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Sandler Willibald: "Ihr aber, für wen haltet ihr mich?" Das unterscheidend Christliche an Jesus von Nazaret
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"Ihr aber, für wen haltet ihr mich?" Das unterscheidend Christliche an Jesus von Nazaret

Autor:Sandler Willibald
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2007-07-16

Inhalt

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1. Die Frage nach dem unterscheidend Christlichen im 20. Jahrhundert – Teil 1[1]

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Worin besteht das unterscheidend Christliche? Seit den ersten Jahrhunderten – in der Auseinandersetzung mit der Gnosis – hat diese Frage das Christentum umgetrieben. Im 20. Jahrhundert ist die Rede vom unterscheidend Christlichen nochmals häufiger geworden. Orientierung suchend fragt man danach;[2] in Thesen und Kurzformeln des Glaubens versucht man es zu erfassen;[3] und mahnend appelliert man, das unterscheidend Christliche nicht zu vergessen, es nicht zu verspielen und sich seiner wieder zu besinnen.[4] Diese Konjunktur ist begreiflich für eine Zeit, in der das Christentum sich weniger denn je als Volksreligion begreifen konnte. Andere, nichtchristliche und nachchristliche Weltanschauungen begannen die öffentlichen Diskurse zu dominieren; und angesichts dieser Entwicklung nahmen die Bemühungen von TheologInnen zu, das Wesentliche des Christentums den Menschen mit anderen Vorstellungs- und Erwartungshorizonten schmackhaft zu machen. Das Bemühen um Aktualität, Modernität und Relevanz hatte oft eine Angleichung des Christlichen an die dominierenden Vorstellungen zur Folge, – ein Angleichung, die ihre Kontinuität mit eigenen Traditionen sowie ihre spezifische Eigenart zu verdecken drohte. Diese Problematik lässt sich als Dilemma zwischen Identität und Relevanz beschreiben:[5] Wenn man versucht, das Christentum dem Zeitgeist anzupassen, dann leidet seine Kontinuität, sein klares, von anderen unterscheidbares Profil, kurz: seine Identität. Versucht man hingegen, in Traditionstreue diese Identität zu wahren, so stellt man fest, dass diese Botschaft nicht verstanden und für heutiges Leben als wenig hilfreich erfahren wird: es leidet die Relevanz. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat eine Polarisierung zugenommen zwischen kirchlichen Strömungen, die diesem Dilemma in entgegengesetzte Richtung zu entkommen suchen. Liberal-Progressive setzen sich für die heutige, gesellschaftliche Relevanz des Christentums ein und sind bereit, dazu Traditions- und Identitätsbrüche zu riskieren. Konservative betonen die Kontinuität mit Traditionen und nehmen dafür in Kauf, nur mehr von einer Minderheit verstanden und akzeptiert zu werden.

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Innerhalb dieser Polarisierungen droht die Rede vom „unterscheidend Christlichen“ zum Schlachtruf der Konservativen zu werden: Es geht darum, Profil zu zeigen, – und Mut zu Positionen, die vom Zeitgeist nicht geschätzt werden.[6] Doch worin besteht dieses Profil? Kann das unterscheidend Christliche durch forcierte Ablehnung des anderen gewahrt, vielleicht gar erst gefunden werden? Mut zum Profil ist gewiss wichtig, wenn dieses Profil bereits klar als das Richtige erkannt ist, wenn man schon weiß, was das unterscheidend Christliche – in bestimmten, oft unübersichtlichen gesellschaftlichen Problemlagen – ist. Wenn Menschen dieses Profil nicht haben und vielleicht insgesamt unter einem schleichenden Profilmangel und Identitätsverlust leiden, dann wird Mut zum gefährlichen Stimulans, um ein Profil zu simulieren, – vor anderen und für sich selbst: Wenn du ein Profil brauchst, dann wähl dir eines. Und sei mutig dabei, denn wenn du Ablehnung erfährst, dann wird dir das helfen, dein Profil zu stabilisieren. Streit macht Grenzen scharf.

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Solch intolerante Grenzzieherei ist aber nicht nur die Sache von Konservativen, die den Mut zum „unterscheidend Christlichen“ einklagen. Auch progressive Richtungen können sich profilieren, indem sie die Grenzen zu den Rückständigen scharf machen. Dafür kann dann auch mal das „unterscheidend Christliche“ herhalten. Man findet es in einem Geist der Toleranz, den man den Traditionalisten abspricht.

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Es ist die Eigenart von Polarisierungen, dass sie auf das Grenznahe, Periphere fixieren: Praktiken wie Kommunionspendung an wiederverheiratet Geschiedenen oder an Anderskonfessionellen, Laienpredigt und Ministrantinnen können zu Schibboleths werden, deren Kontroversialität unverzichtbar ist, um Zugehörigkeiten zu fixieren.[7] Angesichts dieser polarisierenden Zentrifugalität wird die Frage nach dem unterscheidend Christlichen nun tatsächlich dringlich: Sie wird zur Frage nach der einenden Mitte des Christlichen, nach jenem Kernbestand, ohne welchen Christlich nicht mehr christlich ist.

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2. Das unterscheidend Christliche im kirchlichen Bekenntnis zu Jesus Christus – Teil 1

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Unsere Frage führt uns also in die Mitte und den Ursprung des Christlichen. „Das unterscheidend Christliche ist der Jesus Christus selbst“, sagt ein ausgewiesen Liberaler, nämlich Hans Küng,[8] und beweist somit, dass die Rede vom unterscheidend Christlichen nicht die Domäne der Konservativen ist. Aber welcher Christus? Lange Kontroversen haben den Verdacht genährt, dass der Christus, den Hans Küng im Sinn hat, nicht unbedingt identisch ist mit jenem, den Benedikt XVI. meint. Wenn das unterscheidend Christliche Jesus Christus selbst ist, dann ergibt sich daraus sofort die Frage nach dem unterscheidend Christlichen an Jesus Christus.

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Erste Adresse für eine solche Frage sind gewiss das „große“ Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel – „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater“ – und weitere zentrale Aussagen aus den großen, ökumenischen Konzilien, – vor allem aus dem Konzil von Chalkedon (451):

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„In der Nachfolge der heiligen Väter also lehren wir alle übereinstimmend, unseren Herrn Jesus Christus als ein und denselben Sohn zu bekennen: derselbe ist vollkommen in der Gottheit und derselbe ist vollkommen in der Menschheit; derselbe ist wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch aus vernunftbegabter Seele und Leib; derselbe ist der Gottheit nach dem Vater wesensgleich und der Menschheit nach uns wesensgleich, in allem uns gleich außer der Sünde; derselbe wurde einerseits der Gottheit nach vor den Zeiten aus dem Vater gezeugt, andererseits der Menschheit nach in den letzten Tagen unsertwegen und um unseres Heiles willen aus Maria, der Jungfrau <und> Gottesgebärerin, geboren; ein und derselbe ist Christus, der einziggeborene Sohn und Herr, der in zwei Naturen unvermischt, unveränderlich, ungetrennt und unteilbar erkannt wird, wobei nirgends wegen der Einung der Unterschied der Naturen aufgehoben ist, vielmehr die Eigentümlichkeit jeder der beiden Naturen gewahrt bleibt und sich in einer Person und einer Hypostase vereinigt; der einziggeborene Sohn, Gott, das Wort, der Herr Jesus Christus, ist nicht in zwei Personen geteilt oder getrennt, sondern ist ein und derselbe, wie es früher die Propheten über ihn und Jesus Christus selbst es uns gelehrt und das Bekenntnis der Väter es uns überliefert hat.“[9]

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Jesus Christus als Sohn Gottes, wahrer Gott und wahrer Mensch. Diese Antwort auf die Frage, wer denn dieser Jesus von Nazaret war, ist gewiss unterscheidend christlich. Sie ist unterscheidend christlich in einem solchen Maße, dass einem Nichtchristen überhaupt nicht nachvollziehbar sein dürfte, welchen Sinn denn dieses Bekenntnis hat. Wie soll denn das gehen: Einer ist Gott und Mensch zugleich – „Gottmensch“, wie die Theologie oft abkürzend gesagt hat – und dennoch wird ein grundlegender Unterschied zwischen Gott und Mensch, Schöpfer und Geschöpf behauptet? – Wenn Christen und TheologInnen auf diese Irritationen antworten, werden sie nicht darum herum kommen, auf ein weiteres unterscheidend christliches Bekenntnis zu verweisen, nämlich die Trinität. Und auch dieses dürfte sich angesichts der höchst subtilen Zuordnung von göttlicher Einheit und Dreiheit als unterscheidend christlich im striktesten Sinn erweisen.

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Derartige überscharfe Verortungen des unterscheidend Christlichen dürfen uns nicht zufriedenstellen. Würde doch damit das Christliche auch von der Vernunft geschieden. Zwar wäre ein Vernunftbeweis des unterscheidend Christlichen nach christlichen Kriterien zu viel verlangt, – das würde einen Rationalismus bedeuten, der sowohl das Willensmoment als auch das Moment der Gnade zur Ermöglichung des Glaubens vernachlässigte.[10] Aber ein Glauben gegen die Vernunft wäre auch nach christlichem (zumindest nach christlich-katholischem) Selbstverständnis unzumutbar. Es würde als Fideismus (der den Glauben nur als Willensleistung auch ohne Vernunft missversteht) oder Quietismus (der den Glauben allein einer blind wirkenden Gnade zuschreibt, ohne alle Eigentätigkeit des Menschen) klar zurückgewiesen. Zumindest das katholische Christentum erhebt den Anspruch, dass ihre Glaubensoption vernünftig aufweisbar ist im Sinne einer Nicht-Irrationalität, einer Widerspruchsfreiheit und Denkmöglichkeit.[11]

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Versuchte man einen solchen Nachweis in direkter Auseinandersetzung mit seinen religionskritischen Bestreitungen zu führen, so unterläge man leicht der schon eingangs genannten Versuchung, ins Periphere abzudriften. Die Versuchung bestünde konkret darin, aus den Glaubensformeln ein System zu machen, das logisch unanfechtbar aber zugleich steril wäre. Es wäre abgeschnitten vom Nerv spezifisch-christlicher Lebenserfahrung. Die Mittel zur rationalen Verantwortung des unterscheidend christlichen Christusbekenntnisses müssen aus der Mitte des Christlichen, als dem zuerst und eigentlich unterscheidend Christlichen gewonnen werden. Was aber ist die unterscheidend christliche Mitte des unterscheidend-christlichen Christusbekenntnisses?

