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Paganini Simone: Der Messias, die Messiasse und Jesus
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Der Messias, die Messiasse und Jesus
(Beobachtungen zum Ostergeschehen)

Autor:Paganini Simone
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2011-04-17

Inhalt

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Der Messias im Alten Testament

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Für die Christen – so lehrt es zumindest die kirchliche Überlieferung – ist das Alte Testament in Jesus, dem Christus, erfüllt: Er ist der von den Propheten verheißene Messias.

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Vor dem Versuch jedoch, die Gestalt Jesu im Hinblick auf sein Selbstverständnis und auf die Wahrnehmung seiner Zeitgenossen zu erleuchten, ist es nicht uninteressant zu fragen, woher die Bezeichnung Messias stammt? Was bedeutet Messias? An wen dachten die Juden zurzeit Jesu, wenn sie dieses Wort gebrauchten? Wer wurde von ihnen als Messias anerkannt? Und: Wer war ein Messias im Alten Testament?

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Wenn man den Umstand des – für die christliche Erwartungshaltung – seltenen Vorkommens des Wortes Messias im Alten Testament (nur 39-mal) näher betrachtet, sei zunächst darauf hingewiesen, dass die Gestalt des Messias keineswegs im Mittelpunkt der hebräischen Bibel steht, ja dass messianische Erwartungen sicherlich nicht den Gipfel der alttestamentlichen theologischen Botschaft ausmachen.

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Vom Sprachgebrauch her bezeichnet das hebräische Wort maschiach [wörtlich „Gesalbter“] einen durch die Salbung mit dem königlichen Amt bzw. - seltener - mit der priesterlichen Würde beauftragten Menschen. In diesem Sinn sind zunächst viele der historischen Könige Israels Messiasgestalten. Erst in der Notsituation des Exils in Babylon (6. Jh. v. Chr.), als das Volk Israels unter Fremdherrschaft lebte, begannen die Propheten wie die Dichter der Psalmen das Bild von einer Gestalt zu entwerfen, die sich einerseits gegen das traditionelle Königtum und andererseits gegen die herrschenden und unterdrückenden Mächte stellen sollte. Somit wuchs sowohl die Vorstellung eines gewaltlosen königlichen Amtsträgers, der befähigt wäre, die Herrschaft und den Willen Gottes im Volk durchzusetzen, als auch die Idee eines kraftvollen mächtigen Anführers, der mit der Kraft Gottes das Volk endlich befreien würde und es endgültig in die durch Abbau von Macht und Privilegien zur - durch Gottes-Weisungs-Gehorsam gekennzeichneten - Heilszeit führen könnte. Deshalb überrascht es nicht, dass selbst der nicht-jüdische Perser König Kyros im Buch des Propheten Jesaja als Messias bezeichnet werden konnte. Mit der immer aktuellen Hoffnung auf einen konkreten messianischen Amtsträger konkurrierte bald die Sehnsucht nach einer Zeit, in der das messianische Charisma wirken konnte.

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Obwohl der König, der Hohepriester, ja sogar die Erzväter als Messias bezeichnet wurden, erweist sich die Heilserwartung im Alten Testament doch als vielschichtiger, vielgestaltiger und breiter als eine rein personale „Messiaserwartung“: Immer häufiger findet sich in späten Texten die Vorstellung einer messianischen Zeit.

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Dass Gott sein Reich und seine Herrschaft aufrichten wird, ist im ersten Teil der Bibel eine breite Überzeugung. Wie er dies tun wird, mit oder ohne die Unterstützung eines konkreten Messias, ist vom Alten Testament her nicht in letzter Eindeutigkeit festgelegt.

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Vom einfachen, zumeist unterdrückten Volk wurde der Messias jedoch immer öfter als eine nationale Herrschergestalt verstanden, die Israels Größe wiederherstellen wird. Die Hoffung auf eine Einzelgestalt, einen Retter, der das Volk Israel befreit und das Ende dieser Erdenzeit signalisiert bzw. herbeiführt, ist nicht eigentlich alttestamentlich. Tatsächlich spiegelt sich in der Erwartung eines personifizierten Messias die - um die Zeitenwende - jüdische wie urchristliche Aktualisierung und Engführung der alttestamentlichen Heilshoffnungen. 

