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Fischer Georg: „Ihr sollt heilig sein, denn heilig bin ich, Jhwh, euer Gott!“ Predigt im Gottesdienst zur Eröffnung des Sommersemesters am 7. März 2022
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„Ihr sollt heilig sein, denn heilig bin ich, Jhwh, euer Gott!“ Predigt im Gottesdienst zur Eröffnung des Sommersemesters am 7. März 2022

Autor:Fischer Georg
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2022-03-07

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Liebe Angehörige der Fakultät, liebe Studierende!

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Warum beschäftigen wir uns mit „Theologie“? Es gibt andere Studienrichtungen, die in der Gesellschaft angesehener sind und weit höher entlohnt werden.

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Warum beschäftigen wir uns dennoch mit „Theologie“, einem Fach, das über Gott als zentralen Inhalt nachdenkt und vielen Zeitgenossen nicht nur (welt-) fremd, sondern sinnlos, wenn nicht gar abwegig erscheint?

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Gerade der momentane Konflikt im Osten Europas mag einen Teil einer Antwort geben. Der verbrecherische Überfall auf Unschuldige, das unsagbare Leid, das ein Gewaltherrscher mit einem korrupten Regime und militärischer Übermacht über ein anderes Land bringt – all dies ist nur möglich, weil dieser sich selbst wie ein Gott aufspielt und nicht einmal die elementarsten Regeln von Menschlichkeit einhält.

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Betrachten wir, was da geschieht, auf dem Hintergrund der biblischen Lesungen vom Tag, einerseits der „Gemeinderegel“ aus Levitikus, dem zentralen Buch der Tora (Lev 19 – eines der berühmten / gefürchteten [?] „Sternchenkapitel“ meiner Fundamentalexegese Vorlesung, von denen einige Sätze auswendig zu kennen sind, was öfter auf Widerstand gestoßen ist), anderseits dem „Jüngsten Gericht“, das im Evangelium des Matthäus der allerletzte Text vor Jesu Passion ist (Mt 25,31–46). Ich beginne mit der Gemeinderegel:

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„… und nicht sollt ihr täuschen und nicht sollt ihr betrügen …“ (Lev 19,11) – und dieser Diktator in Moskau belügt und hintergeht wochenlang die gesamte Weltöffentlichkeit.

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„Nicht sollst du bedrücken deinen Nächsten und ihn nicht berauben!“ (Lev 19,13) – doch der lang vorbereitete, dreiste und gemeine kriegerische Einmarsch führt zu unglaublicher Bedrängnis und vielfacher Zerstörung.

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„Nicht sollst du fluchen einem Tauben und vor einen Blinden nicht ein Hindernis legen!“ (Lev 19,14) – aber die massive Gewalt der Beschießung, der Mörser und Raketen erzeugt sogar Behinderte, und nicht einmal an den vereinbarten humanitären Korridor zur Evakuierung der Zivilbevölkerung halten sich die Angreifenden.

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Die Liste der Vergehen gegen diese Grundregeln des Zusammenlebens ließe sich fortsetzen; klar wird, dass dieser Überfall auf die Ukraine alles pervertiert, was Gott für das Leben einer Gemeinschaft vorstellt. Wenn wir hier Theologie studieren, erhalten wir – in diesem Fall mit dem Text aus der Tora – einen Maßstab und Orientierung für unser Verhalten und für die Beurteilung von Vorgängen. Wir können erkennen, was zerstörend und was förderlich ist, und wir erhalten im Blick auf Gott eine Motivation, in die gute Richtung zu gehen.

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Nun zur letzten Rede Jesu vor seinem Leiden bei Matthäus: Sie wird den meisten von uns wohlbekannt sein, mit den klassischen Werken der Barmherzigkeit. Ich weiß, dass manche Priester den zweiten, düsteren Teil weglassen. Doch angesichts der aktuellen Lage gewinnt gerade dieser neue Bedeutung.

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„… mich hungerte, … mich dürstete, … ich war fremd, … nackt, … krank“ (Mt 25,42–43) – all diese Erfahrungen von Nöten sind nicht einfach so entstanden, sondern werden gezielt von den Angreifenden herbeigeführt: In Mariupol gehen die Lebensmittel aus, und die Versorgung mit Trinkwasser ist abgeschnitten. Hunderttausende werden in die Flucht und damit in die Fremde getrieben, entbehren entsprechende Kleidung und leiden gesundheitlich Schaden. Die verheißene „ewige Strafe“ (v46a) wird für die dafür Verantwortlichen nicht ausbleiben.

