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Johannes E. Trojer – Universität Innsbruck

Johannes E. Trojer –  Biografisches

„Vom meinem Vater, einem unendlich fleißigen Weber, der sich zu Tode ‚gewirkt' hat, habe ich das Denken nach den textilen Begriffen von Zettel und Eintrag. Die abzuspulenden Werktage sind der grobe Eintrag in den baumwollenen Zettel. Aus solchem Garn ist die Tuchent gewirkt, nach der ich mich strecke.“
(Aus: RUTLUK – Ein Rückblick. In: Föhn, Heft 10, 1981, S. 7–8, hier S. 8)

Der Schriftsteller Johannes E. Trojer (1935–1991) lebte, arbeitete und wirkte im abgelegenen Osttiroler Villgratental. Über die Grenzen des Bezirks Lienz hinaus galt er in Regionalgeschichte und Volkskunde als äußerst beschlagen, er war bekannt als Verfasser gesellschaftskritischer Aufsätze und Glossen und als Herausgeber der Kulturzeitschrift „Thurntaler“ (1977–1987).

Johannes E. Trojer (Lebenslauf), am 4.11.1935 in Außervillgraten als zweitältestes von 12 Kindern eines kleinen Bergbauern in Hinterdurach geboren; 1950–1951 Maturaschule in Stams; 1951–1957 Bischöfliches Gymnasium Paulinum in Schwaz, Matura; 1957–1959 Studium an der Universität Innsbruck (Deutsch, Geschichte, Kunstgeschichte, Volkskunde); 1958–1959 Abiturientenkurs an der Lehrerbildungsanstalt in Innsbruck; 1961 Lehrbefähigungsprüfung;
1959–1964 Volksschullehrer in Kartitsch, Lindsberg, Bannberg und Sillian; 1964 (bis auf weiteres) Lehrer, Leiter und Direktor der Volksschule Innervillgraten;
1964 geheiratet (Maria Kollreider);
1967 hausgebaut;
seit 1971 in Außervillgraten wohnhaft.

1967 Herausgabe der Festschrift „Innervillgraten 1267-1967“
1984 Herausgabe eines Kunstführers von Innervillgraten
1985 Herausgabe von F. J. Koflers „Rauhe Sonnseite.
Erinnerungen an eine Kindheit“
seit 1977 Herausgabe der Tiroler Halbjahresschrift „Thurntaler“
seit 1979 Freier Mitarbeiter auf der Kulturseite
der Tiroler Tageszeitung

seit 1961 volkskundliche, journalistische und literarische Beiträge sowie Rezensionen in: „arunda“, „skolast“, „föhn“, „foehn“, „pferscha“, „Thurntaler“, „Horizont“, „Sturzflüge“, „Der Schlern“, „Tiroler Heimatblätter“, „Osttiroler Heimatblätter“, „Osttiroler Bote“
(Biographische Notizen, verfasst von Johannes E. Trojer für das Brenner-Archiv, 1986)

Am 24. September 1991 ist Johannes E. Trojer an Krebs gestorben. Der „Osttiroler Bote“ hat geschrieben: „Osttirol hat einen Schriftsteller von Format verloren.“ Dem Partezettel, der den frühen Tod Trojers mitteilte, war ein Billett beigelegt. Auf ihm stand dessen Vermächtnis:

„Vom Schwarzsee im Krater wie auf dem Mond die Geschichte könnte ich erzählen. Der Stein, der versank, um im Grunde das goldene Hufeisen zu finden, hätte ich, hätte ich ihn nicht geworfen, sein können. Die Wellen, die er machte, schlug ich.“
(Aus: RUTLUK – Ein Rückblick, in: Föhn, Heft 10, 1981, S. 7–8, hier S. 8)

Trojer, Manuskriptseite. Aus: RUTLUK – Ein Rückblick

Tojer Manuskriptseite. Aus: RUTLUK – Ein Rückblick


  • Trojer als Schriftsteller und Publizist
  • Trojer als Zeithistoriker und Volkskundler

Trojer als Schriftsteller und Publizist

Trojer verkörperte die der Tiroler Literatur oftmals nachgesagte politische Widerständigkeit bei gleichzeitig konzentriertem Blick auf den ‚Sozialraum Heimat’. Seine Texte öffnen den Blick auf vergangene und gegenwärtige Mechanismen des Sozial- und Machtgefüges im Dorf, für dörfliche Anachronismen, Vorgänge und Befindlichkeiten. Insofern lässt er sich nahtlos einreihen in die Reihe jener Schriftsteller, die in den 1970er und 1980er Jahren die damaligen gesellschaftlichen  Realitäten in Tirol scharf kritisierten – wie Norbert C. Kaser, Hans Haid, Felix Mitterer oder Markus Wilhelm. Doch in höherem Maß als diese war Trojer, weil er der Kritik am Bestehenden durch solide Recherchen eine Basis gab, Literat und Feldforscher in Personalunion.

Nach ersten literarischen Versuchen als Gymnasiast hatte Trojer in den 1960er Jahren begonnen, „die eigene Sprache zur Sprache zu bringen“. In der Tradition der experimentellen und visuellen Poesie verfasste er in den frühen 1970er Jahren Texte, die seine Grundanliegen aufgriffen oder vorwegnahmen. Trojer publizierte in dieser Zeit nicht nur eine Sammlung dialektaler Redewendungen und eine Analyse der Außervillgrater Mundart, er schrieb auch kritische Dialektgedichte. Darüber hinaus inspirierte ihn das lokale Idiom zu literarischen Experimenten: 1971 ließ er beispielsweise die 12- bis 14jährigen Volksschüler alle Dialektflüche aufschreiben, die ihnen bekannt waren, montierte sie zu einer „Litanei der Flüche“ zusammen und veröffentlichte diese später in der Zeitschrift „Morgenschtean“.

Einen größeren Kreis kulturell Interessierter machte Trojer erstmals 1977 auf sich aufmerksam, als er unter dem Titel „SAETZE + ABSAETZE AUS DER HEILEN WELT“ in der Südtiroler Kulturzeitschrift „Arunda“ collageartige Dorfprosa veröffentlichte. Die Publikation der zweiteiligen „Notizen für eine Dorferhebung“, die Mitte der 1980er Jahre in den Tiroler Zeitschriften „e.h. – erziehung heute“ und „Foehn“ erschienen sind, ist zusammen mit den kulturkritischen Essays „Herzensbildung leidet Not“ und „Mag i Osttirol?“, die in der von Krista Hauser betreuten kulturpolitischen Beilage der Tiroler Tageszeitung „horizont“ veröffentlicht wurden, Ausdruck des literarisch-publizistischen Aufschwungs, den Trojer nahm. 


Abgesehen von einigen wenigen Veröffentlichungen in Kulturzeitschriften ist Trojer als Literat jedoch insgesamt kaum in die Öffentlichkeit getreten, auch nicht in seiner eigenen Zeitschrift, dem „Thurntaler“ (1977–1987), die er zehn Jahre lang praktisch im ‚Ein-Mann-Betrieb’ am Fuße des gleichnamigen Hausberges herstellte. Trojer legte den „Thurntaler“ bei Ersterscheinen „als Magazin für Information und Dokumentation zu Handen der Einheimischen und Gäste im ost- und südtirolischen Pustertal“ an. Bis zum Einstellen der Zeitschrift im Dezember 1987 wurde daraus ein wichtiges Forum für zeitgenössische Literatur, zeitgeschichtliche Dokumentation sowie Kunst- und Kulturkritik, das stets regionale Aspekte berücksichtigte.
Zu lesen waren im „Thurntaler“ Reiseberichte aus den Anfängen des Alpinismus und Schulgebete aus der NS-Zeit, Belege zum Fremdenverkehr im Villgratental und Ausschnitte aus Kriegstagebüchern, berufliche Erfahrungsberichte von Sozialarbeitern und Erinnerungen von NS-Widerstandskämpfern, Sitzungsprotokolle der Villgrater Gemeinderäte und eine Abhandlung zur Prostitution. Untersucht wurden dörfliche Medienwelten genauso wie die österreichische Literatur. Prosatexte, Gedichte und Kurzdramen damals zum Teil noch großteils unbekannter Tiroler Autoren wie Norbert Gstrein standen oft im selben Heft wie Schüleraufsätze und dialektale Dorfpoesie, Kinderzeichnungen reihten sich ein in künstlerische Illustrationen, Bauaufnahmen alter Bauernhäuser wurden ergänzt durch fotografische Ortserkundungen. Für die Zeitgenossen lag die Stärke der Zeitschrift „im Regionalen, das durch die Art der Darstellung den Charakter des Allgemeinen, für jede Alpenprovinz Gültigen bekommt“, wie Markus Wilhelm vermerkte. Unter diesem Aspekt fiel der Zeitschrift auch eine Integrationsrolle zu: Sie wurde ein Forum jener lesenden und schreibenden Landsleute, die statt „nachzubeten“, was andere vorsagten, lieber selbstständig dachten.

Im Jahre 1998, sieben Jahre nach seinem Tod, wurde Trojers literarischer Nachlass in dem Auswahlband „Trojer. Texte aus dem Nachlass“ (Haymon-Verlag) einer breiteren Leserschaft zugänglich. Der Band vereint Texte, die sichtbar machen, dass Trojers literarische Arbeiten, seine Gedichte und Prosaskizzen, eine Art Synopse all seiner Tätigkeiten darstellen. Mit ausgeprägter Sprachsensibilität ging er – anknüpfend an den sprachkritischen Gestus eines Karl Kraus’ und das sprachspielerische Experiment der Wiener Gruppe – daran, hohle Phrasen aufzubrechen und Möglichkeiten unkorrumpierter Schreibweisen auszuloten. Trojer verfasste lyrische Zustandsbilder und prosaische Ortsberichte, die im Genre blieben und es zugleich sprengten. Trojer fand damit einen Weg jenseits pauschaler Verdammung – im Gegensatz zu vielen seiner Schriftstellerkollegen, die mit ihrer einseitigen Blickweise auf dörflich-ländliche Lebenswelten die so genannte Anti-Heimatliteratur prägten. Die Südtiroler Schriftstellerin Anita Pichler (1948–1997) über Trojer: „Und eine ganze Generation hat von ihm gelernt, dass es Wege gibt, jenseits von gefühlsduseliger Heimattümelei und großkotzigem Weltbürgertum, wo auch die Dörfer Welt sind, die man anschauen kann, ohne zu verdammen oder zu verherrlichen.“ (Aus: Schwere Schuhe, keine Namen. In: Feldforschung 1995, S. 26–31, hier S. 28)

Trojer als Zeithistoriker und Volkskundler

Trojer war kein ausgebildeter Zeithistoriker und Volkskundler mit Universitätsabschluss. Aber er hat geradezu paradigmatisch als Archivar und Chronist eines Lebensraums gearbeitet, als Heimatforscher und Sprachkundler. Er rückte dabei die Gegend, in der er lebte und arbeitete, mit der Beharrlichkeit eines Feldforschers ins Blickfeld – nicht nur die offiziell hochgehaltene Kultur und Tradition, sondern auch beiläufigere, unscheinbare Formen, das mehr oder minder Typische und das vermeintlich Untypische.
Mit der exemplarischen Aufbereitung von regionalen Themen für ganz Tirol und darüber hinaus bewies Trojer, dass eine ernstzunehmende, ungewohnt lebendige Auseinandersetzung mit der Geschichte der Vergangenheit und der Gegenwartskultur auch im hintersten Tal möglich ist. Trojer bündelte verstreutes Wissen aus lokalen und überregionalen Archivbeständen mit eigenen Forschungsergebnissen zu einem einzigartigen Kompendium. Mittels ‚Erinnerungsinterviews’ generierte er authentische Erfahrungsberichte aus Gegenwart und Vergangenheit, um das Schweigen zu politischen, aber auch sozialen Tabuthemen zu brechen. Zwar sah er sich selbstironisch als „Dilettant“, der sich mit Volkskunde, Zeit- und Kunstgeschichte, Dialektforschung etc. beschäftigte. Doch die Auswahl und Fülle der zusammengetragenen Materialien und die Qualität der daraus erarbeiteten Elaborate überzeugen vom Gegenteil.
Trojers Erforschungen der eigensten Geschichte von Dorf und Tal machten auch vor der jüngeren Vergangenheit nicht halt – immer mit dem Blick auf übergeordnete historische Zusammenhänge: Ab 1982 dokumentierte er die Zeit des Nationalsozialismus im Villgratental und den Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Osttirol und leistete damit Pionierarbeit. Trojer war es auch, der erstmals das Schicksal des Innervillgrater Bauern Vinzenz Schaller beleuchtete. Schaller hatte 1940 den militärischen Eid auf Hitler verweigert und Haftaufenthalte im Gestapo-Gefängnis Berlin-Moabit und im Konzentrationslager Dachau überlebt. Im „Thurntaler“ veröffentlichte Trojer Schallers bis dahin unveröffentlichten Erlebnisbericht, den jener bereits unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg niedergeschrieben hatte. Auch Trojer selbst hat in seiner Zeitschrift den Lebensweg Schallers ausführlich geschildert. Er lotet darin die Hintergründe von Schallers Handeln aus, aber auch die zum Teil durchaus ambivalente Reaktion der Villgrater auf den ‚Anschluss’ und das Verhalten im Tal, das Vinzenz Schaller gegenüber an den Tag gelegt wurde.
Trojers zeithistorische Arbeiten zum Themenbereich Nationalsozialismus im Villgratental wurden posthum, im Jahre 1995, publiziert – unter dem Titel „Hitlerzeit im Villgratental. Verfolgung und Widerstand in Osttirol“ (Studienverlag / Reihe Skarabäus). 


Bis heute ist der Blick auf Trojers Leben und Werk im Villgratental von Misstrauen und Abwehr umschattet. Trojers literarische und journalistische Publikationen und seine Forschungen zur Geschichte und Lebensart der Villgrater haben gleichermaßen ins Nervenzentrum gesellschaftlicher Entwicklungen getroffen: Teile der Bevölkerung fühlten sich vehement provoziert.

Johannes E. Trojer – Projekte

Der Nachlass von Johannes E. Trojer wird über drei Projekte ausgewertet, die sich verschiedenen Aspekten seines Schaffens widmen. Um der interdisziplinären Arbeitsweise Trojers gerecht zu werden und größtmögliche Synergien zu erreichen, werden im Zuge der Forschung mehrere Kooperationen angestrebt.

  • FWF-Projekt
  • OeNB-Projekt
  • TWF-Projekt

FWF-Projekt

Projekt „Feldforschung und Literatur als Erinnerungsarbeit. Erschließung und Edition anhand des Nachlasses von Johannes E. Trojer“ (gefördert vom FWF)

Projektleitung:
Dr. Erika Wimmer, Forschungsinstitut Brenner-Archiv (Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät)
ProjektmitarbeiterInnen:
Mag. Ingrid Fürhapter, Dr. Martin Kofler, Mag. Sandra Unterweger
Beginn der Forschungsarbeiten: 1. Februar 2006
Laufdauer: 3 Jahre;

Mit 31. Jänner 2009 wurde dieses Vorprojekt abgeschlossen. Unmittelbare Fortsetzung ist das vom FWF geförderte Projekt "J. E. Trojer: Dokumentationsband Denk- und Arbeitsweise", das mit 1. Februar 2009 gestartet wurde; Laufdauer: 1 Jahr.

Im Fokus des Erkenntnisinteresses steht Trojer als Feldforscher und Literat. Die Konzeption des Forschungsvorhabens beruht auf dessen genuin interdisziplinärer Arbeitshaltung, welche bereits vorhandene schriftliche Zeugnisse sowie neu erschlossene mündliche Quellen nach allen Seiten hin ausschöpft: sprach- und volkskundlich, historisch und literarisch.
Im Rahmen des Projekts soll eine vierbändige Edition Trojers literarisch-journalistisches Schaffen (Band 1), seine zeithistorischen Arbeiten (Band 2) sowie eine repräsentative Auswahl von Beiträgen aus der von ihm herausgegebenen Kulturzeitschrift Thurntaler (Band 3) zugänglich machen und seine methodisch innovative Denk- und Arbeitsweise dokumentieren (Band 4). Der interdisziplinär orientierte, editorisch abgesicherte Überblick über Trojers Werk und die philologische Arbeit an ausgewählten Nachlassmaterialien wird mit Ergebnissen historischer und kulturwissenschaftlicher Gedächtnisforschung verknüpft. In diesem Zusammenhang wird insbesondere der Frage, inwiefern eine Wechselbeziehung zwischen Trojers Literatur und dem Themenkomplex Erinnerung und Identität besteht, nachgegangen.

  • Band 1: Literarisch-journalistische Arbeiten Trojers
  • Band 2: Trojers zeithistorische Studien
  • Band 3: Auswahl von Beiträgen aus der Kulturzeitschrift „Thurntaler
  • Band 4: Dokumentationsband zur Denk- und Arbeitsweise Trojers

Band 1: Literarisch-journalistische Arbeiten Trojers

Im ersten Band der Edition werden Trojers literarische Schriften (Gedichte und Prosa), die lediglich in einer kleineren Auswahl bereits publiziert wurden, versammelt und umfassend ergänzt durch bis dato unpublizierte Materialien aus dem Nachlass, darunter Notizen aus seinen Journalen und Briefen. In diesem Zusammenhang wird den poetologischen Reflexionen Trojers besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Dazu kommt der Abdruck der kulturkritischen Essays, die Trojer zu Lebzeiten in verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen veröffentlicht hat und die heute für eine breite Leserschaft nicht mehr zugänglich sind. Darin artikuliert der Autor sein pluralistisches, differenziertes Kulturverständnis. Auch seine Glossen, die regelmäßig von 1977 bis 1979 unter der Rubrik „Die Glosse“ und nach einer einjährigen Pause von 1981 bis 1982 in einer Variante als „Pustertaler Chronik“ erschienen sind, sollen in diesem Band Aufnahme finden. Im Kommentarteil werden Trojers kritische Auseinandersetzungen mit Themen und Motiven der traditionellen Heimatliteratur und sein Bezug zur ‚Neuen Heimatliteratur’ untersucht, werden literaturwissenschaftliche Aspekte der Betrachtung des Feldes Literatur in der Region Osttirol im Hinblick auf den europaweiten regionalen Heimat-Diskurs beleuchtet. Darüber hinaus wird bei der Analyse der Struktur der literarischen Darstellungsformen Trojers, die sich teilweise aus jahrelangen Aufzeichnungen zum ‚Nahhorizont’ des kommunikativen Gedächtnisses der Bewohner des Villgratentals speisen, diese fokussieren und stilisieren, der erinnerungskulturelle Kontext mitbedacht, ohne die den Texten innewohnende Verfahrensweisen wie kontrastierende oder korrespondierende Relationen, die brüchige Konzepte kollektiver Identität aufzeigen, kaum fasslich wären. Literaturwissenschaftliche Einsichten werden mit Resultaten kulturwissenschaftlicher Gedächtniskonzepten verbunden, um der Frage, ob und, wenn ja, inwiefern eine Wechselbeziehung zwischen Trojers Literatur und dem Themenkomplex Erinnerung und Identität besteht, nachzugehen.



