstruktionsregeln der reinen Anschauung jede Erfahrungskenntnis übersteigt und Zugang zur apriorischen Erkenntnis einer schließenden Vernunft gewinnt.
5. Allen drei Sozialcharakteren des neuzeitlichen Denkens scheint in einer sich von Cusanus, über Bruno zu Spinoza anreichernden methodischen Selbstreflexivität gemein, dass sie den Weg einer Selbstkonstruktion unbegrifflicher Erkenntnis aufzeigen. Ausgehend von einer „ungefähren Erfahrung“ (Spinoza: experientia vaga) werden Erfahrungskenntnisse zum Schlüssel ihres eigenen Überstiegs; Erfahrung gelangt über wahre Ideen (verae ideae) zu einer höheren Form der Erkenntnis (zuletzt der idea ideae).
6. Gezeigt werden soll an den drei Stationen, wie sich neuzeitlich die reine Anschauung (cognitio intuitiva) gegenüber der ungefähren Erfahrung (experientia vaga) und der diskursiven Erkenntnis (cognitio symbolica) als rationale Erkenntnis- und Schlussform eigenen Rechts etabliert.
7. Über die Mitte der Einbildungskraft (imaginatio) zwar verbunden, bilden sich die reine Anschauung und das begriffliche Wissen bei Cusanus, Bruno und Spinoza als zwei eigenständige „Stämme der Erkenntnis“ (Kant) heraus, die sich weder ineinander übersetzen noch aufeinander reduzieren lassen. Sie werden vielmehr selbst zu Formen der Übersetzung (translatio) von aposteriorischer Erfahrung in Erkenntnis, die sich selbst zu dem nicht mehr erfahrungsabhängigen, sondern konstruktiven Regelwissen einer Synthesis a priori übersteigt, das gleichwohl auf alle möglichen Erfahrungen angewendet werden kann.

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