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Umgekehrt, und das ist nun die erfreuliche Seite, findet der erste Teil der Gerichtsrede Jesu in der außergewöhnlichen Solidarität vieler Länder, Gruppen und Menschen mit den Bedrängten eine beispielhafte Verwirklichung. Plötzlich, nachdem sich Europa über Jahre gegen Fremde gesperrt hat, können Flüchtlinge Aufnahme finden. Hilfe mit Nahrungsmitteln und Kleidung wird im großen Stil organisiert – man glaubt den Augen nicht zu trauen, was mit einem Mal möglich wird angesichts des immensen Leids und Unrechts vor unserer haustüre. Jene, die solche geschwisterliche Verbundenheit zeigen, nennt Jesus „Gerechte“ und sagt ihnen ewiges Leben zu (v46b). – Theologie, in diesem Fall die biblischen Texte, vermittelt so großen Trost und gibt Kraft zu rechtem Handeln.

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Ich komme auf das Sternchenkapitel, Levitikus 19, zurück. Uns allen vertraut ist daraus die Aufforderung zur Nächstenliebe, die Jesus in Mk 12,31 dem ihn nach dem ersten Gebot fragenden Schriftgelehrten als zweites nennt, nach dem der Gottesliebe (aus Dtn 6,4–5). Dieses Kapitel ist aber einer der Höhepunkte biblischer Ethik und hat noch viel mehr zu sagen.

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Gott beginnt seine Mitteilung an die Gemeinde mit: „Ihr sollt heilig sein, denn heilig bin ich, Jhwh, euer Gott!“ (Lev 19,2). Er verbindet so eine Offenbarung seines Wesens mit einer Einladung an uns: Wie er ist, sollen auch wir sein (vgl. Jesu parallele Formulierungen mit „vollkommen“ in Mt 5,48 und „barmherzig“ in Lk 6,36). Wie diese Heiligkeit zu leben ist, zeigt das Folgende:

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„Jeder soll seine Mutter und seinen Vater fürchten (= Ehrfurcht haben)“ (Lev 19,3) – mit der Voranstellung der Mutter, noch dazu vor dem Sabbatgebot, beides in Umkehrung des Dekalogs, wird gegen die häufige Benachteiligung von Frauen Stellung bezogen.

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Bei der Ernte ist für Arme und Fremde etwas übrigzulassen (v9–10).

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Rechtsprechung hat absolut korrekt zu erfolgen (v15–16, gegen verbreitete Korruption).

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Negative Einstellungen und Haltungen wie Hass und (Unrecht, Verletzungen) nachtragen sind zu unterlassen (v17–18) und durch Liebe, d.h. wohlwollende Annahme, zu überwinden.

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Besonders eindrücklich und wichtig ist die Verpflichtung, den Nächsten auf (ihm offenbar unbewusste oder in den Folgen zu wenig klar erscheinende) Vergehen aufmerksam zu machen (v17b-c); wer es nicht tut, wird selbst schuldig. Auch wenn wir oft vor solcher Kritik zurückscheuen – es gehört zu unserer Verantwortung für die uns Nahestehenden.

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Schließlich, und damit soll es genug sein, möchte ich noch auf v34 verweisen, der – über v18 hinaus – die Liebe auch zu den Fremden fordert. Das westlich orientierte Europa ist in den letzten Tagen diesen Weg gegangen.

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Nach diesen Ausführungen zu biblischen Schlüsseltexten aus aktuellem Anlass können wir zur Eingangsfrage zurückkehren: Warum beschäftigen wir uns mit „Theologie“?

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Die tiefste Antwort, jenseits der zuvor mit „Maßstab, Orientierung, Trost, Kraft“ gegebenen, liegt darin: Gott ist das Thema, für jeden Menschen, auch wenn viele sich dessen nicht bewusst sind. Doch er ist unser Anfang, und wir alle, ohne Ausnahme, gehen unausweichlich auf ihn zu. Uns Theologinnen und Theologen ist geschenkt, dass wir uns mit ihm, Ursprung, Mitte und Ziel der gesamten Schöpfung und allen Lebens, beschäftigen dürfen. Es gibt nichts Höheres.

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Unser Studium der Theologie, unser Reden und Erkennen, darf sich aber nicht auf Worte beschränken, sondern soll ihm nachfolgen, wie er ist und wie er in Levitikus 19 uns – alle! – einlädt: „Ihr sollt heilig sein, denn heilig bin ich, Jhwh, euer Gott!“

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Dass wir uns dazuhin auf den Weg machen, sehe ich als unsere allererste Verpflichtung als Theolog*innen an, und ich wünsche, dass es der Fakultät immer mehr gelingt.

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