Band 2: Trojers zeithistorische Studien

Der zweite Band macht drei bereits publizierte, mittlerweile vergriffene Textkonvolute Trojers zur Osttiroler Zeitgeschichte wieder zugänglich. Die Studien, die 1995 posthum im Band „Hitlerzeit im Villgratental. Verfolgung und Widerstand in Osttirol“ im Innsbrucker Studienverlag (Reihe Skarabaeus) veröffentlicht wurden, sind Ergebnis von Trojers zeithistorischen Recherchen und umfassen den Bereich Verfolgung und Widerstand in Osttirol während der NS-Zeit, eine Darstellung des Alltags im Villgratental im Dritten Reich sowie eine Chronik der Ereignisse vom ‚Anschluss’ bis zur ‚Volksabstimmung’ vom 10. April 1938, zuzüglich einer Interpretation des österreichweit herausstechenden Villgrater Abstimmungsergebnisses. Trojer verweist in diesem Zusammenhang auf das Resistenzpotenzial in einer bäuerlichen Gesellschaft, die dem vom NS-Regime heftig bekämpften Katholizismus eng verbunden war. Ein Abschnitt legt Zeugnis über die Widerstandsgruppe Winkeltal ab, den einzigen Fall eines geplanten bewaffneten Widerstandes in Osttirol. Ergänzt werden Trojers Darstellungen zum Nationalsozialismus in seiner Region durch unveröffentlichte Materialien aus dem Nachlass, etwa zur Darstellung der Niederschlagung des NS-Juliputsches 1934 in Oberkärnten, an dem sich auch ein paar Osttiroler Nationalsozialisten beteiligt hatten. Auch Materialien, die beim Abruf von zeithistorischen Erinnerungen eine zentrale Rolle spielen, werden Eingang in den Band finden, darunter NS-Propagandamaterial, Tonbandabschriften und Fotos, die den nationalsozialistischen Dorfalltag dokumentieren. Im Kommentarteil des Bandes wird Trojers Versuch der (Re-)konstruktion traumatischer Geschichtserfahrungen einer nahen Vergangenheit auch auf die Besonderheiten der Darstellung und Vermittlung, auf die relevanten Merkmale ihrer Perspektivierung hin und in ihrem Rückgriff auf koexistente und konkurrierende Erinnerungsfelder untersucht.


Band 3: Auswahl von Beiträgen aus der Kulturzeitschrift „Thurntaler

Der dritte Band enthält eine repräsentative, kommentierte Auswahl von Beiträgen aus der von Trojer herausgegebenen, heute nicht mehr greifbaren Kulturzeitschrift „Thurntaler“ (1977–1987), die mittlerweile zu den „epocheprägende[n] Zeitschriften in Tirol“ gezählt wird: „Unzählige Tiroler Gegenwartsautoren haben im Thurntaler schreiben gelernt. Diese Verbindung von Chronik, Alltagsgeschichte und Fiktion war bislang in Tirol noch nicht vorhanden“, heißt es beispielsweise im virtuellen Zeitschriftensalon der Universität Innsbruck.
Im Kommentarteil des geplanten Bandes soll die Sonderstellung der Zeitschrift in der kulturpolitischen Debatte der späten 1970er und 1980er Jahre dokumentiert und die Änderung ihrer Ausrichtung nachgezeichnet werden – von einem „Magazin für Information und Dokumentation zu handen der Einheimischen und Gäste im ost- und südtirolischen Pustertal“ hin zu einer „Tiroler Zeitschrift für Gegenwartskultur mit regionalen Aspekten“, die beispielsweise durch die mediale Verbreitung von Interviews mit Zeitzeugen, durch Veröffentlichung von Briefen und persönlichen Erinnerungen dazu beigetragen hat, eindimensionale Geschichtsbilder zu dekonstruieren und eine Art ‚Gegengedächtnis’ zu entwerfen.


Band 4: Dokumentationsband zur Denk- und Arbeitsweise Trojers

Ein weiterer Band ist eine wissenschaftliche Dokumentation zur Denk- und Arbeitsweise Trojers, der die Verschränktheit seiner literarischen Welterschließung mit seiner Forschungs- und Sammeltätigkeit im historisch-volkskundlichen Bereich, aber auch die intensive fotografische Tätigkeit des Autors berücksichtigen und generell neue, noch unbekannte Materialien aus dem Nachlass aufbereiten und interpretieren wird. Im Sinne der wissenschaftlichen Disziplin der Volkskunde, die sich Anfang der 1970er Jahre neu orientierte und verstärkt der sozialen Praxis der Menschen zuwandte, betrieb Trojer zum einen eine Art von ‚Heimatforschung’, die für ihn vor allem Dokumentation und Interpretation des alltäglich realen Lebens der Landsleute war, andererseits diente diese zugleich als Fundament für ein kulturelles und gesellschaftskritisches Engagement sowie zur Inspiration für literarische Arbeiten. Ziel dieses Bandes ist es, Trojers disziplinenübergreifende Arbeitsweise sichtbar zu machen.

OeNB-Projekt

Projekt „Konfliktive Erinnerungsarbeit in Osttirol. Eine kulturwissenschaftliche Studie anhand des Nachlasses von Johannes E. Trojer“ (gefördert vom Jubiläumsfonds der OeNB)

Projektleitung:
Dr. Erika Wimmer
Projektbearbeiterin: Mag. Ingrid Fürhapter
Beginn der Forschungsarbeiten: 1. Februar 2006
Laufdauer: mit 31. Jänner 2008 abgeschlossen!

Die Erschließung des Nachlasses für weitere Forschungen und das darauf aufbauende Editionsvorhaben münden in einer exemplarischen Studie zur Erinnerungsarbeit Trojers. Augenmerk wird dabei offenen und verdeckten Konfliktfeldern innerhalb des Dorfgefüges der beiden Gemeinden des Villgratentals geschenkt, die aus der Dynamik koexistenter und konkurrenzierender Erinnerungsfelder resultieren. Der in die Gegenwart hereinreichende (dörfliche) Identitätskonflikt, der sich zu Lebzeiten Trojers und posthum an dessen Werk entzündet hat, wird zwar als historischer Hintergrund mit Gegenwartsbezug in den Prozess der Forschungsarbeiten miteinbezogen. Primär konzentriert sich das Erkenntnisinteresse aber auf die mentale und materielle Repräsentation von Trojers Erinnerungsarbeit im Nachlass. Trojers Hinterlassenschaft, die eine Vielzahl an Dokumenten eigener und fremder Gedächtnis- und Erinnerungsleistung umfasst, bietet die rare Möglichkeit, innerhalb eines einzigen Quellenbestands das Zusammenwirken von individueller und kollektiver Erinnerung an ihrer Schnittstelle zu untersuchen. Dieser Zugang verspricht Einblicke in stereotype Vorstellungen von Eigenem und Fremdem, von Erinnerungswürdigem und Nicht-Sanktioniertem.

Hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse:

Das Projekt befasste sich mit der interdisziplinären Erinnerungsarbeit des Osttiroler Schriftstellers und Publizisten Johannes E. Trojer (1935-1991).

Im ersten Projektjahr wurden anhand des umfangreichen Nachlassmaterials (140 Kartons) die mannigfaltigen Arbeits- und Tätigkeitsfelder Trojers (Zeitgeschichte, Volkskunde, Kunstgeschichte, Literatur und Journalismus) auf ihr Konfliktpotenzial hin untersucht und herausgearbeitet, in welcher Form Trojer am Diskurs der Erinnerung und Identität im regionalen Raum teilgenommen hat. Trojer destruierte politisch instrumentalisierte, historisch nicht immer abgesicherte Rituale und Formen kollektiver Erinnerungskultur, kontrastierte erstarrte, kanonisierte Geschichtsbilder (z.B. Andreas Hofer Mythos, NS-Opferthese) mit ‚aufklärerischer’ Geschichtsschreibung, attackierte ideologische Vereinnahmungen des Kulturerbes, rekonstruierte ausgeblendete Aspekte dörflicher Lebensweisen in seinen zeithistorischen und historisch-volkskundlichen Arbeiten, Glossen, Essays und literarischen Arbeiten.

Im zweiten Projektjahr wurden zwei ähnlich gelagerte, konfliktgeladene kulturelle Auseinandersetzungen (AG Alpenfest, Villgrater Kulturwiese), die Ende der 1970er bzw. in der ersten Hälfte der 1990er Jahre in Trojers unmittelbarem Lebensumfeld, dem Villgratental, stattfanden und in denen beide Male Trojer als Person bzw. Materialien aus Trojers Nachlass eine zentrale Rolle spielten, analysiert. Es wurden neuralgische Punkte sichtbar, an denen sich die These einer über Jahrzehnte latenten dörflichen Identitätskrise erhärten lässt, die auf eine allmähliche Ausdifferenzierung von der einen homogenen Dorfkultur hin zu „Dorfkulturen“ zurückzuführen ist. Gegensätzliche Kultur- und Identitätskonzepte dürften die entscheidenden Faktoren gewesen sein, die zu einer Krise des dörflichen Selbstverständnisses geführt haben. Die Überlagerung von Gedächtnisdiskursen, örtlicher Erinnerungskultur, Kultur- und Gemeindepolitik verstellte den Blick auf den bewahrenden und vermittelnden, zu sachlicher Auseinandersetzung anregenden Anteil von Trojers Erinnerungsarbeit. Verleumdungen gegen Trojer (auch posthum), die seine moralische Integrität desavouierten und in anonymen Briefen und öffentlich aufgelegten Schmähbriefen in Umlauf gebracht wurden, trugen wesentlich zur Verschärfung der Konfliktlage bei.

Ergebnis der Studie ist, dass Trojer als Vordenker und Initiator kultureller und demokratiepolitischer Emanzipationsbestrebungen zu werten ist, die von Teilen der Bevölkerung als Überforderung oder Bedrohung empfunden wurden.Die Polarisierung, die seine Person und sein Werk bewirkte, erweist sich im Rückblick als Ausdruck einer Identitätsdebatte, wobei widersprüchliche Deutungen der Vergangenheit forciert und latente Konfliktfelder innerhalb einer vielfach beschworenen harmonischen Dorfgemeinschaft aufbrachen. Das Unbehagen, das ungleichzeitig verlaufende gesellschaftspolitische Transformationsprozesse mit sich brachten, wurde auf die Person Trojer projiziert („Nestbeschmutzer“, „Unruhestifter“).

Abschließend lässt sich feststellen, dass Trojer vielschichtige Erinnerungsarbeit im besten Sinne geleistet hat. Er hat in seinen zeithistorischen, volkskundlichen, literarischen und journalistischen Arbeiten Erinnerung nicht als Abstraktum nach außen in die Gesellschaft verlagert, sondern subjektive Erlebnisfelder und Bewusstseinslagen der Menschen untersucht. Seine unkonventionelle Arbeits- und Schreibweise lässt lebensnahe Blicke auf das lokale/regionale Gedächtnis zu.

TWF-Projekt

Projekt „Notizen für eine Dorferhebung: Der Literat und Feldforscher Johannes E. Trojer“

Projektleitung und -durchführung:
Mag. Ingrid Fürhapter
Beginn der Forschungsarbeiten. 1. November 2005
Laufdauer: mit 30. Juni 2006 abgeschlossen!

Im Vorfeld der vom FWF bzw. OeNB geförderten Forschungsprojekte war ein wesentlich kleineres Projekt angesiedelt, in dessen Rahmen die zentrale Stellung des Begriffs ‚Dorferhebung’ und seine spezifische Umdeutung im Gesamtwerk Trojers analysiert wurde.

Mitte der 1980er Jahre waren in den Tiroler Zeitschriften „e.h. – erziehung heute“ und „Foehn“ unter dem Titel „Notizen für eine Dorferhebung“ zwei Beiträge Trojers erschienen, die das Dorfleben zum Thema hatten. Vorderhand war in den Texten, die der Genauigkeit des ‚Lokalaugenscheins’ verpflichtet sind, von einem konkreten Ort, nämlich Trojers Heimatgemeinde Außervillgraten, die Rede. Im Villgratental wurden die beiden Texte aus diesem Grund als kompromisslose Abrechnungen mit dörflichen Funktionären und Meinungsträgern gelesen. Die auswärtige Leserschaft hingegen war vor allem davon beeindruckt, wie frontal Trojer seine ‚Dorfanalysen’ angegangen war und welch allgemeine Aussagekraft in seinem konzentrierten Blick lag. Trojers Ermittlungen zum Dorfgeschehen liegen jahrelange Aufzeichnungen zugrunde – festgehalten auf losen Blättern eines komplexen ‚Zettelwerks’, die mit dem Stichwort ‚dörfliche Archäologie’ lediglich angedeutet werden können.

Hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse:


Es konnte nachgewiesen werden, dass der Begriff Dorferhebung tatsächlich, wie bereits zu Beginn der Forschungsarbeiten vermutet, einen wichtigen Stellenwert im Werk Trojers einnimmt. Trojer hat ihn von wirtschaftswissenschaftlichen Dorfuntersuchungen und Gemeindeerhebungen, mit denen er bereits als Student konfrontiert war, abgeleitet, ihn umgedeutet, ausgeweitet und als Genrebezeichnung für eine eigenständige literarische Form geprägt.

Die These, dass sich bei Trojer ein besonderes Naheverhältnis zwischen Feldforschung und Literatur aufzeigen lässt, konnte insofern bestätigt werden, dass es sich bei den Dorferhebungen um komprimierte Auszüge aus über mehrere Jahre laufenden Feldnotizen handelt, die von Trojer literarisch verdichtet und sprachlich stilisiert wurden. Abgesehen von einer Materialmappe mit über Jahre gehenden Notizen zum Dorfgeschehen, Textfragmenten und Vorstufen zu den Dorferhebungen, belegen auch Parallelstellen aus Trojers Korrespondenz und Notizbüchern, die oft erst Jahre später in die Dorferhebungen eingeflossen sind, dass Trojer gewissermaßen als Feldforscher und Literat in Personalunion agierte.

Wie geplant, konnte auch eine erste Standortbestimmung Trojers innerhalb der kultur- bzw. sozialwissenschaftlichen Dorfforschung vorgenommen werden. So konnte in der Analyse gezeigt werden, dass Trojer mit seiner umfassenden Dorfforschung, die den Dorferhebungen zugrunde liegt, in die volkskundliche bzw. sozial- und kulturwissenschaftliche Tradition der Dorf- bzw. Gemeindestudien, die sich seit den 1970er Jahren verstärkt der Alltagsgeschichte und Alltagswelt zuwenden, gestellt werden kann. Auch Berührungspunkte mit dem ethnologischen Konzept der „dichten Beschreibung“, wie sie der amerikanische Anthropologe und Vertreter der „interpretativen Ethnologie“ Clifford Geertz fordert, konnten nachgewiesen werden.

Die angestrebte Einordnung der Trojerschen Dorferhebungen in literarische Traditionen, insbesondere deren Stellung innerhalb der „Neuen Heimatliteratur“, konnte näher definiert werden. Trojer grenzt sich in seiner Konzeption der Dorferhebungen stark von einer „idyllischen“ Dorfprosa der traditionellen Heimatkunst (z.B. Dorfgeschichten) ab, er weicht aber auch vom „schwarzseherischen“ Konzept der so genannten „Anti-Heimatliteratur“ ab. Dagegen ist eine Nähe zum literarischen Journalismus, der sich literarischer Strategien bediente, um die Wirklichkeit ästhetisch zu vermitteln, zu konstatieren. Eine andere Linie lässt sich von Heinrich Heine über Theodor Fontane, Joseph Roth, Kurt Tucholsky und Erich Kästner bis hin zu Egon Erwin Kisch ziehen. Parallelen gibt es auch zu einer Tradition demokratischer Publizistik, die von Georg Büchner („Hessischer Landbote“) über Karl Kraus („Die Fackel“) bis zu Tucholsky und Ossietzky („Die Weltbühne“) reicht.

Der starke Realitätsbezug der Dorferhebungen, der auf Trojers Auseinandersetzung mit dem Dorfleben seines Heimatorts Außervillgraten beruht, und ihre komplexe Konstruiertheit und ‚Dichte’, die sich in der Auswahl, Aussparung und Gewichtung der vorausgehenden Notate und in der Art und Weise verraten, wie das Beobachtete verdichtet wird, lassen mehrere Lesarten zu. Zum einen weisen die Dorferhebungen eine unverkennbar an der Wirklichkeit orientierte Zweckrichtung auf, die auf Trojers außerliterarisches gesellschaftspolitisches Engagement, mit dem er eine Änderung der dörflichen Verhältnisse angestrebt hat, verweisen. Zum andern arbeitete Trojer in den Dorferhebungen mit Konstruktionselementen, wie sie für so genannte ästhetisch autonome Gebilde typisch sind. Erst auf den zweiten Blick wird deutlich, dass die Texte einen ‚Raum’ im Raum öffnen, dessen ‚Poetik’ sich erst auf Umwegen erschließt. Typisch für die Dorferhebungen ist die nicht durchgehende Behandlung von Themen, die sich in der nicht-linearen Argumentation mit kreisförmigen Überlagerungen zeigt. Eine weitere Besonderheit ist die Mischung von protokollhaften, essayistischen und narrativen Elementen. Die Dorferhebungen sind eine Art Montage von gedeuteten Fakten, bei der es auf das Was und Wie der Anordnung, der Zusammenführung und Vermischung von Beobachtungen aller möglichen Ordnungen und Wahrnehmungsebenenankommt. Trojer nimmt einen deklariert subjektiven Blickwinkel ein, der manchmal allzu ‚verlogener’ Objektivität entgegensteht. Er ist aus seiner Kenntnis der Vergangenheit und Gegenwart seines (Um-)Felds fähig, authentische dörfliche Begebenheiten in verblüffende Konstellationen zu stellen, in dem er sie in (scheinbar) sachfremde Geschehenszusammenhänge montiert. Auf der Mikro-Makro-Ebene lässt Trojer dem Leser die Möglichkeit offen, in einem induktiven Verfahren vom Besonderen auf das Allgemeine zu schließen.

Hinsichtlich der Rezeptionsforschung konnten im Rahmen der Analyse Indizien für folgendes Grundschema der Rezeptionshaltung gefunden werden: Der Umstand, dass sich die in den Texten protokollierten Verhältnisse mit den textexternen tatsächlichen vor Ort quasi eins zu eins zu decken scheinen, führte dazu, dass die Dorferhebungen von Befürwortern und Kritikern Trojers auf eine simple Abbildfunktion reduziert wurden. Trojers Kritiker sahen in den Dorferhebungen keinen positiven Impuls für eine kritische Auseinandersetzung, sondern nur den Charakter einer aus ihrer Sicht kompromisslosen Abrechnung, die vor allem in wertenden Passagen zum Ausdruck komme. Der literarische Anspruch der Dorferhebungen und die daraus resultierenden Konsequenzen wurden ausgeblendet.