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„Das unterscheidend Christliche ist der Jesus Christus selbst“ – Das Bekenntnis führt uns zurück auf die Person Jesu Christi selbst, auf die Geschichte die er gelebt hat. Für Menschen, die klare Orientierung wünschen, erscheint das als irritierender „Rückschritt“. Formeln haben den Vorteil – oder zumindest den Anschein – von großer Eindeutigkeit. Geschichte aber ist uns nur zugänglich in einer Pluralität von Geschichten, die sich nicht einfach auf einen Nenner bringen lassen. Gewiss, man kann Geschichten verdichten, sodass mit wenigen Strichen das Ganze in Erinnerung gerufen wird. Biblische und kirchliche Glaubensbekenntnisse können wir als solche zunehmend verdichtete Geschichten begreifen.[12] Weiters können aus Kontroversen zwischen konkurrierenden Geschichtsversionen Regeln entstehen, wie Geschichten adäquat erzählt und zusammengefasst werden dürfen. Das Dogma, dass Jesus Christus Sohn Gottes und „wahrer Gott und wahrer Mensch“ ist, kann im Sinne solcher Regeln verstanden werden. Glaubensbekenntnisse und Dogmen sind in diesem Sinn abkünftig von den Geschichten Jesu von Nazareth, auch wenn sie für diese normierend sind. Zum Verständnis des „unterscheidend Christlichen an Jesus von Nazaret“ müssen wir zu diesen bestimmenden Geschichten zurück. Wir finden sie im Neuen Testament, – vielfältig und voller Spannungen.

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3. Das unterscheidend Christliche an Jesus von Nazaret – Teil 1

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Bei allen Unsicherheiten und Meinungsverschiedenheiten über authentische Worte und Taten Jesu ist immerhin die Umstrittenheit Jesu unbestritten: Nicht nur in Worten, sondern durch die ganze Weise seines Verhaltens erhob dieser Jesus von Nazaret den ungeheuren Anspruch einer einmaligen Gottesnähe, der die Menschen in Befürworter und Gegner spaltete. Letztere bezeichneten ihn als einen Gehilfen Satans, der seine Machttaten mit Hilfe Beelzebuls ausübte.[13] Was seine Befürworter von ihm dachten, wird besonders deutlich angesichts von Jesu Frage, die von allen drei Synoptikern überliefert ist:[14] „Für wen halten mich die Menschen?“ – johannes der Täufer, Elija, oder ein anderer Prophet werden von den Jüngern genannt. Wir können diese Auffassungen vergleichen mit heutigen Vorstellungen von Jesus als einem besonderen Menschen. Darauf folgt nun die Frage Jesu: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ – Petrus antwortet: „für den Messias, den Sohn des lebendigen Gottes“. Nach Matthäus wird er in dieser Einschätzung von Jesus eindrucksvoll bestätigt. Gemäß allen drei Synoptikern verbietet Jesus den Jüngern, diese Einsicht anderen weiterzusagen. Den Grund dafür machen sie durch das unmittelbar Folgende deutlich: Jesus kündigt sein kommendes Leiden an. Die Bezeichnung Jesu als Messias wird nur dann recht verstanden, wenn man begreift, dass das ein leidender Messias ist, – wie der leidende Gottesknecht bei Jesaja. Nach allen drei Evangelisten kritisiert Petrus, der vorher durch sein Messiasbekenntnis glänzte, Jesu Ankündigung, nach Jerusalem zu gehen um dort zu leiden, und er wird daraufhin von Jesus schärfstens zurückgewiesen. Das zeigt, dass Petrus selber sein Messiasbekenntnis noch nicht recht verstanden hat. Von daher wird verständlich, dass Jesus seinen Jüngern vor der Kreuzeserfahrung untersagte, von ihm als dem Messias zu sprechen.

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Nach dem Zeugnis der Evangelien besteht das unterscheidend Christliche also im Bekenntnis, dass Jesus der Messias, der Sohn Gottes ist. Aber wie kann das recht verstanden und begründet werden? Für die Gegner Jesu war ein solcher Anspruch so unakzeptabel, dass er sogar ein Grund für die Todesstrafe sein konnte: „Wir steinigen dich nicht wegen eines guten Werkes, sondern wegen Gotteslästerung; denn du bist nur ein Mensch und machst dich selbst zu Gott“ (Joh 10,33). Der Anspruch, wie Gott zu sein, konnte ja auch Inbegriff der Sünde sein. So bei Adam und Eva, die der Verheißung der Schlange, sie würden wie Gott werden, auf den Leim gingen. Oder beim König von Tyrus, wie es Ezechiel beschreibt:

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„Menschensohn, sag zum Fürsten von Tyrus: So spricht Gott, der Herr: Dein Herz war stolz, und du sagtest: Ich bin ein Gott, einen Wohnsitz für Götter bewohne ich mitten im Meer. Doch du bist nur ein Mensch und kein Gott, obwohl du im Herzen geglaubt hast, daß du wie Gott bist. [...] Weil du im Herzen geglaubt hast, daß du wie Gott bist, darum schicke ich Fremde gegen dich, tyrannische Völker. Sie zücken das Schwert gegen all deine prächtige Weisheit, entweihen deinen strahlenden Glanz. Man stößt dich hinab in das Grab; wie einer durchbohrt wird und stirbt, so stirbst du mitten im Meer. Willst du dann angesichts deiner Mörder noch sagen: Ich bin ein Gott? Du bist nur ein Mensch und kein Gott in der Hand deiner Mörder.“ (Ez 28,3-9)

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Selbst der Tod Jesu am Kreuz musste aus solcher Perspektive wie der Fall aus sündiger Hybris erscheinen, – und nicht als Bestätigung des leidenden Gottesknechtes. Wie konnte dann jener Anspruch Jesu, den wir als das unterscheidend Christliche ausgemacht haben, als berechtigt erkannt werden? Die Evangelien versuchen ihn von den Schriften des Alten Testaments her zu begründen. Das Alte Testament dokumentiert eine wachsende Unterscheidung des wahren Gottes, – von dieser her mussten für die jüdischen Zeitgenossen ihre Erfahrungen mit Jesus im Sinne des von ihm erhobenen Anspruchs deutbar werden.

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Somit müssen wir auf unserer Suche nach dem unterscheidend Christlichen noch einen weiteren Schritt zurück gehen und die Entwicklung der Unterscheidung des wahren Gottes im Alten Testament verfolgen.

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4. Das Unterscheidende im Gottesverständnis des Alten Testaments

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Zentral für den alttestamentlich-jüdischen Glauben ist das erste Gebot: „Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott“ (Ex 20,5). Indem das Gebot, dem eigenen Gott zu dienen, mit einer definitiven Zurückweisung der Verehrung anderer Götter verbunden ist, ist es unterscheidend in einem exklusiven Sinn. Jan Assmann hat hier von einer mosaischen Unterscheidung zwischen wahrem und falschem Gott gesprochen und darin ein zentrales Movens für monotheistische Intoleranz und Gewalt gesehen.[15] Erinnern lässt sich in diesem Sinn an die Weisung, die Altäre von Andersgläubigen niederzureißen,[16] an die angeordnete Vernichtungsweihe an ungläubigen Städten im Zuge der Landnahme,[17] an die von Mose angeordnete Niedermetzelung der Verehrer des goldenen Kalbs[18] und an die von Elija angeordnete Abschlachtung der 450 Baalspropheten nach dem Brandopfer auf dem Berg Karmel, das im Wettbewerb mit den vom König favorisierten Baalsprophetenn den „wahren Gott“[19] erweisen sollte. Diese brutale Intoleranz richtete sich allerdings nicht gegen andere Völker und Religionen, sondern gegen den Einbruch und die Duldung anderer Kulte innerhalb der eigenen Religion.[20] Die ausschließliche Treue gegenüber dem als eifersüchtig bezeichneten eigenen Gott war „unterscheidend israelisch“ im Sinne einer fortlaufenden Selbstreinigung, nicht primär als profilierende Abgrenzung gegenüber anderen. Andere Völker und Kulturen kamen zwar als Umwelt Israels von Anfang an vor, nicht jedoch als theologische Subjekte. So konnte Israel in seiner „Gründungsgeschichte“ des Exodus Gott als denjenigen loben, der die Ägypter vernichtete. Dass Jahwe auch der Gott der Ägypter und damit auch für ihr Wohl verantwortlich wäre, kam damals noch nicht in den Blick.[21]

