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Braun Bernhard: Navegantes
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Navegantes
(Zur Ausstellung Siegfried Schwendtner im Kunstgang der Theologischen Fakultät am 30.04.2004)

Autor:Braun Bernhard
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2004-05-03

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Siegfried Schwendtner war sich ganz sicher, als es um den Titel der Ausstellung ging: Navegantes sollte er lauten. Navegantes, das ist eine Reise- und Schifffahrtsmetapher und in unserer, mit Anglizismen überschwemmten Zeit ungewohnt Spanisch. Vielleicht klingt deshalb noch etwas durch vom Ungewissen und Unbekannten, das mit dem Reisen einst verbunden war, vom Suchen und zugleich Welterobern und Neues-Entdecken.

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Ein Freund aus Buenos Aires wundert sich über den seltsamen malenden Österreicher, der immer wieder für längere Zeit nach Argentinien kommt: "Vielleicht kommt Siegfried Schwendtner hierher", so Nicolas Rubiò, "um den Planeten Erde abzutasten ... und geht nun mit dem ihm eigenen Blick und mit seinem Aquarell über die Stücke der Erde, welche kein Mensch betreten hat."

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Im vollgeräumten, dicht besiedelten Europa haben wir das Navigieren ja längst verlernt, das nur in der offenen Weite, wo man nicht ständig auf bekannte Markierungen stößt, zur Kunst wird. Besser gesagt: Wir übersehen längst, daß die ständige Suche nach dem eigenen Standort zum Menschsein gehörte. Aber nur in der offenen Weite fällt uns Unbekanntes in uns an und tragen uns die Strömungen der Meere solches zu, lauter Zu-fälle. Nur dort schärfen sich unsere Sinne wieder neu und werden für Überraschungen bereit.

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Wie Schwendtners argentinischer Freund suchte auch ich, seinem Anliegen näher zu kommen und er selbst und Rainer Maria Rilke, in den er sich gerne und intensiv vertieft, haben mir dabei geholfen.

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In einem seiner Kataloge schreibt der Künstler: "Unter dem endlos offenen Himmel wird das verhärtete Befinden langsam aber spürbar aufnahmefähig."

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In der Tat sind wir in unserem Leben beim Navigieren umzingelt von einem Gewirr von Leuchttürmen; und Tonnen und Dalben markieren unerbittlich das erlaubte Fahrwasser, schützen uns vor Riffen, Untiefen und Sandbänken, zeigen uns Ein- und Ausfahrten in vermeintlich sichere Häfen.

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Nur ab und zu müssen wir bei Abzweigungen Entscheidungen treffen und sind froh, wenn uns eine Strömung oder ein euphorischer Gezeitenfluß in diese oder jene Richtung treibt. Es waren dann nicht wir selbst sondern die Strömung, der wir später eine als falsch geortete Entscheidung anlasten können. In solchem Leben hat das Offene kaum mehr Platz. Rainer Maria Rilke in seiner 8. Duineser Elegie:

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 Wir haben nie, nicht einen einzigen Tag,

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 den Raum vor uns, in den die Blumen unendlich aufgehn.

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 Immer ist es Welt und niemals Nirgends ohne Nicht

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Aber Rilke wußte auch, daß wir gar nicht anders können, daß es vielmehr conditio humana ist, alles in Figuren zu begreifen. Denn, so in einem Sonett an Orpheus:

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 Denn wir leben wahrhaft in Figuren

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 und mit kleinen Schritten gehn die Uhren

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 neben unserm eigentlichen Tag

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Für Schwendtner ist es das Blatt, sind es Pinsel und Farben, mit denen er dieses Offene reflektieren kann. Und für diese Ausstellung ruft er den Fries in Erinnerung, der seit alters her ein Medium des Erzählens ist. 160 Meter üppiges, farbenfrohes Erzählen konnten die Athener im Zeitalter des Perikles am Parthenon abschreiten. Im Bildfries übersetzt Schwendtner das auf seinen Blättern Gesammelte in die Erinnerung. Es geht weniger um die vielen objets trouvés, die er bei seinem Flanieren durch die offene Weite aufliest, sondern um die inneren Funde, die die eigene Existenz bereichern. Diese Funde zu bewahren heißt auch, sie vor dem Begriff zu schützen:

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 Wo sonst Worte waren, fließen Funde - sagt Rilke

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Und diese Funde, diese erinnerten Erfahrungen, müssen im Spiel des Dynamischen und Metamorphotischen bleiben.