Links:

FWF

OeNB

TWF

Johannes E. Trojer – Textproben

  • Gedichte
  • Prosa
  • Essays


Gedichte

  • Singst du …
  • der schwarzpappel in a.villgraten gewidmet
  • NATURA MORTA
  • Laß mich dich …
  • O. LANSER. PERUGIA IM SOMMER
  • POZZO. SAN PATRIZIO (1528, 68 M) DI ORVIETO

Singst du
Mir mein
Lied vom gehen
In deinem angesicht
Auf und ab den
Blendenden
Asfalt vom still
Stand vor dem
Trabantenhof in
Frost in
Weiß

Schwarzpappel

Beugst dich dem
Tauernwind wie
Ich über das
Geländer der
Stillen brücke

So
Sing ich
Das deine
Dir

(„DER SCHWARZPAPPEL IN A.VILLGRATEN GEWIDMET“)


Was soll
Ich trauern der
Geschälten eschen
Halber oder ihres
Schattens auf
Meiner stirn

Innehalten
Soll ich den
Laubrecher grüßen
Im november viel
Leicht

Ein Vogel der
Trauert
Um die roten
Früchte und
Hinter der
Mauer die toten
Die sich ihrer
Erinnern viel
Leicht
Wie
Ich

(„NATURA MORTA“)


Laß mich dich
halsen beim apfel
biß seelen
pächterin das säge
blatt ist gefeilt
franz josef hat
seine krone ge
schluckt und mir
vergeht
die lust


Stufen zu
Den gräbern
Hinuntergestiegen
Vorteilhalft tief
Gekühlt etrurische
Reste wie sie tanzen
In ocker und
Grün

Zur schwester
Nach süden hätt
Er sollen hat
Wollen sich
Betten zur
Ruh
Ent
Zog
Sich zement und
Jedem ziborium
Und uns
Wie oft
Zu schnell ziehen
Wir bei der weich
Brunprobe die
Hand zurück vor algen
Schleim und ver
Steinerten fischen

Was grün
Ist in umbrien ver
Sengt jetzt unter
Der mauer die hohen
Zypressen ge
Plünderten kammern
Sind uns geblieben
Wie er

(„O. LANSER; PERUGIA IM SOMMER“)


sucht seh ich klar
todes
droben die sausende
hauch
mit der eigene
munde steht
vor dem
grunde
kleingeld im
selbst hat
allem sich
wasser spiegelt vor
nie und das
war ich noch
tief in der tiefe
so
ich auf
unten drin tauche
voll himmel liegt
gang ein aug
ich den ab
spucke meß
der eigenen
mit
geschlossen
begegnungen aus
gehe nach innen
echo und
ein unwiderrufliches
ich bin
einlaß
rad den rasselnden
kehr sperrt das zahn
jeglicher wieder
hiebe
päpstlichen
nicht nicht die
stumpfen pickel
maurerschweiß die
tritte der esel den
gezählt nicht die
stufen nicht
die kreisenden
ich hab

ich hab
die kreisenden
stufen nicht
gezählt nicht die
tritte der esel den
maurerschweiß die
stumpfen pickel
nicht nicht die
päpstlichen
hiebe
jeglicher wieder
kehr sperrt das zahn
rad den rasselnden
einlaß
ich bin
ein unwiderrufliches
echo und
gehe nach innen
begegnungen aus
geschlossen
mit
der eigenen
spucke meß
ich den ab
gang ein aug
voll himmel liegt
unten drin tauche
ich auf
so
tief in der tiefe
war ich noch
nie und das
wasser spiegelt vor
allem sich
selbst hat
kleingeld im
grunde
vor dem
munde steht
mit der eigene
hauch
droben die sausende
todes
sucht seh ich klar

POZZO

SAN PATRIZIO (1528, 68 M) DI ORVIETO



(Gedichte entnommen aus: Trojer. Texte aus dem Nachlass von Johannes E. Trojer. Hg. von Ingrid Fürhapter und Andreas Schett. Innsbruck: Haymon 1998)


Prosa

  • SAETZE + ABSAETZE AUS DER HEILEN WELT
  • Der Thurntaler Urban
  • wolkenloser herbsttag
  • ROEHREN ABER
  • Notizen für eine Dorferhebung I (e.h. - erziehung heute, 1983)
  • Notizen für eine Dorferhebung II (Foehn, 1984)

SAETZE+ ABSAETZE AUS DER HEILEN WELT


1

waehrend ich nichtsahnend auf der bruecke stand und forellen zaehlte wie so oft und alles seinen altgewohnten gang ging passierte das außergewoehnliche

vroni die immerfroehliche war oben hinter dem kulturzentrum aus dem wald getreten hatte noch die a & o plastiktasche prall voll preiselbeeren einer jagdtrophaee gleich hoch ueber ihren kopf geschwungen und war dann in einem lachkrampf krachend zusammengebrochen

die partie des wasserbauamtes ließ granit granit sein eilte heldenmutig herbei erstuermte die zwergstrauchwand schob die baumkulissen links und rechts beiseite so daß die ewigen haeupter der hohen tauern sichtbar wurden und die rettungsaktion wuerdig umrahmten hob die ungluecklicke auf die bergwachtbahre und zog mit einem deutschen lied auf dem dorfplatz ein

den forellen hat der weiße riese das leben sauer gemacht der vroni ist das lachen vergangen der a & o sack kann im ortsmuseum jederzeit besichtigt werden.


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5 weiter


2

der liebe redner aus der bezirksstadt referierte im getreten vollen feuerwehrhaussaal ueber brennende probleme der zeit

er sprach ueber zuchtgebiete zuchterfolge zuchtziele erging sich in politikergaertlein betonte die soemmerung der eisblumen unterstrich die absatzsorgen bei alten hueten ventilierte die moeglichkeiten einer blutkuchenproduktion verwies auf den wunden punkt auf dem i warnte eindringlich vor dem rosenwunder erhob ein lob auf die allgemeine fruehjahrsmuedigkeit und schloß mit einem feurigen appell an alle schnellen brueter die guten willens sind wie er in der frohbotschaft steht zusammenstehen bis daß der tod uns scheidet

ich stand ganz hinten auf dem kirchenchorklavier das mit den zaehnen klapperte und schwitzte nicht wenig

der redner hatte sich gerade gesetzt nahm einen schluck roemerquelle und ließ sich beklatschen da klopfte es der kupferne kirchturmhahn trat ein trat auf den naechsten besten zu und ueberreichte ihm in einer adeg tasche ein frisch gelegtes gruendonnerstagsei sein ei der peinliche zwischenfall wurde vom buergermeister mit der provokanten frage an die versammlung ob das tragen von kuhglocken weiterhin auf die einheimischen beschraenkt bleiben soll uebergangen das mißgeschick war vertuscht der turmhahn starrt weiterhin immer in dieselbe richtung ein klaviervirtuose spielt die bagatellen von ludwig van beethoven.


naechste stelle 5 herab
4 weiter


3

im gebirge leben sehen daß die welt kein ochsenauge gletschermilch melken die wuerzige almluft schluerfen ein heißes heubad nehmen sage ich immer

die familie betrat nach anstrengendem aufstieg die sanften gruenen matten umhegt von einem lebenden zaun

alles eine herrliche panoramaaussicht

jedes familienmitglied mit einer spar tasche ausgestattet ein bazillentraeger die muntere mutter rollte den hochaltarteppich feierlich auf und legte sich in die verehrte feiertaggsonne die tochter dachte an das beste spray las strickmuster zaehlte maschen sagte ich schreibe jetzt direkt an die quelle und fing loewenzahnsamen mit der hohlen hand sehnen und kraft des sohnes verdampften in der frischen hoehenluft der vater fuhr seine antenne aus und schaltete auf sendung alle schauten einmuetig in die ferne

wandschonersprueche der enzian blueht als flaschenetikette der loewenzahn lacht kukident das babyhaus mit der festgirlande an der waescheleine grueßt immer und ueberall einkaufsglueck alle suchen ihren sahneschnurrbart hervor weil der alpeninspektor auf seinem verdauungswege vorueberkommt wir leben hier der schoenen leich zuliebe taetowiert er mit dem krummstab in den mattenrasen der vater stimmt das vaterunser an

inzwischen hatte sich der sohn des hauses in spiritus gebadet und der ballaststoffe entledigt textfetzen flogen der vaeterlichen nase entgegen kaempfende hirsche horchten auf er griff nach der geliebten tageszeitung in die der proviant eingewickelt war suchte die frauenspalte und deklamierte in erregter pose diesen winter traegt man herz

diesen winter traegt man herz

auf den schlag wurde das gemeinsame kauen eingestellt der almhuettenzauberer stach die mistgabel ins mattengruen die luft ging ihm aus ja kein zweiter fruehling in diesem jahr schworen sich die zirmgeistanhaenger

die bleichen eltern sie packten den ausgelassenen sproeßling schlugen ihn in eile in den hochaltarteppich und trugen ihn eintraechtig wie kundschafter ihre beute nach hause dort wurde er endgueltig ins familienherbarium aufgenommen

ein selten schoenes stueck lobt die ganze verwandtschaft blaettert weiter kaut weiter an lebkuchenherzen die schon im november gebacken im omoschachtelpackkarton unter dem ehebett einen sehr langen advent haben wie man weiß


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3 weiter


4

muede von der schicht ins weiße siedlerhaus zurueckgekehrt erfrischt den arbeiter die freizeitarbeit

der mann muede aber nicht todmuede zieht ruecklings den rasenmaeher aus der kellertuer aufhorcht die familie und die ganze friedhofsiedlung der anderen familien wenn die maschine gestartet angesprungen ist

alles ist diese tage schrecklich aufgeschossen die kurzgrasfreude ist dahin einem ungepflegten rasen ist niemand richtig gruen von tag zu tag wachsen die langgrassorgen

in der blauen hose blauen bluse rueckt der raseninhaber gluecklich und laut in den siedlungsfeierabend vor seine familie vollzaehlig die kinder zwar minderjaehrig allein aber rentenberechtigt die oma steht am eisernen gelaender der natursteinplattenharten terrasse im sonnenuntergang und vervollstaendigt das breite familienglueck

unter der oberaufsicht der frau obliegt der mann der intensiven rasenpflege er weiß ein kleines fleckchen erdreich umfriedet von einer mauer und einem jaegerzaun sein eigen er schiebt seinen rasenmaeher unerbittlich vor sich her bis an die grenzen seines eigentums

waehrend der rasenrasur ist der putz und waschtag der hausfrau unterbrochen die flinke handarbeitskunstfertigkeit der oma ruht im schoße der freizeit der kinderspielball liegt ovr dem garagentor in einer aergerlichen pfuetze alle hoeren andaechtig den fleißigen hunger des motors alle sehen den erfolg seines guten appetits

die von der fruehreife bedrohten kinder riechen auch den eigenartigen saft des abgemurksten rasengrases sie laufen einander jagend den atem wie die faeuste ungestuem vor sich herstoßend auf den ball zu und veranstalten ein donnerndes elferschießen auf das garagentor jeder treffer hinterlaeßt einen ballabdruck auf dem gruenen blech der unratstempel trocknet ein nicht auf

der kunstrasen braucht jetzt vollkommene schonung die kinder muessen mit dem vollstaendigen ballentzug rechnen


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5

aus unmut ueber die arbeitslust seines schwiegersohnes sich laengst von der mithilfe auf dem hof total zurueckgezogen verbringt der uralte bauer tag und jahr am rande der ruecksichtslos aufwachsenden jungen familie

die schlafkammer verlassen durch den tod seines weibes belagert von seinen enkelkindern verlaeßt er nur um in die kueche hinunterzugehen die kueche oder die stube verlaeßt er nur um seine notdurf zu verrichten bei ganz schoenem wetter schaut er auf dem untersoeller der bauern arbeit auf dem felde zu und denkt an seine ferne heldenzeit das haus verlaeßt er nur um in die kirche zu gehen wenn ein auto faehrt

unausgesetzt mit seiner pfeife beschaeftigt bis sie raucht wenn sie auszuklopfen sogar auszustochern neu zu stopfen und wiederholt in brand zu stecken ist erweckt er durch seine regelnmaeßigkeit wie er sie ausklopft und ausstochert oder wenn sie ihm unter der hand in ihre bestandteile zerfaellt wie er sie muehselig zusammenstellt und zitternd entzuendet unausgesetzt heimliches gelaechter in allen nachbarhaeusern und bei den fernsten angehoerigen vom schwiegersohn wird er jeden samstag rasiert und geschoren zur rechten zeit

in den schubladen einer kommode versteckt er seine habseligkeiten reservepfeifen pfeifenkoepfe pfeifenmundstuecke kriegsauszeichnungen glueckstopftreffer uhrkettenglieder eine eisenbahnfahrkarte aus den dreißiger jahren in klammer großkundgebung die erkennungsmarke landtabak und einen rot gefuetterten tabaksbeutel in reserve

die tuechtige baeuerin seine tochter verfolgt gleichgueltigkeit seinen sicheren kraefteverfall ein enkelkind wie es eine spielkugel auf dem boden einholt haette ihn fast aus dem gleichgewicht zu fall gebracht

scheinbar unbeteiligt verfolgt er die lauten stimmen zu den wirtschaftserwartungen er hoert abbruchsplaene waelzen er sieht neubauhoffnungen pflanzen anscheinend schwerhoerig setzt er sich in den winkel zum warmen herd offenkundig weitsichtig schaut er durch ein fenster in die großen waelder der schattseite den arbeitsschweiß des herrschenden hausherrn riecht er schon lange nicht mehr er hat sich jetzt ganz auf seine pfeife und auf die stellungen in der dolomitenfront zurueckgezogen.


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6

ist die wirtin aufgeraeumt und der wirt guter laune steht das gasthaus am platze im vollen licht der reklame

frau und kind im selbstgeschaffenen eigenheim in bester hut hinter sich lassend geht der mann ein witzvogel uebrigens am bach entlang am straßenrand ueber die bruecke ueber den oeden platz durch das ohrenbetaeubende bachrauschen auf den gelben fleck zu

eingetreten in den rauch und laerm faellt der erste schmaeh hoeflich laechelt der wirt hinter der barrikade waehrend der mann den ersten schluck genießt tunkt sein weib zwei finger in das naß an der tuer tupft sich die stirne macht das zeichen und hinter sich finster in der nebenkammer die stille tochter wartet geduldig aber ungeduldig auf ihren liebeskuenstler das abgestumpfte koerpergefuehl der mutter verliert sich im gerechten schlaf

der vater trumpft in dumpfer maennergesellschaft eingezwaengt zwischen uebungsuniformen auf noch als halbes kind im einsatz gegen partisanen erstarkt apportiert er seine gesinnungsbeichte die kellnerin sorgt mit zarter hand fuer volksmusik vom laufenden band ein heller bursch klopft mit dem absatz den takt auf den boden die braunen waende behaengt mit geschuetzten alpenblumenbildern erhoehen den wortwechselwirbel zu zeitloser gleichgueltigkeit

wirt und wirtin haben sich nach oben begeben der witzvogel muß federn lassen die kellnerin wendet sich ihrem kreuzwortraetsel zu in diese gespraechseinoede voll dunst ausduenstungen schweißgeruch holz und viehgeruch fußschweiß und schweißfußgeruch dringt nichts von der großen außenwelt ein nicht einmal das ewige rauschen der starken baeche vor und hinter dem gasthaus das wie auf einer halbinsel steht

immer wenn eine leiche aus einem der baeche heraufgezogen wurde wird noch engeres zusammenruecken feierlich gelobt alle vermißten sind aus dem hellen wirtshaustor ploetzlich in die finsternis tretend in das wasser gefallen

zu den haengenden koepfen der nelken in den kraenzen nicken die trauergaeste gottergeben der obduktionsbefund aus dem plattenlager der tuechtigen tischlerei neben dem gasthaus lautet eindeutig auf tod durch ertrinken fremdverschulden auszuschließen die anfaelle ausbrueche kraempfe salven am offenen grab in der schoensten vormittagssonne bleiben koerperlose signale aber in der totalen finsternis des dorfes geht durch die platzeinoede ueber die bruecke das immerwaehrende bachrauschen entlang ueber den steg ueber die stiege der freier heimlich zu braven tochter des einfamilienhauses.

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die abrechnung geht nicht auf
sie ist periodisch

(Aus: Trojer. Texte aus dem Nachlass von Johannes E. Trojer. Hg. von Ingrid Fürhapter und Andreas Schett. Innsbruck: Haymon 1998, S. 10–19; Nr. 1 und Nr. 5 erstveröffentlicht in: Arunda, Heft 4, 1977, S. 45–46)


Der Thurntaler Urban

Der Thurntaler Urban war ein armer Tagwerker in Unterwalden und fristete mit der Urschl, seinem Weib, ein kümmerliches Leben. Im Nebenverdienst sammelten sie in den Bergen Heilkräuter, um sie auf dem Markt in Sillian zu verkaufen. Aber das Geschäft ging schlecht und schlechter. Alles kaufte lieber bei den fremden Kräuterkrämern.

Wenn sie mit der Ware von Hof zu Hof hausierten, wurden sie überall abgewiesen und bei Tür und Tor hinausgeschafft. Da packte Urban der Zorn und er schwur Rache. Auf dem Heimweg fluchte er so lang und laut, bis der Teufel leibhaftig vor ihm stand. Urban rief: ‚Mir kannst auch du nicht helfen, schwarzer Teufel! Mach dich fort!“ Dieser drauf: ‚Was immer du willst, alles sollst du haben, wenn du mir die Seele verschreibst!“ Urban schlug kurzerhand ein und unterschrieb mit dem eigenen Blut.
Nun hatten alle Bauern arg zu leiden, denen Urban etwas heimzuzahlen hatte. Durch seine Teufelsmacht schadete er jedem, wo er nur konnte. Viele kamen durch ihn um Haus und Hof, Hab und Gut. Als die Leute merkten, wer der wahre Übeltäter sei, verjagten sie ihn, und er mußte sich zum Thurntaler-See flüchten, wo er fortan in einem Felsloch hauste.

Wenn er mit seinem langen Stecken Wellen ins dunkeltiefe Wasser schlug, zog schnell ein wildes Unwetter auf und richtete in der ganzen Gegend großen Schaden an. Wenn Blitz und Donner tobten, fuhren Urban und Urschl in einer hölzernen Milchschüssel durch die Lüfte davon. Manchmal ist der Höllische selber mitgeritten.
Ganz besonders hatte Urban es auf die Sillianer abgesehen. Er nahm Pickel und Schaufel und begann, das Ufer abzugraben, um den See auszulassen, damit das ganze Tal überschwemmt und verschüttet würde.

Dies sah zufällig ein Hirtenbub. Der machte schnell Lärm und ließ läuten. Als Urban die große Löfflerin hörte, war seine höllische Kraft gebrochen: ‚Weil ich den Stier in Sillian brüllen höre, kann ich nicht mehr weiter!“ Aus Wut warf er die Schaufel samt dem Letten drauf weit von sich, und wo sie niederfiel, sind heute noch schwarze Flecke, wo gar nichts wächst.

Der Thurntaler Urban trieb noch andere starke Stücke, bis ihn und die Urschl der Arm der gerechtigkeit ergriff und ins Loch steckte. Zuletzt wurde er gehängt, sie wurde geköpft. Die Leichen wurden verbrannt. Die Asche wurde in alle vier Winde zerstreut.

