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Schwager Raymund: Kritisches zur Kritik an der Dramatischen Theologie
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Kritisches zur Kritik an der Dramatischen Theologie

Autor:Schwager Raymund
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:Dramatische Erlösungslehre. Ein Symposion. Hg. von J. Niewiadomski, W. Palaver (IthS 38). Tyrolia: Innsbruck-Wien 1995
Datum:2001-10-10

Inhalt

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Das Symposium (1991) brachte eine sehr intensive, anregende und weiterführende Diskussion. Meiner Ansicht nach wurde dabei das Modell einer dramatischen Erlösungslehre auf grundsätzlicher Ebene nicht erschüttert; zahlreiche Beiträge habe ich im wesentlichen als eine Bestätigung erfahren. Dennoch zeigte sich, daß manches weiter zu klären ist und folgenschwere Mißverständnisse auszuräumen sind. Dafür sind zum Teil umfassende Arbeiten nötig (z.B. Untersuchungen zum Verhältnis Erlösung - Kirche, Erlösung - nichtchristliche Religionen, Erlösung - Erbsünde - Evolution etc). Einige Aspekte möchte ich aber bereits hier kurz ansprechen.

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1) Zur exegetischen Problematik

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Exegetische Ergebnisse hängen im hohen Maße von der Methode ab, die bei der Forschung angewandt wird. Deshalb gehört zu einer umfassenderen Untersuchung die Reflexion über die angewandte Methode. Im Laufe meiner eigenen Auseinandersetzung mit der modernen Exegese habe ich mich immer mehr davon überzeugt, daß eine ideengeschichtliche Methode zum besseren Verständnis der Botschaft und des Geschickes Jesu für sich allein ungenügend ist. (1) Mit 'ideengeschichtlicher Methode' meine ich jene Art der Untersuchung, die frägt, ob und wie ein Thema, das im Zusammenhang mit Jesus auftaucht, sich auch im näheren und weiteren Umfeld seines Wirkens findet. Diese Forschung ist zwar wichtig, aber nicht ausreichend (2), denn für sich allein genommen schwankt sie zwischen einer künstlichen Abhebung Jesu von seiner Umwelt und einer konturenlosen Nivellierung seiner Gestalt. Eine neue Methodendiskussion drängt sich auf.

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P.Fiedler, für dessen harte Kritik ich sehr dankbar bin, weil sie zur Klärung der unterschiedlichen Positionen beiträgt, meint, mein Versuch zwischen systematischer Theologie und historisch-kritischer Exegese durch eine dramatische Exegese zu vermitteln, bedeute, "daß der historische Befund nicht (mehr) ernstgenommen, sondern in ein ihm vorgegebenes Modell hineingezwängt wird"(3). In allen Einzelpunkten habe ich mich aber immer auf mehrere historisch-kritisch arbeitende Exegeten gestützt, und die Liste der zustimmenden Arbeiten ließe sich leicht vermehren. Die Kritik von Fiedler bedeutet folglich zunächst nur, daß ich nicht dem folge, was er für historisch-kritisch erwiesen hält. Damit ergibt sich gleich ein zweiter Punkt. Seit vielen Generationen arbeiten eine Unzahl von Forschern mit der historisch-kritischen Methode und die Ergebnisse divergieren heute wie früher. In allen wichtigen Punkten gibt es diametral entgegengesetzte Ansichten. Woher rührt dies? In der Arbeit, die Fiedler kritisiert, habe ich an konkreten Beispielen versucht aufzuzeigen, wie die Urteile bei historisch-kritischen Einzelfragen weitgehend vom hintergründigen Gesamtbild abhängen, das die Forschung über die Gestalt Jesu leitet. Aus diesem Grund - neben anderen Gründen - war es mir wichtig, mein eigenes Gesamtbild sehr ausdrücklich zu nennen und es damit auch kritisierbar zu machen. Ich bin überzeugt, daß es ein großer Gewinn für die historisch-kritische Exegese wäre, wenn alle Forscher dazu übergingen, ihr Gesamtbild ebenfalls deutlich zu machen. Wenn Fiedler meint, bei meinem Versuch werde der historische Befund nicht mehr ernst genommen, dann würde ich die Sache genau umdrehen. Da hintergründige Gesamtbilder auf alle Fälle dominieren, würde sich viel deutlicher zeigen, was historisch-kritisch wahrscheinlich ist, wenn diese auch genannt und damit kritisierbar gemacht würden. Andernfalls herrscht über weite Strecken ein Versteck-Spiel, bei dem im Vordergrund Figuren fechten, während der Hintergrund, von dem aus die Fäden gezogen werden, verschleiert bleibt.

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Um den Sachverhalt zu verdeutlichen, wird es mir Kollege Fiedler wohl erlauben, daß ich mein Unbehagen mit vielen historisch-kritischen Arbeiten auf ihn selber anwende. Er hält den entscheidenden Teil der Gerichtsworte für nachösterlich, desgleichen die Abendmahlsworte mit dem Gedanken der stellvertretenden Sühne. Da er für den Tod Jesu keine theologischen, sondern nur politische Gründe findet, muß er auch die große Zahl jener Worte, in denen sich ein hoher Selbstanspruch im Sinne einer 'indirekten' oder 'impliziten Christologie' (4) ausdrückt, der nachösterlichen Gemeinde zuschreiben. Dazu gehören entscheidende Menschensohn-Worte und Wundererzählungen. Kurz: alles, woduch das Christentum sich vom Judentum abhebt, stammt nach Fiedler aus der nachösterlichen Zeit. Wer eine solche Position vertritt, müßte nun doch ein plausibles Bild entwerfen, wie und warum alle diese Themen entstanden sind und wie sie miteinander zusammenhängen. Verstreute Hinweise etwa im Sinne, daß sich in den Gerichtsworten die endgültige Trennung der Kirche von Israel widerspiegle, genügen längst nicht, denn die entscheidenden christlichen Themen waren längst vorher da. Paulus berichtet Abendmahlsworte, wie sie ihm überliefert wurden, und in seinen Briefen finden sich zusammenfassende Bekenntnisse wie etwa jenes in 1 Kor 15,3-5, von dem Paulus ausdrücklich sagt, daß er es empfangen hat und in dem vom Tod Christi für unsere Sünden die Rede ist. Der zentrale Sühnegedanke ist folglich eindeutig vorpaulinisch und schon in den dreißiger Jahren anzusetzen. Wer alles der nachösterlichen Gemeinde zuschreiben will, müßte folglich auf plausible Weise erklären, wie in wenigen Jahren die entscheidenden christlichen Glaubensüberzeugungen entstehen konnten. Dabei wäre zu beachten, daß die Gemeinde, indem sie Jesus nachträglich ein messianisches Bewußtsein zuschreibt, sich selber das riesige Problem eines getöteten Messias schafft. Ist dies wahrscheinlich? Wer dies meint, sollte seine diesbezüglichen Vorstellungen präzise entfalten und darlegen. Dann kann man vergleichen, was wahrscheinlicher ist.

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Die historisch-kritische Methode birgt noch weitere Probleme in sich. Fiedler argumentiert gegen Reiser, daß die Evangelien "keine historischen Quellen im heute üblichen Sinne" (5) sind. Was sind aber historische Quellen im heute üblichen Sinne? Es gibt doch eine lange Diskussion innerhalb der historischen Wissenschaften, die zeigt, daß jede Forschung - schon allein durch Auswahl und Benennung - Fakten deutet. Der Anteil der Interpretation kann größer oder kleiner sein, er ist aber immer gegeben.(6) Die Tatsache, daß die Evangelien Glaubenszeugnisse sind, macht sehr deutlich, daß sie auch eine Glaubensdeutung enthalten. Dies spricht aber keineswegs dagegen, daß sie dabei etwas berichten wollen, was wirklich geschehen ist. Die christliche Religion ist nicht als mystische Religion entstanden, die rein innerseelische Bilder erzeugen und verbreiten wollte, sondern sie entsprang aus der jüdischen Tradition, die an ein Handeln Gottes in der Geschichte glaubte. Die nachösterliche Gemeinde glaubte ebenfalls an ein Handeln Gottes in Jesus Christus, und insofern hatte sie ein geschichtliches Interesse. Eine globale historische Skepsis gegenüber den Evangelien wäre folglich nur dann angebracht, wenn man der Jüngergemeinde nach Ostern bewußte Täuschungen oder massive projektive Erfahrungen zuschreiben wollte. Die Evangelien erheben auf alle Fälle den Anspruch, ein Handeln Gottes in Christus zu berichten, das der nachösterlichen Gemeinde vorausging. Sie haben damit auch den Charakter von historischen Quellen, auch wenn sie keine Polizei- oder Gerichtsprotokolle oder "keine historischen Quellen im heute üblichen Sinne" sind.

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Doch nochmals zu den Quellen!. Die historische Forschung des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts war sehr stolz auf ihre (angebliche) Objektivität. Der Historismus wurde aber bereits von M.Weber fundamental kritisiert ("vom Historismus zur Soziologie"). Vor allem aber zeigen ganz einfache Vergleiche zwischen Forschern verschiedener europäischer Nationen - oft auf fast peinliche Weise -, wie sehr die auf ihre Objektivität stolzen Historiker nationalen und oft nationalistischen Vorurteilen verfallen waren. (7) Nach dem zweiten Weltkrieg gab es deshalb große Methodendiskussionen(8), und es wurden im wachsenden Maße Verfahrensweisen der Sozialwissenschaften in der Geschichtswissenschaft rezipiert. (9) Diese Entwicklung ist auch für die Exegese belangvoll, denn vor allem die zentrale Bedeutung des gesellschaftlichen Faktors kann leicht einsichtig gemacht werden.

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Vielfältigste Erfahrungen zeigen, daß sich Menschen wegen religiöser Vorstellungen sehr leicht zerstreiten können. Auch unter den Jüngern Jesu und den ersten Christen war dies der Fall. Paulus beschreibt, wie er von "falschen Brüdern" verdächtigt wurde, die sich eingeschlichen hatten, "um die Freiheit, die wir in Christus haben, argwöhnisch zu beobachten" (Gal 2,4). Er scheute sich auch nicht, Petrus offen entgegenzutreten, weil er sich beim Essen von den Heidenchristen absonderte (Gal 2,11-21). Mahlgemeinschaft war im jüdischen Kontext sicher eine wichtige Frage, aber für die nachösterliche Gemeinde mußten Fragen wie der Sühnetod des Messias am Kreuz und seine Einsetzung als Sohn Gottes und als Richter über die ganze Welt viel zentraler sein.

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Wie will man, wenn man einen rein nachösterlichen Ursprung der zentralen christlichen Vorstellungen annimmt, erklären, daß es betreffs Fragen zweiter Ordnung starke Auseinandersetzungen in den Gemeinden gab, bezüglich der zentralsten Fragen aber von keinem ernsthaften Konflikt berichtet wird. (10) Sind alle lammfromm den neuen Vorstellungen gefolgt, die irgendwo auftauchten? Wenn alle einer führenden Gestalt gegenüber hörig gewesen wären, dann ließe sich eine solche Einmütigkeit vielleicht erklären. Aber dann wäre diese Person der Gründer des Christentums gewesen. Und wer sollte dies sein? Je mehr eine Exegese den schöpferischen Prozeß in der Jüngergemeinde betont, um so präziser muß sie erklären, wie angesichts eines solchen Vorganges Einheit geschaffen und bewahrt bleiben konnte. Wieso gab ein Jakobus dem Paulus - trotz ihrer Unterschiede - die Hand zum Zeichen der Gemeinschaft (Gal 2,9), und weshalb tauchten zwischen ihnen nur Probleme zweiter Ordnung auf? All dies sind bei einer solchen Sicht ungeklärte Fragen. Solange sie nicht beantwortet sind, und vorläufig sehe ich überhaupt keine Klärungsmöglichkeit, führt die Annahme eines rein nachösterlichen Ursprungs zu einem Turmbau von Unwahrscheinlichkeiten, - außer man läßt alle entscheidenden Inhalte vom Auferweckten während der Ostererscheinungen ausgehen. Will dies Fiedler?

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Bei manchen historisch-kritischen Exegeten wird die nachösterliche Gemeinde zu einer Art 'black box', zu einer dunklen Kiste, in die man alles schiebt, was man aus dem einen oder anderen Grund Jesus absprechen will. Kleine Spannungen in der Darstellung der Evangelien genügen oft, um das Seziermesser anzusetzen und alle abgeschnittenen Teile in die 'black box' zu befördern. Was aber in dieser dunklen Kiste geschieht und wie aus den 'Geistern', die sich dort tummeln, eine neue Religion entsteht, wird nicht geklärt. Daß sich das Christentum in wichtigen Punkten vom Judentum unterscheidet, wird wohl niemand bestreiten. Die Evangelien geben im wesentlichen auch eine sehr plausible Erklärung, wie es zu dieser Unterscheidung kam, denn sie zeigen, wie Jesus ständig mit dem Unverständnis seiner Jünger gerungen hat, wie schwer es für ihn war, ihnen das Neue verständlich zu machen, wie sie schließlich aber durch klar genannte Krisen und dank ebenso klar genannter, neuer überwältigender Erfahrungen zum Glauben an Jesus als den Christus kamen. Verwirft man dieses Bild, ohne ein ebenso präzises anderes zu bieten, dann wird etwas Deutliches durch etwas Phantomhaftes erklärt. (11) Der Hyperkritik auf der einen Seite antwortet dann eine entsprechende Naivität auf der anderen Seite. Würde sich die historisch-kritische Exegese der notwendigen Aufgabe, ein Gesamtbild zu entwerfen, stellen, würde von selber auch der Abstand zwischen ihr und der systematischen Theologie kleiner werden.

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Nach diesen Hinweisen auf die Methodenfrage drängt sich noch eine weitere grundsätzliche Bemerkung auf. Fiedler sagt im Zusammenhang mit den Gerichtsworten, die er der nachösterlichen Zeit zuschreibt, die werdende Kirche habe den Juden Jesus gegen sein Volk "mißbraucht". (12) Weit zurückhaltender, aber ein Stückweit doch einer ähnlichen Linie folgend spricht P.Oberlinner im Zusammenhang mit der lukanischen Darstellung des Prozesses Jesu von einer "unverkennbaren tendenziösen Darstellung der Verantwortlichen auf jüdischer Seite"(13). Da seit der Zeit der Kirchenväter isoliert Worte aus den Evangelien immer wieder einen Antisemitismus motiviert haben, ist es heute sehr berechtigt, in der Frage der Juden vorsichtig und kritisch zu sein. Genügt es aber dazu, die Vorwürfe einfach umzukehren?

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Im Matthäusevangelium spricht Jesus jenen Petrus, den er kurz vorher als Felsen bezeichnet hat, ausdrücklich und unmittelbar als Satan an (Mt 16,23). Ein so direktes und massives Wort findet sich in den Evangelien nirgends mehr. Im Markusevangelium wird am Ende der Erzählung von Jesu Gang über das Wasser von den Jüngern gesagt: "Ihr Herz war verstockt" (Mk 6,52; vgl. 8,17). Die härtesten Worte, die sich gegen die Zuhörer Jesu (Mk 3,5) wenden, werden folglich auch von den Jüngern gesagt. Eine besonders massive Rede gegen die Juden findet sich im Johannesevangelium, das deswegen oft geschmäht wird. Jesus spricht hier zu ihnen: "Ihr habt den Teufel zum Vater, und ihr wollt das tun, wonach es euren Vater verlangt" (Joh 8,44). Wenn man jedoch bis an den Anfang der betreffenden Rede zurückgeht, dann findet man eindeutige Einleitungsworte: "Da sagte Jesus zu den Juden, die an ihn glaubten:..." (Joh 8,31) Die harten Worte Jesu sind nicht an Außenstehende, sondern in den Kreis der an ihn Glaubenden hinein gesprochen, und sie stehen in Übereinstimmung mit einer Aussage, die sich bereits viel früher findet: "Während er zum Paschafest in Jerusalem war, kamen viele zum Glauben an seinen Namen, als sie die Zeichen sahen, die er tat. Jesus aber vertraute sich ihnen nicht an, denn er kannte sie alle" (Joh 2,23f). Die erwähnten Texte ließen sich durch andere vermehren (z.B.Rivalität unter den Jüngern [vgl. Mk 9,33-37 par; 10,35-45 par; Lk 22,24-30], Verrat des Judas, Verleugnung des Petrus, Jüngerflucht), die alle zeigen, daß sich in den Evangelien eine einmalige Selbstkritik der Gemeinde und ihrer Führer findet. (14) Die Worte über die Juden sind oft hart, aber die Urteile über die an Jesus als den Christus Glaubenden sind ebenso hart, wenn nicht noch härter. Die neutestamentliche Selbstkritik übertrifft bei weitem das, was sich heute in der Kirche und unter Theologen (mich eingeschlossen) als kritische Distanz findet. Deshalb halte ich es für verfehlt, an Stelle des traditionellen Antisemitismus nun die Evangelien antijüdischer Tendenzen zu bezichtigen. Wir Theologen sollten uns vielmehr im fortschreitenden Maße von der Selbstkritik der neutestamentlichen Schriften durchdringen lassen, dann würden sich wahrscheinlich mit der Zeit auch in unseren Arbeiten mehr Übereinstimmungen finden.

