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Guggenberger Wilhelm: Predigt zum Semestereröffnungsgottesdienst der Theologischen Fakultät am 3. Oktober 2011
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Predigt zum Semestereröffnungsgottesdienst der Theologischen Fakultät am 3. Oktober 2011

Autor:Guggenberger Wilhelm
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2011-10-05

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Auch wenn draußen am blauen Himmel die Sonne strahlt, sind es stürmische Zeiten.

Stürmische Zeiten, schon wieder einmal, in die der Beginn dieses Studienjahres fällt.

Nicht genug damit, dass unsere Hochschulen relativ Ratlos scheinen, wie sie ihren Ausbildungs-, mehr noch ihren Bildungsauftrag erfüllen sollen.

Nicht genug damit, dass es bei Österreichs Politikern üblich zu sein scheint, ihre Ämter als Selbstbedienungsladen zu verstehen.

Nicht genug damit, dass die internationalen Finanzmärkte in ihrem manisch-depressiven Irresein Europa vor sich her treiben.

Nicht genug damit, dass in Ostafrika nach wie vor der Hunger wütet, schon wieder weitgehend vergessen von der Weltöffentlichkeit.

Nicht genug damit ... Ja was denn noch?

Nicht genug mit all dem und manch anderem, beutelt es auch unsere Kirche gewaltig durch. Das Schiff, das sich Gemeinde nennt, schlingert von einem Sturmtief ins nächste und kommt nicht zur Ruhe. Wäre es nicht schön in der Arche des Heils über stille Wasser zu treiben, in ruhiger Gelassenheit: Schoten dicht, Luken zu, innere Harmonie! - ein Bild bei dem man fast ins Träumen kommt. Aber das spielt es halt nicht.

Und so ergeht es unserer Kirche und uns mit ihr viel eher wie jenem Schiff, auf dem Jona nach Tarschisch unterwegs ist: unbarmherziger Sturm, Kampf ums Überleben.

Vielleicht ist das ja gar nicht so schlecht, weil wir andernfalls ignorant und abgehoben über eine Welt dahin dümpeln würden, unter deren Oberfläche zahlreiche Leichen liegen, deren Tod und Leid uns nicht rührten. Stürme wecken auf; zumindest die meisten. Aber andererseits sind wir so doch auch wieder nur mit uns selbst beschäftigt: damit die Segel zu reffen, hektisch zu rudern, Ballast abzuwerfen. Zu diesem Ballast gehören natürlich auch schon wieder die Sündenböcke, die, zumindest vorgeblich, schuld sind an unserer Misere.

In der herrschenden Rat- und Hilflosigkeit mag manchem schon der Gedanke kommen eine Bombe - zumindest eine mediale - unter dem Bug des Schiffes zu zünden. Das gibt wenigstens eine gewisse Richtung - oder auch nur ein Leck. Es mag manchem schon der Wunsch kommen, sich den Himmel einfach blau zu lügen: Wir schrumpfen gesund, aber unsere Kerngemeinden sind doch so lebendig und angesichts der wenigen Kirchgänger haben wir mehr Priester als früher;  pro Kopf. Nichts desto weniger stürmt es weiter.

Und mitten in diesem nervenzerrenden Hin und Her der Wellen stand während der letzten Wochen immer wieder das Wort Gehorsam und eine Diskussion um sein rechtes Verständnis. Gehorsam als archimedischer Punkt von Wohl oder Wehe des durchgerüttelten Kirchenschiffs.

Vom Gehorsam sprechen auch die Schrifttexte, die uns die Leseordnung an diesem 3. Oktober vorgibt (Jona 1,1 – 2,1.11; Lk 10,25–37). Das Wort fällt zwar  nicht, aber die Sache ist ganz massiv da, sowohl im Buch Jona, als auch im Evangelium vom Samariter.

Da ist der Gehorsam, den Jona dem Auftrag Gottes verweigert. Auf der anderen Seite steht Jonas Gehorsam gegenüber dem selbst gezimmerten Gottesbild, das mehr von gerechter Strafe weiß, als von Gnade. Da ist der zögernde Gehorsam der Matrosen der Weisung Jonas gegenüber, ihn über Bord zu werfen. Da ist das Gehorsamsversprechen der Matrosen und jenes des Jona im Bauch des Fisches. Sogar einen Gehorsam des Fisches müssen wir unterstellen.