(Aus: Trojer. Texte aus dem Nachlass von Johannes E. Trojer. Hg. von Ingrid Fürhapter und Andreas Schett. Innsbruck: Haymon 1998, S. 28–29; erstveröffentlicht in: Thurntaler, Heft 1, 1977, S. 26)


wolkenloser herbsttag

wolkenloser herbsttag in seinem ganzen beschreibungszustand, da geschieht es, der bach vorüber, ein auto vorbei, laubrechzeit, wo spielen die lauten kinder?

Im firststadel die hölzenen zähne rund um das kreuz, unter dem korb eine glucke, tritthart gefroren fällt es von den eschen, oben der wind, ein besen, der kein besen ist, nie mehr grüne fäuste vergraben, das wasser ausgeronnen, die ruhe vollkommen, über die böschung gebeugt das klopfen der turmuhr, die beschreibung endet am boden
ich sehe durch ein wirkliches fenster in eine leinenwandlandschaft oder durch ein gemaltes in eine gemalte, es ist wirklich ein kulissenfenster, durch das ich den einschleichdieb zu gewärtigen habe, stiege und stadel, wind und weite, eine anrüchige kammer, hosenwechsel, rauchpause, hinter dem hausberg wartet der einsager auf das stichwort
„ich liebe dich, ist das so schwierig?“
diese abgrenzung, diese selbstbeschränkung, lauter blätter, die nach fäulnis riechen, frische und abgestandene, frische blätter faulen riechen, süß schmecken die erfrorenen erdäpfel
über den weg eine katze, wem rennt das luder wohl nach, der letzten frischfleischration?
ich liebe den herbst und die liebe zum herbst, lasse die läden öffnen, der winter schreckt mich nicht, vierzig jahre alt
neben mir sitzt meine leiche in spiritus, hochprozentig, neben mir gehe ichmir voraus auf dem fliegenden grünen teppich, wachs ist ausgeronnen, der mir getreuen frau spannen im schlaf die augen die lidwölbungen, unverwüstliche kunstkränze, davon ein blatt, ein blatt zupfe ich in fransen und mache mir himmel und hölle zurecht
postscriptum
um die marendezeit bringt die bäuerin ein kind auf das feld, im reitersitz

(Aus: Trojer. Texte aus dem Nachlass von Johannes E. Trojer. Hg. von Ingrid Fürhapter und Andreas Schett. Innsbruck: Haymon 1998, S. 23)


ROEHREN ABER

ROEHREN ABER den entrinder von der hohen esse herunter langen und das material an der stubenwand aufschichten hennen ROEHREN ABER durch das offene hoftor hinausjagen den schaft über die schulter werfen und die sich sperrenden äste abbrechen ROEHREN ABER auf dem weg zum spiel wurmfarn köpfen und boviste zum platzen bringen und das fuder in der tränke anhalten ROEHREN ABER lachen mit völliger blindheit drohen die klinge in die fäulnis stoßen den abgrund absichern und mit zwei rüstigen armen aufladen was das zeug hält ROEHREN ABER den stoß stützen abdecken den entrinder weglegen und mit absicht drauftreten und alles auf das sauberste zurichten alle zweige ROEHREN ABER kleinhacken rundum richtig feststampfen mit der ganzen kraft mit dem rücken in das bindseil fallen und den braunen schwarm in den wind jagen ROEHREN ABER spucken die leichen für den transport stapeln maß nehmen die taxen beiseite schaffen kopflos stehen bleiben und die längsten und breitesten stücke ROEHREN ABER austreten schuppen lostreten mit beiden händen steine herzutragen die weiße nasse haut umkehren und das fällen in gottesnamen angehen ABER ROEHREN.

(Aus: Trojer. Texte aus dem Nachlass von Johannes E. Trojer. Hg. von Ingrid Fürhapter und Andreas Schett. Innsbruck: Haymon 1998, S. 74)


Notizen für eine Dorferhebung I (1983)


hans trojer

notizen für eine dorferhebung


Als die Quelle aller Übel gilt die sozialistische Bundesregierung, vor 1970 war es Wien im allgemeinen. Die Feindseligkeit gegen die Regierung – im Grunde gegen jede – ist echt und tief. Sie ist wohl eigentlich gegen den Staat an sich gerichtet, und dies trotz seiner vorteilhaften Wohlfahrtsfunktion. Der Betrugsskandale der letzten Zeit hat es dazu nicht bedurft. Geographisch oder personell näherliegende ‚Unzukömmlichkeiten’ werden in der Kritik schonender behandelt. Die ÖVP-Politiker gelten als vertrauenswürdiger, aber auf eine bestimmte Weise werden sie selbst von ihren Wählern als „Lumpen“ angesehen.

Als Tito noch lebte, hieß es, wenn der Tito einmal stirbt, kommen die Kommunisten unten herum und sind in 24 Stunden an der Grenze. Dann Gnade uns Gott, uns friedliebenden Leuten!

Am meisten schimpfen jene Funktionäre und Beamten über den Bürokratismus, die die ärgsten Paragraphenreiter sind, wenn es zur Durchsetzung ihrer Ziele dienlicht ist.

Amphitheatralisches Gelände, auf dem das Dorf in Etagen gestaffelt erscheint. Gute Aussicht auf die jeweilige Gegenseite, daher in vielen Häusern ein „Spektivrohr“ von Qualität vorhanden und eine Person die längste Weile, die den Feldstecher bedient. Man beobachtet, aber will nicht beobachtet sein, am wenigsten beim Beobachten.

Anzeichen für Zustände, fühlbarer Beweisnotstand. Es gibt unanfechtbare Praktiken, die im Zusammenwirken das Gefüge langsam verschieben. Kultureller Rückfall in die Dreißigerjahre. Fernwirkung anonymer Einflüsse gering und verzögert, umwälzende Einbrüche, daß sie zu einer völligen Desorientierung geführt hätten, sind nicht vorgekommen. Ausschlaggebend ist hier der Führungsstil, sind die militanten Aktivitäten der Funktionäre. Die Meinungsführer verstärken die faschistischen Leitbilder und Wertvorstellungen, die in der Bevölkerung ohnehin noch reichlich vorhanden sind. Das öffentliche Leben vergiftet das private, anstatt es zu befruchten und zu bereichern. Hier treiben die Herrschenden den kulturellen Kahlschlag voran.

Auch die ÖVP-Ortsparteileitung gibt jährlich ein Informationsblatt heraus. Daraus (1980) ein scharfer Ton in eigener Sache, unterfertigt vom Gemeindeparteiobmann, Bauernbundobmann, Wirtschaftsbundobmann und AAB-Obmann. Am Schluß der ‚Klarstellung’ wird drohend deutlich, wohin bereits leise Regungen von Kritik führen können: „Leider ist es notwendig, hier auch auf einen wenig erfreulichen Umstand der Gemeinderatswahl einzugehen. Bekanntlich wurden Gerüchte und Verdächtigungen in unverantwortlicher Weise dahingehend ausgestreut, die Vorwahl sei nicht einwandfrei ausgewertet, und die Liste sei nicht nach dem Vorwahlergebnis entsprechend erstellt worden. Die Auswertung der Vorwahl erfolgte durch eine Gruppe von acht Personen. Darin waren alle Teilorganisationen der ÖVP bzw. alle Berufsschichten, alle Ortsteile, Gemeinderäte und Nichtgemeinderäte vertreten. Eine ausreichendere gegenseitige Kontrolle dürfte kaum möglich sein. Der Wahlvorschlag (Liste) wurde unter Berücksichtigung der zwischenbündischen Abmachungen – bekanntgegeben im Wahlaufruf – genau nach dem Wahlergebnis erstellt. Alle anderslautenden Behauptungen gehören in den Bereich der Verleumdung. Die Verantwortlichen sehen sich zu dieser Stellungnahme veranlaßt, weil auf Grund dieser Gerüchte eine spürbare Verunsicherung in der Bevölkerung festzustellen war, einhergehend mit wachsendem Misstrauen, das letztlich gemeinschaftsstörende Auswirkungen hat.“

Auffassung, die ‚Jugend’ muß „niedergehalten“ werden. Ein dienliches Mittel, sie unter Kontrolle zu bringen, sie dem Allgemeinwohl dienstbar zu machen, ist, sie in einen Verein zu stecken. Aufnahmeritus ist das „Hansen“ und dessen ‚optimales’ Endergebnis: der Initiant kann stockbesoffen, womöglich bewußtlos den Eltern abgeliefert werden. In der Vereinswelt sehen sie die Erwachsenen gut aufgehoben.

Bedeutend gewandelt hat sich das Ansehen der ‚Großbauern’, es hat sich auf die gewerblichen Unternehmer mit der höchsten Arbeitsplätzeanzahl verlagert. Diese haben Chancen für öffentliche Funktionen, dazu Personen, die funktionärliche Tüchtigkeit erwarten lassen oder bereits bewiesen haben. Von den wenigen Großbauern aus dem 19. Jh., die dann auch noch in der ersten Hälfte des 20. Jhs. Gesellschaftspolitisch in jeder Weise den Ton angegeben haben, ist nicht mehr viel übriggeblieben. Kenntlich sind sie noch an der Kubatur ihrer Häuser. Heute wird nicht mehr auf den größten Bauern gesehen, sondern auf den tüchtigsten. Seine Tüchtigkeit in der Wirtschaft wird aber nicht in der Weise anerkannt, daß er eben kraft dessen ohne weiteres wählbar erscheint. Mangelnder Wille des Betreffenden oder gar die Ablehnung, ein „Amtl“ zu übernehmen, ist selten.

Bei der letzten Gemeinderatswahl hat der gefährlichste Mann der Gemeinde beträchtlich an Stimmen und den Vizebürgermeistersessel eingebüßt. Ein kleiner Denkzettel, dass er in seiner radikalen Vorgangsweise zu weit gegangen ist. Gefährlich? Bei unverfänglichen Gelegenheiten macht er aus seiner nazifaschistischen Einstellung kein Hehl. Konkreter Anlaß für den Unmut der Bevölkerung war 1979 der Kauf eines noch größeren Tanklöschfahrzeuges um eineinhalb Millionen Schilling, den er im Gemeinderat hart durchsetzte. Im Rundschreiben zum Spendenaufruf an die Haushalte wird mit technischen Daten, was das Gerät alles für Stückchen spielt, imponiert, u.a.: „Dieses Löschfahrzeug ist mit mehrstufig kombinierter Hoch- und Mitteldruck-Kreiselpumpe ausgestattet, mit deren Hilfe man das Löschwasser unter einem Druck von 40 atü förmlich auf das Brandobjekt zu schießen vermag“ und am Schluß steht: „Zeigt Euch nicht negativ diesem Gemeinschaftswerk gegenüber, denn keiner hat einen Freibrief von Brandkatastrophen verschont zu bleiben.“ Im Schreiben keine Rede davon, daß für das neue Auto dann auch ein neues Feuerwehrhaus gebaut werden muß, weil es ins alte nicht hineingeht. Dieser Umstand war allgemein bereits bekannt, und es ist dann auch genauso gekommen. Diese Anschaffung für die ganze Region wäre noch einzusehen gewesen. Also reiner Prestigekauf auf Kosten der Allgemeinheit. – In der Feuerwehr herrscht unbedingter Gehorsam und Gefolgschaftsgeist, es ist eine Privattruppe mit militärischer Disziplin. Aus Einladungen: „Anläßlich des Florianikirchganges werden junge Kameraden am Kirchplatz feierlich angelobt.“ Oder: „Anläßlich des Florianikirchganges werden verschiedene Kameraden für langjährige Treue zur Feuerwehr geehrt und gehört daher eine geschlossene Teilnahme auch zur kameradschaftlichen Pflicht.“ Oder: „Besonders für alle aktiven Kameraden ist die Teilnahme am Florianikirchgang ehrende Verpflichtung.“ Beim Feuerwehrball, bei der Jahreshauptversammlung und beim Florianikirchgang ist selbstverständlich „für aktive Feuerwehrkameraden das Erscheinen in Uniform Pflicht“. Der Feuerwehrball ist der ranghöchste, aber auch er hat in letztet [sic!] Zeit an Zugkraft verloren, wenngleich es zur ‚Ehrenpflicht’ der Mitglieder gehört, ‚mit Gattin’ zu erscheinen. Und am Ende dann der fromme Wahlspruch wie ein Witz über allem: „Die Ehre geben wir Gott, die Hilfe den Menschen in der Not.“

Beteiligung an Einrichtungen für den ganzen Bezirk: Krankenhaus, Altersheim, Pflegeheim, Müllabfuhr. Selten Fälle, daß alte oder pflegebedürftige Menschen in die Bezirksstadt abgeschoben werden, und das wollen die wenigsten auch. Das herkömmliche Sozialnetz dafür ist noch intakt. Wer von daheim ausziehen muß, wird von Verwandten aufgenommen, und auch die Gemeinde unterhält für Alleinstehende einige Quartiere im Alten Schulhaus. Bürgermeister, Schuldirektor, Pfarrer, der ÖVP-Ortsparteiobmann und einige andere in ihrem Fahrwasser haben sich – wie abgesprochen – auf einen soliden Mittelklassewagen, der jedes dritte Jahr durch einen neuen ersetzt wird, eingefahren. In der vorletzten Autogeneration fuhren sie sogar dieselbe Type und Farbe: grüner Opel.

Das Fernsehen in vielen Häusern Kindermädchen, für alle Konsumartikel erster Ordnung. Freizeitgestaltung durch Fernsehen, zerrissene Mahlzeiten, unterbundenes Reden, Schlafbrechen, selbst Bewegungsverbot im Raum, wo die Kiste „geht“. Die Kenntnis und Vorstellung von der ‚Außenwelt’ kommt also durch die Scheibe, eine Fernsehwelt. Konsumiert werden überall die überall massenhaft konsumierten Serien von Dalli-dalli bis Dallas von groß und klein. WC-Abfahrtsübertragungen schaffen in den Häusern eine Ausnahmesituation. Das Leben steht still.

Das ist allgemein allen völlig klar: der sogenannte Wohlstand bringt Schlechtes. Früher war man viel zufriedener, die Leute wissen sich nicht mehr zu helfen in ihrem Übermut, werfen Moral, Sitten und Herrgott über Bord. Not lehrt Beten, davon sind alle fest überzeugt.

Das schönste Feld, sagen die Bauern, benützt ein auswärtiger Sägewerksbesitzer zur Ablagerung der Rinde. Der ausgebaggerte Fleck ist vollständig ausgebrannt, er grünt nicht an und es bleibt kein Schnee liegen. Den Bauern tut der Bauch weh, wenn sie den Rindenfriedhof ansehen; ebenes Feld ist hier eine Rarität.

Der Barras machte hier eine Waffenschau. Einladung in alle Haushalte, Ritte der Kinder auf den Haflingern eine Runde um Feichtlerpeterhansenshaus. Etliche Männer aus Ämtern und Geschäften am Dorfplatz kamen herbei. Ein einziger Weltkriegsheimkehrer ist eigens vom Berge heruntergestiegen. Die Dörflerkinder taten sich bei den aufgebreiteten Waffen und Bestandteilen um. Das Betreuungspersonal half ein Gewehr in Anschlag bringen, hinter dem Maschinengewehr Stellung beziehen, im „Spind“ das lustige Soldatenleben bewundern. Die Tage danach wurde Krieg gespielt: Anschleichen, Angriff, Verfolgung, Gefangennahme, Exekution, mit hölzernen MP’s.

Der eine Altbürgermeister macht immer noch die Lohnverrechnung für die Gemeindebediensteten. Seit 1968 ohne politisches Mandat, hat er damit zumindest einen Fuß in der Tür der Gemeindekanzlei behalten. Er wird kritisiert, daß er dieses „Amtl“ für einen Jungen freigeben soll, obwohl er’s unentgeltlich macht. Er ist 82 Jahre alt.

Der Fremdenverkehr kann es nicht gewesen sein, wenn hier allerhand kaputt gegangen ist. 24 000 Nächtigungen. Woher also der Substanzverlust in der Dorfkultur? Die Musik unter jeder Sau, der Gesang auf dem Hund, die Theatergruppe spielt die dümmsten Lach- und Tränenschinken, die Leihbücherei fristet ein kümmerliches Dasein, geistige Aufgeschlossenheit gering, die Sportunion ist zu einem verschrobenen Funktionärsklub zusammengeschrumpft, nur die Feuerwehr ist derart ‚schlagkräftig’, daß man lieber nichts dagegensagt.


aus der gemeindezeitung

Rubrik: Einheimische Wirtschaft


1982
Bei dieser Gelegenheit soll auch anerkennend festgehalten werden, daß die einheimische Wirtschaft allein in unserer Gemeinde gut 70 Arbeitsplätze bietet.

1981
In diesem Zusammenhang muß das nach wie vor erfolgreiche Bemühen der einheimischen Wirtschaft gewertet werden, die durchwegs Vollbeschäftigung aufweisen kann.

1980
Besonders anerkannt muß wiederum das Bemühen der einheimischen Wirtschaft gewertet werden, die durch Einsatz und Fleiß Vollbeschäftigung aufweisen kann und den Arbeitsmarkt wesentlich entlastet.

1979
Besonders anerkannt muß auch das Bemühen der einheimischen Wirtschaft gewertet werden, die durch Einsatz und Fleiß Vollbeschäftigung aufweisen kann und den Arbeitsmarkt wesentlich entlastet.

1978
Die einheimische Wirtschaft kann dank ihres Einsatzes und Fleißes Vollbeschäftigung aufweisen und entlastet wesentlich den Arbeitsmarkt.

1977
Die einheimische Wirtschaft kann dank ihres Einsatzes und Fleißes Vollbeschäftigung aufweisen und entlastet wesentlich den Arbeitsmarkt.

1977
Die Auftragslage in verschiedenen Bereichen der Wirtschaft ist zufriedenstellend. Die Konkurrenz und die steuerlichen Belastungen sind aber teilweise existenzgefährdend.

1976
Die einigermaßen zufriedenstellende Beschäftigungslage ist wesentlich ein Verdienst der privaten Wirtschaft, deren Initiativen und Einsatz durch kein Staatsmonopol ersetzt werden kann.


Der Mensch als solcher ist an sich nichts wert, das ist durchgedrungen. Nur seine nützliche Funktion, und diesen Wertmaßstab legen die Funktionäre vor. Von daher auch ständig die bemühte Trennung zwischen Person und Funktion, amtlich und privat. Langjährige Funktionäre haben das doppelte Gesicht perfekt ausgebildet. Wenn sie die Amtsmiene aufsetzen, sind sie zum Vorstoß oder zur Verteidigung gewappnet, sie schauen aus dem Visier. Und, Würdenträger laufen nicht, denn sie könnten das Gesicht verlieren.

Der Militärdienst gilt als ‚Schule der Nation’. Erst dort wird so mancher Dorfwildling zu einem Menschen gebügelt. Jedenfalls, es schadet niemandem. Die Meinungsführer bekunden, auf einen tauglichen Jahrgang stolz zu sein. Wer sich vor dem Barras durch den Zivildienst „drückt“, ist unten durch, aber wie ein Außenseiter, ein Feigling, ein Schwächling, mit dem etwas nicht ganz in Ordnung ist, ein zweifelhaftes soziales Element. Einige von hier haben Zivildienst gemacht. Während der Dienstzeit und Monate und Jahre nachher hatten sie in der hiesigen Vereins- und Gasthausgesellschaft einen schweren Stand. Beschimpfungen gemeinster Art, Drohungen bis zum Umbringen. Einer möchte Zivildienst machen, aber er getraut sich nicht. Er leistet den Dienst mit der Waffe, damit er „sicher“ ist. Den größten Pick auf Zivildiener scheinen jene Abgerüsteten zu haben, denen es beim Barras selber saumäßig ergangen ist.