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 Wolle die Wandlung,

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 Was sich ins Bleiben verschließt, schon ists das Erstarrte

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Ich möchte es ein abstrakt-ungegenständliches Hintergrundrauschen nennen, das Schwendtner, meist in dunklen Farben, auf seine Friese plaziert und in ihm, in diesem Symbol für die abgründigen Tiefenschichten in uns, wo wir kaum je die Souveränität eigenen Gestaltungs-willens haben, sondern wo wir von Tiefenströmungen erfaßt werden und Getriebene sind, darin taucht Figurales auf und verschwindet wieder, anthropomorphe Formen - das Kopfthema tritt bestimmend in den Vordergrund - überlagern sich mit solchen der Natur, Biographisches mischt sich mit Realem.

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Gleichsam im Laufe einer Entwicklung, die wir symbolisch im Gang abschreiten können, hellt sich dieses Hintergründige auf, wird zum Zeichen für das Offene, das Weite, das Dynamische und den Wandel. Der Hintergrund wird transparent und das Figurale hebt sich klarer und schärfer ab, ohne je völlig ans Licht einer begriffenen Kategorie zu kommen.

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Die Friese entstehen aus Skizzen, die vor Ort in der Natur angefertigt worden sind. Diese Sammelstücke werden im Atelier drucktechnisch in die Bilder übertragen und weiter bearbeitet - Arbeit an der Erinnerung, in der immer Reflexion und Spontaneität gegeneinander antreten. Da bleibt eine Fülle übrig, die sich der reflektierenden Ordnung versagt. Sie hat Schwendtner in der letzten großen Tafel angehäuft, ein wenig wie ein Steinbruch unverdauter Erinnerungen.

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All diese Lebensentdeckungen des Künstlers aus der Weite Argentiniens müssen sich schlußendlich immer wieder an der geregelten Alltag-Lebenswelt der europäischen Heimat bewähren. Eine heikle Probe, der sich Schwendtner aussetzt, und es entsteht die Frage, was eigentlich wir in einem so intimen Tagebuch zu suchen haben.

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Es ist wohl am ehesten so: Siegfried Schwendtner zeigt uns mit seinen Erzählungen zur Lebensbereicherung, daß ganz entgegen aller Offensichtlichkeit es hinter der Welt, wie sie uns täglich umgibt, mit ihren vielen markierten Fahrrinnen, Vorfahrtsregeln und GPS-Systemen noch einen weiten Ozean geben muß, einen Ozean unserer Imaginationen und Träume und daß wir ganz vergessen haben, daß die Leuchttürme und Fahrwasser eigentlich für jene Seefahrer, Navegantes, da sind, die von draußen ans Land kommen und sicher in die Häfen finden wollen, um sich dort zeitweise zu vertäuen und zu erzählen von den Erfahrungen, die man machen kann, wenn man sich zumindest hin und wieder losläßt und dem Offenen aussetzt.

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Ich möchte schließen mit ein paar Zeilen eines Lyrikers, diesmal nicht R.M.Rilke, sondern Giuseppe Ungaretti:

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 Der versunkene Hafen

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 Dort kommt der Dichter an

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 und wendet sich dann zum Licht mit seinen Gesängen

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 und er verstreut sie

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 Von diesem Gedicht

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 bleibt mir

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 jenes Nichts

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 von unerschöpflichem Geheimnis.

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 Ich wünsche Ihnen viel Freude mit dieser Ausstellung.

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 © Bernhard Braun 30/4/04

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