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Das änderte sich mit der Erfahrung des Babylonischen Exils. Gegen den Eindruck, dass der Gott der Israeliten gegen die Götter Babylons versagt hätte, boten nun die großen Propheten die Deutung an, dass Jahwe nicht nur der Gott Israels, sondern auch Babylons und aller anderen Völker wäre. Er wäre also nicht von Babylon besiegt worden, sondern hätte vielmehr Babylon als Werkzeug verwendet um Israel für seine Bundesbrüche zu strafen.[22] So bewirkte das Babylonische Exil eine entscheidende Vertiefung und Universalisierung des Gottesverständnisses.[23] Die biblischen Schöpfungsgeschichten sind davon geprägt. Dadurch vertiefte sich nun auch die Unterscheidung im alttestamentlichen Gottesverständnis: Die Kritik an anderen Religionen und Kulten blieb zwar erhalten; ja sie verschärfte sich zum Spott gegen machtlose Götzenbilder, die nichts als „Vogelscheuchen im Gurkenfeld“ wären.[24] Zugleich wuchs aber die Einsicht, dass auch im Namen des wahren Gottes dieser Gott verfehlt und verraten werden konnte. Die Universalisierung des Gottesglaubens versperrte grundlegender als bisher die Möglichkeit, das Falsche und Böse den gottfeindlichen Anderen zuzuschreiben. Da alle Menschen Geschöpfe Gottes sind, gibt es keinen „total Anderen“. Noch deutlicher als bisher wurde die Unterscheidung des Alttestamentlich-Jüdischen zu einer fundamentalen Selbstkritik. Nachdem ein guter Gott alle Geschöpfe ursprünglich gut geschaffen hat, konnte das massiv erfahrbare Böse nur dadurch erklärt werden, dass diese Geschöpfe aus sich selber heraus böse geworden waren. Die Erzählung vom Sündenfall gibt eine diesbezügliche Antwort. Im Hinblick auf die Unterscheidung eines wahren Gottesglaubens ist die biblische Urgeschichte höchst subtil: Die Menschen sind geschaffen „wie Gott“, – als Gottes Bild und Gleichnis. Und sie sind gefallen, weil sie „wie Gott“ sein wollten. So ist eine Unterscheidung grundgelegt zwischen einem verdankten Wie-Gott-Sein, welches die höchste Verheißung ist und einem eigenmächtigen Wie-Gott-Sein-Wollen, welches die Wurzel aller Sünde darstellt. Letzteres wird als ein umfassender Schuldzusammenhang begriffen, in den jeder Mensch verstrickt ist. In diesen dunklen Hintergrund fügt das Alte Testament nun verschiedene Heilsinitiativen Gottes ein, beschrieben als Taten der Befreiung und darauf aufbauende Bundesschlüsse, die den Menschen – nicht nur als einzelne sondern in ihren gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Verflechtungen – eine neue Ausrichtung auf Gott ermöglichen sollten. Heilsmittler – wie die Patriarchen, Mose und die Propheten – und Heilsinstitutionen – wie das Gesetz, sowie die Sühn- und Opferriten – sollten helfen, den Bund mit Gott zu bewahren und, wo Menschen von ihm abirrten, ihn zu erneuern. Aber bereits im Alten Testament wuchs die Einsicht, dass all diese von Gott eingesetzten Vermittlungsformen nicht ausreichten; sie konnten von einem böse gewordenen Herzen in pervertierender Weise gebraucht werden.[25] So wuchs die Hoffnung auf eine grundsätzliche Vertiefung von Gottes Heilsinitiative, – die Sehnsucht nach einem neuen Bund, der in das Herz der Menschen geschrieben ist, sodass sie mit einem erneuerten Herzen diesen Bund auch halten können.[26]

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5. Das unterscheidend Christliche an Jesus von Nazaret – Teil 2

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Von hier aus lässt sich nun das unterscheidend Christliche an Jesus von Nazaret neu in den Blick nehmen. Für die Menschen, die Jesus begegneten, bestand das unterscheidend Christliche zunächst in einer befreienden Erfahrung, die ihnen einen Zugang zum wahren Gott neu eröffnete. Das geschah durch unerhörte Lehren – vom jetzt anbrechenden Gottesreich – und ungesehene Taten dieses Mannes aus Nazaret, aber tiefer noch durch eine Weise zu sein – gründend in einer uneinholbar tiefen Verbundenheit mit dem göttlichen Vater – mit der Jesus den ihn Begegnenden die Verheißungen der alttestamentlichen Schriften in brennender Aktualität aufleuchten ließ.[27] Das zeigt sich zunächst an Erfahrungen von Befreiung und Entgrenzung: Fesseln fallen weg, die Menschen auf enge und heillose Wirklichkeiten fixiert hielten. Körperliche Heilungen überwinden leibliche Behinderungen, Dämonenaustreibungen befreien von psychischer Gebundenheit, und Sündenvergebungen lösen die Fesseln einer Selbstabsperrung gegenüber dem Gott des Lebens.

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Solche Entfesselungen haben durchwegs auch eine soziale Dimension: Indem Menschen und Menschengruppen als Kranke, Unreine und Sünder festgeschrieben werden, können Gemeinschaften ihre Identität stabilisieren. Diffuses Unheil wird zuschreibbar, und es wächst die wirkmächtige Illusion, dass das derart zugeschriebene Unheil aus der Gemeinschaft entfernt werden kann, indem man Menschen ausschließt. Ausgrenzungen finden statt und die dadurch scharf gemachten Grenzen binden die Zugehörigen von Gemeinschaften enger zusammen. Vom Alten Testament her besteht die Identität des Gottesvolkes in einer gemeinsamen Ausrichtung auf den erwählenden Gott und dadurch in einem Dienst allen Menschen gegenüber. Wo diese positiv-ausgerichtete Identität durch Schuld und Versagen gelitten hat, kann sie durch die Wirkungen des Sündenbockmechanismus ersatzweise gesichert werden: Wir wissen wer wir sind, weil wir nicht so sind wie diese anderen. Wie eine vom Ansatz her reine Ausrichtung auf Gott durch Ausschlusspraxis pervertiert werden kann, hat sich für die Zeit Jesu an der Erneuerungsbewegung der Pharisäer gezeigt.

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Von daher kann nun das provokative Potential von Jesu Wirken begriffen werden. Es ist wichtig zu sehen, dass es nicht einem eigenen Verhalten Jesu abgesehen von seinem befreienden und heilenden Tun entspringt, sondern aus der Mitte seiner Gott offenbarenden menschenfreundlichen Praxis: Jesus heilt Kranke, Besessene und Sünder und führt sie damit in die Mitte der Gemeinschaft zurück. In dem Maße als Gemeinschaft sich durch Abgrenzung nach außen definiert, muss dieses Verhalten Jesu zu einer Identitätskrise führen, gemäß dem Motto: Wer sind wir denn, wenn diese da auch zu uns gehören sollen? Diese Krise konnte nur dadurch überwunden werden, dass jedes Mitglied bereit war, den Balken im eigenen Auge anstelle des Splitters im Auge der anderen wahrzunehmen.[28] Erforderlich war also eine radikalisierte Selbstkritik. Diese war in einer nicht-destruktiven Weise möglich, weil Jesus den ihm Begegnenden zugleich eine vertiefte und neue Orientierungsmitte eröffnete, – in einer reinen Ausrichtung auf den wahren Gott. Die besondere Gnadenzeit (= Kairós[29] ) der Begegnung mit Gott durch Jesus Christus bedeutet, dass solche Neuausrichtung (biblisch: Umkehr) möglich wird. Menschen gewinnen die Freiheit, diese Neuausrichtung zu wählen, – oder aber sie abzulehnen. Im letzteren Fall wird ihnen allerdings das gnädige Licht des lebendigen Gottes zu einem richtenden Licht, das die Inadäquatheit ihrer Lebenswahl erbarmungslos aufdeckt. Dieses Licht wird unerträglich, sodass derjenige, der es zum Leuchten bringt, „ausgeschaltet“ werden muss. Von solchen Zusammenhängen her können wir begreifen, dass durch Jesu Verhalten nicht nur Menschen geheilt und innerlich verwandelt, sondern auch aufs Äußerste provoziert wurden.

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Für unser Thema ist hier festzuhalten: Von den Evangelien her erweist sich die Unterscheidung des Christlichen als eine Angelegenheit, die nicht unterschiedslos jederzeit ansteht, sondern ihren Kairós hat. Über weite Strecken leben Menschen fraglos entschieden dahin, – in den Fahrwassern von früheren Entscheidungen (von ihnen selbst oder von anderen, denen sie zugehören). Der Kairós der Begegnung mit Jesus eröffnet einen neuen, noch ungekannten Blick auf Gott, – auf einen bedingungslos gebenden und vergebenden Gott. Damit wird ein Gnadenmoment der Freiheit freigesetzt. Die so zur Freiheit befreite Person kann die Bewegung auf Gott hin, die sie an sich bereits im Ansatz wahrnimmt, ratifizieren und damit ein Ja zu Gott sagen, das die Kraft hat, dem eigenen Leben eine neue Richtung zu geben. Umkehr ist nun möglich, – und sie ist von Jesus geboten, weil sie möglich ist.[30] Dieser umkehrenden Neuausrichtung steht allerdings eine Kraft der Beharrung entgegen, die Paulus als „alten Sauerteig“ (1 Kor 5,7f) oder „alten Menschen“ (Eph 4,22) bezeichnet. Beispiele von gescheiterter Umkehr in den Evangelien zeigen, dass diese Beharrungskraft auch kollektiver Natur ist und als solche eine große Macht hat. Kommentar Der ängstliche oder eitle Seitenblick auf die aufmerksam beobachtenden Anderen hat manchen Samen des anbrechenden Gottesreichs bereits im Ansatz erstickt.[31]

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Jesu Wirken für das anbrechende Gottesreich wirft damit ein massives Problem auf. Viele Menschen haben den Kairós der in ihnen neu aufbrechenden Gotteswirklichkeit verpasst. Anstelle eines befreienden Ja ist so ein höchst problematisches Nein entstanden, das die Situation gegenüber der früheren relativen Unentschiedenheit radikal verschärft. In diesem Zusammenhang wird es begreiflich, dass Jesus nicht nur vom Gottesreich, sondern erstmals auch von der Hölle spricht. Durch eine vertiefte Selbsterschließung Gottes rückt auch die Möglichkeit eines totalen und endgültigen Nein zu Gott in greifbare Nähe.