Deutsche Feriengäste seit den Sechzigerjahren. Einige Frauen haben nach Deutschland geheiratet. Solche Verbindungen und der Umgang mit Stammgästen vermittelt spürbar westdeutsche Anschauungen, vor allem in der Ideologie der Arbeit und Wirtschaft.

Die Gemeindeangestellten, Gemeindearbeiter, Aufräumerinnen, aber auch das Lift- und Kassenpersonal sind am direktesten von der Gemeinde abhängig. Andere Arbeitnehmer lassen sie gelegentlich spüren, als genössen sie ein besonders schmackhaftes Gnaden-Brot. Die Entscheidung über Existenzen ist in höchstem Maße personalisiert, und diese Abhängigkeit gewährleistet ein loyales Wohlverhalten von selbst. Arbeitnehmer, die im Ort ihren Arbeitsplatz haben, werden von Auspendlern mit Vorhaltungen attackiert. Ein solidarisches Verhältnis besteht nur innerhalb der einzelnen Arbeitspartien. Die Beziehungen sind also mehrfach gestört.

Die „Gemeindezeitung“, 5 – 7 Seiten auf Weihnachten jährlich. Zuerst von seiten des Bürgermeisters „Aus dem Gemeindegeschehen“. Der Inhalt seiner zwei Seiten auffällig gleichlautend, gleichbleibend: Haushaltssumme, Schneeräumungskosten, Arbeitsplatzsituation, Fremdenverkehr, Landwirtschaft und Gewerbe, öffentliche und private Bautätigkeit, Bildungsprogramm und Vereinswesen. Die Textbeispiele im Kasten erhellen den möglichen Funktionswert. Geboten wird eine Art Beurteilung der Lage, in Form wertender Eigenschaftswörter werden Zensuren gelinde ausgeteilt, der Hintergrund wird meist nur in Anspielungen angedeutet. Auf die bürgermeisterlichen Sätze folgen einige Informationen über Sachen, die aktuell sind: Bauen im Freiland, Ausgleichszulage, Einheitswertbescheide, Lohnsteuerkarten, Müllabfuhr, Deckumlage, Arbeitslosengeldbezug, Kohleaktion der Landesregierung usw. Der letzte Teil der Gemeindezeitung bringt unter der Rubrik „Zum Nachdenken“ in lehrreich sein sollenden Sentenzen ‚Besinnliches’ aus ver- [sic! Anm. d. Verf.: An dieser Stelle ist sichtlich eine Zeile verlorengegangen!] Weihnachts- und ein Neujahrsgedicht.

Die Jäger sind unter sich mitunter feindselig zerworfen und trotzdem eine durch gemeinsame Interessen verbündete zusätzliche Gruppe, der Zahl nach nicht groß, aber einflussreich, indem die ‚Spitzenfunktionäre’ des öffentlichen Lebens und der Vereine in der Regel eben zugleich auch Jaga sind.

Die Kärntener Volkszeitung hat unlängst eine Dorfportrait gebracht, bebildert mit den maßgebenden Ortsgrößen. Leser sagten, da sei die Dorfmafia schön beisammen. Die besonders hartnäckigen Köpfe der Gemeindepolitik werden als ‚Stiere’ bezeichnet.

Die Lehrer sollten außerhalb ihres Dienstes Diener aller Herren sein, ihre Autorität soll die anderen Autoritäten stützen. Da sie gewandtere Umgangsformen haben, sind die der Repräsentation örtlicher Organisationen hilfreich. Damit sind auch die Integrationsmöglichkeiten bereits umschreiben. Ausgeprägtes Misstrauen in die „Intelligenz“ als Folge jahrhundertelanger Unterdrückung, Auspressung, Bevormundung. Bis vor kurzem war es hauptsächlich die Kirche, die die Menschen geknechtet hat. Also zwiespältiges Verhältnis zu Intellektuellen: Aus Autoritätsgläubigkeit das Bedürfnis, geführt zu werden, andererseits Reserviertheit vor den Ideen, die sie eventuell neu ins Dorf bringen könnten. Will eine Lehrperson außerschulisch wirksam werden, muß sie sich unbedingt an die übrige Ortobrigkeit anhalten und zumindest im Anschein guten Einvernehmens handeln. Hier hat es alle Versuche gegeben, Lehrer, die in die Vereine eingetreten sind, die sich volkstümlich gebärdet und sozusagen alles mitgemacht haben, um als Gleicher unter Gleichen zu sein. Es muß eine große Genugtuung gewesen sein, als einmal die Vereinskameraden den vollen Herrn Direktor beim Abtransport von einer Gipfelmesse in jeden frischen Kuhfladen setzen haben können.

Diesmal wurde nicht einmal der Schein gewahrt. Wenn sich schon eine Frau beworben hätte, hätte sich sicherlich ein guter Vorwand finden lassen, die Stelle trotzdem einem männlichen Bewerber zu geben. Nämlich bereits im Ausschreibungsschreiben für den Posten in der Kasse waren Frauen ausgeschlossen. Und wer hat ihn gekriegt? – Ein Sohn des mächtigsten Mannes in der Gemeinde. In diesem Falle hat sogar die kaufmännische Lehre genügt, an sich war Handelsschulabschluß Grundbedingung.

Die wenigen aufgrund ihrer beruflichen oder amtlichen Stellung anerkannten ‚Besseren’ im Dorfe und die nicht so wenigen Bessersein-Wollenden, die nicht anerkannt, sondern belächelt werden, zeigen ein gewisses Lechzen nach genealogischer Tradition. Wenn’s irgendwie geht, sich ein Familienwappen zulegen! Die Kleidermode, um den Status zu präsentieren, spielt in der letzten Zeit eine geringere Rolle. Den letzten Schrei trägt jetzt die adoleszente Jugend zur Schau, auch zur Provokation. Die Besseren pflegen nach außen betont heile Familie, der Familienspaziergang hat manchmal demonstrativen Charakter.

Dorfbild: Im Kern ziemlich missgestaltet, ein Produkt der letzten Jahrzehnte. Der alte Baubestand war weder der Zahl noch der Qualität nach nennenswert. Die einmalige Gelegenheit, ein neues Dorf für die Bedürfnisse der Öffentlichkeit und der Privatsphäre gut anzulegen, war gegeben gewesen. Daraus ist nichts geworden als eine gegenseitig sich isolierende Anhäufung einförmiger Protzobjekte, die die Bewohner und die Anrainer anöden. Die Meinungsführer geben auch in diesen Belangen den Ton an. Sie finden so ziemlich alles wohlbestellt. Jetzt wird die Kirchseite übel zugerichtet.

Eine gewisse Rangfolge der Vereine nach der Geltung in der Bevölkerung: Feuerwehr (unbestritten), die Musikkapelle (gilt als Kulturträgerin erster Güte), die Schützenkompanie (wird am häufigsten in Frage gestellt),; Schützengilde, Sportunion, Theatergruppe, Kirchenchor, Bergwacht, Männergesangsverein, Hundezüchterverein. Diese werden in ihrer Bedeutung sehr unterschiedlich eingeschätzt, jedenfalls niedrig im Unterschied zu den obersten.

Eine organisierte Partei-Organisation hat nur die ÖVP. Oppositionen in den öffentlichen Gremien sind folglich entweder sachlich, häufig aber persönlich motiviert. Stimmenanteil der anderen Parteien bei Wahlen in Land und Bund: 10–15 %.

Einer der Wirte hat sich neuerdings baulich erweitert. Den Saal, wo Versammlungen, Festessen, Hochzeits- und Totenmähler stattfinden, hat er neu ausgestaltet. Auf die Stirnwand, wo davor die Haupttafel entlangsteht, wo die Hauptpersonen sitzen oder vorsitzen, hat er eine „Familie“, bestehend aus stehendem Vater, sitzender Mutter, ihr auf dem Schoß sitzendem Mädchen und am väterlichen Hosenbein sich anhaltendem Knaben malen lassen, daneben den Spruch: „Ein Volk dem seine Mütter heilig sind wird sich von Erfolg zu Erfolg bewegen“. In deutscher Fraktur. Der Wirt scheut sich nicht, stolz mitzuteilen, daß genau dasselbe Bild mit genau demselben Spruch seinerzeit in Hitlers Reichkanzlei eine Wand geschmückt hätte, und zeigt auch die Vorlage her.

Einmal bot die Tonanlage zum Mittagstisch Nazilieder fürs ganze Lokal. Als sich eine deutscher Pastor bei der Kellnerin beschwerte, sagte sie, sie hätten die Kassette von einem deutschen Gast bekommen.

Ein Kritiker, der an herrschenden Gepflogenheiten und Zuständen rütteln will, hier? Er müßte sich Selbstaufopferung zutrauen. Sicher, ein paar Leute wären im stillen Einverständnis auf seiner Seite, jedoch zu keinem gemeinsamen Lautwerden bereit. Zivilcourage ist alles eher als erwünscht.

Erst als Vereinsmitglied ist der Mensch Mensch, im Verein ist er was wert, Selbstaufgabe oder Selbstverwirklichung im Verein, der Verein überhöht das Dasein, steigert das Eigenwertgefühl, gibt einen tieferen Lebenssinn aus dem Grunde, anerkannt nützlich zu sein.

Erstarrt und steif das öffentliche Leben. Von einem Verein aufgefangen zu werden, ein Glied in der Reihe sein oder – abseits stehen. Wer sich diese Freiheit nimmt, hat mit Mißgunst zu rechnen, denn der hat für den „Nächsten“ und für die „Allgemeinheit“ nichts übrig. Dagegen steht die Aasgeiermentalität mancher Helfer, Schützer und Retter.

Es sind dieselben – die, die die Warenlager und Fassungsstellen bei den Zusammenbrüchen geplündert haben und die, die dann die ganze Zeit danach nach Ordnung und noch mehr Ordnung rufen.

Gebrauch der elektronischen Kommunikationsmedien: Der „Tozzenhacker“ ist sehr bekannt. Hat jemand eine Beschwerde über einen öffentlichen Missstand, sagt er, das gehöre in den Tozzenhacker. Ebenso möchte der Dank für ein auffälliges Entgegenkommen durch eine „Ehrentozzen“ bekundet werden. Tatsächlich wird aber davon selten Gebrauch gemacht. Man konsumiert die Tozzen anderer und gewöhnt sich, Lob und Tadel zu delegieren. Ähnlich die Einsendungen zum „Wunschkonzert“ bei Alters- und Standesjubiläen. Rührung bis zum Schneuztuch auf beiden Seiten, der Gratulierten und der Gratulanten. Ein Gefühl der Zurücksetzung, wenn nie dergleichen geschieht. Es ist wie mit den Ehrenurkunden, Medaillen und Geschenkkörben. Öffentlich oder von einer öffentlichen Stelle geehrt zu werden, hat ungeheure Bedeutung erhalten, als wäre das Selbstwertgefühl zwangsläufig von der Anerkennung durch eine Obrigkeit abhängig. Hierin sind die Leute sehr empfindlich und beleidigt, wenn sie übersehen oder übergangen werden. Aber wie frisch mit Ordne Bedachte am liebsten sähen, daß gleich darauf das Füllhorn versiege, aus dem solche Ehrungen fließen, ist immer auch Mißgönnen und Neid dabei. Die begehrte Geste der Öffentlichkeit erscheint wie ein Äquivalent zur Mißachtung des Menschen im übrigen.

Grobe Lebensart, die man sich aneignen muß, wenn man sich „profilieren“ will, läßt sich beliebig zuschreiben: Dem Klima, der körperlichen Arbeit, den ärmlichen Verhältnissen, dem Existenzkampf im allgemeinen. Von außen besehen schaut das nach unverfälschtem Volkscharakter, der naturnotwendig so ist und immer schon so gewesen sei, her. Beides ein Irrtum. In der rauesten Natur könne rücksichtsvolle verstärkte Charaktere gedeihen, wenn sie nicht gesellschaftlich niedergemacht werden. In den letzten Jahren hat sich ein ausgesprochen militanter Gesellschaftsstil entwickelt, betrieben von eigen wenigen, einflussreichen Schreiern mit einem Verein als Hausmacht hinter sich. Umgangsformen versteckt und offen aggressiv. Wer nicht mit den Wölfen heult, wird an die Wand gedrückt.

Gute Lebensart muß man bei Privatmenschen suchen, dort gibt es sie gar nicht selten, aber sie sind schon eher nur mehr an der Peripherie der Siedlung zu finden, von einer gewissen Rückständigkeit begünstigt. Hier auch der Widerstand gegen organisiertes Vorgehen und Durchziehen am größten, das Misstrauen in Machtapparate, die als eine die persönliche Entscheidungsfreiheit bedrohende Gefahr empfunden werden, am stärksten. Der Vorbildwirkung der dorfbeherrschenden Funktionärsgruppe in Lebensstil und Werthaltung kann man sich schwer entziehen.

Importierte Veranstaltungen wie Seiltänzer, Zauberer, Zirkus- und Riesenschlangenvorführungen, Werbevorführungen von Firmen usw. finden wenig Anklang. Die Bevölkerung ist damit nicht auf die Palme zu bringen. Von gastierenden Theatergruppen und Chören meinen Einheimische, sie schädigen die ortseigenen Vereine.


aus der gemeindezeitung

Rubrik: Funktionierende Dorfgemeinschaft


1982
Unser Gemeindeleben prägt wesentlich ein reges Vereinswesen in verschiedenen Bereichen. Allen Aktiven und Führenden auf diesem Gebiete soll auch auf diesem Wege ehrliche Anerkennung und Dank ausgesprochen werden.

1981
Wesentlicher Ausdruck einer funktionierenden Dorfgemeinschaft ist ein durchwegs reges Vereinsleben in verschiedenen Bereichen. Allen Aktiven und Führenden auf diesem Gebiete soll auch auf diesem Wege Anerkennung und Dank ausgesprochen werden.

1980
Wesentlicher Ausdruck einer funktionierenden Dorfgemeinschaft ist ein durchwegs reges Vereinsleben in verschiedenen Bereichen. Allen Aktiven und Führenden soll auch auf diesem Wege Anerkennung und Dank ausgesprochen werden.

1979
Anerkennung und Dank soll auch auf diesem Wege allen Aktiven und Führenden der verschiedenen Vereine ausgesprochen werden, die durch ihre Tätigkeit einen entscheidenden Anteil am Funktionieren der Gemeinschaft der Gemeinde haben.

In allen möglichen Anliegen und Angelegenheiten hieß es früher fleißig beten, heute gilt das Daumenhalten, der Unterschied? – Diese Bekehrungen gehen auch hier still vonstatten.

Informationsfluß aus der Gemeindestube – gefiltert. Es kommt das durch, was das Ansehen der Funktionäre und das Vertrauen in sie erhält. Informationen werden einfach auch vorenthalten, unterbunden. Das Defizit in der Sachkenntnis des Bürgers dient zur Egalisierung seiner Einwände. Die nichtjährliche, öffentliche Gemeindeversammlung und die Gemeindezeitung dienen als Alibi fürs Nichtvorhandensein demokratischen Lebens.

Integrationsfigur ersten Ranges ist der Bürgermeister, für alle Berufs- und Bevölkerungsgruppen. Die Funktion als Bezirksbauernobmann hat sein Ansehen in der Gemeinde noch gesteigert. Er ist wählbar für die breitesten Kreise, Ratgeber, Schlichtungsinstanz usw.

Jetzt hat die neue Kindergärtnerin, die erste einheimische, den Posten beinahe nicht bekommen, weil der einflussreichste Mann der Gemeinde (nicht der Bürgermeister) dagegen war, obwohl sie fachlich und menschlich hohe Qualitäten besitzt.

Kümmerliches Dasein der Katholischen Jugend und Katholischen Jungschar. Immer wieder Wiederbelebungsversuche, obwohl sie jetzt in der Bevölkerung einen besseren Fuß haben als früher.

‚Kameraden’ der Vereine grüßen gut und gern mit „Heil“, „Heil und Sieg“, Halbwüchsige machen es schneidig nach. Nicht unüblich ist auch der deutsche Handgruß.

Kantinenatmosphere [sic!] in den Gasthäusern. Wirtsleute und Personal klagen über die Sitten einheimischer Kunden. Gesellschaftssuff mit Trinkzwang. Es wird viel gesoffen! Verkehrsunglücke, Schlägereien, Ehrenbeleidigungen im Rausch, Exzesse wie in der Halbwelt. Wenn die Gendarmerie ins Tal hereinkommt und der Frischdienst, ist garantiert Montag, beide beschäftigt mit den Folgen des Wochenendes.

Missbrauch der Religion zu politischen Zwecken? – Durchaus gegeben gelegentlich von Festreden und wahlwerbenden Ansprachen, es sind ja alles noch kernchristliche Männer. Sie predigen, was ankommt. Der Liberalismus ist erst in der Wirtschaft vorgedrungen.

Mit dem Reden übers Wetter eng verbunden das Reden über die Aussichten des Fremdenverkehrs selbst von Leuten, die mit diesem Wirtschaftszweig nichts zu tun haben.

Mitte der Siebzigerjahre wurde eine „Bildungsgemeinschaft“ angefangen, geleitet vom Volksschuldirektor. Dazu kommt ein gewisses Schulungsprogramm der Bezirkslandwirtschaftskammer, kommen ein paar Veranstaltungen der Jungbauernschaft und der Ortsbäuerin. Diese Anstrengungen insgesamt erinnern sowohl im Angebot als auch in der Art der Durchführung an jene des Vaterländischen-Front-Werkes „Neues Leben“ (1937).


aus der gemeindezeitung

Rubrik: Bildung


1982
Ein ausgewähltes Bildungs- und Schulungsprogramm verschiedener Institutionen bietet auch im laufenden Winter wertvolle Möglichkeiten der Information und Weiterbildung.

1981
Ein beachtliches Bildungs- und Schulungsprogramm verschiedener Institutionen bieten auch im Winter wertvolle Möglichkeiten der Information und Weiterbildung.

1980
Ein lobenswertes Bildungs- und Schulungsprogramm verschiedener Institutionen bietet auch weiterhin wertvolle Möglichkeiten der Information und Weiterbildung. Sie mögen noch besser genutzt werden.

1979
Ein beachtliches Bildungs- und Schulungsprogramm verschiedener Institutionen bieten auch im laufenden Winter wertvolle Möglichkeiten der Information und Weiterbildung. Sie mögen noch besser genutzt werden.

1976
Ein umfangreiches Schulungs- und Versammlungsprogramm verschiedener Institutionen bieten wertvolle Möglichkeiten der Information und Weiterbildung. Sie mögen noch besser genutzt werden.


Nicht nur scharfe Funktionäre, auch scharfe Hunde. Der Gemeindesekretär unterhält auch einen Trainingsparcours für einen Gebietsverein von Hundezüchtern, auch auf eigenem Grund.