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Fiedler hat von der werdenden Kirche, die sich von Israel trennte und die nach ihm die wesentlichen Gerichtsworte geschaffen hat, ein anderes Bild. Er sagt, wie wir bereits kurz erwähnt haben: "Der Jude Jesus ist hier von außen gegen sein eigenes Volk mißbraucht." (15) Wenn man diese Aussage ernst nimmt, und ich denke wir sollten es, dann bedeutet dies doch, die Kirche habe ihre einseitigen und polemischen Urteile gegen Israel auf Jesus projiziert und sein Bild damit verfälscht. Kollektive Projektionen von negativen Urteilen und ungelösten eigenen Problemen auf andere nennt Girard - in Übereinstimmung mit dem modernen Sprachgebrauch - Sündenbockmechanismus (im Unterschied zum Sündenbockritus). Er vertritt, und ich folge ihm dabei, daß alle, Juden, Heiden und Jünger Jesu, insofern sie Sünder waren und unter der Macht der Sünde standen, ihr Versagen, wenn auch auf unterschiedliche Weise und ohne ihr Tun im letzten zu durchschauen, auf Jesus projiziert haben. Das Urteil von Fiedler behauptet aber einen ganz anderen Projektionsvorgang. Danach waren gerade bei jenen Texten der werdenden Kirche, in denen sie auf verbindliche Weise ihren Glauben aussprachen (Evangelien), Projektionen am Werk, durch die sie ihre eigenen negativen Urteile über die Juden Jesus anlastete und ihn so verfälschte. Er wurde gemäß dieser Sicht nicht von den Menschen, insofern sie Sünder sind, sondern von seinen eigenen Anhängern, insofern sie Glaubende waren, zum Sündenbock gemacht. (16) Das Urteil Fiedlers zeigt - wohl gegen seine Absicht -, wie zentral die Sündenbockproblematik ist. (17)

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Trotz sehr weitgehender Meinungsverschiedenheiten unter historisch-kritischen Exegeten gibt es doch eine relative Übereinstimmung im Urteil, daß Jesus nicht bloß von der nahen Gottesherrschaft gesprochen, sondern auch den Anspruch erhoben hat, daß sie in seinem Tun bereits am Anbrechen ist.(18) Er hat damit aus einem Sendungsglauben heraus gehandelt, der einen fundamentalen Wendepunkt in der Glaubensgeschichte Israels bedeuten mußte. Wenn das während langer Zeit erwartete, aber bisher nie gekommene Reich Gottes (messianisches Reich) nicht bloß eine schöne Idee oder eine ferne unbestimmte Hoffnung blieb, sondern mit ihm tatsächlich am Kommen war, dann schloß dieser Anspruch ein, daß alle bisherigen Aussagen im Glauben Israels von diesem neuen Handeln Gottes her auch neu gedeutet werden mußten. Für den Exegeten ergeben sich daraus unmittelbare Folgerungen, denn es ist ein sehr großer Unterschied, ob man bloß von einer allgemeinen Idee über Gott ausgeht oder ob man ein konkretes Handeln Gottes in der Geschichte annimmt. Auf die entsprechenden Methodenprobleme bin ich ausführlich eingegangen (19), Fiedler hat darauf aber nicht geantwortet. Für eine weiterführende Diskussion wäre deshalb in diesem wichtigen Punkt zunächst eine Klärung nötig. Fiedlers Ausführungen tendieren zwar sehr deutlich in die Richtung, daß Jesus nur ein Prophet unter vielen anderen war, dessen Botschaft unabhängig von seinem Geschick zu beurteilen ist. Da diese Frage aber so zentral ist, sollte jeder, der hier vom relativen Konsens unter historisch-kritischen Exegeten abweicht, seine Position bis in alle Einzelheiten begründen. Ich hoffe, daß es zu dieser wichtigen und detaillierten Auseinandersetzung, die sich auf große Argumentationszusammenhänge und nicht auf rituell wiederholte Behauptungen zu stützen hat, kommen wird.

15
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In den Ausführungen von Fiedler taucht immer wieder als Hauptargument auf, die Botschaft Jesu vom reinen Erbarmen Gottes, der durch seine heilende Initiative dem Sünder zuvorkommt, sei nichts Neues gegenüber der prophetischen Verkündigung. Ich stimme Fiedler darin zu, daß sich Aussagen über die erbarmende Initiative Gottes tatsächlich im Glauben Israels finden. Damit ist aber der entscheidende Punkt gerade noch nicht erreicht, wie durch ein Beispiel aus dem Leben Davids veranschaulicht werden kann. Nachdem der König Israels sich am Hetiter Urija schwer versündigt hatte, wurde ihm vom Propheten Natan im Namen Gottes das Gericht über seine Sünde angesagt. David verhärtete sich nicht, sondern antwortete mit einem Sündenbekenntnis. Darauf verkündete der Prophet: "Der Herr hat dir deine Sünde vergeben; du wirst nicht sterben. Weil du aber die Feinde des Herrn durch diese Sache zum Lästern veranlaßt hast, muß der Sohn, der dir geboren wird, sterben" (2 Sam 12,13f). - Dieser Text zeigt einerseits die große Bereitwilligkeit Gottes zur Vergebung; anderseits macht er aber deutlich, daß damit die Frage des Bösen noch nicht gelöst ist. Weil die Sünde Davids bezüglich des Namens Gottes zwischen den Menschen großes Unheil angerichtet hat, muß das Böse auch auf dieser Ebene aus der Welt geschafft werden.(20) Im konkreten Fall geschieht dies durch die Strafe, die David erleidet, indem sein Sohn stirbt (und die dieser selber - stellvertretend - erleidet).

16
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In der Glaubenswelt Israels gab es unterschiedliche Vorstellungen, wie das Böse, auch wenn es von Gott vergeben ist, konkret aus der Welt geschafft werden kann. Von universaler Bedeutung war die Erwartung der Strafe und des Gerichts, und zwar vor allem in der von K.Koch aufgezeigten Form des Tun-Ergehens-Zusammenhangs (21). Gott bewirkt, daß das Böse auf die Übeltäter zurückfällt und die Sünder aus dem Volk ausgetilgt werden. Dabei hat Israel selber die Aufgabe, schwerwiegende Gesetzesübertretungen durch Tötung des Schuldigen aus dem Volk zu entfernen. Für leichtere Fälle war der Gedanke der Wiedergutmachung wichtig. (22) Dazu dienten u.a. Ausgleichszahlungen oder andere Formen der Buße (Almosen, Fasten etc). In der nachexilischen Zeit erwartete man in besonderer Weise von der sühnenden Wirkung des Kultes, daß er Israel vom Böse befreie. (23) Beim deuterojesajanischen Leidensknecht zeigte sich auf einmalige Weise sogar die Vorstellung von einem stellvertretenden Wegtragen der Sündenlast.

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Auf welche Weise wollte Jesus - angesichts dieses komplexen und vielfältigen Hintergrundes - das Böse konkret aus Israel wegschaffen? Auf diese Frage findet man keine Antwort, wenn man nur isolierte Ideen untersucht; wohl aber wird die befreiende und reinigende Absicht Jesu deutlich, wenn man auf den Gesamtkontext seines Wirkens achtet. Durch seine Botschaft und seinen eigenen Glauben wollte er bei den Hörern einen Glauben wecken, der Berge versetzen, die tiefen bösen Begierden reinigen (vgl. Jer 16,12, 23,17) und damit auch Kranke und Besessene heilen kann. Im Kontext der Botschaft vom erbarmenden Vater war seine exorzistische und heilende Tätigkeit eine konkrete Form der Überwindung und des Wegschaffens des Bösen. Seine radikalen Forderungen entsprangen nicht einem moralischen Rigorismus, denn der Rigorismus unterdrückt und macht krank. Jesus aber hat geheilt und damit gezeigt, bis in welche Tiefen des menschlichen Strebens und Begehrens hinein das Böse konkret zu überwinden war, damit die Rede vom erbarmenden Gott tatsächlich wirksam wurde. Er hat ferner die Menschen aufgerufen, einander zu verzeihen, ja grenzenlos zu verzeihen (Mt 6,14f.18,21f). Ausgestoßene hat er wieder in die Gemeinschaft eingeladen, und er wagte sogar die Forderung, Böses nicht mit Bösem zu vergelten und die Feinde zu lieben. Wer angetanes Unrecht verzeiht und Gewalt mit Güte beantwortet, der trägt einseitig und damit stellvertretend das Böse. Auch Jesus selber hat stellvertretend gehandelt. Bei den Heilungen hat er sich sosehr auf die Kranken und Besessenen eingelassen, daß er deren Last mitgetragen hat. Da der Glaubensfunke zu wenig sprang und er die exorzistische und heilende Tätigkeit im wesentlichen allein vollbringen mußte, wurde sie ihm zur großen Last (vgl. Mk 9,19). Das Matthäusevangelium hat mit Treffsicherheit das Thema vom stellvertretenden Leiden aus Deuterojesaja zunächst auf seine heilende Tätigkeit angewandt: "Er hat unsere Leiden auf sich genommen und unsere Krankheiten getragen" (Mt 8,16f.). Zusammenfassend läßt sich deshalb festhalten: Im Glauben an den erbarmenden Gott wollte Jesus durch heilendes Wirken, durch wechelseitiges Verzeihen, durch Integration der Ausgestoßenen, durch gute Reaktionen auf böse Taten, durch Feindesliebe und damit vor allem durch stellvertretendes Tragen das Böse konkret aus Israel entfernen.

18
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Fiedler stellt einen Gegensatz zwischen der Basileia-Botschaft und einer stellvertretenden 'Sühne' am Kreuz her. Dabei übergeht er die schon für Israel so wichtige Frage, wie das Böse konkret wegzuschaffen ist, und er übersieht ganz, daß bereits die Basileia-Botschaft, so wie Jesus sie verkündet hat, eine erste Art von stellvertretendem Tragen einschloß.

19
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Da dem Kult zur Zeit des zweiten Tempels und damit auch zur Zeit Jesu eine große sühnende Wirkung zugeschrieben wurde, stellt sich notwendigerweise die Frage, wie er zu dieser Art der Überwindung des Bösen stand. Von den Aussagen des Paulus her, daß Jesus unter dem Gesetz gekommen ist (Gal 4,4) und Diener der Beschnittenen war (Röm 15,8), meint Fiedler eindeutig begründen zu können, daß Jesus das Kultische nicht ausgeschlossen habe. Da Fiedler in anderen Fällen selber stark herausstreicht, wie breit die Gesetzesinterpretation im damaligen Judentum war, ist es seltsam, wie er hier plötzlich von zwei kurzen Worten her, die jeweils das ganze öffentliche Wirken Jesu umspannen, auf präzise Einzelheiten schließen will. Ein konkreter Vergleich zwischen dem Tempelkult und dem Wirken Jesu, wie es sich deutlich zeigt, dürfte doch eher ein Urteil möglich machen.

20
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Seit den großen Propheten und dem Exil gab es eine tiefe Spannung im Glauben Israels: Das Sündenbewußtsein war lebendiger geworden, das Volk aber hatte sich trotz des Gerichts (Zerstörung Jerusalems) nicht wesentlich gebessert. Die nachexilische Theologie suchte das drängende Problem so zu lösen, daß sie einerseits auf eine totale Erneuerung in der messianischen Zeit hoffte und anderseits versuchte, das Gesetz in der Zwischenzeit sehr ernst zu nehmen und es kasuistisch zu deuten, damit es lebbar wurde. Zugleich schrieb sie dem Opferkult im Tempel eine hohe sühnende Wirkung zu. Vor allem vom Versöhnungstag (Lev 16) erwartete man, daß er auch jene Sünden aus dem Volk entferne, die nach dem Wortlaut des Gesetzes nur durch die Ausmerzung der Übeltäter weggeschafft werden könnnen. Die zentrale Stellung des Versöhnungstages in der späteren Zeit des zweiten Tempels und damit auch in der Zeit Jesu kann aus der Mischna erschlossen werden:

21
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"Die Buße schafft Sühne von leichten Vergehen, gegen Gebote und Verbote, für schwere Vergehen wirkt sie Aufschub, bis der Versöhnungstag kommt und die Sühnung bringt." (24)

22
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Eine besondere reinigende Funktion schrieb man den Riten mit den beiden Böcken zu. Der eine, der Bock für Jahwe, sollte alle Verunreinigungen des Temples sühnen, während der andere, der Bock für Azazel oder der Sündenbock, alle Sünden des Volkes wegzutragen hatte.

23
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"Die vorsätzliche Verunreinigung des Heiligtums und der heiligen Opfer sühnen der innerhalb [des Tempels] hergerichtete Bock und der Versöhnungstag. Andere in der Tora genannte Sünden, leichte und schwere, vorsätzliche und unvorsätzliche, bewußte und unbewußte, Gebote und Verbote, mit der Ausrottung oder mit der Todesstrafe durch das Gericht belegte, sühnt der fortgeschickte (Sühne)Bock."(25)

24
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Der Versöhnungstag, an dem der Sündenbockritus das ganze Volk in besonderer Weise faszinierte (26) und nach rabbinischem Verständnis auch reinigte (27), war folglich ein Prinzip regelmäßiger Erneuerung(28) für das religiöse Leben Israels:

25
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"Die Sünde ist vergeben, und eine neue Rechnung beginnt. Diese füllt sich zwar auch wieder mit Schuld, aber auch der nächste Versöhnungstag naht und läßt den Bußfertigen abermals als eine neue Kreatur erscheinen, und so geht es fort und fort bis ans Ende." (29)

26
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Vertieft man sich in die Deutung des Gesetzes, wie sie sich in der Mischna findet, und in deren Theologie des Versöhnungstages, dann wird rasch deutlich, daß wir es bei der Verkündigung Jesu mit etwas ganz anderem zu tun haben. Bei ihm findet sich keine Spur von Kasuistik, die das Gesetz lebbarer machten sollte. Im Gegenteil, durch seine radikalisierende Deutung machte er offenkundig, wie nur durch eine totale Erneuerung des Herzens dem Willen Gottes entsprochen werden kann. Zugleich findet sich bei ihm nirgends ein Vertrauen auf die Opfer und nirgends zeigt sich, daß er seine Hoffnung auf eine regelmäßige rituelle Entfernung der Sünden aus Israel gesetzt hätte. Er erwartete alles von einem Glauben, der durch Heilung, Versöhnung, Umkehr und Feindesliebe alles Böse aus Israel wegschafft und so zu einer neuen Sammlung des Volkes führt. Auch wenn Jesus selber an jüdischen Festen teilgenommen und sich erst am Ende seines Wirkens ausdrücklich gegen gewisse Praktiken im Zusammenhang mit dem Opferkult gestellt hat, dürfte er vom neuen Heilshandeln Gottes her, wie er es in seiner Sendung erfuhr, die kultischen Gesetze entsprechend neu gedeutet haben. In seiner Verkündigung hat er auf alle Fälle den rituellen Opfern keinen heilsbedeutsamen Platz zugewiesen. Sie wären wohl von selber hinfällig geworden, hätten sich Israel ganz auf seine Botschaft eingelassen.

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Achtet man auf die Eigenart der Verkündigung Jesu, die weder eine allgemeine Idee von der Güte Gottes lehrte noch auf regelmäßig wiederkehrende Riten baute, sondern alles vom Glauben an den hier und jetzt handelnden Gott erwartete, dann wird auch die Problematik der Ablehnung deutlicher. Aus dieser Perspektive ergibt sich nämlich kein großer Unterschied, ob manche ihn direkt abgelehnt und seine Botschaft als dem Glauben Israels widersprechend ausdrücklich verworfen haben (30), ob andere ihm zunächst in Begeisterung gefolgt sind, später aber an ihm irre wurden, oder ob wieder andere sich einfach nicht ansprechen ließen. Alle Reaktionsweisen hatten in gleicher Weise zur Folge, daß Jesus kein Feuer in Israel entzünden konnte (Lk 12,49) und daß der Funke des Glaubens von ihm nicht in rascher Folge auf ganz Israel übersprang.

28
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Um die Härte der Gerichtsworte zu verstehen, ist es entscheidend, sie nicht aus der aufklärerischen Perspektive rein individueller moralischer Verantwortung anzugehen. Israel und die nachösterliche Gemeinde haben sich nicht als eine Sammlung autonomer Subjekte, sondern als ein auserwähltes und von Gott gesandtes Volk verstanden, durch das Jahwe selber in der Geschichte handeln will. Wer sich in dieser Weise als auserwählt sieht, wird auch, wie die Hl.Schrift es tut, von der beanspruchten Sendung und der in ihr eingeschlossenen heilsgeschichtlichen Rolle her beurteilt und gemessen. Exegeten, die hingegen die heute üblichen moralischen und psychologischen Kriterien ins Zentrum rücken, tragen fremde Kategorien in den Text hinein. Ein solches Vorgehen kann nur für jene sachgemäß sein, die den heilsgeschichtlichen Anspruch Israels, Jesu und der werdenden Kirche für eine Täuschung halten und deshalb durch andere Deutungen ersetzen müssen.

29
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Gegen die These der dramatischen Erlösungslehre von einer letztlich universellen Ablehung der Basileia-Botschaft wird eingewandt, sie übersehe, daß Jesus bei manchen Menschen Glauben gefunden habe. Fiedler meint sogar, man müsse sich bei dieser Frage "mit dem Problem historisch plausibler Zahlenverhältnisse" (31) beschäftigen. Dieser Einwand verkennt den springenden Punkt, gerade so hilft er aber, die These von der universellen Ablehnung näher zu klären. Sicher hat Jesus während seines öffentlichen Wirkens bei zahlreichen Menschen Anklang gefunden. Ihr Glaube blieb aber anfangshaft und vermochte die Beziehungen zwischen den Menschen nicht wesentlich zu erneuern. Selbst die Jünger verharrten in Halbherzigkeit: Sie blieben Rivalitäten verhaftet und teilweise verstockt. Da die Gottesherrschaft selbst durch die Menschen, die halbwegs an Jesus glaubten, kaum weiterwirkte, nahm Israel die heilsgeschichtliche Stunde nicht wahr und geriet so auf die Seite der Ablehnung.