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In diesem Zusammenhang gewinnt der Kreuzestod Jesu eine zentrale Bedeutung: Er ist zunächst die Konsequenz eines Verhaltens Jesu, der die Menschen, die sich in einem Nein gegen Gott verstockten, nicht ihrem selbstgewählten Gericht überlassen wollte, sondern sich um sie in der Haltung einer kritischen Solidarität bemühte. Wenn Jesus die Schriftgelehrten nicht in ihrer Ablehnung sich selber überließ, sondern sich in ihr Zentrum nach Jerusalem begab, so ist das als ein Weg fortgesetzter Konfrontation zu begreifen, der die Heilsmöglichkeit auch für die sich verstockenden Menschen offenhalten sollte. Die Möglichkeit einer Umkehr durch vertiefte Begegnung mit Gott vermittels Jesus Christus war nicht ausgeschlossen, wenn auch durch vorausgehende Zurückweisungen zunehmend unwahrscheinlich. Wo die Menschen hingegen auf ihrer Entscheidung gegen Gott beharrten, mussten sie mit den inneren Konsequenzen dieser ihrer Wahl konfrontiert werden, – auch wenn diese in Gewalt gegen den Offenbarer und Aufdecker bestand. Auf dem Weg nach Jerusalem musste Jesus seine messianische Aufgabe, das Reich Gottes vollmächtig anzusagen, im Modus des Leidens verwirklichen. Hätte er sich diesem Kreuzweg versperrt, so wie es Petrus von ihm erwartete, dann wäre Jesu weiteres Bemühen um das Gottesreich an Halbierung gescheitert: Zurückgeblieben wäre eine Sekte, die ihre Identität der Absetzung von den etablierten Vertretern des Judentums verdankte.

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Auf dem skizzierten Weg ergibt sich für die Frage nach dem unterscheidend Christlichen: Wenn das unterscheidend Christliche in Jesu Gottesreichbotschaft besteht, dann gehört unter den Bedingungen einer tiefen Sündenverstrickung der Menschen das Kreuz zur Gottesreichbotschaft als dessen innere Konsequenz dazu. Der Messias muss ein gekreuzigter sein.

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Bleibt er aber als Gekreuzigter noch Messias? Das heißt: Wenn Jesus der Messias war und seine Gottesreichbotschaft eine reale unüberbietbare Selbsteröffnung Gottes für die Menschen bedeutete, musste dann seine Tötung nicht die endgültige Selbstüberlieferung an das ewige Gericht für jene bedeuten, die seiner Tötung zustimmten, – und auch für jene, die infolge von versäumten Kairoí eine Haltung vertraten, die sie auch zur Verwerfung des Messias geführt hätten, wären sie nur damals dabei gewesen? Wenn das aber tatsächlich der Fall war, hat sich dann die frohe Botschaft für eine Menge von Menschen nicht als „Dys-angelion“, als Unheilsbotschaft erwiesen? Damit aber wäre Jesu Frohbotschaft einer bedingungslosen Heilsinitiative Gottes durch die von ihr bewirkte Konsequenz widerlegt worden, – also kann er nicht der Messias gewesen sein.

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Jesu Gottesreichbotschaft kann sich deshalb nur dann als richtig erweisen, wenn sie eine Heilsmöglichkeit auch für jene Menschen eröffnet, die den Kairós der radikalisierten Selbsteröffnung Gottes durch Jesus Christus ausgeschlagen haben. Oder, um es differenzierter auszudrücken: dass uns Menschen durch Jesus Christus nicht nur eine Heilsmöglichkeit eröffnet ist, sofern wir den uns eröffneten Kairoí zustimmen, sondern auch insofern, als wir hinter den Möglichkeiten einer solchen Zustimmung zurückbleiben. – Genau dies ist nach christlichem Zeugnis über den Weg von Kreuz und Auferstehung gesehen. Zum unterscheidend Christlichen gehört somit, dass das Kreuz nicht nur unglückliche Folge der Gottesreichbotschaft aufgrund der Sünde der Menschen ist, sondern – im Zusammenhang mit der Auferstehung – zugleich ein Weg der Überwindung der verschärften Sünde, – ein Weg der Erlösung.

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Diese soteriologische Dimension des Kreuzes, das mithin die tiefste Einlösung der Gottesreichbotschaft bedeutet, kann aus der Erfahrung von Menschen mit dem Gekreuzigten und Auferstandenen – vor allem vom Apostel Paulus her – folgendermaßen skizzenhaft erschlossen werden: Menschen, die ein bewusstes und frei gewolltes Nein zu Gott gesprochen haben – wie es für die Situation eines versäumten Kairós charakteristisch ist – können nicht einfach erneut in eine gleichartige Entscheidungssituation gestellt werden. Die Entscheidung ist bereits gefallen und muss auch von Gott als solche respektiert werden, wenn er den Menschen in seiner Freiheit ernst nimmt. Das ist das ungeheure Gewicht eines versäumten Kairós. Damit der Mensch vor den selbstzerstörerischen Konsequenzen eines solchen Nein zu Gott befreit wird, besteht nur eine Möglichkeit: dass Gott sich ihm in einer gegenüber seiner bisherigen Entscheidung vertieften Weise offenbart. Unter diesen Bedingungen wird eine erneute Entscheidung möglich, im Sinne der Worte: „Ja wenn ich gewusst hätte, dass Gott so ist...“. Durch Kreuz und Auferstehung hat Jesus den Menschen eine solche neue und vertiefte Selbstoffenbarung Gottes erschlossen. Worin diese besteht, hat an vielen Stellen Paulus ausgedrückt, jener Pharisäer, der einst ein tief überzeugtes Nein gegen Jesus gelebt hatte und später eine vollständige Wandlung erfuhr. Was er genau unter dem göttlichen Blitzstrahl, der ihn traf, erfahren hatte, wissen wir nicht. Aber wir kennen den Nachhall dieses Einschlags: er zieht sich durch sein gesamtes Schrifttum und kreist unablässig um die erlösende Kraft des Kreuzestodes Christi. Die vertiefte Selbstoffenbarung Gottes durch Jesus Christus beschreibt Paulus unter anderem wie folgt:

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„Was ergibt sich nun, wenn wir das alles bedenken? Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns? Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?" (Röm 8,31-32)

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Paulus beschreibt das Bild eines Gottes, der sein Eigenstes und Wertvollstes riskiert, um die Menschen von ihrem selbstverschuldeten Unheil zu retten: ein Gott, der den Menschen nicht als souveräner Richter oder souveräner Wohltäter von oben begegnet, sondern der sich selber rückhaltlos einsetzt; Gott, dessen Wesen uns durch sein Ebenbild Jesus Christus aufleuchtet, der „Gott gleich war, aber nicht daran festhielt, wie Gott zu sein“, der sich erniedrigte und Gehorsam bis zum Tod am Kreuz wurde.[32] Durch das Kreuz erscheint Gott somit den Menschen in einer aus Liebe sich selbst entmächtigenden Gestalt. Damit ist den Menschen, die Gott in der Gestalt des grundlos Gebend-Vergebenden zurückgewiesen haben, eine neue vertiefte Einsicht in das Wesen Gottes eröffnet, – und damit ein neuer Kairós, – eine neue Möglichkeit, zu Gott ja zu sagen.

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Was aber, wenn auch dieser Kairós mit einem Nein beantwortet wird? Wir wissen es nicht. Die Möglichkeit der Hölle ist durch Gottes gekreuzigte Selbstoffenbarung nicht einfach ausgeschlossen. Das freie Nein gegen Gott hat volles Gewicht, es kann nicht einfach suspendiert werden, – nicht wegen Gottes Unnachsichtigkeit, sondern wegen der ernst genommenen Freiheit des Menschen. Die einzige Möglichkeit besteht in einer nochmals vertieften Selbsterschließung Gottes, die sich zugleich selbst riskiert, weil sie mit der freigesetzten Freiheit für den Sünder zugleich ein weiteres, noch mächtigeres und zerstörerischeres Nein ermöglicht. Wie die Dramen zwischen potenziertem Nein des verstockten Sünders und je neu und vertiefter Selbsterschließung Gottes ausgehen, wissen wir nicht. Aber was wir über Gott durch dessen Selbsterschließung im Kreuz erfahren haben, ist Grund genug für die Hoffnung: Wir dürfen Gott zutrauen, dass er jedes Nein letztlich durch seine grenzenlose Liebe bis zu einem Ja einzuholen in der Lage ist.[33]

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Wenn das unterscheidend Christliche somit in der Begegnung mit Jesus Christus besteht, in dem Kairós, der dadurch ausgelöst wird, – wie eröffnet sich diese Wirklichkeit für Christen, die Jesus nicht mehr von Angesicht zu Angesicht begegnen können? Biblisch wird eine Antwort dazu durch die Sendung des Heiligen Geistes beschrieben. Bevor der Auferstandene in den Himmel aufsteigt – was bedeutet, dass er auch seinen Zeitgenossen in einer Weise ungreifbar wird, die der Situation aller Menschen nach Christus gleicht – vor dieser Himmelfahrt also sendet er den Heiligen Geist aus.[34] Der Heilige Geist gilt als jene personale Macht, die den Menschen die Begegnung mit Jesus Christus erschließt.[35] Von daher können wir sagen, dass das, was wir als Kairós aus der unmittelbaren Begegnung mit Jesus beschrieben haben, sich in Momenten der Gnadenerfahrung erschließt, – Erfahrungen, die auch alltäglich und wenig spektakulär sein können, die sich aber in jedem Fall dadurch auszeichnen, dass eine Situation der Freiheit Gott gegenüber – und damit auf ein neues, besseres Leben hin – entsteht, die so vorher nicht gegeben war. Es entspricht dem christlichen Glauben, dass solche Gnade universal, auch außerhalb eines expliziten Christentums, am Wirken ist, – wobei Christen dieses Wirken in einen Zusammenhang mit dem Heilswirken Christi bringen. Für Christen ist die Mitte, von der her diese Erfahrung des Heiligen Geistes in ursprünglicher Kraft verwandelt über Menschen und Gemeinschaften ausströmen kann, die Eucharistie; – als jener Ort, wo die Begegnung mit dem Wort, dem Tun und dem Sein Jesu Christi in Verbal-, Aktual- und Realpräsenz deutlich wird. Eucharistie ist somit jene Mitte, von der her erfahrungsmäßig die Unterscheidung des Christlichen sich zu erschließen vermag.