Rednertenor: Härte, Stärke durch Zusammenstehen, Prestigegeist, Chauvinismus. Toleranz und Rücksicht kommen nicht einmal als Vokabel vor, dagegen werden Pflichterfüllung und Verantwortung beschworen. Besonders schick ist es, viel von der „Partnerschaft“ zu faseln, aber in Wahrheit herrschen hochgehütete, wohlgewahrte Hierarchien. Die kleinen Geister in den verschiedenen Positionen und in mehreren Positionen dieselben kleinen Geister sind angestrengt bedacht, ihren Einfluß durchzusetzen, andere Meinungen, Wege und Zielvorstellungen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Es gibt die örtlichen Größen, die ein handfestes Interesse haben, andere zu kommandieren und dies selbstverständlich im Sinne des Gemeinwohls. Genauso verschindludert wird andauernd der Begriff Verantwortung. Das nazistische Motto „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ macht in der Verlängerung „Gemeinnutz geht vor dem Eigennutz einher“ deutlich, wie sich das beschönigen läßt. Auch die Demokratie wird in den Mund genommen. Die fast immer einstimmigen Beschlüsse in vielen Gremien sowie Wahlen per Akklamation, die eine sichtbar werdende Opposition kaum gestatten, werden von den vorsitzenden Herren dann auch noch gerne als „volksdemokratische“ Entscheidungen humorisiert. – Das herrschende Meinungsmonopol verhindert natürlich einen demokratischen Meinungsbildungsprozeß. Wer nicht angefeindet werden will, wird sich zurückzuhalten wissen. Kritik: Da gibt es die destruktive und konstruktive Kritik, die sachliche oder unsachliche. Um welche Gattung es sich jeweils handelt, darüber befindet der Vorsitzende. Außerdem muß Kritik, will sie Gehör finden, in gehöriger Form vorgebracht werden. Ob der Ton paßt, entscheidet wiederum der Vorsitzende. Reglementiert wird also auf vielfältige Weise. Gibt jemand durch häufigere Kritik Anlaß, an seiner Loyalität zu zweifeln, braucht er natürlich überhaupt nicht mehr ernst genommen zu werden. Bei Versammlungen wird unter „Allfälliges“ zu Wortmeldungen aufgerufen, nach Vorträgen immer wieder „die Diskussion eröffnet“, eine geradezu feierliche Wendung – ins Leere. Die Leute getrauen sich aus guten Gründen nicht, den Mund aufzumachen, sie sind und werden weiter eingeschüchtert, wenn nicht durch verletzende, herabsetzende, lächerlich machende Äußerungen, dann durch die sogenannten Sachzwänge. Eine Diskussion – anregend, freimütig, mitteilsam – hab ich hier noch nicht erlebt. Meldet sich eine Stimme aus dem Publikum, ist es meist ein Funktionär, der ohnehin mit der angesprochenen Sache mehr oder weniger zu tun hat. Der Zuspruch bei Versammlungen ist auch nicht gerade überwältigend, bei der Gemeindeversammlung 1981 waren inklusive fast vollzähligem Gemeinderat (12) 22 Anwesende.

Relativ viele Nebenerwerbsbauern, die auspendeln. Fühlen sich vom Bauernbund nicht mehr voll in ihren Interessen vertreten. Manche betreiben die Landwirtschaft verbissen weiter, als wäre nichts dazwischen, andere vernachlässigen sie sichtlich, gestehen das aber nicht ohne weiteres ein.

Rivalität, Neidkomplexe, gegenseitige Vorwürfe zwischen Bauer und Arbeiter? Ja, werden auch öffentlich beredet und abgehandelt, aber in den parteipolitischen Berufsgliederungen nicht manifest. Die AAB-Mitglieder erkennen die Führungsrolle des Bauernbundes an. Die Mandatsverteilung im Gemeinderat entspricht annähernd den Verhältnissen. Die Politik macht der Bürgermeister und der Feuerwehrhauptmann für alle.


aus der gemeindezeitung

Rubrik: Zum Nachdenken

(eine Auswahl)

Wenn Menschen unzufrieden werden, geht es ihnen meistens zu gut.

Öffne keine Türe, die du nicht wieder schließen kannst.

Wer der Stimme der Natur zu lauschen vermag, findet sich selbst und findet Gott.

Reicht ist man nicht durch das, was man besitzt, sondern mehr durch das, was man mit Würde zu entbehren weiß.

Ohne Arbeit früh bis spät wird dir nichts geraten, Neid sieht nur das Blumenbeet, aber nicht den Spaten.

Tadeln ist leicht, deshalb versuchen sich so viele darin. Mit Verstand loben ist schwer, darum tun es nur wenige.

Die meisten Leute sind, um glücklich zu sein, nicht gescheit genug oder nicht dumm genug.

Immer glauben die Schiffbrüchigen, daß sie jetzt besonders zu Kapitänen geeignet wären.

Todunglücklich waren die Schützen. Gemeinde und Land hat der ganzen Kompanie neue Pixn gekauft, die zu wenig krachen. Weitere Besonderheit: Sie werden auf der Schulter getragen wie beim Militär, nicht am Riemen, dagegen ist der Zebisch. Die über das Grab eines Weltkriegsheimkehrers geschossene Ehrensalve bezeichnet der Hauptmann als „Exekution“.

Um die Alten rauft sich die Partei, die Kirche und die Gemeinde – aber nur einmal im Jahr (anläßlich des Seniorennachmittages). Um die Behinderten hat sich noch keine Organisation gerissen.

Verblaßtes Sgraffito aus den Fünfzigerjahren auf dem Alten Feuerwehrhaus: „St. Florian hält treue Wacht in der Gemeinde Tag und Nacht“. Schon damals hat der damalige Feuerwehrhauptmann, der auch der heutige ist, den Bau eines Feuerwehrmagazins dadurch durchgedrückt, daß er obenauf einen sogenannten ‚Kultursaal’ draufsetzen ließ, ein Jugendzimmer für die Heimstunden der Katholischen Jugend hat sich auch noch ergeben. Im Kultursaal hält die Musikkapelle ihre Proben und die Theatergruppe führt dort ihre Stücke auf. Man hat ihn als Not- und Übergangslösung angesehen. Alle anderen Veranstaltungen werden denn auch anderswo abgehalten. Mit demselben Trick ist nun auch das Neue Feuerwehrhaus zustandegekommen, wiederum obenauf ein ‚Kultursaal’ und in einer noch ungünstigeren Lage.

Von auswärts durch Heirat Zugezogene werden nur sehr allmählich integriert; meistens sind es Frauen, und häufig kommt das nicht vor. Männer und wenn es Bauern und Arbeiter sind, werden schneller aufgenommen, aber ein einflussreiche Rolle im öffentlichen Leben hat noch nie einer gespielt. Leicht aufgenommen werden Auswärtige ins kirchliche Gemeindeleben, eben Frauen auch. Wenn sie sich aber aktivistisch zu stark exponieren, werden sie sofort gedämpft. Die Männerwelt bestimmt die gesellschaftliche Stellung der Frauen, zugestanden werden ihnen dienende Rollen.

Wenn überhaupt, dann ein schreiendes, kein singendes Dorf, die Stimmen sind auch sämtliche entsprechend kaputt, Befehle zu bellen und gebellte Befehle weiterzubellen recht. „Schaffen“ als Anschaffen verstanden, Anordnen, den Steh- und Gehplatz in der Ordnung anweisen, die Aufsicht führen, kontrollieren sind angesehene Tätigkeiten. Manche Funktionäre knattern schon wie ein Maschinengewehr, und diese Redens- Art ist ansteckend.

Zugenommen hat das Schießen. Eine bayrische Gilde hat Schützenhilfe geleistet. Der Schützenkompagnie wurde eine Schützengilde angegliedert. Dann die Eisschützen, deine Sektion der Sportunion, die ein Vereinsheim hat. Zimmergewehrschießen in der Alten Schule. Und im Freien? Jugendliche oder Jäger – fast jeden Tag kracht’s einmal irgendwo im Dorf.

(Aus: e.h. – erziehung heute, Heft 1/2, Feber 1983, S. 14–20)


Notizen für eine Dorferhebung II (1984)


Notizen für eine Dorferhebung


Von Johann Trojer


1
Eine Dorfansicht: Der Baukran reicht höher gegen den Himmel als der Hahn auf dem Turm.

Steckbrief: Katastralgemeinde mit 1172 Einwohnern (1981), politischer Bezirk Lienz, Haushalte 188, Haushaltsvorstände nach der Häufigkeit namens Walder, Bachlechner, Bergmann, Mühlmann, Weitlaner, Leiter. 98 Rinderhalter, 144 Telefonanschlüsse. Gewerbe, Handel und Verkehr: zehn Betriebe, 25.660 Gästenächtigungen (1983), Hochschüler drei, Seehöhe 1286 Meter.

Bauen am Abhang nichts Ebenes hier Verbauen um die Kirche ohne Rücksicht auf die Kirche die dritte Etage jetzt, von Etage zu Etage nur auf Umwegen ein Zugang vertikal unzugängliche Hausnachbarn. Der Abhang oberhalb der Kirche wurde durch Materialschüttung derart versteilt, dass jetzt die Lawine in den Friedhof geht ... Auf Etage drei errichtet die Osttiroler Siedlungsgenossenschaft einen Wohnblock, die Arbeit wurde nicht an die einheimische Baufirma vergeben, obwohl es sich beim Offert nur um den Unterschied von S 20.000,- gehandelt hat, so pendeln nun auswärtige Arbeiter ein, die einheimischen Bauarbeiter, die ohnehin immer auspendeln mussten, weiterhin aus.

2
Heftiger Kritik sind die sechs Mann Gemeindearbeiter ständig ausgesetzt, ihr Arbeitsplatz ist abhängig vom Wohlwollen des Gemeinderates, des Bürgermeisters als Arbeitgeber, sie müssen sich jeder Kritik an der Gemeindeführung, am kommunalen Geschehen, an öffentlichen Zuständen klüglich enthalten. Arbeiter, die nach Lienz auspendeln müssen, neiden ihnen die Arbeit an Ort und Stelle, und die Bevölkerung ist ihr tagtäglicher Aufseher, so ist für Fleiss und Wohlverhalten der Gemeindearbeiter vielseitig gesorgt ... jeder andere öffentliche oder private Arbeitgeber würde ihr Bürgerrecht auf freie Meinungsäusserung weniger beeinträchtigen.

Stark in Frage gestellt werden neuerdings die Nebenerwerbsbauern, darin sind sich die Vollbauern wie die Nichtbauern einig: verstellen Arbeitsplätze für Arbeiter, die sonst gar nichts haben, sollen die Landwirtschaft ordentlich betreiben, dann hätten sie auf ihrem Hofe zu arbeiten und zu essen. Dieselben Einwände gegen das Schiliftpersonal, welches hauptsächlich aus den betroffenen Grundbesitzern, die dadurch einen Nebenverdienst haben, besteht; es mache weniger aus, wenn einmal das schulentlassene Kind eines Bauern für einige Zeit arbeitslos ist, denn in einer Bauernwirtschaft, wenn man will, sei selbst im Winter immer auch etwas zu tun, was sollen Arbeiterkinder dagegen machen?
Den Talboden zwischen Arnbach und Tassenbach haben grossteils Bauern der Seitentäler in Pacht, rechen fleissig, fechsen sauber, viele Fuder Heu werden viele Kilometer transportiert, die Rinder der Berger kauen das starre Heu der Sillianer Möser wieder, solange diesen Bergbauern ihr Schweiß nicht zu sauer wird.
Da soll einer Wunder wirken: ein bäuerlicher Weber in Heimarbeit verdient pro Stunde, wenn’s flott geht, Schilling 17,50 mit dem Fleckerlteppichwirken.

3
Einerseits das einzige Tal Tirols ohne ein einziges Hotel; andererseits das älteste Gasthaus, wo es in hundertzehn Jahren seines Bestandes keinen einzigen „Ruhetag“ gegeben hat, in den Siebzigerjahren mehr und mehr heruntergekommen, ist nun eingegangen. Die drei neueren Wirte richten sich nach den Fremden, für die Einheimischen allein machen sie nach Willkür zu und auf ... der letzte menschenfreundliche Lebensmittelladen ohne Selbstbedienung jetzt auch eingegangen, die Kaufhauskette Spar hat ihn verwüstet.

4

Die eine Gemeinde schaut der anderen auf die Nächtigungsziffern neidvoll oder mit Schadenfreude. Die treibenden Fremdenverkehrsmenschen von hier „wallfahren“ eigens nach Serfaus, Ischgl oder Galtür diese Vorbilder bewundern und daran sich Beispiele nehmen, so fremdenverkehrt schöngrossreich möchten wir auch einmal werden und sein. Allein die Erwähnung „sanfter Tourismus“ macht sie schon aggresiv [sic!]
Auf der bayerischen Seite direkt gegenüber von Braunau Simbach am Inn, die Sportunion Raiffeisen-Villgraten hat mit den Simbachern Freundschaft geschlossen, im Juni, wenn die Alpenrosen blüh’n, kommen die Niederbayern hoch, die Eisschützensektion der Sportunion Raiffeisen-Villgraten veranstaltet nämlich das „Alpenrosenasphaltturnier“.

5
Der allererste Maibaum in diesem Ort wurde auf Befehl der Kreispropagandaleitung am 1. Mai 1938 aufgestellt, der zweite auf Initiative des Feuerwehrhauptmanns Walder aus dem Walde geholt im Hatzer Garten aufgepflanzt, dazwischen liegen dreissig Jahre, fünfzig Kriegsopfer und acht wehrlose Mordopfer der Nationalsozialisten ... Das durch seinen Vater vorbelastete Gemeindevorstandsmitglied Perfler argumentierte in anderem passenden Zusammenhang unlängst öffentlich: „Man hat auch mitten im Kriege getanzt und ist fröhlich gewesen.“ Dem Feuerwehrkommandanten, der zur Heldenehrung vor dem Kriegerdenkmal am Seelensonntag als Schützenkommandant auftritt, werden wohl „die Augen nass“.

6
Gefühle zu haben zu zeigen kann man sich nur im Rahmen der gesellschaftlichen Konvention leisten ... sich verstellen, bis die Verstellungskunst mit der eigenen Natur verwachsen echt geworden ist, was im Leben unangebracht, ist beim Bauerntheater willkommen. „Gefangen in maurischer Wüste – die Heimat ruft“ rührt das Publikum zu Tränen, deren man sich nicht schämen muss, es ist ein „ernstes“ Stück. Der Anspruch des örtlichen Theatervereins klassisch antik: Reinigung durch Erschütterung. Spieler und Zuschauer sind sich einig, dass wilde lustige aktionsreiche Rollen gegen sanfte, leidende liebevolle leicht zu spielen sind, die Tragödin einer schmerzhaften Mutter habe es am schwersten, es sei auf der Dorfbühne – wie im Leben eben.

7
Die Gelegenheitstrinker den Vereinssuff beiseite gelassen, innerhalb der letzten acht Jahre waren hier fünf Alkoholtote, ein weiterer Suchttrinker soff sich an Grabesrand nach klinischer Psychiatrie und Entwöhnungskur ist er momentan trocken, ein anderer trinkt munter weiter, der Führerschein ist ihm abgenommen, seinen Beamtenposten im Dorf hätte er längst verloren, wenn die örtlichen Obertanen ihn nicht schützend deckten.

8
Wie wird man hier ein „gemachter“ Mann: Ableistung des Präsenzdienstes mit der Waffe Grundbedingung, ein Zivildiener hat keine Chance, sehr reputierlich ist auf dem Golan gewesen zu sein, Fronterfahrung zu haben sozusagen, so einer kann als Fachmann für Rassenkunde von Juden und Arabern gelten, so einem hat bestimmt bei der Wahl 1980 der Golan auf Anhieb ein Gemeinderatsmandat eingebracht ... Wie bleibt man ein gemachter Mann: indem man sich unter keinen Umständen unterkriegen lässt, sich durchsetzt mit allen Mitteln, nachgibt auf keinen Fall, unbeugsam bis zum Letzten, wenn man einmal nachgegeben haben muss, sich bei nächster Gelegenheit revanchiert.
Alle, die in der Gemeinde etwas zu sagen haben, reden andauernd von Gemeinschaft Kameradschaft, aber hauptsächlich nehmen sie sich voreinander in Acht. Nach aussen den schönen Schein wahren, harmlose Eintracht spielen, aber unter sich, wenn sie unter sich sind, Spannungen, Missgunst, Intrigen um Verdienst und Verdienste.
Der zurückgetretene OeVP-Generalsekretär Sixtus Lanner kam 1983 zu einer Propagandarede auf die Gemeindeversammlung und lobte unseren Bürgermeister als den „Holzpapst von Osttirol“ hoch, weil er als Multifunktionär eben auch der Obmann der Holzverwertungsgenossenschaft der Oberpustertaler Waldbesitzer ist. Jetzt steht das Sägewerk in Panzendorf vor dem Konkurs, an vierhundert Bauern hängen dran.

9
Die sich insgemein konkurrierenden örtlichen Bildungsunternehmen, die sogenannte Erwachsenenschule und die Jungbauernschaft und die Ortsbäuerin oder der katholische Familienverband oder der Seniorenbund oder die Feuerwehr oder die Sportunion: wer ergattert den Erstehilfekurs wer kriegt die Blutspendeaktion wer veransteltet [sic!] den Gewürzsträusschenbindekurs, den Bastelkurs für Weihnachtsschmuck „für Baum und Raum“, den Batik-brot-back-fondue-grill-spezialitäten-hosen-näh-kerzen-verzier-kosmetik-nähund-trachten-näh-kurs wer und wer den Vortrag über das Turiner Leichentuch, der Seniorenbund oder Jungbauernschaft … Das Frauenturnen hat der Erwachsenenschulleiter aufgegeben, die Frauen wollten es in Eigenregie machen, aber sie hätten keine Räumlichkeit bekommen, hätten sie nicht bittstellig an die Ortsbäuerin gewandt … es geht nichts über die institutionalisierten Funktionäre.