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Die anstehende Problematik läßt sich vom Johannesevangelium her nochmals verdeutlichen. In einem zusammenfassenden Rückblick auf die öffentliche Wirksamkeit Jesu macht es nämlich das Verhältnis zwischen dem Glauben einzelner und der allgemeinen Ablehnung ausdrücklich zum Thema:

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"Obwohl Jesus so viele Zeichen vor ihren Augen getan hatte, glaubten sie [die Juden] nicht an ihn... Dennoch kamen sogar von den führenden Männern viele zum Glauben an ihn; aber wegen der Pharisäer bekannten sie es nicht offen, um nicht aus der Synagoge ausgestoßen zu werden. Denn sie liebten das Ansehen bei den Menschen mehr als das Ansehen bei Gott" (Joh 12,37-43).

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Dieser Text unterscheidet zwei Bereiche, den Glauben im Herzen und das öffentliche Bekenntnis. Auf der einen Ebene war Jesus teilweise erfolgreich, auf der anderen nicht. Warum? Selbst jene, die zu einem (anfänglichen) Glauben im Herzen kamen, blieben in der Öffentlichkeit der Menschenfurcht und dem Suchen nach Ehre verhaftet (vgl Joh 2,23f; 3,1f; 5,44; 8,30-47; 9,22). Die synoptischen Evangelien bezeugen in ähnlicher Weise, daß Jesus die Menschenfurcht in seiner Umgebung und die ablehndene Macht der Öffentlichkeit nicht zu überwinden vermochte.(32) Solange aber Angst zwischen den Menschen herrschte, konnte die neue Sammlung nicht gelingen und die Gottesherrschaft - trotz ihres Andrängens in Jesus selber - in Israel nicht Wirklichkeit werden.

33
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Mit der eigenständigen Macht der Öffentlichkeit ist die Problematik des Satans gegeben (33), und von dieser Eigengesetzlichkeit her läßt sich auch das etwas verdeutlichen, was mit heilsgeschichtlicher Sendung gemeint ist. (34) Nach biblischem Verständnis hat Gott nicht isolierte einzelne, sondern ein Volk erwählt. Öffentliche Entscheidungen bezüglich des Volkes haben deshalb eine Dimension, die alle betrifft. Jene Menschen, an die sich Jesus direkt gewandt hat, standen in dieser Dimension und damit in einer heilsgeschichtlichen Rolle. An ihnen mußte sich konkret zeigen, ob die Gottesherrschaft die Beziehungen unter Menschen grundsätzlich zu erneuern und so die Öffentlichkeit Israels und damit ganz Israel zu gewinnen vermochte. Da auch jene, die anfingen an ihn zu glauben, der Menschenfurcht verhaftet blieben, stand die Öffentlichkeit letztlich gegen ihn. Damit können die Evangelien, ohne sich zu widersprechen und ohne einer tendenziösen oder polemischen Schwarzmalerei zu verfallen, einerseits erzählen, wie Jesus bei manchen einen gewissen Glauben gefunden hat, und gleichzeitig darstellen, wie alle - die Frauen eingeschlossen(35) - an ihm schuldig geworden sind (36). Welchen genauen Anteil die verschiedenen jüdischen Gruppen und die Römer dabei hatten, wird man historisch wohl nie mehr genau feststellen können. Das ist auch nicht wichtig, denn die Schuld des je einzelnen bleibt uns auf alle Fälle verborgen. Heilsgeschichtlich gesehen hatte zwar Israel eine besondere Schuld, denn es war dazu auserwählt und berufen, den Messias aufzunehmen. Doch auch die Heiden hatten ihren vollen Anteil.(37) Am größten aber war - von der Sendung her gesehen - die Schuld der Jünger, denn sie hatten die Nähe Gottes in ihrem Meister und seine heilende Kraft in besonderer Weise erfahren und sie waren dazu gesandt, sie anderen Menschen weiterzutragen. Wegen ihres halben Glaubens konnte aber die Gottesherrschaft kaum von ihnen aus auf andere weiterwirken, und aus Menschenfurcht sind sie ihrem Meister in einer entscheidenden Stunde sogar untreu geworden.

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Damit kommen wir zum letzten Punkt. Fiedler sagt mit einer Klarheit, für die man dankbar sein kann: "Seine Basileia-Botschaft hat Jesus nicht aus religiösen, sondern allein aus politischen Gründen das Leben gekostet. Und das war Sache der Römer." (38) Vom bisher Gesagten her ist klar, daß ich eine solche Aussage nur für falsch halten kann. Dennoch bin ich froh um ihre Eindeutigkeit, denn sie hilft, viele vage Ideen, die heute herumgeistern, zu klären. Da die Evangelien vom Anfang bis zum Ende von einem religiösen Konflikt zwischen Jesus und seinen Gegnern sprechen, hat nach Fiedler die nachösterliche Gemeinde nicht nur im einen oder anderen Punkt (Gerichtsworte), sondern in ihrer ganzen Art der Jesus-Darstellung ihre eigenen Vorstellungen auf ihn projiziert. Da dies - ebenfalls nach Fiedler - verfälschende Vorstellungen waren, hätte folglich die werdende Kirche Jesus und seinen Gegner (Pharisäer, Juden) im umfassenden Maß wechselseitige Verurteilungen angedichtet. Ihre Glaubensvorstellungen wären also - sogar ihrer Grundstruktur nach - durch ein Sündenbockdenken bestimmt gewesen. (39) - Will man da noch sagen, die Sündenbockproblematik sei für die Theologie nicht zentral?

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Mit L.Oberlinner weiß ich mich ganz eins in der Überzeugung, daß in der Auseinandersetzung um Jesus die Frage nach Gott im Zentrum stand: "Nur weil es um die Interpretation Gottes ging, deshalb fiel auch die Reaktion von seiten des jüdischen Synedriums so radikal aus. Oder anders formuliert: Der Beschluß, gegen Jesus vorzugehen, war nicht Konsequenz ihres Unglaubens, sondern ihres Glaubens!"(40) Selbst dem letzten Satz kann ich zustimmen, sofern man hinzufügt, daß es eben ein anderer Glaube war als jener, den Jesus wecken wollte und der deshalb aus seiner Sicht deutliche Elemente des Unglaubens enthielt. So stellt sich aus der Perspektive der von Jesus verkündeten Basileia-Botschaft trotzdem die Frage von Glauben und Unglauben.

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2) Kritisches zur Kritik an Girard

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Die Theorie Girards, die eine wichtige Hilfe zur Entfaltung der dramatischen Erlösungslehre geboten hat, wurde beim Symposium von mehreren Seiten kritisch befragt. Kann man diese Kritik auf sich beruhen lassen, oder ist die Einbeziehung der Sündenbocktheorie für eine dramatische Erlösungslehre auf Dauer notwendig? In den letzten drei Jahrzehnten entwickelten sich recht unterschiedliche theologische Strömungen, die von verschiedenartigen Impulsen genährt werden, die aber bei allen divergierenden Tendenzen doch einen gemeinsamen Nenner haben, nämlich die Frage nach den Opfern. Die politische Theologie will sich an der Geschichte orientieren, sich aber nicht (mehr) an eine Siegergeschichte halten, sondern im besonderen auf die Opfer der herrschenden Mächte und Systeme schauen. Die Theologie nach Auschwitz fühlt sich in besonderer Weise durch den Holokaust im Dritten Reich herausgefordert, in dem das jüdische Volk zum Opfer eines barbarischen Systems wurde und der zugleich aufzeigt, wie das gleiche Volk schon lange Opfer eines bald subtileren, bald brutaleren Antisemitismus war. Die Befreiungstheologie will eine ganz neue Theologe treiben, indem sie die Perspektive der Armen wählt, die zum Opfer eines ausbeuterischen Kapitalismus werden. Die feministische Theologie sieht vor allem in den Frauen die Opfer einer alten und immer noch wirksamen patriarchalischen Ordnung, und sie möchte im Namen dieser Opfer die Kirchen- und Theologiegeschichte neu aufrollen. Die ökologische Theologie schließlich fühlt sich von der Natur, die zum Opfer des naturwissenschaftlich-technisch-wirtschaftlichen Systems wurde, und von den kommenden Generationen, die mit der bedrohten Natur selber bedroht sind, besonders angesprochen. Allen diesen theologischen Strömungen ist trotz ihrer unterschiedlichen Anliegen gemeinsam, daß sie Theologie aus der Perspektive der Opfer treiben wollen. Wir dürften folglich in diesem Anliegen einen die einzelnen theologischen Strömungen übergreifenden 'kairos' vor uns haben, der dazu führt, Gott als jenen zu sehen, der sich auf die Seite der Opfer stellt, ja sich mit ihnen identifiziert.

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Keine der erwähnten Theologien verfügt aber über eine umfassend ausgearbeitete (anthropologische, kulturelle, gesellschaftliche, religionswissenschaftliche und theologische) Theorie, die auf das Opfer zentriert wäre. Jede bringt ihre Anliegen zur Sprache, keine bietet aber umfassende Analysen. Damit sind zahlreiche Gefahren gegeben. Die einen Opfer können gegen andere ausgespielt werden. Die Position des Opfers für sich zu beanspruchen kann in einer Zeit, in der die Opfer Aufmerksamkeit finden, zu einer subtilen Strategie der Macht und der Gewalt werden. (41) Opfer, die nicht total unterdrückt werden, oder jene, die sich für Opfer einsetzen, sind auch leicht versucht, im Kampf gegen die Unterdrücker diese nachzuahmen und mit Mitteln zu kämpfen, die wieder neue Opfer schaffen. Die Geschichte zeigt, daß auch der Einsatz für gutgemeinte Ziele langfristig leicht sehr kontraproduktive Folgen haben kann, wenn nicht die Mechanismen der Nachahmung, die Art des Engagements und die Mittel zum Ziel auf ihre Folgen hin selbstkritisch bedacht werden. (42) In einer Zeit, in der die Perspektive des Opfers ins Zentrum gerückt ist, bedarf deshalb die Theologie dringend einer alle Bereiche der Humanwissenschaften umfassenden und religiösen Theorie des Opfers. Da Girard vorläufig der einzige ist, der eine solche bietet, ist die Auseinandersetzung mit ihm für jede wissenschaftliche Theologie heute unumgänglich. Für die dramatische Erlösungslehre werden sich später noch besondere Gründe zeigen.

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a) Gewalt als Naturtrieb des Menschen?

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Während des Symposiums wurde der mimetischen Sündenbocktheorie vorgeworfen, sie führe zu einer "Ontologisierung" der Gewalt, weil sie diese "als zur Triebnatur des Menschen gehörig" (43) erkläre. Einer solchen Gewalt gegenüber müsse dann jede Aufklärung als hiflos, ja als unmöglich erscheinen, und Erlösung könne in diesem Kontext nur "als Befreiung von der conditio humana, von den Konstituentien gesellschaftlichen Zusammenlebens verstanden" (44) werden. - Angesichts dieses massiven Einwands, der zwar zahlreiche positive Aspekte in der Theorie Girards nicht ausschließen will (45), ist zunächst zu beachten, daß Girard keine Wesensphilosophie entfaltet, sondern von konkreten Phänomen her, wie sie in literarischen und ethnologischen Texten beschrieben werden, eine empirische Theorie über das menschliche Zusammenleben entwirft. Die philosophisch-theologische Frage, ob Verhaltensweisen, die als universal postuliert werden, tatsächlich zur Natur des Menschen gehören oder nicht, bleibt bei diesem empirischen Ansatz zunächst offen. In seinen weiteren Ausführungen zeigt Girard allerdings deutlich, daß die Gewalt eingedämmt und schließlich - innerhalb der jüdisch-christlichen Offenbarungsgeschichte - sogar grundsätzlich überwunden werden kann. Aus seinen Ausführungen ergibt sich folglich, daß die Aggression auch nach ihm nicht so zum Wesen des Menschen gehört, daß sie unüberwindbar wäre. Diese Einsicht hat rückwirkende Folgen, die Girard selber sieht. In seinem neuesten Werk über Shakespeare ordnet er seine Analysen zur Mimesis und Gewalt ausdrücklich in den Rahmen einer Erbsündenlehre ein.(46) Damit wird deutlich, daß er mit seinen negativen Aussagen nichts über den Menschen als solchen sagen will, sondern nur auf den geschichtlichen Menschen zielt, der sich tatsächlich in die Welt der Gewalt hinein verloren hat. Durch den Rückgriff auf die Erbsündenlehre wird ferner klar, daß Girard die Überwindung des Bösen nicht allein durch Aufklärung erwartet.(47) Nach ihm ist eine Erlösung notwendig, und zwar eine Erlösung, die den Rahmen der bisherigen kommunikativen Handlungstheorien übersteigt. (48)

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Auch wenn die Kritik, die mimetische Theorie enthalte eine Ontologisierung der Gewalt, sachlich nicht berechtigt ist, so ist der Vorwurf dennoch nicht zufällig entstanden. Einige Formulierungen Girards, vor allem im Zusammenhang mit der Problematik der Hominisation (49), sind tatsächlich zweideutig. Bereits 1982 hat P.Dumouchel kritisch bemerkt, Girard gebe auf die Frage der Gewalt eine doppelte Antwort. Einerseits appelliere er an die Verantwortung aller, sich von der Aggression abzuwenden und sich zu bekehren, anderseits spiele die Freiheit beim Entstehen der Gewalt keine Rolle. Unter dieser Rücksicht gehöre sie folglich zur biologischen Eigenart der menschlichen Gattung. In einem Vortrag beim Girard-Symposium 1984 in Provo/ USA habe ich selber diese Problematik aufgegriffen und - unter Rückgriff auf eigene Aussagen von Girard - vorgeschlagen, verschiedene Ebenen zu unterscheiden. (50) Auf einer ersten Ebene gebe es tatsächlich eine gewisse Kontinuität zwischen dem Tier und dem Menschen, denn schon bei den höheren Tieren spiele die Nachahmung eine sehr große Rolle. Auf einer zweiten tieferen Ebene sei dort ein 'Bruch' anzunehmen, wo die tierischen Gesellschaften ein Ende finden, weil das Streben sich zum Unendlichen hin öffne. (51) Auf einer dritten Ebene schließlich werde der erwähnte 'Bruch' wieder verschleiert, weil die Menschen in ihrer Freiheit von Anfang an versagt hätten und ihr Handeln deshalb einen 'quasi-mechanischen' Charakter gewonnen habe. Auf dieser dritten Ebene gebe es folglich wieder den "Eindruck der Kontinuität zwischen menschlichem und tierischem Verhalten" (52). Girard hat dieser Deutung seiner Theorie nicht nur zugestimmt (53), sondern auch anerkannt, daß seine Aussagen zur Hominisation aus einer bestimmten Perspektive geschrieben wurde und theologisch einer Ergänzung bedürfen. (54)

42
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Legt diese Klärung nahe, daß die Anthropologie nicht bei der Mimesis, sondern, wie auf dem Symposium vorgeschlagen wurde, bei der Sprache oder der zwischenmenschlichen Begegnung anzusetzen hat? (55) Girard versteht die Mimesis als ein sehr ursprüngliches, offenes und dynamisches Verhalten, das dem bewußten Erkennen vorgeordnet ist und in 'quasi-osmotischer Unmittelbarkeit' (56) von einem Vorbild bewegt wird. In vielen Bereichen ist diese Mimesis harmlos, ja sehr positiv, wie etwa beim instinktiven Erlernen der Muttersprache durch kleine Kinder. Konflikte tauchen aber auf, wenn die Mimesis beginnt, sich unmittelbar nach dem Begehren und Streben von Menschen, die in den eigenen Lebensraum treten, auszurichten. Wäre das Streben dieser Vorbilder innerlich frei und ganz auf Gott gerichtet, dann könnte zwar auch in diesem Fall alles gut gehen, denn die Nachahmenden würden durch die 'quasi-osmotische Unmittelbarkeit' zu einer tiefen und freien Kommunion mit Gott und mit den Nächsten eingeladen werden. Da sich das menschliche Streben aber an eine Welt der Gewalt (57) und der Sünde verloren hat, führt die Mimesis instinktiv zur Problematik der Rivalität. Echte Kommunikation ist deshalb in unserer konkreten Welt keine ursprüngliche Gegebenheit (58), von der man problemlos ausgehen könnte (59); sie ist vielmehr durch Bekehrung und durch Überwindung aller subtilen Lügen und Rivalitäten erst zu gewinnen. (60)

43
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Das Denken Girards fügt sich gut in eine Theologie ein, wie H.de Lubac sie von der großen Tradition her vertritt. "Für Thomas strebt jeder Geist nach der göttlichen Schau, und sein Verlangen kann nur gestillt werden, wenn er sie erlangt hat." (61) Da bereits das natürliche Verlangen des Menschen auf die unmittelbare (übernatürliche) Begegnung mit Gott ausrichtet ist, kann es keine in sich geschlossene menschliche Natur geben. (62) Das Ur-Verlangen kann aber auch nicht unmittelbar zum Ausgangspunkt einer Untersuchung gemacht werden, denn es ist so tief im Menschen angelegt, daß es "weder Gegenstand der empirischen Psychologie noch überhaupt von rein rationalen Prämissen ableitbar" (63) ist. Wohl aber zeigt es sich auf indirekte Weise, nämlich in der Maßlosigkeit jenes von Gott abgefallenen Strebens, das sich an endliche Vorbilder verliert und diese zu faszinierenden Rivalen und Götzen macht. Eine konsequente Analyse der menschlichen Leidenschaften und der Mechanismen des Sakralen, wie Girard sie vorlegt, kann deshalb - analog zur Analyse der Sünde bei Anselm (64) - direkt für eine Erlösungslehre fruchtbar gemacht werden.

44
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b) Abwertung der nicht-christlichen Religionen?