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Die Messias-Kandidaten des antiken Judentums

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Auf Grund unserer christlichen Tradition ist es für uns selbstverständlich, dass der Messiastitel die Einzigartigkeit Jesu zum Ausdruck bringt. Eine Selbstverständlichkeit, die historisch gesehen allerdings nicht korrekt ist. Zurzeit Jesu gab es eine Vielfalt von Messiasvorstellungen, die in großer Variationsbreite nebeneinander existierten. Grund dafür dürfte u.a. gewesen sein, dass das Alte Testament selbst nicht nur einen Messias bzw. eine einzige messianische Auffassung kannte.

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Es darf also nicht überraschen, dass neben dem christlichen Bekenntnis zum Messias Jesus auch andere Gestalten des frühen Judentums als Messias propagiert wurden. Um das Jahr 0 unserer Zeitrechnung hielt man in Palästina eifrig nach dem Messias Ausschau, wie dieser genau aussehen und auftreten würde, stand allerdings nicht fest.

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Im Neuen Testament lässt sich das Ungeklärte dieser Frage noch gut feststellen, wenn etwa die Reaktion auf das Wirken Johannes des Täufers beschrieben wird: „Das Volk war voll Erwartung“ – schreibt der Evangelist lukas – „und alle überlegten, ob Johannes nicht selbst vielleicht der Messias sei.“ (Lk 3,15) In ihm erkennen die Evangelien eine Art Vorläufer und betonen zugleich, wie Johannes jegliche messianische Ansprüche stets unmissverständlich zurückwies.

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Nicht nur vor Jesu, sondern auch nach ihm, traten in Palästina Gestalten auf, welche die messianischen Erwartungen des Volkes an sich zogen. Besonders geeignet waren dabei charismatische Führer mit prophetischem Anspruch.

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Der jüdische Historiker Josephus Flavius (1 Jh. n. Chr.) berichtet in seinen Werken von mehreren solchen Anführern, die in die Wüste zogen und von dort die römischen Besetzer bekämpften, um das gelobte Land zurück zu erobern. Sie verstanden sich als Reinkarnation des Mose und versprachen einen Sieg gegen die Eindringliche durch Gottes wunderhaftes Eingreifen. Eine formelle Proklamation zum Messias erfolgte jedoch nur im Fall von Simon Bar Kochba während des zweiten jüdischen Aufstands (132-135 n. Chr.). Andere Namen, die als aktiv kämpfende Messiasgestalten bekannt geworden sind, sind Menachem, Theudas, Judas der Galiläer und Simon bar Giora. Sie alle wurden von den Römern besiegt und schließlich hingerichtet. Von Simon bar Giora wird sogar berichtet, dass er seinen Tod als Opfer für das Volk verstanden habe - eine entfernte Parallele zur Lebenshingabe Jesu.

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Es gibt aber auch Hinweise dafür, dass erfolgreiche, vom Volk anerkannte Herrscher mit dem Messiasgedanke in Verbindung gebracht wurden. Herodes der Große z.B. baute einen neuen Tempel und spielte im Aufbau des Kaiserkultes eine führende Rolle.

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In den Schriften Flavius Josephus wird sogar Kaiser Vespasian, in dessen Auftrag Titus Jerusalem eroberte und den Tempel zerstörte, mit messianischen Zügen dargestellt: Er ist von Gott eingesetzt worden, um über die Welt, einschließlich Israel, zu regieren.

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Die Handschriften aus dem Toten Meer bezeugen zudem die Erwartung drei messianische Funktionäre: einen messianischen Propheten, einen Priestermessias und einen dem Priestermessias untergeordneten Laienmessias, der das Volk im endgültigen Kampf hätte führen sollen. Herrscher, Führer oder Priester, Gestalten, denen solche Züge zueigen waren, sprach das jüdische Volk den Messiastitel zu.

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Die Entscheidung der Urkirche, im Auferstandenen den Messias zu bekennen, beantwortete damals nicht nur eine „Personalfrage“, sie gab dem Messiasbegriff eine neue und engere Deutung. Eine Deutung, welche zurzeit Jesu weder selbstverständlich noch im vollen Einklang mit den geläufigen Interpretationen war.