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6. Das unterscheidend Christliche im kirchlichen Bekenntnis zu Jesus Christus – Teil 2

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„Das unterscheidend Christliche ist der Jesus Christus selbst“ – Diese Aussage haben wir von einer neutestamentlich-christologischen Perspektive her als erfahrungsmäßige Wirklichkeit erschlossen. Das unterscheidend Christliche für Christen besteht demnach darin, dass sie ihr Leben um die Mitte Jesu Christi ausrichten, indem sie sich – betend, feiernd, bezeugend und teilend – offen halten für die großen und kleinen Kairoí, in denen sich ihnen der Gott Jesu Christi zuspricht. Von dieser Mitte aus ist nun die Sinnhaftigkeit des unterscheidend christlichen Christusbekenntnisses einzuholen: Jesus Christus ist nicht bloß ein besonderer Mensch, auch nicht bloß Gott selber in einer – durch verschiedene Inkarnationen in heiligen Menschen wiederholbaren – menschlichen Verkleidung, sondern „wahrer Gott und wahrer Mensch“, in einer Person, unvermischt und ungetrennt.

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Stellen Sie sich vor, Sie müssten dieses Bekenntnis von Jesus Christus als dem Gottmenschen gegenüber einem Skeptiker verteidigen. Dieser wird Ihnen vielleicht die Hirnrissigkeit Ihres kirchlichen Glaubens folgendermaßen vorrechnen: Was ist nun Jesus Christus: Ist er Gott, dann kann er kein Mensch sein. Ist er ein Mensch, dann kann er nicht Gott sein. Wenn Sie das dennoch behaupten wollen, dann fällt der Unterschied zwischen Gott und Mensch weg. Wie aber wollen Sie das in Einklang bringen mit der zentralen jüdisch-christlichen Unterscheidung zwischen Schöpfer und Geschöpf?

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Die einzige logische Möglichkeit, auf einen solchen Frontalangriff zu reagieren besteht darin, die Voraussetzungen dieser Argumentation in Frage zu stellen. Diese gehen – unausgesprochen und selbstverständlich – von Folgendem aus: Was ein Mensch ist, das wissen wir ja. Und was Gott ist, das wissen wir auch, – zumindest mehr oder weniger. Ausgehend von diesem selbstverständlich angenommenen und unhinterfragten Vorwissen versuchen wir nun zu erklären, was ein Gott-Mensch ist. Unter diesen Voraussetzungen kann das nur zu einem Nonsens führen. Unter diesen Voraussetzungen ist etwas oder jemand, der zugleich Gott und Mensch ist, undenkbar. Die Problematik in Form einer Skizze:

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Mensch=√ & Gott=

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. ↓

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Gott&Mensch = ??

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Skizze 1

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Das volle Christusbekenntnis kann nur erreicht werden, wenn wir radikal den Ausgangspunkt ändern. Am Anfang darf nicht ein fertiges Wissen von dem stehen, was Gott und was ein Mensch ist, sondern die Erfahrung mit der Person Jesu Christi. In der Begegnung mit Jesus Christus geht einem in ganz neuer Weise auf, wer oder was eigentlich Gott ist; und es geht einem neu auf, was eigentlich ein Mensch ist.

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Jesus Christus =

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. ↓

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Mensch = & Gott =

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Skizze 2

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Dieses neue Wissen vom innersten Wesen Gottes und des Menschen wird uns von Jesus nicht nur äußerlich mitgeteilt, sondern durch sein eigenes Tun und Sein erschlossen. Er sagt uns nicht nur, wie Gott ist. Gottes Liebe, Seine Vergebungsbereitschaft, aber auch seine Unverträglichkeit mit der Sünde gehen uns an Jesu eigenem Verhalten auf. Dennoch erscheint uns Jesus auch nicht als Übermensch, der uns vielleicht noch irgendwelche Auskünfte über das wahre Wesen des Menschen gibt, sondern wir erfahren ihn als zutiefst menschlich. An seinem Leben geht uns auf, dass der Mensch in seinem innersten Wesenskern an Gott grenzt, und dass die kompromisslose Verwirklichung dieses göttlichen Kerns das Menschsein nicht behindert oder gar auslöscht, sondern in seinen Möglichkeiten erst voll erschließt. Es eröffnet sich eine Ahnung von dem beglückenden Zusammenhang, dass der Mensch umso mehr Mensch ist, je enger er mit Gott verbunden ist. So erschließt sich uns in der Person Jesu Christi zugleich das Wesen Gottes und das wahre Wesen des Menschen. Wir können sagen, dass Jesus Christus ganz Mensch ist, und dass wir auf Gott schauen, wenn wir auf Christus schauen.

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Jesus Christus =

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. ↓

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Mensch = & Gott =

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. ↓

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Jesus Christus = Gott&Mensch

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Skizze 3

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Diese Christozentrik entspricht ganz der unterscheidend christlichen Ausrichtung, wie wir sie im vorausgehenden Kapitel erschlossen haben. Paulus hat das hier Gemeinte deutlich ausgedrückt:

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„Als ich zu euch kam, Brüder, kam ich nicht, um glänzende Reden oder gelehrte Weisheit vorzutragen, sondern um euch das Zeugnis Gottes zu verkündigen. Denn ich hatte mich entschlossen, bei euch nichts zu wissen außer Jesus Christus, und zwar als den Gekreuzigten. Zudem kam ich in Schwäche und in Furcht, zitternd und bebend zu euch. Meine Botschaft und Verkündigung war nicht Überredung durch gewandte und kluge Worte, sondern war mit dem Erweis von Geist und Kraft verbunden, damit sich euer Glaube nicht auf Menschenweisheit stützte, sondern auf die Kraft Gottes.“ (1Kor 2,1-5)

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Das ist kein Plädoyer für Nichtwissen im Sinne von Ignoranz und Dummheit. Im Gegenteil! Paulus macht das im unmittelbar Folgenden deutlich:

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„Vielmehr verkündigen wir das Geheimnis der verborgenen Weisheit Gottes, die Gott vor allen Zeiten vorausbestimmt hat zu unserer Verherrlichung. Keiner der Machthaber dieser Welt hat sie erkannt; denn hätten sie die Weisheit Gottes erkannt, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. Nein, wir verkündigen, wie es in der Schrift heißt, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben. Denn uns hat es Gott enthüllt durch den Geist. Der Geist ergründet nämlich alles, auch die Tiefen Gottes." (1Kor 2,6-10)

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Paulus wollte nichts wissen als Jesus Christus, und zwar als den Gekreuzigten. Sein Verzicht auf „Überredung durch gewandte und kluge Worte“ besagte, dass er nicht versuchen wollte, Jesus Christus von anderen Ausgangspunkten her als plausibel abzuleiten. Das „unterscheidend Christliche“ ist für ihn Jesus Christus selbst, als Maßstab, der nicht nochmals gemessen werden darf, – nicht durch Kriterien von Klugheit oder eindrucksvoller Zeichenhaftigkeit,[36] auch nicht durch Kriterien einer vorweg definierten Humanität. Ausgehend von vorgefassten Begriffen von Mensch und Gott muss das Bekenntnis zum Gottmenschen als Torheit und Gotteslästerung erscheinen. Geht man aber von der Erfahrung Jesu Christi als des Gottmenschen aus, – wie es im vorigen Kapitel skizziert wurde –, so erschließt sich eine größere Weisheit, von der her das, was ist – der Mensch, Gott und die Welt – vertieft verstanden werden kann. „Der Geist ergründet nämlich alles, auch die Tiefen Gottes.“

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Das klingt ziemlich anmaßend und bedarf deshalb wohl einer Klarstellung. In erster Näherung und aller Kürze kann gesagt werden, dass die von der Begegnung mit Christus her erschlossene Weisheit in der Wahrnehmung der „Tiefen Gottes“ im begegnenden Anderen besteht. Die Gottebenbildlichkeit des Menschen, aber auch aller Schöpfung, offenbart sich neu. Es wird nicht nur denkbar, sondern auch erfahrbar: Im Innersten seines Selbstseins rührt der Mensch an das göttliche Geheimnis. Der „Welt“ ist dieses Geheimnis verborgen; die Personalität und Würde des Menschen kann von ihr nur verflacht wahrgenommen werden. Von Christus her – was heißt: von kairologischen Gnadenerfahrungen her, deren Wesen sich uns von Christus her erschließt – eröffnet sich die Fähigkeit einer staunenden und liebenden Erkenntnis, die sich grundsätzlich auf alle Menschen, auf alles Geschaffene, auf einen selber und – vermittelt durch all das – auf Gott zu richten vermag. Diese vertiefte Erkenntnis ist nun gerade keine zugreifende, bemächtigende Erkenntnis. Im Gegenteil: Das Wissen um die unverfügbare Geheimnishaftigkeit im innersten Kern eines jeden Seienden führt zu einem Respekt, der dieses Geheimnis achtet. Es ist somit zugleich Nichtwissen – im Verzicht auf enthüllend-wissende Bemächtigung – und Wissen, insofern es dem Wesen des Seienden besser entspricht als der respektlos-zugreifende Wissensanspruch: es ergibt sich ein wissendes Nichtwissen (Nikolaus von Kues), – als Reflex einer negativen Theologie, die doch fern ist von allem resignativen Verzicht auf Gotteserkenntnis.[37]

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7. Die Frage nach dem unterscheidend Christlichen im 20. Jahrhundert – Teil 2