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Eine weitere Kritik an die Adresse Girards legt nahe, seine Theorie enthalte "eine neuerliche, die dialektische Theologie Karl Barths weiterführende Diskreditierung der gesamten Religionsgeschichte und der nichtchristlichen Religionen" (65). Dieser Anfrage Baudlers, der selber in vielen Bereichen die Sündenbocktheorie zur Deutung der frühen Religionsgeschichte für erhellend hält, ist zunächst zuzugestehen, daß Girard bisher auf den (verborgenen) Glauben im außerbiblischen Raum zu wenig hingewiesen hat. Für die Theologie ist jedoch nicht dieser praktische Mangel, der jederzeit behoben werden kann, entscheidend, sondern die Frage, ob die Grundartikulation seiner Theorie zu eng ist. Schon vorgängig zur biblischen Offenbarung wertet Girard die Ersetzung der Menschen- durch Tieropfer als Fortschritt in der Menschheit (66), und er sieht im Übergang vom vorstaatlichen Opfer- und Rachesystem zum zentralen Justizsystem etwas, das bei aller Kontinuität eine enorme Veränderung gebracht hat. (67) Zwar funktioniert dieses Justizsystem nach ihm einerseits noch auf ähnliche Weise wie andere archaische Mittel (Riten, Tabuvorschriften etc.), die Gewalt einzudämmen; anderseits ist es aber das weitaus effizienteste. (68) Es macht auch deutlich, daß die Verantwortung für Gewalttaten ganz bei den Menschen liegt. Der im außerbiblischen Bereich entstandene Gerichtsgedanke konnte deshalb - mittels seiner Transformationen(69) - im Alten und Neuen Testament dazu dienen, die verborgene Gewalttätigkeit in der menschlichen Gesellschaft ganz aufzudecken. Girard anerkennt folglich bereits vorgängig zur biblischen Offenbarung eine positive Entwicklung in der Menschheit. Welchen Wahrheitswert er diesem Fortschritt beimißt, zeigt sich u.a. darin, daß er in den griechischen Tragödien so etwas wie eine anfängliche 'Offenbarung' außerhalb der biblischen Offenbarung sieht. Die Tragödien bieten nach ihm nicht nur einen "privilegierten Zugang" zur religiösen Ethnologie(70), sondern in einigen ihrer großen Gestalten, wie etwa in der Antigone, sogar Vorahnungen (figurae) Christi, auch wenn diese nicht ganz an die alttestamentlichen Vorbilder heranreichen(71).

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Woher kommt nach Girard die Wahrheit im außerbiblischen Bereich? Auch wenn er eindeutig von einer universalen Tendenz zur Gewalt spricht, sieht er darin nur eine Folge der erbsündlich verwundeten und nicht der menschlichen Natur als solchen. Deshalb haben die Menschen trotz aller kollektiven Verblendungen eine gewisse Fähigkeit zur Erkenntnis der Wahrheit. Mit seiner Hypothese, aus jenem Gewaltmechanismus, der die menschlichen Gesellschaften stabilisiere, entspringe auch das Sakrale, behauptet er auch keineswegs, wie ihm oft vorgeworfen wird, im Zentrum der Mythen und Riten stehe nur Lüge und Gewalt. Entscheidend ist für ihn vielmehr das Umschlagen der zerstörerischen wechselseitigen Gewalt in die Gewalt aller gegen einen, die automatisch einen gewissen Frieden mit sich bringt. Kollektive Gewalt kann Menschen zwar zeitweise stark faszinieren; für sich allein vermag sie aber nie die seltsame Macht des Sakralen zu erklären. Das zutiefst Faszinierende und das eigentliche 'Wunder', das als Erscheinen einer sakralen Macht wahrgenommen wird, ist nach Girard das plötzliche Auftauchen eines Raumes des Friedens mitten aus dem Chaos von zerstörerischer Aggression.

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Auch M.Eliade betont immer wieder, daß die Riten aller Religionen das Ziel haben, die Menschen in jene Urzeit und in jenen Ursprung zu versetzen, in dem der Übergang vom Chaos zur Ordnung geschah. (72) Er erklärt allerdings nirgends, wie dieser Übergang vom Chaos zur Ordnung näher zu verstehen ist und aus welcher menschlichen Erfahrung die vielen entsprechenden Riten und Mythen entstanden sein könnten. Gerade hier setzt Girard mit seiner weiterführenden Hypothese ein, die sehr vieles von Eliade integrieren kann. Mit dem Umkippen der diffusen wechselseitigen Aggression - dank der Mimesis - in die Tat aller gegen einen (Sündenbockmechanismus) wird die Gewalt aus dem Inneren der Gemeinschaft entfernt. Aus dem Chaos entspringt so Ordnung, aus der tödlichen Bedrohung der Friede. Girard identifiziert das ursprüngliche Sakrale nicht mit der Gewalt als solcher, sondern er läßt es aus der kollektiven und ekstatischen Erfahrung der nach außen abgeleiteten und damit überwundenen Gewalt entspringen. Deshalb betont er auch ausdrücklich, daß alle religiösen und kulturellen Bemühungen in der Menschheit gegen die Gewalt gerichtet sind, ja auf Gewaltlosigkeit zielen: "Unablässig versucht das Religiöse, die Gewalt zu besänftigen und deren Entfesselung zu verhindern. Religiöses und moralisches Verhalten zielt, im Alltag unmittelbar und im ritualisierten Leben mittelbar, auf Gewaltlosigkeit ab, und zwar paradoxerweise über die Vermittlung der Gewalt."(73) Das Bemühen, Gewalt zu mildern, ist folglich eine der Quellen für eine gewisse Wahrheit in den außerchristlichen Religionen.

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Girard nimmt noch eine weitere Quelle an, nämlich das Wirken des Hl. Geistes in der ganzen menschlichen Geschichte.(74) In ihm sieht er jenen Parakleten, der allen Opfern der Gewalt beisteht. Deswegen ist es nicht verwunderlich, daß sich trotz einer universellen negativen Tendenz auch außerhalb des Raumes der jüdisch-christlichen Offenbarung viel Wahrheit findet, selbst wenn diese zweideutig(75) bleibt und die untergründigen Gewaltmechanismen nie voll aufgedeckt und nirgends grundsätzlich überwunden werden. (76)

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Vom Gesagten her ergibt sich auch eine Antwort auf eine weitere von Baudler angesprochene Problematik. Er weist auf die sogenannte 'Achsenzeit' hin, in der sich "etwa um die Mitte des ersten Jahrtausends vor Christus, unabhängig voneinander und global über die Erde verstreut, eine Art Ethisierung der Religion findet, die der Gewaltfaszination zuwiderläuft"  (77). Dieses wohl richtig beschriebene religionsgeschichtliche Phänomen spricht nicht gegen Girard, seine Theorie hilft vielmehr, es sogar ein Stückweit besser zu verstehen. Der Ethisierung der Religion ging nämlich überall die Errichtung des Staates mit einem zentralen Justizsystem und Gewaltmonopol voraus. Sobald die öffentliche Ordnung und der Friede zwischen Menschen nicht mehr durch blutige Opfer und durch Tabuvorschriften garantiert werden mußten, sondern durch das neue politische System gesichert wurden, war die Voraussetzung für eine eigene Entwicklung des sakralen Bereichs gegeben. Die religiöse Inspiration konnte sich aus dem Raum der kollektiven ekstatischen Erfahrung langsam etwas befreien und in Distanz zu den Mächten der öffentlichen Ordnung treten. Damit wurde der Weg für eine ethische und religiöse Entwicklung frei, die weit über die ursprünglichen gesellschaftlichen Mechanismen hinausführte, ja schließlich sogar gegen diese gerichtet war, auch wenn die untergründige Rückbindung erhalten blieb und das Zurückgedrängte jederzeit wieder mit Macht hervorbrechen konnte. Im Licht der Theorie Girards wird folglich deutlich, daß eine wichtige Bedingung für die Achsenzeit der Schritt zum zentralen Justizsystem war. (78)

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Bezüglich der vorstaatlichen Gesellschaften trifft sich die Sicht Baudlers über weite Strecken mit der Girards. Gegen gewisse Tendenzen in der feministischen Forschung, die - zum Teil gestützt auf J.J.Bachofen(79) - eine matrifokale und friedvolle Phase in der frühen Geschichte der Menschheit, ja ein eigentliches goldenes Zeitalter des paläolithischen Matriarchats annimmt (80), macht er das Gegenteil wahrscheinlich. Die Zeugnisse, die uns noch zugänglich sind, legen mindestens die Vermutung nahe, daß die Menschheit während sehr langer Zeit unter der Faszination der Gewalt und im Banne der Tötungsmacht stand. Dennoch glaubt auch Baudler annehmen zu müssen, daß es Ausnahmen gab. So habe der Frühmensch als Aas-Esser - vor mehr als einer Million Jahren - in kindhaft-gewaltfreier Religiosität gelebt, und erst beim Übergang zur Großwildjagd sei er der Faszination der Gewalt erlegen. (81) Auch vor der Seßhaftwerdung - ungefähr vor 12000 Jahren - habe es "für einen Augenblick, d.h. für wenige Jahrtausende" (82) eine Phase gegeben, die durch die Symbolik der Frau und der befreienden Liebe geprägt gewesen sei.(83) Dann sei allerdings mit der Seßhaftwerdung wieder ein Rückfall gekommen, dennoch habe es auch später einzelne Ausnahmen gegeben wie etwa in Kreta.

51
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Dieses Geschichtsbild ruft nach einigen kritischen Bemerkungen. Wie friedlich der Frühmensch war, der vor mehr als einer Million Jahren gelebt hat, können wir mit historischen Mitteln überhaupt nicht mehr erschließen. Die Rekonstruktion einer 'Urgeschichte' oder 'Urszene', wie sie sich in der Bibel oder bei Girard findet, erfolgt nicht aus historisierender, sondern aus systematischer Perspektive. Es geht bei diesen 'Urgeschichten' nicht um datierbare Ereignisse, sondern um den Entwurf eines typologischen Bildes vom Anfang, das zur Deutung der späteren geschichtlichen Ereignisse bedeutungsvoll ist. Auch von den Jahrtausenden vor der Seßhaftwerdung wissen wir viel zu wenig, um uns ein detailliertes und zuverlässiges Bild von dieser Epoche machen zu können. Baudler glaubt zwar, deutliche Anhaltspunkte für seine Sicht zu haben, denn unter "den Frauenstatuetten der späten Altsteinzeit findet sich nirgendwo das Motiv einer Gorgo oder einer anderen Furcht und Schrecken erregenden Frauengestalt" (84). Dieser Hinweis trägt in der Auseinandersetzung mit Girard aber nicht weit. Einerseits betont dieser selber, daß die ganze Anstrengung der Religion und Kultur gegen die Gewalt gerichtet war. (85) Anderseits ist die Deutung der letztlich doch sehr sporadischen Funde schwierig. Und selbst wenn der Hinweis auf die gewaltlosen Züge stimmen sollte, könnte dies auch bedeuten, daß sich der Gewaltaspekt in den damaligen Gesellschaften auf andere Weise ausgedrückt hat. (86)

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Wie groß das Problem der letztlich doch immer zufälligen Funde ist, zeigt deutlich der Fall Kreta. Weil man bei der Ausgrabung der Häuser und Paläste auf dieser Insel keine Stadtmauern fand, stellte man sich lange Zeit vor, hier habe eine friedlich-idyllische Gesellschaft gelebt. Vor etwa zehn Jahren stieß man aber in der Nähe von Knossos auf einen Tempel, der um 1700 v.Chr. durch ein Erdbeben eingestürzt ist, und zwar genau in dem Moment, als ein Menschenopfer in ihm stattfand. Dank glücklicher Umstände läßt sich heute noch der Hergang des Opfers beim Einsturz des Gebäudes ziemlich genau rekonstruieren. Baudler geht auf diesen Fund ausführlich ein, und er beschreibt die Einzelheiten des Opferritus. (87) Abschließend deutet er aber den Stellenwert des Opfers auf folgende Weise: "In der höchsten Not, als hintereinander schwere Erdstöße alles Leben auf der Insel zu zerstören drohten, griffen die Menschen also zu diesem letzten und uralten Mittel, dem Wildnisgott in einer Art vorauseilendem Gehorsam zuvorzukommen und so seinen Zorn zu mildern." (88) Diese Deutung stützt sich zunächst auf die unbeweisbare Annahme, daß dem entscheidenden Beben während längerer Zeit andere Erdstöße vorausgingen. Und selbst wenn es so gewesen wäre, spricht alles gegen die Deutung, daß erst in diesem Augenblick die Menschenopfer wieder aufgenommen wurden. In einer Zeit von Erdbeben baut man keine Opfertempel, und wenn der Opferritus damals nicht mehr praktiziert worden wäre, hätte man in der Panik sicher nicht einen komplexen Ritus mit einer Priesterin, einem schächtenden Priester und einem Diener, der das Blut auffängt, in einen anderen Raum trägt und vor einer Statue ausgießt, geschaffen. Der erschreckende Eindruck akuter Bedrohung vermag ein spontanes Lynch-Opfer zu erklären, aber nicht die Entstehung eines komplexen Ritus. Deshalb ist die umgekehrte Hypothese mindestens wahrscheinlicher: auf Kreta gab es wohl deshalb keine Stadtmauern, weil die öffentliche Ordnung durch den sakralen Schauder und Schrecken, der von regelmäßigen Menschenopfern ausging, aufrechterhalten wurde. In diese Richtung deutet auch die griechische Sage, nach der die Athener jedes Jahr dem Minotaurus auf Kreta ein Menschenopfer darbringen mußten, bis Theseus das Ungeheuer tötete. Auch die Doppelaxt als charakteristisches Symbol der minoisch-kretischen Kultur (89) legt nahe, daß mindestens die Tieropfer in dieser Gesellschaft eine große Bedeutung hatten (90) und die kretische Kultur keineswegs besonders friedlich war (91).

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c) Opfer und Gründungsmord?

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Neben der Problematik von Gewalt und Sakralität, auf die wir bereits eingegangen sind, kritisiert R.North das Opferverständnis von Girard. Er möchte gegen die Betonung des Tötens den Aspekt des Mahls ins Zentrum rücken, wobei er sich auf die Arbeiten von M.Detienne und J.-P.Vernant beruft, die vor allem von griechischen Überlieferungen her argumentieren. (92) Daß das Mahl innerhalb des Opfervorgangs wichtig ist, steht außer Zweifel. Fraglich ist aber, welche strukturierende Funktion es für den ganzen Ritus hat. Läßt sich das Töten vom Mahl her verstehen, oder ergibt sich das Mahl aus dem Akt des Tötens?

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W.Burkert hebt bei seiner Beschreibung der archaischen, griechischen Sakralerfahrung generell den Aspekt des Tötens hervor:

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"Nicht im frommen Lebenswandel, nicht in Gebet, Gesang und Tanz allein wird der Gott am mächtigsten erlebt, sondern im tödlichen Axthieb, im verrinnenden Blut und im Verbrennen der Schenkelstücke. Heilig ist der Götterbereich: die 'heilige' Handlung aber, am 'heiligen' Ort zur 'heiligen' Zeit vom Akteur der 'Heilung' vollzogen, ist das Schlachten der Opfertiere, das hiereuein der hiera... Grunderlebnis des 'Heiligen' ist die Opfertötung, der homo religiosus agiert und wird sich seiner selbst bewußt als homo necans." (93)

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Trotz dieser Betonung des Schlachtens übersieht Burkert in keiner Weise die Bedeutung des Opfermahls. Durch seine detaillierte Beschreibung des 'normalen' Opfers für die olympischen Götter gibt er auch gute Hinweise, wie die Zusammenhänge zwischen Töten und Mahl zu verstehen sind:

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"Zu Beginn bildet sich eine wenn auch noch so kleine Prozession: im gemeinsamen Rhythmus, singend entfernen sich die Teilnehmer des Festes von der Alltäglichkeit. Mitgeführt wird das Opfertier, seinerseits geschmückt und gleichsam verwandelt, mit Binden umwunden, die Hörner vergoldet. Man erhofft in der Regel, daß das Tier gutwillig, ja freiwillig dem Zuge folgt... Ziel ist der alte Opferstein, der längst 'errichtete' Altar, den es mit Blut zu netzen gilt. Meist lodert auf ihm bereits Feuer. Oft wird ein Räuchergefäß mitgeführt, die Atmosphäre mit dem Duft des Außerordentlichen zu schwängern; dazu die Musik, meist die des Flötenbläsers. Eine Jungfrau geht an der Spitze, die den Korb trägt, die Unberührte das verdeckte Behältnis; auch ein Wasserkrug darf nicht fehlen. Am heiligen Ort angekommen, wird zunächst ein Kreis markiert, Opferkorb und Wassergefäß werden rings um die Versammelten herumgetragen und grenzen so den Bereich des Heiligen aus dem Profanen aus. Erste gemeinsame Handlung ist das Waschen der Hände, als 'Anfang' dessen, was nun geschieht. Auch das Tier wird mit Wasser besprengt; 'schüttle dich', ruft Trygaios bei Aristophanes. Man redet sich ein, die Bewegung des Tieres bedeutet ein 'freiwilliges Nicken', ein Ja zur Opferhandlung. Der Stier wird noch einmal getränkt - so beugt er sein Haupt. Das Tier ist damit ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Aus dem Korb entnehmen die Teilnehmer jetzt die ungeschroteten Gerstenkörner, die Früchte des ältesten Ackerbaus; doch werden sie gerade nicht zerstoßen, zur Speise bereitet: nach jähem Innehalten, dem feierlichen 'euphemein' und dem lauten Gebetsruf, der mehr Selbstbestätigung als Bitte ist, werden die Gerstenkörner weggeschleudert, auf das Opfertier, den Altar, die Erde; andere Speise ist jetzt gefragt. Gemeinsames, gleichzeitiges Werfen von allen Seiten ist ein aggressiver Gestus, gleichsam Eröffnung eines Kampfes, auch wenn die denkbar harmlosesten Wurfgegenstände gewählt sind: in einigen altertümlichen Ritualen warf man indessen tatsächlich mit Steinen. Unter den Körnern im Korb aber war das Messer verborgen, das jetzt aufgedeckt ist. Mit ihm tritt der, dem die Führungsrolle zufällt im nun beginnenden Drama, der 'hiereus', auf das Opfertier zu, das Messer noch versteckend, damit das Opfer es nicht erblickt. Ein rascher Schnitt: ein paar Stirnhaare sind dem Tier abgeschnitten, ins Feuer geworfen worden. Dies ist wiederum und erst recht ein 'Anfangen', archestai, wie schon Wasser und Gerstenkörner einen 'Anfang' bildeten: noch ist kein Blut vergossen, nicht einmal ein Schmerz zugefügt, und doch ist die Unberührbarkeit und die Unversehrtheit des Opfertieres aufgehoben, in nicht mehr umkehrbarer Weise. Jetzt folgt der tödliche Schlag. Die anwesenden Frauen schreien auf, schrill und laut: ob Schreck, ob Triumph, ob beides zugleich, der 'griechische Brauch des Opferschreis' markiert den emotionellen Höhepunkt des Vorgangs, indem er das Todesröcheln übertönt. Besondere Sorgfalt gilt dem ausfließenden Blut: es darf nicht zur Erde fließen, es muß den Altar, den Herd, die Opfergrube treffen... Das Tier wird zerlegt und ausgeschlachtet. Die erste Sorge gilt den inneren Organen, die da fremdartig, bizarr und unheimlich ans Licht kommen - und die doch, wie man von den Kriegsverwundungen weiß, in gleicher Weise auch jedem Menschen eigen sind -. Genau schreibt der Brauch vor, was mit jedem Stück zu geschehen hat. Zuweilen wird das Herz als allererstes, noch zuccend, auf den Altar gelegt. Die Leberlappen fordern die Deutung des Sehers heraus. Das meiste, im Namen 'splagchna' zusammengefaßt, wird rasch im Feuer des Altars geröstet und sofort gegessen; der engste Kreis der unmittelbar Beteiligten schließt sich zusammen im gemeinsamen Genuß, der den Schauder ins Behagen wandelt."(94)