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Die Grossmütter waren noch Dienstboten bei hiesigen Bauern als Haus-, Stall- und Felddirn, blieben Mägde, bis sie geheiratet wurden. Die heutigen Mütter waren ledigen Standes Kellnerin, Stockmädchen, Küchen- und Hausgehilfin in Nordtiroler Hotels und Heimen.
Eine junge Frau, die es wissen muss, weil sie viel in Wartezimmern herumsitzen muss: Zuerst rennt man mit der Gesundheit dem Gelde nach und danach mit dem Gelde der Gesundheit. Wie sagte doch der weise [sic!] Riese als er vom Geschäft zu seiner tüchtigen Hausfrau heimgekehrt war: „Ich rieche, rieche Menschenfleiss!“
Es gibt keine Frauenorganisation im Dorf, die Ortsbäuerin wird von der Landwirtschaftskammer ernannt und organisiert deren Veranstaltugen [sic!] im Ort. Veranstaltungen für Frauen werden entweder von der Landwirtschaftskammer oder von der Erwachsenenschule aus durchgeführt. Auch unter den Frauen herrscht männliche Hierarchie, ein Wunsch, ein Vorschlag hat nur über den Erwachsenenschulleiter oder über die Ortsbäuerin eine Chance, nach oben durchzukommen.
Heute gehen die Frauen auch alleine aus zu einer nur für sie bestimmten Veranstaltung wie Frauenfasching, Frauenturnen, Frauennachmittag auf der Schipiste und beim Jausenkaffee, die Ehemänner machen dabei keine Schwierigkeiten, aber stark dagegen sind die alten Frauen. Auf einer Veranstaltung der Männer können sie nur „in Begleitung“ erscheinen, wenn ausdrücklich „auch die Gattinnen herzlich eingeladen“ sind. Die Frauen zeigen sich „bildungswilliger“ als Männer, sie waren schon in der Pflichtschule die eifrigeren, im Grunde aber gelten sie im öffentlichen Leben nichts mehr als der Bequemlichkeit dienende Engel, weder Männer noch Frauen trauen einer Frau einen vom Ehemann unabhängigen eigenständigen relevanten Gedanken zu.
Der Küchengarten als der letzte sichtbare abgezäunte Rest Matriarchat.

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Gestillt wird normal maximal 2 –3 Wochen, wer länger stillt, erziehe einen Säufer, die einzige Frau, die jetzt das Baby monatelang stillt, würde ohne Bestärkung durch auswärtige Frauen in ihrem Tun nicht durchhalten, denn die anderen Mamas setzen ihr witzig spitzig zu, als fühlten sie sich durch diese eine irgendwie geprellt, jede will doch die beste Mama sein; sagen ihr in Mundart, sie sei wohl eine guite Kuih, die sich viel Geld erspare.

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Jung und Alt in einem Hause beisammen geht heut nicht mehr, sagen die Jungen, die Alten hätten eine ganz andere Einstellung und Anschauung … Es sind genau jene Anschauungen und Einstellungen, die morgen schon die Jungen haben.
Zerbrechliche Töpfe, unzerbrechliche Kisteln, drei bis sechs Kinder, das Kuratorium für ein Schöneres Tirol ladet „alle Jahre wieder“ zum Wettbewerb ein der Aufruf zur Aktion bleibt nicht unerhört, es gibt viel zu tun die Frauen schaffen es, versorgen alles mit Fleiss und Liebe, reichen Etisso für gesundes Wachstum, erfreuen mit glänzender Sauberkeit durch Bella fol [sic!], düngen mit ASB. Plant pin schützt Topfpflanzen vor Blattläusen oder macht Topfpflanzen blattlausfrei und wirkt vorbeugend viele Wochen. Einfach in die Erde stecken, die Aufmerksamkeit der Mutter teilen sich die Kinder mit den Blumen. Kinder sind wie Blumen Blumen wie Kinder, kurz Blumenkinder.
Die Erwachsenen befürchten, den Heranwachsenden nicht mehr gewachsen zu sein, sprechen von Niederhalten, Einspannen, Bändigen, als wären es wilde Tiere, die ohne Dressur eine Gefahr darstellen. Lehrbeispiel ist jedes „Früchtl“ Tunichtgut und die alten Mütter kommen den jungen aufsässig mit alten pädagogischen Sentenzen daher: „Die Früchte, die ihr euch erzieht, die werden schwer sich rächen. Wenn einst das Röslein ist erblüht, wird hart der Dorn euch stechen.“
Vom Beisammensein der glücklichen Familie am Abend lässt sich idealistisch schwärmen… beim laufenden Fernsehprogramm; aus allen Stuben zur gleichen Zeit der ruckende Widerschein gleichgeschalteter Apparate. Ein biederer Bauer beeilt sich Freitags von der Musikprobe heim für den Nachtfilm.

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Die Kinder einer rauhen Natur, denen die Eiskristalle im Winterstrum [sic!] „wie die Pfeile der Miniapachen“ wie sich ein Zehnjähriger ausdrückte in ihr Gesicht nadeln, besuchen in Sillian die Hauptschule, wo die Böden, Griffe und Handläufe elektrisieren, es pitzelt, wenn ein Schüler den anderen berührt (die Gegenstände schlagen zurück).

Ein römischer Einser zählt viel mehr als ein arabischer, auch bei den Schulkindermüttern, ausserdem gibt es an römischen Einsern grössere und kleinere. Ein frischer Junglehrer hat neuerdings für die negative Bilanz ein ausgeklügeltes System der Schwarzen Punkte eingeführt. Daraufhin sind Kinder nervös geworden, haben den Appetit verloren, hatten Angst, die Eltern beklagten sich bei der Schulleitung, die Schwarzen Punkte wurden wieder abgeschafft.
Die Gemeinde als Schulerhalter würde Heizungskosten, das Land Kosten der Schülerfreifahrt einsparen, aber die öffentliche Meinung, vor allem der Lehrkörper der Volksschule und die Eltern sind hochprozentig gegen die Fünftagewoche, obwohl sich die allermeisten Schulstunden ohne Nachmittagsunterricht unterbringen liessen. So sind Kinder am Samstag Vormittag aus dem Haus und „aufgehoben“, damit die Mütter in Ruhe aufräumen können. Vorgegeben für die Sechstagewoche der Volksschüler werden freilich seriöse Gründe lerntechnischer Art. Die Schulkinder sind die einzigen, die alle sieben Wochentage eine Verpflichtung haben (am Sonntag die Sonntagspflicht).
Am wenigsten „investiert“ wird in die Ausbildung der Kinder, Handelsschule und eine gewerbliche Lehre, die an sich nichts kosten, lässt man gelten, auch noch eine berufsbildende höhere Schule, ein längeres Studium wird als fragwürdiger Luxus angesehen, und die sogenannte „Intelligenz“ ist vor allem bei den örtlichen Meinungsführern äusserst schlecht angeschrieben. Herausgewirtschaftetes Geld wird grösstenteils viel eher zur Hausverschönerung, für Fahrgäste und Maschinen, wobei das Prestigedenken die Hauptrolle spielt, ausgegeben.
In der in einem Jahrzehnt angewachsenen Häuslbauersiedlung: nur Eltern-Kindgeneration und jede ohne Phasenverschiebung, die Erwachsenen mit Kolonistenmentalität mit dem Stolz von Eroberern, die es auf einer eigenen Parzelle zu etwas gebracht haben. Die ziemlich gleichaltrigen Kinder eine mehr oder minder geschlossene Rotte, die ihre Meinungsführer sowohl als auch ihren fixen Prügelknaben hat, einerseits sind sie aggressiv, andererseits heisst’s „ich getraue mich nicht“. Das Wichtigste ein Fahrzeug, die Wünsche gehen vom Dreiradler aufwärts über die Fahrradgrössen zum endlichen Moped und sie müssen, will man nicht unglückliche Kinder haben, erfüllt werden. Daneben Spielzeugautos aller Arten und Typen. Aus der einspurigen Kindheit in die Zweispurigkeit.

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Das Kommando des Rauchfassträgers: „Mitte – Kniebeuge – Niederknien – Auf – Kniebeuge – Bänke!“
Ein Autostopper, der von jedem Lenker, weil es ein besonders gutes Werk ist, gerne mitgenommen wird, ist der „Butterpater“, er verspricht zum Dank ein Vaterunser zu beten. Der Franziskaner taucht gelegentlich zur Aushilfe und als Beichtvater auf, im Herbst geht er von Haus zu Haus bei Bauern und Nichtbauern Butter sammeln, aber Geldscheine nimmt er lieber als Schmalz. Wo es die Bäuerin wünscht, weint [sic!] er eine Schüssel vol Heubluimer. Auf talentierte Knaben hat er es abgesehen, sie für das Internat anzuwerben. Er verkauft Heidenkinder. Ein Heidenkind kostet S 500,-. Wer ein Heidenkind kauft, darf den Taufnamen bestimmen. Meine Mutter, die selbst neun Kinder hat und schon einige Heidenkinder gekauft hatte, hat sich einmal vor Ankunft des Sammelpaters in ihrer Kammer versteckt, um ihm nicht wieder ein Heidenkind abkaufen zu müssen… trotzdem: eine anachronistische Gestalt wallend im Habit eine Bereicherung des „Ortsbildes“ … in die versteckte Tasche in der Achselhöhle das Geld steckend, das Kreuz zum Segen daraus hervorholend jenachdem.
Für die fünfundzwanzig Behinderten in dieser Gemeinde hat die Ortskirche noch nie etwas getan.
Vom Hund des Pfarrers Lercher Pfarrer Lercher: „Der Fery weiss schooon, wer brav ist!“ Pfarrer Lercher in der Religionsstunde: „Die bösen Engel kommen in die Hölle!“ Das Schülerecho war zu leise, daher „noch einmal!“ Jetzt Pfarrer Kofler. Vor ihm muss man sich wenigstens nicht mehr fürchten, sagt die alte Tante …. Auf sein sanftes Derherrseimiteuch erwidert das Volk wirsch Undmitdeinemgeiste.
Die versammelte Pfarrgemeinde pflegt ihr Desinteresse an der Predigt des Pfarrers durch unverhaltenes, anhaltendes Husten zu bekunden, im besonderen beim Verlesen des bischöflichen Fastenhirtenbriefes am ersten Fastensonntag. Aufmerksame Stille jedoch beim Punkte über die Sexualmoral… Bei der jährlich einmal fälligen Caritas-Predigt regelrechte Proteste durch Volksgemurmel. Die „Caritas“ wird glattweg abgelehnt, weil vermutet wird, dass in der Gemeinde solche Leute von der Caritas leben, die es nicht nothaben, aber beim Pfarrer zu grieseln verstehen.
Vorhanden sind ungeschriebene Familiengeschichten, die mündlich weitergeschrieben werden, das geschichtliche Denken verläuft genealogisch nach dem Kommen und Gehen, was an Fakten daran haften bleibt, ergibt noch keine Geschichte, die Menschen leben an und für sich vollkommen ahistorisch für sich. Bei Bedarf wendet man sich an das historische Gewissen des Ortes, wenn eines vorhanden ist, die Person des historischen Gewissens ist die Person des historischen Wissens, als solche angesehen, zuständig für die Vergangenheit, für die Gegenwart inkompetent.

(Aus: Wilhelm, Markus: FOEHN, Heft 1, 1984, S. 10–17)

Essays

  • Pustertaler Pastorale
  • RUTLUK – ein Rückblick (Auszüge)
  • „Mag i Osttirol?“ (Auszüge)
  • Herzensbildung leidet Not (Auszüge)

Pustertaler Pastorale

In den amorphen Strukturen von Stein und Bein, auf die man leichtfertig schwört, Strukturen zu suchen, ist ein Anlaß, besonders andächtig zu sein. Eine Hand ließ ich durch das Lischengras fahren, durch den Goldhafer, gedankenlos, in die Binsen am Toblacher See.
Es rauschte feierlich.
Der Pan saß auf einem Ast im Wald von Pfalzen, wahrscheinlich, und spielte auf einer Musel, ein Faun, mit einer Girlande Edelweiß gegürtet, trat aus dem Baumbartdickicht in die Blöße, geblendet, und führte einen fürchterlichen Tanz auf. In Gsies wurden Saturnalien gefeiert, in Prettau haute Faust stark auf den Tisch. Gott Terminus mit dem flammenden Haar hockte auf einem Grenzstein aus Laaser Marmor und dachte, daß einmal auch die Binsen in die Binsen gehen. In den Mösern der Drau und Rienz sind die Irrlichter wie der Wiener Plüsch längst erloschen; eingewachsen in abgetretenen Waldwurzeln, das Hotel Paradiso ist versperrt.
St. Peter auf dem Kofel; ich bin den alten Weg durch den anstehenden Fels gegangen. Beim obersten Bauern deklamierten die Kinder englische Merksätze und fluchten italienisch. Das Hoftor zierte Ochsenjochsymmetrie. Starre Häute von Kälbern hingen am Söller in der Sonne, unter der Traufe rostete ein sezierter Wecker.
Metaphysische Schauer ergriffen mich, als ich in die vergreiste Schneelandschaft starrte, wo der Geist immer noch als ein Schreckgespenst umgeht, aber soviel Arbeitsliebe an den Schweißbändern der Hüte klebt.
Im konservierten Rest Altösterreichs werden die Kaiser Karl und Franz-Josef wie Brustkaramellen gehandelt. Die Paten pflegen den Firmlingen die gefährlichen Zinnen und den unergründlichen Pragser Wildsee zu zeigen. In den Manöverruinen tropft es, die Tropfen werden gezählt, wenn sie aufschlagen. Wenn G. Mahler einen einzigen Ton für sein Lied von der Erde in Altprags fand, muß ihn ein verschreckter Bergfink verloren haben. Wo die Zirmholzheiligen und der Kirchturmglockenstolz herrschen, wo immer noch Grußpflicht herrscht, ist schon mancher fahrende Sänger erfroren, vor heimelig geheizten Bauernstuben.
Ich kenne einen Bauern, der wahre Kraftakte der Barmherzigkeit verübte, indem er 27 Ziehkinder aufzog. Nur eins hat sich unter den Zug gelegt.
Das Holzknechtglück gibt es, wenn man im römisch-katholischen Herrgottswinkel sitzt, Waldi bei Fuß, das Nannele im karierten Bett in der gezimmerten Kammer und den Haspinger auf einem Sockel im Kurpark.
Es ist genug Platz für Schausteller und Visionäre, die alles ganz sicher wissen. Es gibt keine Gleichgewichtsstörungen, niemand bezweifelt, was man tun und lassen muß und nicht tunlassen darf.
Auch gelacht wird korporativ.
Leistungen, auch religiöse, werden schlichtweg erbracht.
Hand in Hand mit mir selbst, ein landlich-friedvolles Tonstück dieser Gegend, stieg ich die Bachrunst entlang. Ich suchte abgeschliffene Steine, je glatter, desto bessere Meditationsanlässe. Auf der Pfründe der Brixnerischen Mensa gewahrte ich Kindesweglegung, Zöllnermord; Gamslan schwarz und braun wechseln, R. Strauß nächtigen, E. Pound sein Moidele kindsen und Polen, die ein deutsches Mädchen geliebt hatten, am Galgen hängen.
In der Zeit des grenzenlosen Terrors gab es keine Grenze.
Meine Impressionen laufen der Rangordnung der Dinge zuwider.
We must go dig in our gardens.
Im heißen Sand des Drauparkgrießes die Vipernliebe, ein Schritt weiter raffinerte flache Flecke, dann im Feuchten, wo die Miro'schen Animalien wuchern, etwas Kommunikation über Mattscheiben, ein Schritt zurück intensiv feldgrauer Förstertrotz, im Dialog stabiler Zeichen von Umständen die tiefe Ätzung der Aquatinta, verschleckte Schaumrollen, die Elemente Stein und Stecken, auf hochgelobtem Tortenboden farbenreich vibrierende Zerfließbarkeit - lauter vergriffene Tyrolensien.Eine Pustertaler Bäuerin, stark, wie sie ist, weint nur, wenn sie den Schnittlauch kleinschneidet oder Zwiebelrüben.

(Aus: Trojer. Texte aus dem Nachlass von Johannes E. Trojer. Hg. von Ingrid Fürhapter und Andreas Schett. Innsbruck: Haymon 1997, S. 63-64; erstveröffentlicht in: Arunda, Heft 7, 1978/79, S. 17)


RUTLUK – ein Rückblick (Auszüge)

Als ich in der Volksschule, die ja immer an die Kirche angehängt war, besuchte, bedrängte mich zweifache Not, die Kälte und die „Häuslzeit“. Sie gehörten zusammen. Kirche und Schule, beide auf der Schattseite gelegen und in hoher Lage, wo der Winter kein Ende nehmen will, dazu, machten uns, ohnedies nur notdürftig gekleidete Bauernkinder durch und durch gefroren. Ununterbrochen ausbrechende Hustenanfälle, die einander natürlich ansteckten, und die, je mehr wir sie zu verhalten suchten, desto unvermeidbarer waren, bildeten den ständigen schaurigen Chor bei Messe und Unterricht. Es war, als wäre etwas zu verbellen gewesen, was sich nicht hatte verbellen lassen. Wer zum Dienst am Altar auserwählt war, wurde des Ofens in der Sakristei und der lodenen Ministrantenkittel und warmen Krägen wegen regelrecht beneidet. Die anderen Kinder froren an Füßen und Händen, an allen Enden und Zipfen umso mehr.
Für die Häuslnot (fern vom Heimathaus) gab es im gegabelten Zwiesel Schule-Kirche keinen einzigen brauchbaren (Ab-)Ort, wo man das Nötigste halbwegs sauber hätte verrichten können. Volle Hosen, Lachen, Urin unter den Kirchenstühlen und Schulbänken, Gestank und Spott waren denn auch an der Tagesordnung.
Die Klos im Schulhaus waren gänzlich unbenützbar. An ein sitzendes Geschäft war überhaupt nicht zu denken. So standen die Haufen auf dem Brett und Boden herum. Wir Knaben urinierten von ferne Richtung Öffnung, den Mittelpunkt des vollkommenen Kreises mit der Seele suchend. Am Boden bis zur Tür beulten sich die Eisgallen gelb. Wer ihnen mit genagelten Goiserern zu nahe trat, glitschte aus und schlug in den – prosaischen – Dreck.

[…]

Als I-Punkt wird man in die Welt gesetzt, und der Tod macht einen Punkt zuletzt hinter alles. Dazwischen breitet man sich ein wenig aus. Man zeigt klare Überzeugungen her, wo man sie nicht hat. Den Arzt erkennt man an der Tasche, die Demagogen an der Masche. Die Vorstellung vom harmlosen Landleben stützt sich weitgehend auf die Deichsel eines Leiterwagens. Vorbeikommen an der Front bewaffneter Gesichter! In der Jugend mit Möglichkeiten gespielt, ohne Aussichten gesehen zu haben. Ich mache es kurz: Wo bleibt da ein möglicher Mittelpunkt? Ich stelle ihn in Frage, um für mich es zu sein.

[…]

Ich suche nach dem Honig des Lebens wie ein Bär, aber der letzte Bär in Tirol ist 1909 erlegt worden. Die Stachel von innen wie die von außen her (die Gegend, der Landstrich) verlocken mich, nach ihnen zu löcken. Wir sind schon einmal auch eingerollte Igel, die in Äquidistanz einander vom Leibe halten. Die verletztliche Flanke machen wir nur beim Lieben auf, deswegen lieben wir selten. Nie tragen wir uns auf Händen. […] Dann, wenn man uns auf Schultern trägt, sind wir tot. Daher lasse ich zu Lebzeiten mir meinen Kaffee auch nicht einmal zuckern, das mache ich selber, und schon gar nicht verzuckern, am wenigsten mit ‚echter’ Kultur.