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Die Frage nach dem unterscheidend Christlichen hat uns auf eine Rundwanderung geführt: vom kirchlichen zum neutestamentlichen Christusbekenntnis, weiter zum alttestamentlichem Gottesglauben und zurück ins Neue Testament und zum kirchlichen Christusbekenntnis. Daraus hat sich eine Beschreibung der Mitte des christlichen Glaubens ergeben: von Jesus Christus mit seiner Gottesreichbotschaft, die durch das Kreuz nicht suspendiert, sondern über Kreuz und Auferstehung eingelöst wurde, in einer Weise, dass wir Grund haben zur Hoffnung für das Heil aller Menschen. Weiters zeigte sich uns, dass die erfahrungsmäßige Grundlage für diese Mitte in „kairologischen“ Gnadenerfahrungen des Heiligen Geistes anzusetzen ist, – in Gnadenerfahrungen, die nicht exklusiv auf den Bereich der Kirche reserviert sind. Das unterscheidend Christliche ist Christus selbst, er ist die bestimmende Mitte für Christen und für die Kirche. Diese Mitte ist den Christen und der Kirche anvertraut, aber dennoch nicht zur eigenmächtigen Verfügung übergeben. Sie müssen diese Mitte immer neu aufsuchen, sich immer neu von ihr bestimmen lassen, und nur in dieser steten Selbstriskierung können und sollen sie die kairologische Erfahrung der Begegnung mit Christus an alle Welt weitergeben, sodass sie sich – in ursprünglicher und auch den bezeugenden Christen unverfügbarer Weise – allen in einer vertieften Weise erschließt.

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Was ergibt sich aus alldem für die heutige Rede vom unterscheidend Christlichen? Zunächst eine scharfe Warnung: Die Rede vom unterscheidend Christlichen legt das Missverständnis nahe, das Wesentliche des Christentums liege gerade in dem, was es von anderen Religionen und Weltanschauungen unterscheidet. Würde man dieser Spur folgen, so legte man die Identität des Christentums durch Abgrenzung nach außen fest.[38] Genau das aber ist es, was Jesus mit seiner Gottesreichbotschaft kritisiert und in eine Krise geführt hat. Wie wir sahen, bedeutet Gottesreich eine gemeinschaftliche Identität, die sich ganz der positiven Ausrichtung auf Gott verdankt. Kirche ist dieser Vision einer positiv-bezogenen Identität auf Gott hin verpflichtet. Das Zweite Vatikanische Konzil hat dem entsprochen, indem sie Kirche konsequent nicht durch Abgrenzung nach außen, von ihren Grenzen her definierte, sondern durch eine Sendung, die sie von Gott her für die gesamte Menschheit übernimmt.[39] Die Treue zu dieser Sendung wird in vielen Fällen zu einem Verhalten von Christen führen, welches sich tatsächlich von dem Verhalten anderer unterscheidet, und so wird sie tatsächlich auch Grenzen sichtbar machen. Die Rede von Kirche als Kontrastgesellschaft[40] erscheint in diesem Sinn als berechtigt. Aber durch minimale Verschiebungen, die unter Umständen kaum wahrnehmbar sind, kann das Berechtigte pervertieren. Es sind im Grunde dieselben Verschiebungen, die die Erneuerungsbewegung der Pharisäer derart pervertiert hat, dass Jesus trotz vieler gemeinsamer Anliegen zu deren schärfstem Kritiker wurde. Diese Gefährdungen betreffen auch die Kirche. Ihre begründende Mitte, die in Jesus Christus und seiner Präsenz vor allem im Sakrament der Eucharistie besteht, ist ein im Grunde verborgenes Zentrum, das nicht für programmatische Profilbildungen verwertbar ist. Es handelt sich um eine geschenkte Identität, die die Kirche – und das heißt: die Menschen in ihr – demütig immer neu empfangen müssen. Damit ist eine Unsicherheit und Angreifbarkeit verbunden – oft ein Erscheinen „in Schwäche und in Furcht, zitternd und bebend“ – die allzuleicht durch „sicherere“ Substitute ersetzt wird. Solche Substitution kann in zwei entgegengesetzte Richtungen erfolgen: einerseits durch eine anpassende Übernahme von anderen, greifbareren Identitäten: Christen wollen auch so sein wie die erfolgreichen anderen. Es handelt sich hier um die bereits von den Propheten an Israel gegeißelten Bemühungen, den glänzenden Götzen der Nachbarvölker zu folgen. Hier droht jener Verlust der Unterscheidung des Christlichen, der von konservativen Christen gebrandmarkt wird. – Aber die Substitution der von Christus unverfügbar gewährten Glaubensidentität lockt noch von einer anderen Seite: indem man gerade nicht so sein will wie die anderen und sich damit ein künstliches, durch Grenzziehungen bestimmtes Profil zulegt: Identität durch Abgrenzung und durch Ausgrenzung. Es ist die Tücke einer konservativen Programmatik für eine Unterscheidung des Christlichen, dass sie allzuleicht in dieses entgegengesetzte Extrem verfällt. Und ironischerweise ist gerade diese Identitätsbildung durch Abgrenzung die bevorzugte Form, wie die heutige „Welt“ Identität bildet. Jeder – ob Einzelperson oder Gruppe – will heute anders sein als die anderen, will sich eine profilierte Corporate Identity zulegen. Wenn Kirche sich in forcierter Weise von anderen (Konfessionen, Religionen, Weltanschauungen, „Welt“) absetzen will, ist sie nur auf den ersten Blick anders. Einem näheren Hinblick entgeht nicht, dass sie dann genau dasselbe versucht wie alle anderen. Demgemäß „boomen“ konservative und traditionalistische Bewegungen, und auch von den Medien werden kirchliche Hardliner lieber eingeladen. Polarisierende Tendenzen sind zwar unbequem, aber passen allemal besser in eine postmoderne Welt. Einfacher ist es für die heutige medial repräsentierte Welt, extremen Gruppierungen Nischen zuzuweisen, als mit einer Kirche umzugehen, die Außenbezüge auf subtile – anscheinend schwammige – Weise durch Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestimmt und damit versucht, sich adäquaten Unterscheidungen vor einem universalen Horizont – d.h. unter Wahrnehmung berechtigter Anliegen auch von den anderen – anzunähern. In einem solchen Erwartungshorizont kann schon mal der Mut zur Nichtunterscheidung gefragt werden, – der Mut zur Vorsicht, Zurückhaltung und eingestandenen Unsicherheit, – indem man nicht dort beansprucht, die Wahrheit Jesu Christi zu haben, wo sie sich einem noch nicht in kirchlichem Konsens erschlossen hat.

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Als besonders schlimme Perversion des Christlichen muss es auf der Grundlage der bisherigen Ausführungen erscheinen, wenn Christen ihre christlich-kirchliche Identität dadurch festmachen wollen, dass sie beanspruchen Christus zu haben, während die anderen ihn nicht haben. Damit würde Jesus Christus und der durch ihn erschlossene Gott zur habbaren und handhabbaren Größe reduziert, was konkret heißt: mit einem Götzen verwechselt und durch diesen ersetzt. Dort wo Christen meinen, Profil zeigen zu müssen, indem sie von Christus reden, auch wo diese Rede nicht verstanden oder missverstanden wird, droht diese Perversion. Es sind Erfahrungen von Gnade, die uns Christus nahebringen, und die Weltgerichtsrede (Mt 25,31-46) macht deutlich, dass solche Erfahrungen auch gemacht werden können, ohne dass man weiß, dass hier Christus im Spiel war. Als Christen müssen wir solche Erfahrungen unseren Gesprächspartnern aus anderen Religionen und Weltanschauungen zugestehen. Und das heißt auch, dass wir nicht nur gerufen sind, Christus zu bekennen und hinauszutragen, sondern auch zu hören und ihn durch andere zu empfangen. Aus dem Glauben an die universale Heilsbedeutung Jesu Christi folgt, dass es die Situation nicht gibt, in der wir nicht damit rechnen müssen, Spuren Christi durch den jeweiligen Anderen zu empfangen. Das Insistieren auf ein unterscheidend Christliches darf das niemals verdecken.

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Im Blick auf das unterscheidend Christliche ergibt sich also ein schwieriger Mittelweg: Als Christen sind wir berufen und verpflichtet, aus der Mitte Jesu Christi zu leben, – dennoch dürfen wir diese Mitte nicht einfach mit dem gleichsetzen, was wir als Jesus Christus zu benennen gewohnt sind. Wir müssen bezeugen und zugleich ständig bereit sein, uns durch die laufenden Erfahrungen verbessern und korrigieren zu lassen.

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Von daher ergeben sich Kriterien für eine Kritik an verschiedenen Formen, vom „unterscheidend Christlichen“ zu reden. Am Schluss will ich eine solche kritische Auseinandersetzung an einem prominenten Beispiel der Rede von unterscheidend Christlichem versuchen, und zwar vom damaligen Kardinal Joseph Ratzinger im Interviewband „Zur Lage des Glaubens“:

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„Auch hier müssen wir zu einem neuen Mut zum Nonkonformismus gegenüber den Tendenzen der Wohlstandsgesellschaft zurückfinden. Anstatt dem Zeitgeist zu folgen, müssten gerade wir ihm von neuem mit evangelischem Ernst entgegentreten. Wir haben den Sinn dafür verloren, dass die Christen nicht wie ‚jedermann‘ leben können. Die törichte Ansicht, der zufolge es keine spezifische christliche Moral mehr geben würde, ist nur ein Ausdruck dafür, dass ein Grundkonzept verlorengegangen ist. Das ‚unterscheidend Christliche‘ gegenüber den Modellen der ‚Welt‘.“[41]

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Ich glaube, unter dem Eindruck von kirchlichen Polarisierungen kann eine solche Aussage nicht leicht sachlich und emotionsfrei wahrgenommen werden.[42] Dennoch muss genau das – im Sinne einer Rückwendung von zentrifugalen Polarisationskräften hin zur christlichen Mitte – zunächst versucht werden. Sieht man einmal von jeder polarisierenden Inanspruchnahme solcher Sätze ab, so ließe sich meiner Meinung nach feststellen: Christen, die versuchen, konsequent aus der kairologischen Begegnung mit Jesus Christus zu leben, werden jedem dieser Sätze einen tiefen Sinn abgewinnen und insofern aus ganzem Herzen zustimmen können. In einer Gesellschaft, in der die Menschenwürde nicht mehr genügend wahrgenommen wird, weil der Blick für die Wahrnehmung des göttlichen Geheimnisses im Anderen getrübt ist, werden Christen aus ihrer Erfahrung der unverrechenbaren Würde Anderer sich in ihrem Verhalten und den von ihnen vertretenen Normen unvermeidlich von dieser Gesellschaft abheben. Die von ihnen vertretene Moral wird sich dann als spezifisch christliche von anderen Moralvorstellungen unterscheiden. Darüber hinaus werden sie aus ihrer Christuserfahrung heraus auch immer wieder in die Nachfolge des warnenden Christus gestellt werden. Und da sowohl Unterscheidung als auch Warnung zu Diffamierung und materiellen Nachteilen führen kann, braucht es gewiss auch einen Mut zum Nonkonformismus.