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In dieser Beschreibung fällt zunächst auf, wie durch vielfältige Akte der sakrale Bereich vom profanen abgegrenzt wird, ein Vorgang, den auch Eliade und Girard sehr hervorheben. Desgleichen weist Girard auf die Bedeutung des 'freiwilligen Nickens' des Opfertieres hin. (95) Die Beschreibung von Burkert zeigt ferner die große Bedeutung der Speisen und des Mahls. Dabei wird allerdings auch unmittelbar deutlich, daß die Speisen zunächst ganz im Dienst von etwas anderem stehen. Die Gerstenkörner werden - anstelle von Steinen - als aggressive Wurfgeschoße benützt, und sie verdecken das Messer (96), mit dem danach das Opfertier getötet wird. Den emotionellen Höhepunkt des Rituals bildet schließlich das Schlachten, das vom lauten Geschrei aller Umstehenden begleitet wird. Erst am Ende findet sich das Mahl, bei dem der vorausgehende Schauder und Schrecken in ein Behagen ausmündet, das ein ursprüngliches Umkippen der Gewalt in den Frieden noch nachspüren läßt. Der Ritus macht folglich selber deutlich, daß das Opfermahl in dem gründet, was zunächst unter den Speisen verborgen war, nämlich in der kollektiven Aggressivität und in einem Töten, an dem alle durch das Werfen der Körner und durch ihr Schreien teilnehmen. Der Gemeinsamkeit beim Mahl geht die emotionelle Gemeinsamkeit beim Töten voraus.

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Eine ähnliche Sicht legt die Arbeit von Ad.E.Jensen nahe, der vor allem archaische ackerbautreibende Kulturen(97) in verschiedenen Erdteilen untersucht hat. Zusammenfassend stellt er fest:

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"In den großen Kultfesten steht, wie wir sahen, bei aller Verschiedenheit des Anlasses stets die Wiederholung der mythischen Urzeit-Vorgänge im Mittelpunkt; darin zeigt sich deutlich, daß Menschen- und Tier-Opfer, Reife- und Fruchtbarkeits-Kulte und andere Zeremonien und Ritual-Bräuche nicht einzelne Kultur-Elemente sind, die sich mehr oder weniger zufällig in einem Kulturkreis vereinigt haben, sondern, daß sie alle aus einer zentralen Idee abzuleiten sind, nämlich der von einer getöteten Gottheit, die durch ihren Tod die heutige Seinsordnung in der Welt setzte." (98)

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Die zentrale Idee der "getöteten Gottheit" wird von Jensen auf folgende Weise näher gedeutet:

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"Tod und Fortpflanzung bei Mensch, Tier und Pflanze war die zentrale Idee dieses Weltbildes. Der erste Tod auf Erden war ein Mord, und das göttliche Wesen, das jenes Schicksal zum erstenmal erleiden mußte und das fast überall mit dem Mond identifiziert wird, schenkte den Menschen die Pflanze und die Fortpflanzung... Eine ganz zentrale Bedeutung für die hier behandelten Vorgänge hat die Tatsache, daß das Geopferte selbst - sei es ein Mensch, ein Tier oder irgendein anderes Symbol - als mit der Gottheit identisch erlebt wird." (99)

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In dieser Beschreibung sind für ein modernes Empfinden zwei Elemente besonders seltsam: 1) daß die nahrungsspendende Pflanze und die Fortpflanzung aus einem ersten Mord/ Opfer entspringen und 2) daß das Opfer (victima) als mit der Gottheit identisch erfahren wird. Beide Elemente lassen sich aber mittels der Theorie Girards relativ leicht einsichtig machen. Wenn das erste Opfer (getöteter Mensch) das Opfer einer Zusammenrottung war und wenn dieses dabei in kollektiver ekstatischer Erregung durch Projektionen sakralisiert wurde, dann mußte das getötete Opfer der erregten Menge als Gottheit oder als göttliches Wesen erscheinen. Wenn ferner durch den kollektiven Mord die ursprüngliche Ordnung der Gesellschaft geschaffen wurde (Gründungsmord), dann ermöglichte erst diese Tat ein friedliches Zusammenleben und Zusammenwirken und damit auch einen geordneten Ackerbau und eine gesicherte Fortpflanzung. Bildhaft gesehen entsprangen deshalb auch der Ackerbau und die Fortpflanzung dem ersten Mord (Opfer). Der Mythos, der aus der Perspektive des sakralisierten Opfers spricht, muß deshalb beides der Opfertötung einer Gottheit zuschreiben.

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Diese Deutung des Mythos von der getöten Gottheit kann zugleich verständlich machen, wie die Rede Girards vom Gründungsmord, die viele Mißverständnisse weckt, zu verstehen ist. Damit ist nämlich in keiner Weise eine monokausale Erklärung der Religion und Kultur gemeint, denn es ist ja selbstverständlich, daß Faktoren wie Atmen, Essen, Schlafen, Sexualität, Sprechen, Pflegen der Nachkommen und die ganze Physiologie und Biologie des Körpers nicht aus dem Sündenbockmechanismus abgeleitet werden können. Die meisten dieser Faktoren existierten, wenn auch in etwas anderer Form, bereits im Tierreich, was auch Girard weiß und nie bestreiten will. Wenn er dennoch dem Sündenbockmechanismus eine gründende und strukturierende Wirkung zuschreibt, dann hat er dafür einen entscheidenden Grund: Der für das Sprechen und Zusammenwirken unter Menschen notwendige Friede angesichts ihrer Verfallenheit an Rivalität und Gewalt ist weder selbstverständlich, noch kann er aus dem bloßen guten Willen einzelner erklärt werden. Ordnung und Frieden ergeben sich vielmehr aus einem Mechanismus, einem kollektiven und weitgehend blinden Handeln von Menschen, bei dem durch eine einmütige sakrale Gewalt die unkontrollierte zerstörende Aggression ausgestoßen wird. Die Theorie Girards will nur in dem Sinne alles erklären, als sie annimmt, jenen Vorgang aufgedeckt zu haben, der in der Menschheitsgeschichte immer wieder - direkt oder in transformierter Form - jenen geordneten Raum geschaffen hat, ohne den es kein menschliches Zusammenleben und keine kulturelle Arbeit geben kann.

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Heute gibt es Autoren, die diese Deutung vor allem deshalb ablehnen, weil sie nicht bloß die Sündenbockhypothese, sondern jede umfassende Theorie im Bereich der Ethnologie und Religion verwerfen. So kann J.Smith z.B. eine Opfertheorie (100) entwerfen, von der er gleich danach sagt, daß er selber nicht an sie glaubt. (101) Auch Dan Sperber hält die meisten Theorien im ethnologischen Bereich entweder für trivial oder für absurd, weil sie aus vagen Generalisierungen entständen.(102) Mit dieser Problematik und im besondern mit Sperber hat sich L.Scubla genau auseinandergesetzt und nachgewiesen, in welche Widersprüche sich eine solche Position verliert und wie gerade das, was Sperber fördern möchte, die Wissenschaft, ohne allgemeine Theorie und universale Symbole unmöglich ist. (103) Durch die Argumentation von Scubla wird zugleich deutlich, daß die anthropologische und ethnologische Forschung nicht von jedem beliebigen Aspekt her, sondern nur im Zusammenhang mit der Frage nach dem 'sozialen Band' und dem Frieden in einer Gesellschaft eine echte universale Basis finden kann. Entscheidend ist weiter, daß nicht einseitig nach der Bedeutung von Symbolen, sondern vor allem nach der Struktur von Riten gefragt wird (104), denn die Symbole helfen eine Gesellschaft zu organisieren und so jene Realität erst zu produzieren, die danach die Grundlage der Erfahrung wird. (105) Auch bei Dan Sperber finden sich scharfe Beobachtungen, die in diese Richtung weisen, weshalb Scubla schließlich in wichtigen Punkten - trotz großer Differenzen - eine Homologie zwischen Sperber und Girard aufzeigen kann. (106)

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In einer früheren Untersuchung (107) analysiert Scubla die vielfältigen Arbeiten von A.M.Hocart (108), und er weist nach, wie dieser zurückhaltende, aber hartnäckige englische Ethnologe durch reiche Feldforschung schrittweise zu zwei zentralen Einsichten geführt wurde, nämlich 1) zur These von der "Einheit aller Riten"(109) und 2) zur These vom rituellen Ursprung der politischen Institutionen. Diese beiden Forschungsergebenisse von Hocart sind um so ernster zu nehmen, als sie keineswegs ins Weltbild des Engländers paßten. Hocart fand nämlich keine genetische Erklärung, wie die politische Ordnung entstanden sein könnte. Seine These drängte sich ihm nur deshalb auf, weil er eine klare Reihe von statischen Zwischenstufen zwischen den Opferriten und den politischen Institutionen fand. Er war ferner zunächst geneigt, den Ritus der 'heiligen Hochzeit', den 'hieros gamos' (im Zusammenhang mit dem sakralen Königtum) als zentral zu werten. Die ethnologischen Befunde belehrten ihn aber anders und führten ihn dazu, die Einheit aller Riten vom Opfer her zu verstehen. Hocart wurde folglich durch eine sorgfältige Arbeit zu zwei zentralen Thesen genötigt, für die er selber keine weitere Erklärung hatte. Scubla zeigt nun, wie alle Beobachtungen und Ergebnisse des englischen Ethnologen mittels der Theorie Girards unmittelbar einsichtig werden, ja wie sie erst innerhalb dieser Theorie ihren vollen Sinn und ihre bleibende Bedeutung gewinnen.

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Wir stehen damit vor konvergierenden Ergebnissen. A.Jesen weist nach, wie die archaischen ackerbautreibenden Kulturen in ihren Mythen die Früchte der Erde und die Fortpflanzung, ja die ganze bestehende Weltordnung auf die Ermordung einer Gottheit und damit auf ein Geschehen zurückführen, das im rituellen Opfer wiederholt wird. A.M.Hocart begründet die These, daß die politischen Institutionen ihren Ursprung in Opferriten haben. M.Detienne und J.-P.Vernant stellen in ihren Arbeiten über Griechenland eine ausdrückliche Beziehung zwischen dem Opfertöten und der Küche her (110), und sie zeigen, wie auch die Ehe (111), das monatliche Blut der Frau (112) und der Krieg (113) im Kontext der blutigen Opfer gesehen wurde. M.Eliade zeigt ferner auf, wie eine alte mythische Tradition forderte, daß Bauwerke über einem geopferten Menschen errichtet werden, und wie sich dieser Glaube mindestens in abgemilderter Form überall auf der Welt findet. (114) Er trägt zudem ein reiches ethnologisches und mythisches Material zusammen, gemäß dem die Metalle aus dem Körper einer getöteten Gottheit entstanden sind und das fordert, daß beim Schmelzen von Metallen Opfer darzubringen sind. (115) Mehrere Autoren weisen schließlich nach, daß selbst das Geld (116) und im gewissen Sinn die Ökonomie (117) letztlich im Opfer gründen.

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Von verschiedensten Gebieten her und durch recht unterschiedliche Forscher wurde folglich eine universale mythische Vorstellung herausgearbeitet, die sagt: Alle kulturellen und religiösen Tätigkeiten gründen in rituellen, blutigen Opfern, die ihrerseits ein Geschehen in der Urzeit nachahmen, bei dem eine Gottheit getötet wurde, aus deren Leib dann die wichtigsten Kulturgüter entstanden sind. Für diese universale mythische Vorstellung gibt es keine halbwegs plausible Erklärung außer der Hypothese Girards. Von ihr her ergibt sich aber eine kohärente Deutung des Mythos: Alle kulturellen Tätigkeiten gründen deshalb in Opfern, weil im vorstaatlichen Bereich der Friede zwischen Menschen - eine Voraussetzung für jede kulturelle Tätigkeit - nur durch die blutigen Riten ermöglicht wurde. Diese Riten beziehen sich deshalb auf den Mythos einer getöteten Gottheit oder eines Urriesen, weil sie ihrerseits ein ursprünglicheres Geschehen nachahmen, nämlich eine spontane und gewalttätige Ausstoßung eines zufälligen Opfers, das durch die Sakralisierung zu einer Gottheit oder Kultgestalt wurde. Da nach der drohenden Gefahr aggressiver Selbstvernichtung vom getöteten Opfer her eine befriedete, kulturelle Ordnung entsprungen ist, erzählt der Mythos, alle Kulturgüter seien aus dem Leib der getöteten Gottheit entstanden. Im Mahl gewinnen alle Opfernden Anteil an jener sakralen Macht, die ursprünglich als überwältigende vor allem in der Einmütigkeit beim Töten erfahren wurde.

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Girard zieht aus seiner ethnologischen Hypothese deutliche Folgerungen bei der Interpretation biblischer Texte. Jene Religionswissenschaftler, die kaum etwas mehr fürchten als eine Sonderstellung des jüdisch-christlichen Offenbarungstextes (118) , müssen deshalb seine Hypothese instinktiv ablehnen. Ist dies aber ein wissenschaftlicher Grund? Für die Theologie und vor allem für die Erlösungslehre ist auf alle Fälle ein Entwurf sehr bedeutungsvoll, der einen Zusammenhang zwischen der archaischen religiösen Erfahrung der Menschheit und dem Geschick Jesu herzustellen vermag.

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3) Zur systematischen Erlösungslehre

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Aus systematischer Sicht stellte vor allem J.P.Galvin kritische Anfragen an die dramatische Erlösungslehre aus der Perspektive, wobei er sich auf die transzendentale Theologie K.Rahners stützte. Gegen einen Entwurf, der die Notwendigkeit des Kreuzes im Zusammenhang mit der Ablehnung der Basileia-Botschaft verständlich machen will, hält Galvin fest: "Bei Rahner wird der Tod Jesu als definitive menschliche Annahme der Selbstmitteilung Gottes gesehen - eine Annahme, die nur durch einen Tod möglich war und auch abgesehen von der Sünde als Vollendung der individuellen menschlichen Freiheitsgeschichte Jesu notwendig war, um die Heilsgeschichte auf das Heil kategorial irreversibel festzulegen." (119) In Übereinstimmung mit Rahner kann festgehalten werden, daß der Tod Jesu auch aus der Perspektive Girards ein ganz privilegierter Ort der Selbstmitteilung und Offenbarung Gottes ist. (120) In der dramatischen Erlösungslehre wird dieser Tod allerdings ganz im Rahmen der realen menschlichen Geschichte, d.h. im Rahmen einer Sündengeschichte gesehen, und die hypothetische Frage, was abgesehen von der Sünde notwendig gewesen wäre, bleibt zunächst offen. Dafür wird der Sinn dieses Todes aus dem ganzen Heilswerk Jesu, das sich von seiner Verkündigung bis zur Sendung des Geistes erstreckt, erschlossen. (121) Diese Vorgehensweise legt sich vordergründig durch praktische Überlegungen nahe, denn in einer Welt, in der es viele wechselseitige Verurteilungen und viel Unterdrückung und Gewalt gibt und in der die Todeserfahrung über weite Strecken aus der Öffentlichkeit in die Einsamkeit verdrängt wird, dürfte es wichtig sein, gerade den gewaltsamen Tod des einsamen Jesus zu bedenken. Für die systematische Theologie ist aber entscheidend, daß eine grundsätzliche Problematik, die im Zusammenhang mit einer weiteren kritischen Anfrage von Galvin verdeutlicht werden kann, für eine umfassende biblische Fundierung der Erlösungslehre spricht. Nach Galvin ist die Position Rahners, der beim allgemeinen Heilswillen Gottes ansetzt, deshalb einer dramatischen Theologie vorzuziehen, weil diese letztere die Universalität des Heils erst im fünften Akt (im Zusammenhang mit dem Hl.Geist) zur Sprache bringe. Wäre dieser Einwand nur in dem Sinn gemeint, daß es pädagogisch unter Umständen klüger sei könnte, die Erlösungslehre vom universalen Heilswillen Gottes her den Menschen verständlich zu machen, würde ich die Kritik auf sich beruhen lassen. Hat der Einwand hingegen eine streng theologische Zielrichtung, dann stellt sich sofort die Frage, wie wir überhaupt zu einer adäquaten Vorstellung und Erkenntnis des göttlichen Heilswillens gelangen können, denn damit wird zugleich die schwierige Problematik der Wirkmächtigkeit dieses Willens im Zusammenspiel mit der menschlichen Freiheit aufgeworfen. Einen bestimmenden göttlichen Willen im Sinne der Prädestinationslehre, wie sie seit Augustinus einen großen Teil des Abendlandes beherrscht hat, halte ich - in Übereinstimmung mit Rahner - für sachlich falsch (122) und in ihren pastoralen Auswirkungen für verheerend (123).