Bei lukas hören wir von Gehorsam gegenüber dem Gesetz, wohl auch vom falsch verstandenen Gehorsam gegenüber einer kultischen Verpflichtung, vom Gehorsam gegenüber einer inneren Regung und jenem Gehorsam, den der Anspruch eines Hilfsbedürftigen fordert; letztlich auch vom Gehorsam gegenüber einer Einsicht, zu der man gelangt ist.

Viele Gehorsamsbilder! Ein einheitliches Bild ergibt das alles freilich nicht. Im stürmischen Hin und Her der derzeitigen Kirchensituation, in der manche Planke schon bedenklich nahe am Bersten ist, findet da wohl jede und jeder ein Gehorsamsbild das genau die eigene Position untermauert. Und so bleiben viele Fragen offen: Wie viel Gehorsam braucht es dem Gesetz gegenüber, oder den geltenden Kultvorschriften? Immerhin ist auch mein Predigen hier Ungehorsam gegen eine solche Vorschrift. Ist solcher Ungehorsam erlaubt? Wenn ja, wie viel davon; oder ist er gar nötig? Schließlich ist Gott mehr zu gehorchen als den Menschen. Blinder Gehorsam war mit schuld an den großen Katastrophen des letzten Jahrhunderts, der lässt sich doch wohl wirklich nicht mehr retten. Also dem Gewissen gehorchen! Allerdings müssen wir uns eingestehen, dass das auch nicht ungefährlich ist. Überzeugungstäter in den unterschiedlichsten Kontexten sind nicht selten jene Menschen, vor denen uns am meisten graut.

Vielleicht lassen wir das ganze Gehorsamsthema also am besten bleiben und stellen die Rede davon überhaupt unter Generalverdacht. Ich war nahe daran, muss ich zugeben. Dann habe ich mich an ein Buch von Marianne Gronemeyer erinnert. Ich schätze diese deutsche Pädagogin als Autorin, auch wenn sie keine theologische Referenz ist. Ich hatte auch nie den Eindruck, dass diese Frau besonders gläubig ist. Aber dann, 2008 in ihrem Büchlein “Genug ist Genug” bildete den Einstieg und letztlich das tragende Fundament der gesamten Argumentation eine Meditation über Abraham: Abraham als Prototyp eines Gehorsamen. Was Gronemeyer da schreibt, schien mir dann doch spannend. Vielleicht kann es auch Sie zum Weiterfragen und Weiterdenken anregen, denn dazu sind wir alle ja hier an einer theologischen Fakultät; um weiter zu fragen und weiter zu denken.

Gehorsam, so Gronemeyer, hat mit Hören zu tun, mit Hinhören, das versteht sich ja wohl von selbst, aber auch - und das überrascht zunächst doch - auch mit Aufhören. Der Gehorsam lebt davon, innezuhalten, ganz Ohr zu werden, ein Mensch in empfangender und empfänglicher Haltung. Ich muss zunächst aufhören, um auf etwas, auf jemanden hinhören zu können.

Beim Propheten Jona scheitert wohl Manches am Nicht-aufhören-können. Er kann nicht aufhören  recht zu haben, sich durchzusetzen, die eigenen Erfahrungen zum Maß aller Dinge zu erheben; kann nicht aufhören, immer eine Antwort parat zu haben, einmal bezogene Standpunkte immer neu zu befestigen.... Wissen wir nicht auch wie der Prophet Jona  gar zu oft schon im Voraus, was bei einer Sache herauskommen wird? Ja hab ich das nicht schon gesagt, als ich noch daheim war! wird der Prophet nach der Bekehrung Ninives zornig ausrufen. Deswegen wollte ich doch nicht hierher, weil die Sache ja nur schief gehen konnte! So spricht ausgerechnet der Prophet, der erfolgreich ist wie kein zweiter in der gesamten Bibel. Er kann nicht aufhören, auf den ausgetrampelten Pfaden seines engen Gottesverständnisses dahin zu rennen. Und Gott, so scheint es, versucht während seiner ganzen Reise nichts anderes, als ihn zum Hinhören zu bewegen. Wir erfahren bis zum Ende nicht, ob es funktioniert.