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Jesus, der gestorbene und auferstandene Messias

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Der hebräische Titel maschiach kommt im Neuen Testament nur zweimal – und zwar im Johannesevangelium – vor, häufig hingegen ist seine griechische Übersetzung: Christos. Diese Bezeichnung ist in jedem Buch des Neuen Testamentes (außer im dritten Brief des Johannes) zu finden: insgesamt 531-mal. Allerdings gibt es in den Evangelien keinen einzigen Text, in dem Jesus von sich selbst sagt, dass er der Messias bzw. der Christos sei.

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Die Darstellung der vielen Formen und Prägungen des alttestamentlichen bzw. jüdischen Messianismus verdeutlichte, dass die einfache Gleichung – Jesus sei die Erfüllung der alttestamentlichen messianischen Idee – gar nicht möglich ist, da eine solche Idee als eindeutiges und anschauliches Programm im Alten Testament gar nicht existiert.

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Die Predigt Jesu, seine prophetischen Zeichen und Wunder, seine Selbstbezeichnung als Menschensohn und die Sammlung des Zwölferkreises zeigen jedoch ausdrücklich, dass er sein Wirken mit dem Anbrechen der Gottesherrschaft in Verbindung bringen wollte. Die Kreuzesinschrift belegt außerdem, dass ihn seine Zeitgenossen wohl als Messias anerkannt haben. Unter der Anschuldigung, messianische – wenn auch anders als in dem national-politischen Sinn der Jerusalemer priesterlichen Aristokratie gemeinte – Ansprüche zu erheben, wurde Jesus der Prozess gemacht, als König der Juden richtete man ihn hin.

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Dass die ersten Christen, die – genau wie Jesus – Juden waren, ihn schließlich als Messias bekennen konnten, bedeutet, dass durch Jesus Leben, sein Wirken, sein Sterben und vor allem sein Auferstehen die Messiaserwartungen in einer neuen Weise gefüllt, transformiert, ja überholt wurden.

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Die Gestalt Jesu als Messias umfasst zwei Dimensionen: Er ist zunächst ein Messias der bedingungslosen Gewaltlosigkeit. Dieser dienende, leidende, sterbende Messias bildet ein Gegenbild zu den in den Büchern des Alten Testamentes überlieferten Formen staatlich-institutionellen Zusammenlebens. Sein Reich orientiert sich nicht am Nationalstaat Davids und Salomos. Es hat nichts zu tun mit dem Römischen Reich und auch nichts mit dem Modell eines hierarchisch organisierten Kirchenstaates. Sein Reich richtete sich nach der ursprünglichen, personal orientierten Gottesgesellschaft der zwölf Stämme Israels aus. Die ersten Gemeinden der Jesusjünger haben sich genauso verstanden. Eine solche Gesellschaft konnte die Obrigkeit Israels und Roms weder anerkennen noch reibungslos bestehen lassen.

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Die zweite Dimension der Jesu Messianität erschloss sich den Jüngern im Verständnis seiner Auferstehung. Seine Auferstehung wird als die messianische Vollendung der Welt und der Geschichte schlechthin gedeutet. Jesus ist daher – und dies konnten seine Zeitgenossen nur im Glauben an ihn verstehen – nicht die Erfüllung der messianischen Verheißungen, sondern ihre utopische, kritische und letztendlich – für die an ihn Glaubenden – definitive Präzisierung. Er ist selber eine neue messianische Verheißung: Das Reich Gottes ist nahe!

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Das Erkennen Jesu als Messias forderte gerade deswegen eine tiefe Glaubenserfahrung. Der historische Jesus hat genau aus diesem Grunde nur wenige seiner Mitmenschen seines Messias-Seins überzeugen können. Die Verheißung, die der Autor der Offenbarung unmissverständlich zum Ausdruck bringt – „Ich bin das Alpha und das Omega, Gott, der ist und der war und der kommen wird“ (Offb 1,8) – stellt jeden Gläubigen vor diese Problematik, denn Jesus als Messias zu erkennen ist – damals wie heute – weder bequem noch selbstverständlich.

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