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Die komplexe Frage der Prädestination ist allerdings in der heutigen Theologie noch längst nicht bereinigt. So vertritt z.B. R.Schnackenburg in seiner Auslegung der Verstockungsaussage in Joh 12,40 die Deutung: "Das Verständnis des Evangelisten ist gemäß seinem Kommentar in V 41 kaum zweifelhaft: Verblendet und verstockt hat Gott; Heilung hätte Jesus, der Gottgesandte, bringen können... Gott hat jenen Menschen mit der über sie verhängten Verstockung, aus der heraus sie nicht gläubig sehen und innerlich begreifen können, auch die Möglichkeit der 'Heilung' und Rettung durch seinen Sohn, den eschatologischen Heilsbringer, genommen." (124) Würde man dieser Deutung der johanneischen Verstockungsaussagen, zu denen es Entsprechungen bei den Synoptikern zu geben scheint (vgl. Mk 4,10-12 par), folgen, dann würde sich für das Verhältnis zwischen der eschatologichen und der staurologischen Erlösungslehre, die Fiedler gegeneinander ausspielen will, eine von unserem dramatischen Modell abweichende Lösung aufdrängen. In diesem Fall könnte man nämlich sagen: Gott hat Jesus gesandt, ein Angebot bedingunsloser Verzeihung zu verkünden. Gleichzeitig hat er die Menschen aber so verstockt, daß sie diese Botschaft nicht annehmen konnten. Deshalb wurde der Kreuzestod notwendig.(125) Ich kann einer solchen Deutung nicht folgen, weil sie einerseits zu einer 'Blutfrömmigkeit'(126) führt und anderseits fast etwas Zynisches an sich hat. Im Kontext einer Interpretation der Verstockungsaussagen, wie Schnackenburg sie vertritt, her könnte man dennoch Argumente in dieser Richtung aufbauen. Es gibt folglich keinen problemlosen Ansatz beim allgemeinen Heilswillen Gottes. Das dramatische Modell ist - neben zahlreichen anderen Gründen - auch deshalb angebracht, weil es erlaubt, die schwierigen Verstockungsaussagen auf andere Weise befriedigend zu deuten. Aus seiner Perspektive ergibt sich nämlich, daß die Verstockung durch die gesellschaftlich-kollektive Dimension des Bösen, die von der individuellen klar zu unterscheiden ist, bewirkt wird, und diese Dimension fällt sachlich mit dem Satan zusammen.(127) Dieser ist folglich der Verstockende. (128)

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Bei der Frage nach dem göttlichen Heilswillen ist neben der Problematik der Verstockung auch der Gnadenstreit im 16. und 17. Jahrhundert zu beachten. Aus dieser langen theologischen Auseinandersetzung ergibt sich nämlich, daß alle die Versuche, das Verhältnis zwischen Gottes Willen und menschlicher Freiheit durch solche Theorien zu erklären, die von der einen oder anderen Seite her die Spannung überblicken wollen, scheitern müssen. Meiner Ansicht nach hat dies Folgen für jede systematische Theologie. Zusammen mit dem weiter oben skizzierten Argument leite ich daraus ab, daß der Begriff vom universalen Heilswillen Gottes keineswegs unmittelbar klar ist und es folglich auch nicht angebracht sein dürfte, eine Erlösungslehre damit zu beginnen. Eine Theologie, die sich über ihre Aussagen genau Rechenschaft geben will, kann wohl nur damit ansetzen, daß sie versucht, möglichst präzise nachzuzeichnen, wie in der Heilsgeschichte - nach dem Zeugnis der Hl.Schrift - das Handeln Gottes und die menschliche Freiheit konkret zusammengewirkt haben oder wie letztere sich immer wieder verhärtet hat und welche Antworten darauf von seiten Gottes kamen. Genau dies ist das Anliegen des dramatischen Modells, in dem eine Eigengesetzlichkeit und Abgründigkeit der menschlichen Freiheit offenkundig wird, die für sich allein gesehen erschreckend wirken müßte.(129) Nur weil sich in der Geschichte menschlicher Verstockung zugleich ein Gott offenbart, dessen Güte und Wirkmächtigkeit größer ist, als wir je denken können (130), kann unsere Freiheit trotz ihrer Abgründigkeit als Geschenk Gottes erfahren werden. Der universale Heilswille ist folglich kein unmittelbares biblisches Datum, sondern ein Symbolwort, das die ganze Offenbarungsdramatik des je größeren Gottes zusammenfaßt. Durch dieses Wort dürfen wir Gott loben, und wir können darauf unsere Hoffnung stützen; aus ihm läßt sich aber kein überschaubarer Begriff herausdestillieren. Würden wir dies versuchen, müßte die Rede vom universalen Heilswillen zu einem 'Götzen' verkommen. Aus der Güte Gottes würde entweder etwas vorwiegend Emotionales (131), das sich angesichts der vielfachen Härten, ja Grausamkeiten menschlichen Lebens rasch als unglaubwürdig erweisen müßte, oder die Freiheit würde wieder so eigenmächtig und bösartig gedacht, daß eine menschlich vorgestellte Güte Gottes an ihr zerschellen müßte. Eine solche Güte würde wohl wieder rasch von einem gespenstigen Bild des göttlichen Zornes überlagert werden, wie man dies heute in zahlreichen populären und apokalyptischen Traktaten auch tatsächlich feststellen kann.

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In der Theologie sind zwei Sprachen deutlich zu unterscheiden, auch wenn sie nicht getrennt werden dürfen. Einerseits geht es darum, die Eigenarten und Strukturen der Heilsgeschichte und des Lebens der Kirche möglichst präzise herauszuarbeiten und mit den Gesetzen menschlicher Religionen und Gesellschaften zu konfrontieren. Davon hebt sich die Ebene des zusammenfassenden Bekenntnisses und der Doxologie ab, die sich mittels von Begriffen, die nur noch in einem sehr analogen Sinne Begriffe sind, unmittelbar auf Gott beziehen. Da bei der Analogie zwischen Geschöpf und Gott die Unähnlichkeit immer größer ist als die Ähnlichkeit, ist der Wirklichkeitsbezug solcher Begriffe im einzelnen nicht mehr überschaubar. Sie sind nur noch insofern Begriffe, als sie eine Bewegung des menschlichen Geistes zum Ausdruck bringen, der sich von konkreten Erfahrungen her auf den je größeren Gott hin selber übersteigt, wie dies im Gebet geschieht.(132)

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Von diesem Kontext her stimme ich dem Hinweis von H.Verweyen, daß in der Erlösungsthematik nicht nur soteriologisch, sondern theologisch (im engeren Sinn) zu argumentieren ist (133), ganz zu. (134) Allerdings möchte ich zugleich festhalten, daß eine unverfälschte theologische Perspektive nur im Rahmen einer umfassenden Erlösungslehre gewonnen werden kann, denn die Sünde ist ja nach biblischem Verständnis nicht nur eine moralische Angelegenheit im engeren Sinn, sondern wirkt sich ebenso auf den ganzen Bereich der Erkenntnis aus. Die Sünde schafft sich eine eigene Welt und führt nach dem Zeugnis des Alten Testaments zum Götzendienst oder - nach Paulus - zu einem Vertauschen der "Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes mit Bildern, die einen vergänglichen Menschen und fliegende, vierfüßige und kriechende Tiere darstellen" (Röm 1,23). Gemäß den Evangelien bewirkte dieses Vertauschen der Herrlichkeit Gottes sogar, daß der wahre Gesandte des himmlischen Vaters nicht als solcher anerkannt, sondern als 'Gotteslästerer', ja als 'Satan' (Joh 19,7; 10,33) verurteilt wurde. Die Theorie Girards bringt den Zusammenhang zwischen Sünde und verkehrter Gotteserkenntnis sehr deutlich zur Sprache, indem sie zeigt, wie Lüge, Gewalt und perverse Nachahmung Gottes zu einer kollektiven Projektion tendieren, die das Sakrale (im Gegensatz zur Heiligkeit Gottes) erzeugt. Da die Sünde und damit die falsche Gotteserkenntnis in der Welt und in jedem Menschen weiterwirken, ist auch der Götzendienst nie endgültig überholt, weshalb für eine umfassende Erlösungslehre der Gang durch die Religionsgeschichte, in der sich alle denkbaren Mischformen von Sakralem und Heiligem finden, stets von neuem notwendig ist. Doch nicht nur ausdrückliche Götzen sind zu kritisieren; es sind ebenso jene Idole zu entlarven, die sich heimlich immer wieder ins theologische Denken über Gott einzuschleichen suchen.(135)

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Verweyen faßt den innersten Kern im Erlösungsgeschehen auf folgende Weise zusammen: "Vor seinem (des gefolterten Sohnes) Blick zählt, insofern er sich als Gesandter erfährt, nicht letztlich der eigene, geschundene Leib, sondern die leere Stelle in der sich verweigernden Freiheit, ein Ort, wo Gottes Wille geschehen soll, ihm aber nicht Raum gewährt wird. Der äußerste Horizont seines Willens zur Hingabe ist daher notwendig der der Stellvertretung, daß Gott sein Leben als Gabe anstelle der sich verweigernden Freiheit annehmen möge. Stellvertretende Sühne ist, von diesem Gedanken ausgehend, nicht als eine Folge des Vergeltung fordernden Vaters zu sehen, der die Sünder oder statt ihrer den Sohn ins Gericht zieht, aber auch nicht aus dem Zusammenhang des Gerichts der Sünder über sich selbst zu verstehen." (136) Auch dieser Aussage stimme ich zu, denn das, was Verweyen mit Stellvertretung beschreibt, habe ich versucht unter dem Stichwort "Hingabe Jesu als Identifikation mit den Sündern" (137) anzusprechen. Vor den Blick des geschundenen Sohnes tritt tatsächlich "die leere Stelle in der sich verweigernden Freiheit, ein Ort, wo Gottes Wille geschehen soll, ihm aber nicht Raum gewährt wird". Die Stellvertretung oder Hingabe von seiten Christi darf allerdings nicht gegen den anderen Aspekt, nämlich gegen den des Selbstgerichts der Sünder ausgespielt werden. Gerade von dieser Seite her wird nämlich besser einsichtig, weshalb das Betreten der "leere(n) Stelle in der sich verweigernden Freiheit" durch den in Stellvertretung handelnden Sohn nicht eine letzte und sublimste Form der Vergewaltigung ist. Die Sünder, die im Selbstgericht instinktiv ihre Schuld auf Jesus abzuschieben versuchen, werden dadurch vom Bösen nicht befreit, sondern ziehen auch noch den Sündenreinen in ihre eigene dunkle Welt hinein. Sie bewirken damit, daß er, der sich von ihnen treffen läßt, von nun an zu ihrer eigenen verkehrten Welt gehört. Der geschundene Sohn dringt deshalb nicht eigenmächtig in ihre Welt vor, und er tritt nicht in subtiler Gewalttätigkeit an die leere Stelle ihrer sich verweigernden Freiheit, sondern vorgängig dazu ziehen sie ihn selber in ihre Welt hinein. Nicht als Eindringling in ihre Freiheit tritt der Sohn für sie ein, sondern als einer, den sie selber - wenn auch in anderer Absicht - in ihre moralische Existenz aufgenommen haben. (138)

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Mit diesen Hinweisen glaube ich im wesentlichen auch auf die subtile Kritik von H.-R.Reuter geantwortet zu haben. Er frägt: "Doch wie sollte Jesu eigenes Bewußtsein vom Opfercharakter der Täter, wie sollte sein eigenes 'vorausgehendes Einverständnis' zum 'kommenden souveränen Handeln des Vaters' auch auf seiten der Täter 'eine Transformation des bösen Tuns in Liebe' bewirken können?"(139) Die Frage von Reuter geht, wenn ich sie recht verstehe, von zwei getrennten Subjekten aus, bei denen man tatsächlich nur schwer verstehen könnte, wie die stellvertretende Tat des ersten eine Transformation im zweiten bewirken könnte. Damit ist aber gerade der springende Punkt in der dramatischen Theologie - und wohl auch in der Theologie der Stellvertretung bei Verweyen - übersehen, wonach der verworfene Sohn gerade nicht ein äußeres Subjekt bleibt, sondern durch das trügerische Abschieben der Schuld auf ihn und durch sein freies Eingehen darauf in die verkehrte moralische Existenz seiner Gegner hineingezogen wird. (140) Und selbst wenn er gewaltsam 'hineingerissen' wird, betritt er - bildlich gesprochen - nicht mit 'groben Schuhen' die leere Stelle in der sich verweigernden Freiheit, sondern er kommt in der Kraft des Hl.Geistes. Wie dieser Geist im letzten mit der Freiheit der Sünder umgeht, können wir nicht nochmals durch eine überschaubare Theorie klären. Was für die Gnadenlehre mit ihrem ungelösten Ausgang im Gnadenstreit gilt, trifft noch vorrangiger auf die Erlösungslehre zu. Hier müssen und dürfen wir uns damit begnügen, das Verhältnis zwischen dem Handeln Jesu innerhalb der moralischen Existenz und Freiheit seiner Gegner und deren eigener Freiheit so zu beschreiben, daß jede Konkurrenz oder Rivalität zwischen beiden Polen ausgeschlossen wird.(141) Wenn Reuter das stellvertretende Handeln Jesu als Gebet beschreiben will, stimme ich dem unter der Bedingung zu, daß gleichzeitig geklärt wird, wie dieses erlösende Gebet sich von anderen Gebeten abhebt. Der notwendige Unterschied dürfte nur im Zusammenhang mit dem Vorgang der Abschiebung der Schuld auf ihn ganz deutlich gemacht werden können. Für die Erlösung bleibt allerdings entscheidend, wie Gott in Christus auf das Tun der Sünder antwortet.(142)

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O.H.Pesch spricht pointiert von der Erlösung durch das Wort, hebt aber ebenso hervor, daß diese nicht gegen die "Erlösung durch stellvertretende Sühne", bei aller Problematik die dieses Wort hat, ausgespielt werden darf. Zusammenfaßend hält er als zentrale These fest: "Chrisi stellvertretende Sühne, von allen Relikten einer Deutung auf der Linie des Sündenbockmechanismus wie auch des Sündenbock-Ritus (wie immer verstanden) befreit, besteht darin, daß er selbst in seinem Tod als Konsequenz seiner Reich-Gottes-Predigt, die in seiner Auferweckung 'bestätigt' wird, zu dem einen, befreienden, Zukunft gewährenden Wort Gottes wird, das die in ihrer Sünde versunkene Menschheit sich nicht selbst sagen konnte." (143) Im Sinne einer Kurzfassung, die mehrere Phasen oder Akte im Geschick Jesu summarisch einschließt, kann ich dieser These zustimmen. Gerade unter der Rücksicht des Wortes läßt sie aber einen wichtigen Punkt offen. Pesch betont, daß das hier gemeinte Wort nicht als bloße Information verstanden werden darf, sondern im Zusammenhang mit der modernen Sprachphilosophie in seinem 'performativen' Sinn genommen werden muß. Dieser Hinweis ist wichtig, er genügt aber nicht, denn die Bibel betont immer wieder, daß es Worte geben kann, die sehr 'performativ' und dennoch das Gegenteil von Heilsworten sind, nämlich Worte, die wie Pfeile töten: "Sie schärfen ihre Zunge wie ein Schwert, schießen giftige Worte wie Pfeile.." (Ps 64,4). Im Geschick Jesu kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen zwei Arten 'performativer' Rede, die bis zum gewaltsamen Tod führte. Nur aus diesem Konflikt heraus können wir das wahre Wort der Verheißung vernehmen, denn die Geschichte sowohl Israels und als auch der Kirche zeigen zur Genüge, daß selbst eine Rede, die als reines Glaubenswort gemeint ist, leicht in tötende Worte umschlagen kann. Der generelle Gewaltkontext, in dem sich die Worte der Welt bewegen, verführt fast unbemerkt zu dieser Verfälschung. Der Konflikt zwischen beiden Arten 'performativer' Rede im Geschick Jesu ist deshalb präzise nachzuzeichnen und in die Erlösungslehre zu integrieren, um der Gefahr der Verwechslung eher zu entgehen.

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Die dramatische Erlösungslehre meint auch keineswegs, das eine Glaubenswort sei in zahlreiche Worte zu trennen, denn jeder einzelne Akt schließt implizit alle anderen ein. Wegen seiner inneren Dramatik kann aber das spannungsvolle Wort der Verkündigung oder des Trostes - je nach konkreter Situation - bald den einen oder bald den anderen Akt in den Vordergrund rücken. So kann es vor allem ein Wort der Ermunterung zum guten Tun oder ein Wort prophetischer Kritik sein. Es kann aber auch in besonderer Weise die Nähe Gottes einem Leidenden zusprechen oder ihm ein Mitgehen angesichts eines unbegreiflichen Schweigens Gottes andeuten. Das eine Glaubenswort kann aber auch eine Ansage kommender Auferweckung sein, oder es kann ganz aus dem Geist sprechen. Alle diese Worte mit ihren je eigenen Akzenten sind dann wahre Glaubensworte, wenn sie die ganze Spannbreite des dramatischen Geschickes Jesu mindestens implizit in sich enthalten. Gerade in Krisensituationen ist es doppelt wichtig, nicht gutgemeinten Vereinfachungen zu verfallen. Der Fall Jugoslawiens, auf den Pesch anspielt, belegt auf sehr ernüchternde Weise, daß auch heute beide Seiten in einem sehr blutigen Konflikt sich auf den gleichen christlichen Gott beziehen können, ja daß es in beiden Lagern Menschen gibt, die den einen Gott und den einen Christus als Parteigänger im gewaltsamen Konflikt für sich in Anspruch nehmen.