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Aber die gleichen Sätze können von Menschen auch losgelöst von diesem normierenden und unverfügbaren Christusbezug übernommen werden. Er wird dann zu einer hohlen Programmatik, die geeignet ist, den Mangel eines lebendig erfahrenen Bezugs zur christlichen Mitte durch forcierte Profilbildung zu kaschieren. Was Gottes Wille für bestimmte, tief in strukturelle Schuld verstrickte Gesellschaften bedeutet, muss oft erst mühsam gefunden werden, – auch für entschiedene Christen liegt es nicht einfach zutage. Hier besteht die Versuchung, diese schwer erträgliche Unsicherheit durch vereinfachende Programmatiken zu kaschieren, wonach das Richtige gerade das wäre, was dem Zeitgeist widerspricht.[43]

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Was bedeutet der Appell zu Nonkonformismus angesichts einer Gesellschaft, für die Konformismus ohnehin als unverzeihlicher Fehler erscheint und jeder sich von anderen „unterscheiden“ will? Er beinhaltet wohl auch die Bereitschaft, aus einem verantwortlichen Hören auf Gottes Wort auf schnell zuhandene Profilierungsversuche zu verzichten; – er inkludiert wohl auch die Bereitschaft, mit Paulus „allen alles zu werden“ (1 Kor 9,22), auch wenn das aus einer Public-Relations-Perspektive als unklug erscheint. Ob nun forcierter Widerstand oder Verzicht auf profilierende Differenzen, muss von Christen in den wechselnden gesellschaftlichen Situationen immer neu entschieden werden. Es muss je neu erspürt werden aus einem Leben aus der Mitte Jesu Christi heraus. Daraus ergibt sich immer neu und im Konkreten oft unterschiedlich die Unterscheidung des Christlichen. Und für schwierige Lagen werden wir damit rechnen müssen, dass die verantwortete Wahrnehmung von Gottes Willen für verschiedene Menschen innerhalb der Kirche unterschiedlich und vielleicht sogar gegensätzlich ausfallen kann. Hier müssen dann Spannungen bis an die Grenze des Dissenses von der Kirche ausgehalten werden; die Wahrheit muss mühsam und kontroversiell gefunden werden. Wenn in solchen Zerreißproben christliche Parteien für sich das unterscheidend Christliche beanspruchen, während sie ihren Gegnern dessen Verlust oder Verrat vorwerfen, dann wird der Sinn der Rede vom unterscheidend Christlichen grob verzerrt.[44]

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8. Zusammenfassung 

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Das unterscheidend Christliche ist Jesus Christus selbst. Mit diesem Ansatz versuchte ich eine inhaltlich orientierte Bestimmung des unterscheidend Christlichen, im Unterschied zu Tendenzen, dieses durch forcierte Abhebung gegenüber anderem, als nichtchristlich Deklariertem zu profilieren. Als zentral wurde näherhin die Erfahrung einer Begegnung mit Jesus Christus erschlossen: als besondere Gnadenzeit – Kairós –, in welcher die Freiheit zu einer vertieften Gottesbeziehung und von daher zu einem verbesserten Leben freigesetzt wird. Für Zeitgenossen, die Jesus von Nazaret begegneten, verband sich so die Möglichkeit einer Theozentrik – radikalisierte Ausrichtung des Lebens auf Gott hin und von ihm her – mit einer Christozentrik, insofern diese vertiefte Gottesbeziehung durch Jesus Christus erfahren wurde. Für Menschen nach Christus, denen keine unmittelbare Begegnung mit dem Menschgewordenen mehr möglich ist, eröffnen sich Kairoí einer Begegnung mit Jesus Christus als Gnadenerfahrung durch die Gabe des Heiligen Geistes. Solche Gnadenerfahrungen sind auch in unspektakulärer, alltäglicher Weise möglich und lassen sich durch die erfahrbare Freisetzung einer Freiheit zum Besseren – in Gottesbeziehung und in den zwischenmenschlichen und innerweltlichen Beziehungen – erkennen. Grundsätzlich sind sie allen Menschen eröffnet. Die Kunst des Christseins besteht darin, durch verfeinerte Wahrnehmung solcher Gnadenmomente aus ihrer Kraft zu leben, so weit, bis tendenziell jede Situation als Kairós einer Gnadenerfahrung wahrgenommen werden kann, indem Gott „in allen Dingen“ gefunden wird. Insofern für Christen Christusbegegnung durch den Heiligen Geist vermittelt ist, – nicht selten in anonym christlicher Form –, kann hier von einer Pneumatozentrik gesprochen werden, welche die oben genannte Theozentrik und Christozentrik eröffnet.

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Das unterscheidend Christliche besteht nun in der praktisch-gelebten und theologisch-reflektierten Realisierung dieser Christozentrik. Unterscheidend christlich ist, dass Christen von der durch den Heiligen Geist vermittelten Christus- und Gotteserfahrung her leben und von dort her zu einer vertieften Neubestimmung von allem, was ist, gelangen. Diese Mitte droht dort verloren zu gehen, wo das unterscheidend Christliche in Abhebung von sogenannt Nichtchristlichem zu profilieren versucht wird.

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Anmerkungen:

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[1] Dieser Aufsatz wurde gegenüber dem Vortrag auf den Innsbrucker Theologischen Sommertagen von Grund auf neu konzipiert. Eine aktualisierte Fassung dieses Beitrags findet sich im Internet unter der Adresse http://theol.uibk.ac.at/itl/703.html

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[2] Vgl. R. Guardini, Unterscheidung des Christlichen. Gesammelte Studien 1923 - 1963. In drei Bänden. Mainz 1963. Zur Bedeutung der Unterscheidung des Christlichen für Romano Guardini vgl. K. Lehmann, Romano Guardinis Erbe für die Kirche der Gegenwart, in: http://www.bistummainz.de/bm/dcms/sites/bistum/bistum/kardinal/texte/texte_1998/text _141098.html

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[3] Vgl. A. Stock, Kurzformeln des Glaubens. Zur Unterscheidung des Christlichen bei Karl Rahner (Theologische Meditationen 26), Zürich 1971.

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[4] Vgl. H.U. von Balthasar, Cordula oder der Ernstfall, Einsiedeln 1987. Unterscheidung des Christlichen stellt ein Grundanliegen in der Theologie Hans Urs von Balthasars dar. Vgl. in diesem Sinn H. Hoping, Der Kampf um die "Gestalt des Katholischen" bei Hans Urs von Balthasar, in: Internationale Katholische Zeitschrift (2001) 376-392. 

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[5] Zum Dilemma von Identität und Relevanz vgl. J. Moltmann, Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie. München 1972, 12-34. 

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[6] Mit Rückgriff auf die Systemtheorie Niklas Luhmanns hat Thomas Ruster die Notwendigkeit profilierender Abgrenzungen für die Theologie aus systematischen Gründen eingefordert und damit vor allem Karl Rahner eine programmatische Verwässerung des unterscheidend Christlichen vorgeworfen. Vgl. ders., Die Einheit der Unterscheidung und das unterscheidend Christliche. Überlegungen zu dem Mystiker, der der Christ der Zukunft sein soll, in: Karl Rahner. Kritische Annäherungen. Hg. D. Berger, Siegburg 2004, 43-59; ders., Der verwechselbare Gott Rahners oder: Die Einheit der Unterscheidung und das unterscheidend Christliche, in: 100 Jahre Karl Rahner. Nach Rahner. Post et secundum. Hg. H. Klaucke, Köln 2004, 63-71. Zur Kritik an diesem Ansatz vgl. Welcher Gott? Eine Disputation mit Thomas Ruster: Hg. F. Senn, Luzern 2004, sowie kurz: W. Guggenberger, Unterscheiden, nicht Trennen. Reaktion auf die Rahnertage 2004, in http://theol.uibk.ac.at/itl/463.html. 

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[7] Damit spreche ich den exemplarisch genannten Problembereichen keineswegs ab, ernstzunehmende Probleme zu sein. Die genannte Schwierigkeit besteht darin, dass ohne Besinnung auf die Mitte des Glaubens solche Probleme nicht lösbar sind. Sie dienen dann nur dazu, Polarisierungen zu verschärfen. 

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[8] Hans Küng, Christsein heute, in: Publik-Forum 18/2005, These 2. 

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[9] Denzinger-Hünermann, Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, Nr. 302f. 

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[10] Dazu und zum Folgenden vgl. aus dem 1. Vatikanum: Denzinger-Hünermann ebd., Nr. 3004-3020. 

