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Zeitgenössische Lyrik in/aus Tirol. Formen, Themen, Fragen – Universität Innsbruck

Zeitgenössische Lyrik in/aus Tirol. Formen, Themen, Fragen

Dieses Projekt schließt eine Forschungslücke, indem es eine wissenschaftliche Analyse der zeitgenössischen Lyrikproduktion in den drei Tiroler Landesteilen bietet. Sowohl die monographische Studie (in Arbeit) als auch die Aufsätze zu Werken einzelner AutorInnen stellen eine Grundlage dar für künftige Forschungen zur Tiroler Lyrik, andererseits können sie in ihrer Theoriebezogenheit Impulse für die wissenschaftliche Interpretation zeitgenössischer Lyrik überhaupt liefern.
Die Studien bieten Einzelanalysen im Lichte zeitgenössischer Literaturtheorien. Im Fokus stehen dabei die formalen Tendenzen sowie die poetologische Vielfalt. Alle während der Zeit der Förderung publizierten sowie die zum Zeitpunkt des Projektendes noch in Arbeit befindlichen Aufsätze erforschen wissenschaftliches Neuland, da die in ihnen analysierten lyrischen Texte bislang noch nicht wissenschaftlich untersucht wurden.
Die Studie und die Aufsätze positionieren die Tiroler Lyrik sowohl im Kontext aktueller Regionalismus-Diskurse als auch und vor allem im Kontext zeitgenössischer deutschsprachiger Literatur. Insbesondere diejenigen Aufsätze, die Texte von „Tiroler“ Autoren gemeinsam mit Texten von „nicht-Tiroler“ Autoren (wie Mayröcker, Waterhouse, Donhauser, Kling) untersuchen, lassen die formale und thematische „Internationalisierung“ klar zu Tage treten, die sich innerhalb der letzten 40 Jahre in der Tiroler Lyrikproduktion formal und inhaltlich vollzogen hat.


Wissenschaftliche Originalität / Entwicklung neuer Methoden:

Sowohl die Studie als auch die Aufsätze bieten strukturale Analysen und literaturtheoretisch fundierte Interpretationen ausgewählter Gedichte. Methodisch verwirklicht wurde ein „methodenpluralistischer“ Ansatz, der das Erklärungspotential mehrerer, teils auch divergierender Literaturtheorien nutzt, welche nicht vermengt, sondern − in klarer Abgrenzung voneinander − nebeneinander angewendet werden, um die einzelnen Texte aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Ein solcher methodenpluralistischer Ansatz war in der Erforschung der „Tiroler“ Lyrik bislang ein wissenschaftliches Desiderat.

Jeder Lyrikband und jedes einzelne Gedicht verlangt nach der sorgfältigen Überprüfung der verschiedenen Interpretationsansätze auf ihren jeweiligen Erkenntniswert hin und nach ihrer gezielten Anwendung. Eine Analyse vor dem Hintergrund diverser Literaturtheorien gewinnt an besonderer Bedeutung angesichts sehr verschiedener Texte, wie es z.B. experimentelle Texte (Egger, Fritz), lakonisch reduzierte Texte (Mall, Zoderer), formal komplexe, „engagierte“ Texte (Hundegger), antike oder mittelalterliche Lyrik rezipierende und transformierende Texte (C. W. Bauer) oder Texte (wie die von Schrott) sind, die den wissenschaftlichen und den poetischen Diskurs integrieren. Interpretationen im Lichte verschiedener theoretischer Ansätze übersteigen den herkömmlichen Bedeutungshorizont von Gedichtanalysen; sie übernehmen die Funktion eines literaturtheoretischen Kommentars, an manchen Stellen sogar die eines Kommentars im editorischen Sinne insofern als die Kenntnis des literaturtheoretisch-poetologischen Hintergrunds der Texte „Dunkelheiten“ auf der primär-semantischen und sekundär-semantischen Ebene zu erhellen vermag.