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Mit der Worttheologie kann leicht noch ein weiteres Mißverständnis gegeben sein. Worte setzen normalerweise eine Trennung zwischen dem Sprechenden und Hörenden voraus und erscheinen so wie ein vermittelndes 'Ding' zwischen beiden. Das Geschick Jesu zeigt dem gegenüber, daß sein Wort - vor allem vom Abendmahl an - so sehr mit seinem Tun und Leiden verschmolzen ist, daß er seine Gegner im Innersten ihres Herzens ansprechen konnte, noch bevor das pfingstliche Wort der Verkündigung an ihr äußeres Ohr drang. (144) Nur wenn beide Dimensionen des Wortes, die innere und die äußere, in ihrem Zusammenhang klar gesehen und deutlich gemacht werden, kann die stets lauernde Gefahr, der sehr viele Prediger erliegen, gebannt werden, nämlich die Gefahr, das Glaubenswort zur bloßen moralisierenden Rede degenerieren zu lassen.

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Verweyen sieht in der "traditio" (145) die "Grundgestalt letztgültiger Offenbarung und ihrer Vermittlung" (146), und er findet die Mitte dieser "traditio" in der Eucharistie (147). Wenn das dramatische Wort der Verkündigung in die dramatische Gestalt der eucharistischen Feier integriert wird, bleibt es am ehesten vor Mißverständnissen bewahrt. In der symbolischen Grundgestalt dieser Feier stellt sich nämlich - bis in Einzelheiten hinein - die einzige konsequente Alternative und 'Umkehrung' zu den vielen Sündenbock-Gesellschaften der Welt dar. In ihr ist nicht die kollektive Ausstoßung gemeindebildend, sondern die Erinnerung an die Nacht des Verrates(148) und des Versagens (149) und an die liebende Hingabe des Geschlagenen, der sein Leben für alle hingab. In ihr reißt die Gemeinde nicht etwas begehrend an sich, sondern dankt für die Gabe, durch die Gott ihr zuvorgekommen ist.

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Diese kurzen Andeutungen sind im Rahmen einer Ekklesiologie weiter zu entfalten, die von der Erlösungslehre her bestimmt wird. Dabei ist diese Ekklesiologie im umfassenden Rahmen einer Geschichte der Religionen und einer Geschichtstheologie zu entfalten, wodurch auch die traditionelle Redeweise von der Heilsgeschichte in einem Kontext, der durch die Aufklärung hindurchgegangen ist, näher geklärt werden kann. (150) Von der Krise der Geschichtsphilosophie und der Sozialwissenschaften her dürfte sich auch zeigen lassen, daß eine schöpferische Erneuerung der augustinischen Lehre von den zwei "civitates" möglich und notwendig ist (151) und daß der bisherige Gegensatz zwischen Theologie und Sozialwissenschaften sich überwinden läßt.

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Anmerkungen:  

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 1. Ein wichtiger Grund für die harte Kritik von P.Fiedler am biblisch-dramatischen Konzept (P. Fiedler, "Beim Herrn ist die Huld, bei ihm die Erlösung in Fülle". In: Israel und die Kirche heute. FS E.L. Ehrlich. hrsg. v. M. Marcus u.a. Freiburg i.Br. 1991, 184-200; ders. (s. in diesem Band 19-36) dürfte in seiner ideengeschichtlichen Methode begründet sein.

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2. H.Verweyen weist mit Recht darauf hin, "daß im Hinblick auf das theologisch Ausschlaggebende am wirklichen Jesus der Geschichte die historisch-kritische Frage nach dem 'historischen Jesus' wohl noch eine Umorientierung vor sich hat. Was die Definitivität der Sendung Jesu wirklich bedeutet, kann nicht im formkritisch-traditionsgeschichtlichen Verfahren der Rekonstruktion einzelner 'ipsissima' Jesu erkannt werden, sondern nur im Blick auf das Gesamtzeugnis neutestamentlicher Theologie." Verweyen (s. in diesem Band 145).

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3. Fiedler (s. in diesem Band 21).

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4. Vgl. O.H. Pesch (s. in diesem Band 153).

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5. Fiedler (s. in diesem Band 22).

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6. Vgl. W. Pannenberg, Wissenschaftstheorie und Theologie. Frankfurt a.M. 1973, vor allem 74-156.278-298.

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7. Vgl. H. Geschichte und politischer Charakter der Deutschen. Ein Versuch. Friesoythe 1980 (Eigenverlag).

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8. "Eine grundsätzliche Verständigung über die durch die profangeschichtliche Geschichtsauffassung der Neuzeit für die Theologie aufgeworfenen Fragen kann schwerlich gelingen, solange die Theologie sich nicht intensiver als bisher an der in den letzten Jahrzehnten sehr lebendigen Theoriediskussion der Historiker beteiligt... Die gegenwärtigen Diskussionen zur Theorie der Historie sind aber durch die Reflexion auf den Historiker als Subjekt der Geschichtsschreibung über ein positivistisches Methodenverständnis hinausgegangen. Damit sollte auch eine Wiederaufnahme des Gesprächs zwischen historischer Theoriereflexion und Theologie möglich sein." Art. Geschichte / Geschichtsschreibung / Geschichtsphilosophie. VIII. Systematisch - theologisch (W. Pannenberg). In: TRE 12, 658-674, hier 667.

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9. Vgl. Art. Geschichte / Geschichtsschreibung / Geschichtsphilosophie, VII/2 19.-20. Jahrhundert (J. Mehlhausen). In: TRE 12, 643-658.

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10. Oft wird auf das lukanische Doppelwerk hingewiesen und dabei behauptet, dieses habe in der nachösterlichen Verkündigung nur den soteriologischen Ansatz der Basileia-Botschaft weitergeführt. Es hätten folglich in der Gemeinde sehr unterschiedliche Theologien ganz friedlich nebeneinander existiert. Dazu ist jedoch zu sagen: Im lukanischen Doppelwerk finden sich die Abendmahlsworte mit dem Sühnegedanken. Es berichtet ferner vom Zerreißen des Vorhangs im Tempel beim Tod Jesu, wodurch diesem Tod jene Funktion zugeschrieben wird, die bisher das Allerheiligste hatte. Im lukanischen Doppelwerk findet sich zweimal das Wort vom verworfenen Stein, der zum Eckstein wird, womit sehr deutlich die zentrale Bedeutung der Verwerfung angesprochen wird. Hier stehen auch die besonders deutlichen Aussagen über die universale Allianz gegen Jesus, und es ist sehr deutlich davon die Rede, daß nur in seinem Namen Heil zu erlangen ist. Die Liste ließe sich fortführen, und sie zeigt, daß sich im lukanischen Doppelwerk zentralste Aussagen einer umfassenden Soteriologie finden, in der auch das Kreuz eine zentrale theologische Rolle spielt.

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11. "In der Exegese ist eine - begrüßenswerte, aber in ihren Übertreibungen auch zu kritisierende - Tendenzwende unübersehbar. Konnte man früher in exegetischer Schwarz-Weiß-Malerei nicht genug tun, um Jesus von Nazaret auf Kosten der Pharisäer zum Leuchten zu bringen, so macht sich jetzt auch bei einzelnen christlichen Exegeten die umgekehrte Tendenz bemerkbar, Jesus und das Judentum so Grau in Grau zu malen, daß man Jesu Eigenprofil nur noch schwer erkennen und auch gar nicht mehr verstehen kann, warum es zu einer vom Judentum verschiedenen Religion kam, die sich von Anfang an gerade auf seinen und keinen anderen Namen zurückführt." H. Küng, Das Judentum. Die religiöse Situation der Zeit. München 1991, 386.

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12. Fiedler (s. in diesem Band 23)

97
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13. Oberlinner (s. in diesem Band 41).

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14. Vgl. H. Verweyen, Gottes letztes Wort. Grundriß der Fundamentaltheologie. Düsseldorf 1991, 507-514.

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15. Fiedler (s. in diesem Band 23).

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16. Diese Sicht entfaltet sehr konsequent und ausführlich B.Mack. Nach ihm waren die Christen die Verfolger und die Juden die Verfolgten. Die Christen hätten in ihren normativen Schriften ihr Verfolgersein auf besonders raffinierte Weise dadurch verschleiert, daß sie es gerade auf die von ihnen Verfolgten projiziert und damit auch Jesus zum Gegner der Juden gemacht haben. B.L. Mack. The Innocent Transgressor: Jesus in Early Christian Myth and History. In: Semeia (1985) Nr.33: René Girard and Biblical Studies, 135-165.

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17. Obwohl Oberlinner in seinen Ausführungen diesbezüglich zurückhaltender ist, frägt auch er, ob nicht durch die tendenziöse lukanische Darstellung "die Mitglieder des Synedriums und das schließlich miteinbezogene Volk zu »Sündenböcken« werden." (s. in diesem Band 41).

102
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18. Vgl. Schwager, Jesus 43-67.

103
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19. Vgl. Schwager, Jesus 65-75.142-146.155-173.

104
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20. Vgl. A. Schenker, Versöhnung und Sühne. Wege gewaltfreier Konfliktlösung im Alten Testament (Biblische Beiträge 15). Freiburg / Schweiz 1981, 41-53.

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21. K. Koch, Gibt es ein Vergeltungsdogma im Alten Testament? ZThK 52 (1955) 1-42.

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22. Vgl. Schenker, Versöhnung und Sühne (s. Anm. 20).

107
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23. Vgl. K.Koch, Sühne und Sündenvergebung um die Wende von der exilischen zur nachexilischen Zeit. In: B. Janowski, M. Krause (Hg.), K. Koch, Spuren des hebräischen Denkens. Beiträge zur alttestamentlichen Theologie. Neukirchen - Vluyn 1966, 184-205.

108
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24. Joma 8,8. In: Die Mischna. Joma. Hg. v. J. Meinhold. Gießen 1913, 73; vgl. bJoma 86a; - "Rabbi sagt: Der Versöhnungstag sühnt alle in der Tora genannten Sünden, einerlei, ob man Buße getan hat oder keine Buße getan hat, außer wenn jemand das Joch abwirft, das Gesetz falsch deutet, oder das Bündnis des Fleisches bricht." Schebu 13a. In: Der babylonische Talmud. Bd. IX. Übertragen von L. Goldschmidt. Berlin 1934, 267.

109
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25. Schebu 1,6. In: Talmud IX (s. Anm. 24) 240f. - Ein karmesinroter Tuchstreifen soll weiß geworden sein, sobald der Bock in der Wüste in eine Schlucht gestürzt wurde. Im Wegtragen der Sünden durch den Sündenbock sah man eine Erfüllung von Jes 1,18: "Wenn eure Sünden rot sind wie Karmesin, sie sollen weiß werden wie Schnee" (vgl. MJoma 6,2a-8d). - Nach MJoma 8,9 werden allerdings nur die Sünden gegen Gott am Versöhnungstag direkt weggenommen, während die Sünden gegen einen Mitmenschen erst gesühnt sind, wenn dieser begütigt wurde.

110
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26. A. Strobel, Das jerusalemische Sündenbock-Ritual. Topographische und landeskundliche Erwägungen zur Überlieferungsgeschichte von Lev. 16,10.21f. In: ZDPV 103 (1987) 141-168.

111
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27. "In der Tora und zur Zeit des Zweiten Tempels bewirkten die Opfer und in besonderer Weise der Sündenbock die Entsühnung, und die Entsühnung wurde durch das Aussetzen des Sündenbocks erreicht." Shmuel Safrai, Der Versöhnungstag in Tempel und Synagoge. In: Versöhnung in der jüdischen und christlichen Liturgie. Hg. v. H. Heinz u.a. (QD 124). Freiburg i.Br. 1990, 32-55, hier 48.

112
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28. Vgl. P. Fiedler, Jesus und die Sünder (BET 3). Bern 1976, 68f.

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29. Zusammenfaßung zum Versöhnungstag in: Strack-Billerbeck II, 422.

114
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30. Anders Oberlinner (s. in diesem Band 37-48).

115
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31. Fiedler (s. in diesem Band 28).

116
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32. Vgl. H. Büchele, Jesus und die Öffentlichkeit. In: ThQ 165 (1985) 14-28.

117
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33. Die diesbezügliche Kritik von Fiedler (s. in diesem Band 31) übersieht, wie die Problematik des Satans innerhalb des dramatischen Modells situiert wird (vgl. Schwager, Tausch 32-53).

118
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34. Vgl. das Kapitel: "The Other City: Theology as a Social Science". In: J. Milbank, Theology and Social Theory. Beyond Secular Reason. Oxford 1990, 380-434.

119
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35. Da den Frauen damals keine öffentliche Rolle zukam, kann von ihrem Verhalten her nicht gegen die These der universellen Ablehnung argumentiert werden. Es ist ferner zu beachten, daß die Evangelien auf subtile Weise auch bei den Frauen ein Mißverständnis Jesu darstellen. Vgl.: "Beim Kreuz sind die Jünger nicht einmal mehr präsent. Nur die Frauen, die von Galiläa her gefolgt waren, sehen von ferne zu (15,40). Doch auch diese Treue scheint der Verfasser des zweiten Evangeliums nicht hoch einzuschätzen. Am Ostermorgen wollen die Frauen Jesus die letzte Ehre erweisen. Das beweist nur ihren Unverstand; denn Jesus wurde ja bereits vorher zum Begräbnis von einer anderen Frau gesalbt - als sich die Jünger noch über Ölpreise erhitzten (vgl. 14,3-9)." Verweyen, Gottes letztes Wort (s. Anm. 14) 511.

120
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36. "Wieder ist es die Markuspassion, die in eindrücklicher Weise das Schuldigwerden aller gegenüber dem Gesalbten Gottes darstellt. Diese Solidarität der Sünde vereinigt alle Mitspieler, die hier auftreten. Niemand wird dabei ausgenommen: Von Pilatus und den Soldaten des Hinrichtungskommandos über die Volksführer und die von ihnen angestachelte Menge bis hin zu den Zwölfen, mit Judas dem Verräter und Petrus dem Verleugner, ja bis hin zu den Frauen am Grabe, die voller Entsetzen fliehen und aus Furcht dem Befehl des Engels zuwiderhandeln (Mk 16,8). Ihre Flucht entspricht der Jüngerflucht 14,50; auch sie haben damit an dem Ärgernis Anteil, das Jesus 14,27 voraussagte. Dem gekreuzigten Messias stellt Mk so die geschlossene Mauer menschlicher Schuld gegenüber. Hier kann man wirklich mit Paulus in Röm 3,23 sagen: 'Denn alle haben gesündigt und entbehren der Herrlichkeit Gottes.'" M. Hengel, Der stellvertretende Sühnetod Jesu. In: IKhZ 9 (1980) 1-25, 135-147, hier 143.

121
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37. Gerade das lukanische Doppelwerk, dem Oberlinner meint eine tendenziöse Darstellung zu Gunsten der Römer vorhalten zu müssen, hebt auf besonders eindrückliche Weise hervor, daß sich Herodes und Pontius Pilatus mit den Stämmen Israels und den Heiden gegen den Gesalbten des Herrn verbündet haben (Apg 4,27f)

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38. Fiedler (s. in diesem Band 34).

123
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39. Würde die Überschrift zur Arbeit von Fiedler "Jesus, kein Sündenbock" nicht besser lauten: "Jesus, der Sündenbock der werdenden Kirche"?

124
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40. Oberlinner (s. in diesem Band 44).

125
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41. Vgl. R. Kearney, Terrorisme et sacrifice: Le cas de l'Irlande du Nord. In: Esprit (Paris) 28 (avril 1979) 24-44. - "Die juridisch-moralische Mehrdeutigkeit des Opferbegriffs erlaubt es, ihn als eine subtile Waffe zu gebrauchen. In dem Augenblick, in dem jemand für sich den Opferstatus geltend machen kann, ist er von aller Schuld frei. Wem es gelingt, den Opferstatus für sich zu reklamieren, hat einen moralischen Gewinn errungen. Die Schuld liegt immer auf seiten des Täters. Die Opferfigur ist ein Spiel mit der Schuld." M.Reiter, Opferphilosophie. Die moderne Verwandlung der Opferfigur am Beispiel von Georg Simmel und Martin Heidegger. In: Schrift der Flammen. Opfermythen und Weiblichkeitsentwürfe im 20.Jahrhundert. Hg.v. G. Kohn - Waechter. Berlin 1991, 129-147, hier 129f.

126
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42. Als Beispiel sei hingewiesen auf den mittelalterlichen Kampf des Papsttums für die Freiheit der Kirche. Zu Papst Gregor VII. bemerkt L. Bouyer scharfsinnig: "Indes hat die intensive politische Aktivität, die Gregor entfaltete, um die Christenheit von der Richtigkeit seiner Maßnahme zu überzeugen, entgegen seinen Absichten die letzte und fatalste Wendung in der westlichen Ekklesiologie vorbereitet. Im Bestreben, die kirchliche Autorität von weltlicher Einmischung frei zu halten, hat er, ohne es vorauszusehen oder gar zu beabsichtigen, dazu beigetragen, die kirchliche Autorität in eine weltliche Autorität höherer Ordnung zu verwandeln." L. Bouyer, Die Kirche. Bd.1: Ihre Selbstdeutung in der Geschichte. Übers. v. G. Bürke. Einsiedeln 1977, 56.

127
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43. Arens (s. in diesem Band 170).

128
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44. Arens (s. in diesem Band 176).