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[11] Auch dieser Anspruch könnte als unterscheidend christlich aufgewiesen werden, nicht als Abgrenzung gegen andere, sondern im Sinne einer Klärung des christlichen Selbstverständnisses. 

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[12] Dazu und zum unmittelbar Folgenden vgl. D. Ritschl, Zur Logik der Theologie. Kurze Darstellung der Zusammenhänge theologischer Grundgedanken. München 1988, v.a. 138-151. 

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[13] Vgl. Mk 3,22; Mt 12,24; Lk 11,15

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[14] Mk 8,27-33; Mt 16,13-23; Lk 9,18

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[15] Vgl. J. Assmann, Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus. München-Wien 2003. 

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[16] „Du hüte dich aber, mit den Bewohnern des Landes, in das du kommst, einen Bund zu schließen; sie könnten dir sonst, wenn sie in deiner Mitte leben, zu einer Falle werden. Ihre Altäre sollt ihr vielmehr niederreißen, ihre Steinmale zerschlagen, ihre Kultpfähle umhauen. Du darfst dich nicht vor einem andern Gott niederwerfen. Denn Jahwe trägt den Namen «der Eifersüchtige»; ein eifersüchtiger Gott ist er. Hüte dich, einen Bund mit den Bewohnern des Landes zu schließen. Sonst werden sie dich einladen, wenn sie mit ihren Göttern Unzucht treiben und ihren Göttern Schlachtopfer darbringen, und du wirst von ihren Schlachtopfern essen. Du wirst von ihren Töchtern für deine Söhne Frauen nehmen; sie werden mit ihren Göttern Unzucht treiben und auch deine Söhne zur Unzucht mit ihren Göttern verführen. Du sollst dir keine Götter aus Metall gießen“ (Ex 34,12-17). 

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[17] Vgl. u.v.a. Jos 6,15; 1Sam 15. 

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[18] Ex 32,26-28. 

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[19] 1 Kön 18,21.24.37. 

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[20] Auch die 450 Baalspropheten gehörten laut 1 Kön 18 zu Israel. Sie waren dort von der Königsgattin Isebel eingesetzt worden. 

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[21] Das ändert sich später im Talmud, der die Exodusgeschichte mit einem Zusatz erzählt. „Als nämlich die Engel Gottes erleben, wie machtvoll Gott sein Volk aus der Gefangenschaft der Ägypter befreit, wollen sie triumphierend dessen Lob anstimmen. Er aber verbietet ihnen das unter Tränen, weil er sieht, dass er Israel nur so hat retten können, dass er die verfolgenden Ägypter, die doch auch seine Geschöpfe sind, hat untergehen lassen.“ G. Neuhaus, Der Absolutheitsanspruch des Christentums, in: Identität und Toleranz. Christliche Spiritualität im interreligiösen Kontext. Hg. H. Schmiedinger, Innsbruck, Wien 2003, 115-150, hier: 127, mit Verweisen. 

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[22] Vgl. Jer 51,20-23. 

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[23] Vgl. dazu G. Neuhaus, ebd. 121-128. 

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[24] Vgl. Jer 10,5; Bar 6,69

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[25] Vgl. z.B. die prophetischen Kritik an den Opferpraktiken: Hos 6,6; 10,1-15; Ps 40,7; 51,18f. 

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[26] Jer 31,31-34; Ez 36,24-28. 

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[27] Vgl. Lk 4,21

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[28] Vgl. Mt 7,3-5. 

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[29] Kairós bedeutet Zeit nicht im chronologischen Sinn (griech.: chrónos), sondern als besondere Gnadenzeit, die durch das Auftreten Jesu freigesetzt wird und das anfanghafte Anbrechen des Gottesreichs markiert. Vgl. das zentrale Summarium von Jesu Gottesreichbotschaft bei Markus: „Die Zeit (=kairós) ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15). Zum dringlichen Charakter dieses Kairós und der Gefahr, ihn zu versäumen, vgl.: Mk 13,33-37. 

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[30] Vgl. Mk 1,15. var WPComment2 = '

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evt. Verweis: Heilung von Gemeinschaft

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[31] Vgl. W. Sandler, Kirche als Sakrament des Heilsdramas Jesu Christi, in: Kirche als universales Zeichen. In memoriam Raymund Schwager SJ (BMT 19). Hg. R. Siebenrock, W. Sandler, Münster 2005, 101-139, hier: 115, 123.

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[32] Vgl. Phil 2,6-8.

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[33] In diesem Sinn überlegt H.U. von Balthasar: „Wer die vollkommene Verlassenheit für sich wählen und damit seine Absolutheit Gott gegenüber beweisen wollte, träfe vor sich auf die Gestalt eines, der absoluter verlassen ist als er selbst. Man kann sich deshalb überlegen, ob es Gott nicht freisteht, dem von ihm abgewendeten Sünder in der Ohnmachtsgestalt des gekreuzigten, von Gott verlassenen Bruders zu begegnen, und zwar so, daß es dem Abgewendeten klar wird: dieser (wie ich) von Gott Verlassene ist es um meinetwillen." H. U. von Balthasar, Theodramatik, Band IV.: Das Endspiel, Einsiedeln 1983, 284. 

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[34] Vgl. Joh 20,22; Gal 3,14

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[35] 1Joh 4,2; 5,6. 

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[36] „ Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten:" (1Kor 1,22f) 

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[37] Vgl. W. Sandler, Die offen zu haltende Mitte. Negative Theologie in dramatischer Polyperspektivität. Siehe darin v.a. den Schlussabschnitt. Der Aufsatz erscheint demnächst in einem Sammelband über „Negative Theologie heute“ in der Reihe Quaestiones Disputatae des Herderverlags. 

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[38] Vgl. W. Härle, Das unterscheidend Christliche aus protestantischer Sicht, in: Una Sancta 56 (2001) 127-134, hier: 127f. 

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[39] Zentral für das Kirchenverständnis des Zweiten Vatikanischen Konzils ist die Bestimmung von Kirche als „in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche „Lumen Gentium", 1). Vgl. dazu W. Sandler, Kirche als Sakrament des Heilsdramas Jesu Christi, s. Anm. 31. 

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[40] Vgl. G. Lohfink, Wie hat Jesus Gemeinde gewollt? Freiburg i.Br.-Basel-Wien 1984, 181-212. 

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[41] J. Ratzinger, Zur Lage des Glaubens. München 1985, 117. 

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[42] Das gilt in nicht geringerem Maße für die Fortsetzung dieser Stelle: „Der Christ muß sich heute mehr denn je darüber im klaren sein, einer Minorität anzugehören und in Kontrast zu sein mit dem, was dem ‚Geist der Welt‘, wie das Neue Testament ihn bezeichnet, als gut, selbstverständlich und logisch erscheint. Zu den dringlichsten Aufgaben des Christen gehört die Wiedererlangung der Fähigkeit zum Nonkonformismus, das heißt die Fähigkeit, sich so manchen kulturellen Entwicklungen der Umwelt zu widersetzen; anders gesagt: wir müssen heute die euphorische Sicht der frühen nachkonziliaren Ära revidieren.“ (ebd. 117f). Auch zu diesem Text gilt für mich das im Folgenden Ausgeführte. Dazu wäre das zu berücksichtigen, was ich oben zur Rede von Kontrastgesellschaften ausgeführt habe. 

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[43] Selbst wenn Dinge am „Zeitgeist“ – und das heißt immer auch konkret: an anderen Menschen – als falsch und verbesserungsbedürftig erkannt werden, heißt das für Christen noch nicht automatisch, dass sie jetzt das Falsche aufzeigen und eine Verbesserung einfordern sollen. Für christliche Erfahrung geht dem Sollen eine Befähigung voraus, die oft erst durch einen Kairós freigesetzt wird. Moralische Forderungen abgehoben von solchem Kairós verkümmern zum Moralismus, der faktisch Unmögliches einfordert. – Solche kairologische Ethik ist keine Reduzierung auf Situationsethik. Dass Gebote allgemein gelten und deren Erfüllung auch zumutbar ist, ist zugestanden. Die Kariologie bezieht sich vor allem auf verfahrene Situationen, in denen oft nur ein kleineres Übel gewählt werden kann und eine wirkliche Verbesserung nicht in Reichweite ist. Die zentrale Frage einer kairologischen Ethik ist, wie solche heillose Situationen verändert werden können, – und angesichts der zunehmenden Komplexität unserer Welt werden solche Fragen immer häufiger. Vgl. dazu auch W. Sandler, Stadt auf dem Berg? Kirche in der Spannung von Vorbild-Auftrag, Solidarisierung mit Sündern und eigener Schuld, in: Kirche: Zeichen des Heils - Stein des Anstoßes (theologische trends 13). Hg. W. Sandler – A. Vonach, Frankfurt am Main 2004, 97-133, im Internet: http://theol.uibk.ac.at/itl/496.html. 

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[44] Eine solche Zerreißprobe, die keine einfachen Lösungen bietet, ist für die Kirche Deutschlands die gesetzliche Regelung des Beratungsscheins für Schwangere, die eine Abtreibung überlegen. Ein Aufsatz, der die Weiterführung der Beratung durch die kirchennahe Organisation „Donum vitae“ schärfstens verurteilt, hat dazu das obige Zitat von Ratzinger verwendet. Damit wird das Zitat in einer Weise enggeführt und vereinnahmt, die es nicht verdient, obwohl es leider dazu verleitet. Vgl. M. Spieker, Ein deutsches Drama. Warum Katholiken nicht bei „Donum vitae“ mitarbeiten dürfen: Der Brief von Kardinal Levada hat eine lange Vorgeschichte. In: Die Tagespost, 24. 3. 2007, im Internet: http://www.die-tagespost.de/Archiv/titel_a nzeige.asp?ID=30711. Zur Problematik vom Beratungsschein vgl. meine Auseinandersetzung aus dramatisch-theologischer Perspektive:

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W. Sandler, Stadt auf dem Berg? (s. Anm. 43).

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