Einen blinden Gehorsam jedenfalls verlangt dieser Gott von seinem Propheten nicht. Wer blinden Gehorsam fordert, so wieder Gronemeyer, duldet keinen Widerspruch, wagt nichts, liefert sich nicht an den Befehlsempfänger aus, vielmehr degradiert er diesen zur  anonymen Nummer. “Der machtvolle Befehl” - so schreibt sie - “stellt den Befehlsempfänger in Reih und Glied, er raubt ihm sein Antlitz, löscht ihn als Person aus, macht ihn zu einer Rechnungseinheit, er uniformiert ihn, vergleichgültigt ihn, macht ihn namenlos, unkenntlich, schicksalslos.” Es mag sogar sein, dass solche Befehle funktionieren. Was ihnen fehlt, ist eine Beziehung des Vertrauens. Das Gegenbild zum blinden, ist der vertrauensvolle Befehl, der beim Namen nennt und eine einmalige, unvertretbare Beziehung stiftet. Wäre es vermessen zu sagen, dass Gott im Buch Jona kontinuierlich und mit einer Eselsgeduld daran arbeitet, ein Vertrauensverhältnis zu seinem Propheten aufzubauen?

Eine Atmosphäre des Vertrauens also braucht Gehorsam, damit einer überhaupt den Mut finden kann aufzuhören, um dann hinzuhören. Das passt wie ich finde ganz gut auf die Geschichte vom Propheten Jona. Aber auf die Geschichte vom barmherzigen Samariter? Man kann natürlich fragen, womit der Priester und der Levit im Gleichnis nicht aufzuhören vermögen. Auch sie sind auf ausgetrampelten Pfaden unterwegs. Und dann können wir fragen, was sie vom Mann aus Samaria unterscheidet. Auch hier spielt zweifellos das Vertrauen eine Rolle. Wir erheben ja ganz gern den moralischen Zeigefinder gegen die beiden Kleriker, die da nach Jerusalem eilen und wissen doch zugleich, wie schwer es ist, in einer Situation, die gefährlich für uns sein könnte, einen Schritt abseits des gewohnten Weges zu wagen. Der Samartitaner verfügt über so viel Vertrauensseligkeit, über so viel Gottvertrauen, einen solchen Schritt zu riskieren. Nun ließe sich darüber spekulieren, welche Lebens-, welche Beziehungserfahrungen es wohl sind, die ihn so handeln lassen. Mir scheint aber, dass in diesem Gleichnis etwas anderes im Zentrum steht. Hier geht es weniger um das, was zum Innehalten und Auf-hören befähigt, als vielmehr um das, was ein Innehalten und Auf-hören herausfordert.

Lassen Sie mich noch einmal Gronemeyer zitieren: “Aufhören ist nicht ein heroischer Akt der einsamen Selbstüberwindung .... Ohne eine Hinwendung zum Anderen, zum Du, bleibt das Aufhören nur eine Variante des Weiter-so. Ich bleibe mir treu. Das Aufhören in einem ernsten ... Sinn kann sich nur ereignen, wenn ich mein Augen- und Ohrenmerk von mir löse und auf dich richten lasse.”

Der Anspruch des Anderen in seiner Not, dieser Anspruch, dem er sich nicht entziehen kann, lässt einen Menschen hier aufhorchen und fordert seinen Gehorsam.

Und so frage ich mich, ob es nicht so ist, dass uns die Erzählung  von Jona heute mehr über den Befehlenden, den der Gehorsam fordert und fordern darf, zu erzählen versucht, und die Geschichte vom Samariter mehr über den Gehorchenden.

Wer keinen offenen Blick und kein offenes Ohr für die Anderen hat, wer sich nicht herausfordern lässt von der ihm begegnenden Not, ist wohl gar nicht fähig zu gehorchen; auch nicht Gott oder dem Ruf des Gewissens.

Wer andererseits nicht bereit ist, sich darum zu bemühen, Vertrauen zu schaffen, Vertrauensverhältnisse aufzubauen, darf im Grunde gar keinen Gehorsam erwarten oder gar fordern. Der Gehorsam, soll er dem Leben dienen, ist keine einseitige Sache. Der Ungehorsam dient aber auch noch nicht dem Leben, bloß weil er sich verweigert.

Sowohl ein Gehorsam, den man guten Gewissens einfordern darf, als auch ein Gehorsam, auf den man sich guten Gewissens berufen darf - vielleicht sogar um ungehorsam zu sein - scheint also eine ziemlich voraussetzungsreiche, anspruchsvolle Angelegenheit zu sein. Ich denke wir sollten die Rede von ihm nicht zur Ausrede verkommen lassen, um sich das Bemühen um Vertrauen zu ersparen und die Bereitschaft aufzuhören, um wirklich hinhören zu können.

Mir scheint, Gehorchen lässt sich in diesem sturmgebeutelten Schiff Kirche nur miteinander. Horchen wir also auf!

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