[…]

„Wo bleibt da die Kultur?“ fragt formhalber die rhetorische Frage. Sie pflanzt sich auf im Maibaum vor meiner Nase – eine sinnreiche Verlängerung aus 1938-, sie liegt mir im Ohr wie der samstägige Rasenmäher eines meiner Nachbarn – einen hat jeder übrigens -, sie nimmt die Steigung der Kirchzäune hinauf schwungvoll im dritten Gang, sie weht aus den Rauchfängen zur Kochzeit wie der Wind. In die Ochsenhörner der Einsteller und aus den Katalogen der Aussteller bläst sie. Am Tisch ißt sie und im Bett schläft sie (aber auch umgekehrt). Mit dem pensionierten Förster, der das maibaumrunde Geländer der Höhenstraße verlegen tätschelt, geht sie einher. Hut trägt sie oder hängt am Nagel. Sie ist nicht zu fassen, wenn sie da ist. Aber wenn sie fehlt, gehen wir ein.

[…]

Mit der Kultur ist es (nicht zufällig) wie mit dem Orgasmus: Je verkrampfter man sie betreibt, desto mäßiger fällt sie aus.

(Aus: Föhn, Heft 10, 1981, S. 7–8)


„Mag i Osttirol?“ (Auszüge)

Hier findet man Tirol gleichsam zur Potenz als Produkt aus lauter gleichen Faktoren. Da gibt es den inzüchtigen Tirolpatriotismus in der extra klaren Ausprägung. Ein bornierter Heimatbegriff hat ein verkrampftes Heimatgefühl hochgezüchtet. Jedes Schnüpf- und Pfeifenclubmitglied sieht sich bereits als delegierter Botschafter tirolischer Eigenart. Manche haben den Patriotismus geradezu gepachtet. Sie schwitzen unter der Last alles umfassender Verantwortungen, die sie sich angemaßt haben. Selbst wo sie ihnen weder an- noch zustehen, lassen sie sich diese nicht nehmen, nicht relativieren. Daher gehören auch die sehr bemühten Kulturträger im einzelnen wie im Verbande. Sie mögen buckeln, soviel sie wollen. Solange sie nur die Kultur tragen, die sie meinen, sind sie am ehesten mit Sargträgern zu vergleichen, die nicht einmal merken, daß sie die Leiche vergessen haben.
[…]
In Osttirol verzeichnet die Tendenz zur Reinrassigkeit in allen Belangen zahlreiche Gläubiger und Förderer. Das reicht von der parteipolitischen Gesinnung über das Vieh bis zum Glauben. Der verstorbene Nationalrat Franz Kranebitter bezeichnete das Pinzgauer Rind als ‚die gottgewollte Rasse’ für Osttirol.
[…]
Von denen, die das Sagen haben, bekommt man die verfängliche Zumutung am öftesten zu hören, nämlich, daß ‚alle an einem Strick ziehen’ müßten. Daß es dabei immer jemandem an den Kragen geht, schert sie wenig. Für alles Nichtverordnete und alle Nonkonformisten, die sich nicht als Handlanger hergeben, ist dann leichthin die Luft weg. Kulturelle Differenzierungen dürfen besser nicht statthaben. Die geradewegs von diesen ‚Monolithen’ auseinandergetriebene soziale Spaltung in den dörflichen Kommunitäten pflegt man mit Moltofill oberflächlich zuzuspachteln.
In abgesperrten Verhältnissen ist die gewisse Hackordnung besonders penetrant ausgebildet. Es gibt Anzeichen für Bösartigkeiten. Einige greifen zu Betäubungsmitteln. Andere stellen sich dumm oder tot. Es gibt erschreckend viele Selbstmörder. Angesichts der heilen, steilen, heiligen Welt Osttirols muß einem schwindlig werden. Bei zu großem Gefälle zwischen Sein und Schein, zwischen Wirklichkeit und Geistesgegenwart fällt einem eben alles auf den Kopf.
[…]

(Aus: „Mag i Osttirol?“ In: horizont. Kulturpolitische Blätter der Tiroler Tageszeitung, Tiroler Tageszeitung Nr. 60, 1.12.1981, S. 9)


Herzensbildung leidet Not (Auszüge)

Wenn wo nie oft genug „aufgezeigt“ wird, aber ständig „anzustellen“ ist; die „Zweierreihe“ prinzipiell wichtig erscheint; im Laub versteckt „Dachteln und Kopfnüsse“ fallen und im äußersten Fall die letzte Zuflucht der Abort ist; wenn wo die einen den Fußtritten von Vorbildern folgen sollen und mindestens ein anderer immer zu laut nach „Ruhe“ schreit, dann muß das eine Schule sein.
Ich bin Lehrer und Leiter, die Dienstjahresringe auf meinen Hörnern zeigen die Halbzeit an. Die Schule ist vierklassig und 1402 Meter hoch gelegen. Hier bringe ich meine Vita ein und ergraue redlich in Pflichterfüllung.
Ich frage mich. Bin ich der klassische Rotstiftstratege, beherrscht mich kanonartige Strenge, geht mein Unterricht am Zeigestock einher, bin ich der Wolf, der Kreide schluckt. Das Selbstverständnis eines Volksschullehrers wird abgefragt, wie selbstverständlich es sei; keinesfalls kann es eine repräsentative Darstellung sein.
[…]
Ich lobe wenn nur irgend, ermuntere und motiviere, wie nur irgend möglich; bohre nach, ob die Mauern zwischen Schule und Leben wohl nicht zu dick sind; ich wehre mich gegen den beamteten Automatismus meinertausend Unterschriften, gegen abstumpfende Gewöhnung und Alltagseinerlei. Ich versuche, die Kinder aus ihrer abgestumpften Interessenslage zu locken, sie zu sich selbst, zum Mitmenschen und zur Natur hinzuführen, ihren auf Autotypen reduzierten Kenntnisreichtum aufzubrechen und der menschenmörderischen Funktionalisierung ihres Lebens, die ihnen gewiß droht, in Gelassenheit meine Persönlichkeit einzubringen. Ich habe seinerzeit große Erwartungen in den Beruf gesetzt. Heute weiß ich mich ziemlich ohnmächtig, ich könnte wohl resignieren, wenn ich mich gehenließe. Was kostet mich die Schule? – Viel Nerven, viel Anstrengung, nach jedem Arbeitstag bin ich sehr müde.
[…]
Von der außerschulischen Arbeit im Dorf habe ich mich weitgehend zurückgezogen. Ich war viele Jahre gewiß ein engagiert treuer Diener und nützlicher Idiot. Es war mir schließlich zuwenig, nur eine willige Hand des Bürgermeisters und Pfarrers zu sein, selbst die rechte. Für Innovationen war kein Platz. In diesem Ort ist noch nicht einmal das Zeitalter des Liberalismus angebrochen. Ich habe alte üble Grundsätze abgelegt und mir neue angeeignet. Bei vielen repräsentativen Wichtigkeiten übe ich freiwillig Enthaltsamkeit. Gewisse Sachen sind mir unendlich zuwider, Saufereien, Weihnachts- und Muttertagsfeiern zum Beispiel. Dafür mache ich eine Menge anderer Arbeiten, die mir wichtig erscheinen. So bin ich im Dorf, wo ich unterrichte, und im andern, wo ich lebe, nicht nolens volens, sondern vollen Willens ein Außenseiter geworden.
[…]

(Aus: Herzenbildung leidet Not. In: horizont. Kulturpolitische Blätter der Tiroler Tageszeitung, Tiroler Tageszeitung Nr. 53, 30.10.1980, S. 6)

Johannes E. Trojer – Bibliografie

Werke

  • Festschrift „Innervillgraten 1267–1967“. Hg. von der Gemeinde Innervillgraten. Innsbruck: Tyrolia 1967, 2. Auflage 1982.
  • Thurntaler. Tiroler Halbjahresschrift (1977–1987), 17 Hefte. Hg. von Johannes E. Trojer.
  • Innervillgraten, Osttirol. Salzburg: Verlag St. Peter 1984 (Christliche Kunststätten Österreichs 133)
  • Franz Josef Kofler. Rauhe Sonnseite. Erinnerungen an eine Kindheit. Hg. von Johannes E. Trojer. Innsbruck: Haymon 1985.
  • Hubert Leischner: Wunschbilder aus Villgraten. Photographien 1945-48. Hg. und Verleger: Villgrater Heimatpflegeverein. Innervillgraten 1989 (Katalog zur Ausstellung, Innervillgraten Schulhaus, 15. Juli bis 20. August 1989)
  • Johannes E. Trojer: Hitlerzeit im Villgratental. Verfolgung und Widerstand in Osttirol. Hg. von Hans Augustin und Erika Wimmer. Unter Mitarbeit von Ingrid Fürhapter und Martin Kofler. Innsbruck: Studienverlag / Reihe Skarabäus 1995 (Brenner-Texte 1)
  • Trojer. Texte aus dem Nachlass von Johannes E. Trojer. Hg. von Ingrid Fürhapter und Andreas Schett. Innsbruck: Haymon 1998.

Veröffentlichungen in diversen Kultur- bzw. Literaturzeitschriften

  • Bilder aus Osttirol. SAETZE + ABSAETZE AUS EINER HEILEN WELT. In: Arunda 4, 1977, S. 9–11.
  • Briefe aus Osttirol. In: Arunda 4, 1977, S. 45.
  • Vom Süpplein, das auf Bergbeleuchtungsfeuern gekocht wurde unter besonderer Berücksichtigung des Pustertales. In: Arunda 7, 1978/79, S. 16–17.
  • Pustertaler Pastorale. In: Arunda 7, 1978/79, S. 17.
  • Dem Südtiroler Autor Norbert C. Kaser + (Ein Nachruf). In: skolast 23, Nr. 4, Nov. 1978, S. 14.
  • Geschichten mit Fremden v. J.T., erzählt von 10jährigen Kindern im Villgratental, 1978. In: Föhn 2, 1979, S. 18.
  • Zimmerstunde, erzählt von einer Schankaushilfskraft in Galtür, verfaßt von J.T. In: Föhn 3, 1979, S. 9–10.
  • Leserbrief [v. J.T. zu Föhn 2]. In: Föhn 3, 1979, S. 73.
  • OB-Besprechung von Föhn. In: Föhn 3, 1979, S. 75.
  • Amen. In: Föhn 5, 1980, S. 57.
  • Gruener in Tirol. In: Föhn 8, 1980, S. 33.
  • RUTLUK – ein Rückblick. In: Föhn 10, 1981, S. 7–8.
  • Herzensbildung leidet Not. In: horizont (= Kulturpolitische Beilage der Tiroler Tageszeitung), Tiroler Tageszeitung Nr. 53, 30.10.1980, S. 6.
  • Mag i Osttirol? In: horizont, Tiroler Tageszeitung Nr. 60, 1.12.1981, S. 9.
  • Junge Literatur aus Österreich (Bb). In. e.h. – erziehung heute, Heft 6/6, Juli 1981.
  • Notizen für eine Dorferhebung. In: e.h. - Erziehung heute, Heft 1/2, 1983, S. 14–20.
  • Notizen für eine Dorferhebung. In: Foehn, Heft 1, 1984, S. 10–17.
  • „Wir haben viele rote und schwarze Juden.“ Antisemitismus in Osttirol. In: Die Geschichte der Juden in Tirol, Sturzflüge, 5. Jg., Nr. 15/16 1986, S. 103–109.
  • Der Thurntaler 2470. In: Thurntaler 1, Sommer 1977, S. 22.
  • Thurntaler Gipfelski. In: Thurntaler 1, Sommer 1977, S. 25.
  • Der Thurntaler Urban. In: Thurntaler 1, Sommer 1977, S. 26.
  • Vorwort. In: Thurntaler 2, Sommer 1978, S. 1.
  • Fotoausstellung '78. In: Thurntaler 2, Sommer 1978, S. 3.
  • Der Tourismus in Villgraten vor 1950. In: Thurntaler 2, Sommer 1978, S. 7–8.
  • Fremdenverkehr im Villgratental 1900–1950. In: Thurntaler 2, Sommer 1978, S. 9–13.
  • Dokumente zur Ortszeit. In: Thurntaler 2, Sommer 1978, S. 17.
  • Kinder erzählen. In: Thurntaler 3, Sommer 1979, S. 5.
  • Ausstellung „Bauen in der Landschaft“. In: Thurntaler 3, Sommer 1979, S. 23–28.
  • Inter Bergen (Eine Glosse). In: Thurntaler 3, Sommer 1979, S. 31–33.
  • Vorwort. In: Thurntaler 4, Sommer 1980, S. 3.
  • Gespräch mit Alfred Focke. In: Thurntaler 4, Sommer 1980, S. 7–10.
  • Raimund Abraham. In: Thurntaler 4, Sommer 1980, S. 43–48.
  • Einleitung zu „Der Bonner Höhenweg“. In: Thurntaler 4, Sommer 1980, S. 49.
  • Einleitung zu „Außer-Neuhaus“. In: Thurntaler 4, Sommer 1980, S. 40.
  • Einleitung zu Johann Senfters „Der Saurekrut“. In: Thurntaler 4, Sommer 1980, S. 55.
  • Der Ausschuß hat beschlossen. Beschlüsse der beiden Talgemeinden von Villgraten zwischen 1880 und 1930. In: Thurntaler 4, Sommer 1980, S. 60–64.
  • Mit dem Korb auf dem Buckel zur Welt. In: Thurntaler 5, 1981, S. 14–16.
  • Alles für die Katz'? In: Thurntaler 5, Juni 1981, S. 38–41.
  • Ein Irrwegweiser. In: Thurntaler 5, Juni 1981, S. 51.
  • Die Panzendorfer „Punnbrugge“, 1781. In: Thurntaler 5, Juni 1981, S. 55–59.
  • Wunschbilder aus Innervillgraten – Photographien von P.P. Atzwanger. Vorwort zu Otto Hochreiters Beitrag. In: Thurntaler 6, 1982, S. 32.
  • Lebensabriß zu Gerold Foidl. In: Thurntaler 7, Dezember 1982, S. 14.
  • Kurz über H. Noe. In: Thurntaler 7, Dezember 1982, S. 24.
  • Briefe zur ‚Lage’ (1933–1936), ediert und kommentiert von J. Troyer. In: Thurntaler 8, Mai 1983, S. 10-23.
  • Abdankungen. In: Thurntaler 8, Mai 1983, S. 29–33.
  • Eine Überführung ad absurdum. In: Thurntaler 8, Mai 1983, S. 33.
  • Idyllen an der oberen Drau. In: Thurntaler 9, Dezember 1983, S.4–6.
  • Malen, fast ohne einmal aufzusehen. In: Thurntaler 9, Dezember 1983, 37–40.
  • Zeitgeschichte in Briefen. Hermann Wopfner und Osttirol. In: Thurntaler 9, Dezember 1983, S. 41–44.
  • Die Kinder von Innervillgraten sehen fern. Eine Ermittlung. In: Thurntaler 10, Mai 1984, S. 19–27.
  • Lehrmeister Deferegger und sein Schüler Frech. In: Thurntaler 12, Juli 1985, S. 63–66.
  • Fünf Jahre Ost-Tirolensien. In: Thurntaler 14, Juni 1986, S. 56–57.
  • Medien als Bücher. In: Thurntaler 14, Juni 1986, S. 58–59.
  • Editorial. In: Thurntaler 16, Juli 1987, S. 4.
  • Lebensabriß von Dr. Johannes Ude. In: Thurntaler 16, Juli 1987, S. 33.
  • Zu Norbert C. Kasers letztem Jahr. In: Thurntaler 17, Dezember 1987, S. 12–14.
  • Mundartdichtung in Osttirol: Dialekte sind wie schlechter Mundgeruch v. J.T. In: Morgenschtean 5, 1990, S. 61–74.

Außerdem zahlreiche volkskundliche Beiträge für die „Osttiroler Heimatblätter“ und die „Tiroler Heimatblätter“, Veröffentlichungen im „Schlern“ und in der „Österreichischen Zeitschrift für Volkskunde“, weiters Artikel und Glossen im „Osttiroler Boten“ und Kulturberichte auf der Kulturseite der „Tiroler Tageszeitung“ und Rezensionen in den „Kulturberichten aus Tirol“.

Johannes E. Trojer – Aus dem Nachlass

Der sehr heterogene und umfangreiche Nachlass von Johannes E. Trojer wurde im September 2003 dem Forschungsinstitut Brenner-Archiv als Leihgabe übergeben. Er umfasst ca. 140 Kartons. Bis heute lagert im so genannten „Büchersilo“ in Trojers Wohnung in Außervillgraten mit ca. 5000 Büchern wohl die größte Privatbibliothek zwischen Schloß Bruck und Stift Innichen.

In der Hinterlassenschaft finden sich mehr als 200 Mappen mit Ermittlungen zu Personen und Sachthemen, gut 200 Tonbänder, auf denen Gespräche mit Zeitzeugen, Verwandten und Bekannten aufgezeichnet sind, stößeweise historische Dokumente und Amtsschriften, hunderte Fotografien und umfangreiche Sammlungen von Zeitungen, Zeitschriften, Plakaten, Sterbebildchen, Ansichtskarten, Gebetsbüchern usw.

Unter den Mappen mit Aufschriften wie „Flurnamen“, „Schützen“, „Heubring & Seitengadenhäuser“ oder „Nervenkranke und angenommene Kinder“, die den Hängeregistern in den Schubladen von Trojers Büros entnommen wurden, befindet sich auch ein Konvolut, das Trojer mit dem Vermerk „Privat“ gekennzeichnet hat.

Es enthält rund 500 lose Blätter, darunter Mitteilungen der Schulbehörde, Informationen des Jugendrotkreuzes, Auswahllisten des Österreichischen Buchclubs der Jugend, Briefe der Lehrergewerkschaft, kurzum: der reguläre Posteinlauf des Schulleiters Trojer, den derselbe mit der Rückseite in seine Schreibmaschine eingespannt und mit Literatur voll geschrieben hat. Dieses ‚Zettelwerk’ stellt eine Art Synopse dar: Hier fließen Beobachtungen aus dem Schulalltag, Aufzeichnungen des Dorfchronisten und volkskundliches oder historisch-zeitgeschichtliches Forschen ineinander, hier verbindet er alles, was ihm unterkommt, zu assoziativer ‚Wirkware’: Was er beobachtet und erfragt, an was er sich erinnert und was im „Osttiroler Boten“ oder bei Kafka steht, was in seinem Kopf und ins einem Wohnzimmer vorgeht. Neben Manuskripten, die er in Reinschrift übertragen hat, finden sich in der Mappe auch Textfragmente und Sammlungen von Sätzen, die in der Reihenfolge ihres Auftretens aneinandergereiht sind. An ihnen kann man die Arbeitsweise des Autor nachvollziehen. Einzelne Blätter aus dem Nachlass zeugen von kreativen Sprachspielereien, von der Lust, Sätze und Wörter zu zertrümmern, um die sprachlichen Zeichen zu neuen Sinngebilden zusammenzusetzen.

Auch Trojers Notizbücher, die „Journale“, enthalten Aufzeichnungen, die Trojers genuin interdisziplinäre Arbeitshaltung deutlich machen. Als Beispiel eine Seite aus einem Notizbuch, verfasst 1978:

Und er hat einen „Ewigen Kalender“ geführt, in den er seiner Ansicht nach besonders Bemerkenswertes aus anderen Heften und Notizbüchern eintrug – nach dem selbst auferlegten Motto: „ich halte halt verdammt auf das wort, ein eigentlicher satz, der bleibt, ist mir das leben wert“ (aus: Brief von Trojer an Markus Wilhelm, 29.4.1981).

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