Im Wesentlichen folgen die Studien als auch die Aufsätze dem integrativen Ansatz einer „Analyse und Interpretation als Kooperations- und Differenzmodell“, wie ihn Jahraus (2004) vorschlägt. Auf der Basis einer strukturalen Analyse werden Möglichkeiten überlegt, wie die rein textgestützte Beschreibung mit anderen theoretischen Ansätzen verknüpft werden kann: so wurden z.B. bei der Analyse experimenteller Texten rezeptionsästhetische Ansätze herangezogen (inbesondere Ecos semiotisches Textmodell) zusammen mit psychostrukturalistischen Überlegungen (Jacques Lacans Konzept der „gleitenden Signifikationen“), mit Denkanstößen aus der Dekonstruktion (Jacques Derridas Konzept der „Dissemination“) und mit Roland Barthes‘ (poststrukturalistisch-rezeptionsästhetischem) Konzept der „Lust am Text“; Barbara Hundeggers Gedichtbüchern wird man am ehesten gerecht, wenn man sie im Lichte feministischer Theorien (H. Cixous , J. Butler, A. Wetterer u.a.), zugleich aber auch im Sinne narratologischer Überlegungen liest. Die verschiedenen Formen von Intertextualitätsrelationen wurden mit einem differenzierten Analyseinstrumentarium beschrieben: so wurden etwa O. Eggers Rezeption der gnostischen Schriften, des biblischen Hohelieds, von Rilke etc., B. Hundeggers Dante-Rezeption, C.W. Bauers Anverwandlung der Lyrik von Catull und der Troubadours oder Schrotts Integration des poetischen und des naturwissenschaftlichen Diskurses im Lichte strukturalistisch-hermeneutischer (Gerard Genette) und poststrukturalistischer (Bachtin, Kristeva) Intertextualitätstheorien analysiert. Texte von Mall, Zoderer oder Gruber verlangen eher nach (neo)hermeneutischen Erklärungsmodellen und kognitionswissenschaftlichen Ansätzen. Gerhard Koflers mehrsprachige Dichtung wird im Lichte der Intertextualitätstheorie von Julia Kristeva untersucht. Die Analyse und Interpretation „junger“ Lyrik wie die von Martin Fritz fordert die Berücksichtigung von Informationstheorien und die Kenntnis der Erscheinungsformen von Popkultur. Die „neue Mundartdichtung“ (Wolfgang Bauer …) schließlich wird innerhalb neuester Regionalismusdiskurse positioniert.

Eine Analyse des Konzepts der „Autorschaft“ in den (Selbst-)Inszenierungen der AutorInnen, ihres „Habitus“ bzw. ihrer „Hexis“ (Bourdieu) zeigte bei einigen AutorInnen einen z.T. souveränen Umgang mit den Spielregeln des literarischen Feldes.

Als Ergebnis des Projekts kann festgestellt werden, dass die Lyrikproduktion das Phänomen der Mehrsprachigkeit und Transkulturalität der Region “Tirol” widerspiegelt. „Tirol“ ist als ethnographisches Konzept kaum noch spürbar, es sei denn in verschlüsselter, sprachlich verwandelter Form (Mall, Schrott, Egger). „Tirol“ ist in den Gedichten in erster Linie ein semantisch weit offener, poetischer Raum. In thematischer und formaler Hinsicht hat die „Tiroler“ Lyrikproduktion die Komplexität und Vielfalt der Lyrik aus dem gesamten deutschsprachigen Raum erreicht. Darüber hinaus haben sich die Autor_innen durch die intensive Rezeption nicht-deutschsprachiger Literatur und Literaturtheorie in einen internationalen Kontext eingeschrieben.

Interdisziplinäre Themen und Methoden:

Durch die methodisch interdisziplinäre Verknüpfung mit der Forschungsrichtung der Analytischen psychologie einerseits (hier insbesondere mit den Forschungen zur Empathie und zur „Sensory Processing Sensitivity“), andererseits mit dem jungen, aber boomenden Forschungsbereich der „Human Animal Studies“ kam es zu erhellenden Perspektivierungen, die zu Ergebnissen führten, welche durch eine ausschließlich literaturwissenschaftliche Vorgehensweise in dieser Aussagekraft nicht hätten erzielt werden können.

#Projektbeschreibung


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