129
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45. Ich stimme den vier Punkten, die Arens als gemeinsame Anliegen zwischen Girard und einer von der Kommunikationstheorie im Sinne von Habermas geprägten politischen Theologie herausstellt, auf einer vagen Ebene zu. Sobald man präziser frägt, zeigen sich allerdings wichtige Differenzen. So wäre die Frage zu stellen, wie die Kommunikationstheorie von Habermas die eigentümliche Autonomie des Sozialen erklären will. Im Rahmen des C.R.E.A. (Centre de Recherche en Épistémologie appliquée, École Polytechnique, Paris) haben vor allem J.-P. Dupuy und L. Scubla in einer sehr breiten Auseinandersetzung mit der Ethnologie, der Anthropologie, der 'cognitiv science', der Spieltheorie und den Sozialwissenschaften und im dauernden Gespräch mit Girard gezeigt, daß das Soziale (Institutionen, Symbole, etc) eine Autonomie und eine 'Transzendenz' hat, die nicht aus der direkten kommunikativen Interaktion erklärt werden kann. Dazu bedarf es vielmehr eines 'Bruches' oder der Intervention eines 'Dritten': "La fonction symbolique ne peut apparaître qu'à la faveur d'une rupture de la communication ou de la communion trop immédiates que l'homme entretient avec ses semblables ou avec les choses, rupture qu'ensuite elle consomme et stabilise." L. Scubla, 'Manifestation mutuelle', lien social et Identité culturelle. In: Sciences cognitives et sciences sociales (Cahier Nr. 10), Hg. v. C.R.E.A., Paris 1986, 91-107, hier 101. - Vgl. J.-P. Dupuy, L'autonomie du social (ebd. 229-273); L. Scubla, Jamais deux sans trois? Réflexions sur les structures élémentaires de la réciprocité. In: Logiques de la réciprocité (Cahier Nr.6). Hg.v. C.R.E.A., Paris 1985, 7-117; ders., Réciprocité rituelle et subordination politique (ebd. 119-238); J.-P. Dupuy, Quasi-objet et échange symbolique. De l'Alidor de Corneille au Don Juan de Molière. In: Structures et temporalités (Cahier Nr.12), Hg. von C.R.E.A., Paris 1988, 11-56.

130
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46. R.Girard, Shakespeare. Les feux de l'envie. Paris 1990, 391-397.

131
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47. Arens weist auf neuere Aussagen von J.Habermas hin, nach denen auch dieser der theologischen Rede eine eigene Bedeutung zuzuerkennen beginnt (E. Arens. Kommunikative Rationalität und Religion. In: E. Arens, O. John, P. Rottländer. Erinnerung, Befreiung, Solidarität, Düsseldorf 1991, 145-200). Sollte sich diese Linie bei Habermas verstärken, dann wäre wohl eine größere Annäherung zwischen ihm und Girard möglich. Seine "zweistufige Gesellschaftstheorie" (Lebenswelt und Systemwelt, die die Lebenswelt kolonisiert) könnte dann in dem Sinn neu gedeutet werden, daß die eine Theorie das übliche Verhalten der (erbsündigen) Menschen umschreibt, zu dem die Problematik der Systeme, der Mechanismen und der Selbstorganisation gehört, während die zweite (Lebenswelt) in der von Gott her ermöglichten Versöhnung gründen würde.

132
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48. Vgl. auch die theologische Kritik von Eicher an der kommunikativen Handlungstheorie: "Denn in jeder Befreiungstat, das kann die kommunikative Handlungstheorie ja gerade kritisch aufdecken, wird die Freiheit des andern immer auch beherrscht. Die kommunikativ Handelnden werden aneinander schuldig. Wenn Befreiung wirklich werden soll, dann muß die Freiheit selbst in unseren Verblendungszusammenhang erlösend eintreten und uns durch ihr handelndes Wort versöhnen. Ein theistischer Gott, der Tote auferweckt, um sie unserem Vergessen zu entreißen, würde noch immer an unserer Freiheit vorbei etwas tun, was für schuldige Tote vielleicht so erstrebenswert gar nicht wäre. Und deshalb kann keine theologische Handlungstheorie gedacht werden, es sei denn als die Wahrheit des Mensch gewordenen Wortes Gottes selbst, das uns in unserem eigenen kommunikativen Lebenszusammenhang zur Freiheit befreit." P. Eicher, Die Botschaft von der Versöhnung und die Theorie des kommunikativen Handelns. In: Habermas und die Theologie. Hg.v. E. Arens, Düsseldorf 1989, 199-223, hier 220.

133
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49. Vgl. Girard, Ende 86-104.

134
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50. Deutscher Text: R. Schwager, Mimesis und Freiheit. In: ZKTh 107 (1985) 365-376.

135
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51. "Tierische Gesellschaften werden unmöglich, wo die metaphysische Begierde oder das Streben der Selbstvergötterung auftaucht und alle 'dominance patterns' sprengt. Aus biblischer Perspektive betrachtet ist dieser Bruch zugleich der Ort, wo die Öffnung zu Gott eintritt und die Frage der Freiheit sich stellt. Zwischen dem Ende der tierischen Gesellschaften und dem Auftauchen des eigentlichen Sündenbockmechanismus sind deshalb aus biblischer Sicht Ereignisse jener Art anzusetzen, wie sie in der Erzählung vom Sündenfall beschrieben werden, und solche Ereignisse begleiten auch untergründig die ganze vom Sündenbockmechanismus geprägte Geschichte." ebd. 369.

136
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52. Ebd. 374.

137
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53. Er tat dies beim Symposium in Provo, und er tut es vor allem durch die Tatsache, daß er in seinem Werk über Shakespeare die der Gewalt vorausgehende Nachahmungsproblematik ausdrücklich als Problematik der Erbsünde behandelt, die die Freiheit einschließt.

138
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54. Nach dem Symposium in Innsbruck habe ich Girard den Text meines Vortrages von Provo nochmals zugesandt und ihn gebeten, dazu ein weiteres Mal Stellung zu nehmen. In seiner Antwort vom 30.10.1991 schrieb er u.a.: "Comment ne pas être d'accord avec toi? Et ce dont tu parles au fond c'est du choix des modèles dans la mimesis. Ne faut-il pas penser que la possibilité de choisir le modèle divin au sens évangelique est là dès le début mais n'est pas choisie et donc n'est présente nulle part dans ce que nous voyons de l'homme car le fait que ce choix n'ait pas été fait a fait de l'autre choix quelque chose qui semble naturel, qui devient la nature blessé de l'homme, mais seule la lumière de la révélation peut faire voir qu'elle est blessé et qu'elle renonce à sa liberté car elle reste dans le prolongement de la mimesis animale dont elle aggrave la violence? Est-ce que j'interprète correctement ce que tu dis? Il y a donc une possibilité autre dont une analyse naturaliste et évolutioniste ne peut pas trouver de trace objective car n'ayant pas été retenue, la continuité avec l'animal est seule visible. Cela explique énormément de choses. Les phrases ambigues de 'Choses cachées' seraient donc dans la ligne évolutioniste un peu dans le sens des reproches qu'on fait à Teilhard de Ch... Ce qu'il y aurait de mauvais - ou disons de facheux - dans l'analyse des 'Choses cachées' c'est qu'elle ne reconnait pas son impuissance à atteindre ce niveau ou qu'elle donne l'impression que ce niveau n'est lui-même qu'une création de la violence mimétique plus forte chez les hommes que chez les animaux, donc génératrice d'idolâtrie métaphysique. D'un point de vue théologique bien sur, il n'y a pas qu'idolâtrie au départ. Tu permets de réconcilier l'analyse naturaliste et de lui faire sa place sans tout lui donner. Si c'est vrai, et je pense que tu as raison, c'est que l'acte de foi chez moi est peut-être incomplet dans 'Les choses cachées' car il est bien là sur le versant apocalyptique, de plus en plus éclairé par la tournure que prennent les choses de ce monde, mais qu'il n'est pas là ou qu'il est insuffisamment du côté ce qui distingue l'homme de l'animal au départ."

139
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55. Vgl. Spiegel (s. in diesem Band 283-306); Waldschütz (s. in diesem Band 307-316).

140
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56. R. Girard, To double business bound. Essays on Literature, Mimesis and Anthropology. Baltimore 1978, 89.

141
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57. Baudler schlägt eine Modifikation der Theorie Girards vor, die darin bestehen soll, "den Ansatz der Frage nach Gott vor den Gründungsmord zu stellen" (Baudler [s. in diesem Band 277]). Auf systematischer Ebene stimme ich dem zu, und Girard tut dies selber, ohne daß er seine Theorie grundsätzlich zu ändern braucht. Auf empirischer Ebene bleibt aber bestehen, daß wir nicht in eine Welt vor dem Gründungsmord zurückkehren können. Die Gottesfrage muß deshalb konkret innerhalb der Sakralwelt gestellt werden, die es durch einen Prozeß der Bekehrung zu transformieren, zu kritisieren und 'umzukehren' gilt.

142
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58. Die moderne Literatur zeigt in immer neuen Varianten, wie Träume wahrer Begegnung sich als Illusionen erweisen und wie Beziehungen stets von neuem scheitern und zerbrechen.

143
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59. Dies schließt selbstverständlich nicht aus, daß man solche Bereiche eigens untersuchen kann. Aber derartige Untersuchungen bleiben nur dann ohne wesentliche Verkürzungen und täuschende Reduktionen, wenn früher oder später die Problematik des Bruchs der Kommunikation in seiner ganzen Tragweite gesehen und in die Theorie eingearbeitet wird; vgl. R. Schwager, Hörer des Wortes. Ein empirische Anthropologie für die Theologie? Karl Rahner - Alfred Tomatis - René Girard. In: ZKTh 114 (1992) 1-23.

144
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60. Girard nimmt bei allen großen Romanschriftstellern, die die Problematik der Nachahmung in echter Weise darzustellen vermögen, eine Art Bekehrung an. Vgl. Girard, Mensonge romantique et vérité romanesque. Paris 1961, 289-312.

145
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61. H. de Lubac, Die Freiheit der Gnade. Bd.II: Das Paradox des Menschen. Übersetzt von H.U.v. Balthasar. Einsiedeln 1971, 263.

146
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62. In diesem Punkt ist Thomas allerdings inkonsequent, wenn er das irdische Glück und die Natur des Menschen weitgehend wie Artistoteles beschreibt (vgl. de Lubac, ebd. 266). Wenn in der menschlichen Natur - schon auf Erden - ein Streben nach der unmittelbaren Vereinigung mit Gott wirksam ist, dann kann jenes irdische Glück, das Aristoteles beschreibt, kein wahres Glück sein, sondern nur ein mehr oder weniger geglückter Kompromiß zwischen unerfüllten Strebungen, ein Kompromiß, der die Opfer verdrängt (z.B. Sklaven, Frauen, Kinder, innere Freiheit etc), auf denen er gründet. vgl. M. Corbin, Du libre arbitre selon S.Thomas d'Aquin. In: ArPh 51 (1991) 177-212.

147
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63. De Lubac, Freiheit der Gnade (s. Anm. 61) 287.

148
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64. "What is especially noticeable here is that Girard presents his own form of Cur Deus Homo which is structurally very similar to the arguments of St.Anselm." Milbank, Theology and Social Theory (s. Anm. 34) 395.

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65. Baudler (s. in diesem Band 275).

150
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66. Girard, Ende 249.

151
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67. Girard, Heilige 27-39.

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68. "Alle Mittel, die die Menschen je eingesetzt haben, um sich gegen die endlose Rache zu schützen, könnten sich als miteinander verwandt erweisen. Sie können in drei Kategorien eingeteilt werden: 1) Präventivmaßnahmen, die alle auf opfergebundene Abführung des Rachegedankens zielen; 2) Maßnahmen zur Dosierung und Erschwerung der Rache durch gütliche Einigung, gerichtlichen Zweikampf usw., deren wiederherstellende Wirkung noch ungewiß ist; 3) das Gerichtswesen, dessen wiederherstellende Effizienz nicht ihresgleichen hat. Diese Mittel stellen sich uns in der Reihenfolge ihrer Wirksamkeit dar. Der Übergang vom Vorbeugen zum Wiederherstellen entspricht, zumindest im Abendland, einer tatsächlichen Entwicklung." (ebd.36) - "Gerichtswesen und Opfer haben also letztlich die gleiche Funktion, aber das Gerichtswesen ist unendlich viel effizienter." (ebd. 39).

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69. Wie komplex die Transformationen und das Zusammengehen von vorstaatlichem und staatlichem Recht waren, wird auf eindrückliche Weise deutlich bei: Otto (s. in diesem Band 97-117.

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70. "Man kann also behaupten, die Tragödie verschaffe einen privilegierten Zugang zu den großen Problemen der religiösen Ethnologie." Girard, Heilige 86, vgl. 100.

155
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71. Girard, Ende 253-256.

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72. "Jedes 'Fest' enthält die Neigung zur Orgie in seiner Struktur." M.Eliade, Die Religionen und das Heilige. Elemente der Religionsgeschichte. Salzburg 1954, 413 - "In kosmologischer Hinsicht ist die 'Orgie' das Gegenstück zum Chaos oder zur Erfüllung der Zeit und zur 'Großen Zeit', zum 'ewigen Augenblick', zur 'Nicht-Dauer'. Das Vorhandensein von Orgien bei Zeremonien, welche Zeitabschnitte markieren, deutet auf den Drang, durch die Aufhebung der Schöpfung die Vergangenheit gänzlich aufzuheben. Die 'confusion des formes' wird durch das Umstürzen der Sozialordnung gekennzeichnet (bei den Saturnalien wird der Sklave Herr, der Herr dient den Sklaven; in Mesopotamien entthront und erniedrigt man den König usw.), durch die Koinzidenz der Gegensätze (die Matrone wird als Kurtisane behandelt); durch Aussetzen aller Gesetzlichkeiten. Das Entfesseln der Freiheit (licence), der Bruch aller Verbote, das Zusammenfallen aller Gegensätze hat nichts anderes zum Ziel als die Auflösung der Welt - deren Abbild die Gemeinschaft ist - und die Wiederherstellung des illud tempus, des mythischen Augenblicks von Anfang (Chaos) und Ende (Sintflut)." (ebd. 452).

157
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73. Girard, Heilige 35f.

158
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74. Vgl. das Kapitel "Der Paraklet in der Geschichte", In: Girard, Sündenbock 281-300.

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75. Baudler schlägt vor, eine dramatische Erlösungslehre sollte von einer Beschreibung des Sakralen im Sinne M.Eliades ausgehen, wonach alles, was der Mensch tut, erlebt oder liebt zu einer Hierophanie werden kann (s. in diesem Band 277f.). Da die Beschreibung Eliades völlig vage bleibt, ist sie zwar nicht falsch. Sie bietet aber nicht die geringste Hilfe, innerhalb des Sakralen zwischen Wahrheit und Projektion, zwischen Gott und Götze, zwischen dem problematisch Sakralen und dem wahrhaft Heiligen zu unterscheiden.

160
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76. Selbst noch im zentralen Ritus des Islam findet sich eine deutliche Anspielung an den Opfer- und Sündenbockmechanismus: "Im heiligen Stadtgebiet Mekkas beginnt der Pilger mit dem siebenmaligen Umlauf um die Ka'ba... In Gruppen ziehen dann die Pilger zum Berg 'Arafat hinaus... Das Stehen dort ist der Höhepunkt der Wallfahrt... Nach Sonnenuntergang verlassen die Pilger 'Arafa wieder und ziehen nach Muzdalifa und von dort zurück nach Mina. Dort steinigen sie den Teufel symbolisch, indem sie siebzig bzw. neunundvierzig Steinchen auf drei bekannte Säulen werfen. Dann erfolgt das Schlachten von Opfertieren... Das ist das in der islamischen Welt gefeierte Opferfest..., das an das Opfer Abrahams erinnern soll." A. Khoury, Der Islam (Herder Taschenbuch 1602), Freiburg i.Br. 1988, 141f.

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77. Baudler (s. in diesem Band 276).

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78. Baudler hat die Tendenz, die Entwicklung zur zentralen staatlichen Ordnung nur negativ (als gewaltsame Unterdrückung) zu beurteilen (vgl. Baudler, Gott und Frau, Die Geschichte von Gewalt, Sexualität und Religion. München 1991, 161-241). Dabei dürfte er aber übersehen, daß gerade diese Entwicklung die Achsenzeit, die er selber hoch einschätzt, erst möglich gemacht hat.

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79. J.J. Bachofen, Das Mutterrecht. Eine Auswahl. Hg. v. H.-J. Heinrichs, Frankfurt a.M. 21978 (vollständige Erstausgabe Stuttgart 1861).

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80. Vgl. z.B.R. Fester u.a., Weib und Macht. 5 Millionen Jahre Urgeschichte (Fischer Taschenbuch 1480), Frankfurt 1980. Dieses Werk verliert sich über weite Strecken in euphorische Phantasien bezüglich einer frühen paradiesischen weiblichen Welt.

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81. Baudler, Gott und Frau (s. Anm. 78) 42-52.78.90.99.

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82. Ebd. 160.

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83. "Der Sammler und Jäger der Altsteinzeit, dessen äußerer Lebensrhythmus noch von den wandernden Tierherden und vom Ausüben jägerischer Tötungsgewalt bestimmt war, erfuhr das Lager, das Herdfeuer und vor allem die lebendige Mitte dieser Wirklichkeit: die Frau und Mutter, mit der er Nahrung, Ruhe, Wärme und sexuelle Lust teilte, ausschließlich als segenspendende Engels- und Gottesmacht. Fasziniert von dieser Wirklichkeit, gestaltete er sie in Statuetten und Bildern, die ihre Fülle, ihren Nahrungsreichtum und ihre sexuelle Ausstrahlung zum Ausdruck bringen." (ebd. 204).

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84. Ebd. 163.

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