Fließgewässer sind ausgesprochen offene Ökosysteme, die organisches Material wie beispielsweise Blätter oder aus Böden gelöste Huminstoffe aus dem terrestrischen Umland aufnehmen, remineralisieren und dann in Form von CO2 an die Atmosphäre abgeben. „Die Bedeutung der Bäche und Flüsse im Hinblick auf den globalen Kohlenstoffkreislauf wurde lange Zeit vernachlässigt, sie sind auch erst seit dem letzten IPCC-Klimabericht mit einer Zahl auf globalem Maßstab vertreten“, sagt Gabriel Singer. Er untersucht die Einflussfaktoren, die die die Bildung von CO2 oder auch Methan aus organischem Material in Fließgewässern steuern und so diese Ökosysteme in die globale Klimasteuerung einbinden. Dazu bedient er sich auch der Methoden der Biodiversitätsforschung: Einerseits, weil das transportierte und umgesetzte organische Material hohe chemische Diversität aufweist, deren Beschreibung in den Kinderschuhen steckt. Andererseits, weil Biodiversitätsmuster der wesentlichen für den Kohlenstoff-Umsatz verantwortlichen Organismen wie Bakterien und Invertebraten in ihrer Ausprägung wenig bekannt und in ihrer Auswirkung fast komplett unerforscht sind. „In einem vom ERC geförderten Projekt versuche ich die klassische Stofffluss-Forschung um den Zusammenhang mit den in den Gewässern vorhandenen Lebensgemeinschaften zu bereichern“, erklärt Singer.
Auswirkungen des Klimawandels
Im Rahmen dieser Forschungsarbeit gewinnt auch der Klimawandel eine immer bedeutendere Rolle. Im von der Europäischen Union geförderten Horizon 2020 Projekt DRYvER, an dem insgesamt 25 Experten aus 11 Ländern (Europa, Südafrika, China und USA) beteiligt sind, beschäftigen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit den Veränderungen hydrologischer Regime in Fließgewässernetzwerken. „Diese Veränderungen können Flutwellen sein aber auch Trockenphasen – beides Ereignisse, von denen wir ausgehen, dass sie im Zuge des Klimawandels zunehmen“, beschreibt der Ökologe. Ein Problem sind hier vor allem verlängerte Trockenphasen. Die zeitweise Austrocknung einzelner Bachläufe wirkt sich nicht nur auf das unmittelbar betroffene Ökosystem aus, sondern beeinflusst durch unterbundenen Artenaustausch und Ressourcentransport auch entfernter gelegene Teile des Fließgewässernetzwerks. „Das verändert nicht nur die Quantität an Ressourcen für aquatische Nahrungsnetze sondern auch auch deren Qualität: Laub, das über längere Zeit in einem trocken gefallenen Bachbett liegt, verändert seine Nährstoffzusammensetzung“, erläutert Gabriel Singer die weitreichenden Zusammenhänge, die im Rahmen von DRYvER untersucht werden. Ziele des auf vier Jahre angelegten Forschungsprojekts sind neben einer Bestandsaufnahme in sechs europäischen Flüssen auch klare Handlungsempfehlungen. „In Gewässern mit Stauhaltung können schon veränderte Abflussregime ein hilfreiches Werkzeug sein. Auch die unmittelbar am Gewässerrand stehende Vegetation prägt den Wasserhaushalt eines Gewässers mit. So kann schon eine ausreichende Beschattung der Flussläufe durch die Wiederherstellung der ursprünglichen Landschaft helfen, dass bestimmte Bereiche nicht trockenfallen“, so Gabriel Singer.
Leidenschaft für Forschung wecken
Die Forschungsarbeit des Ökologen besteht zum einen aus Modellierungen am Computer und Laborarbeit, zum großen Teil aber aus Feldforschungseinsätzen an verschiedensten Fließgewässern wie beispielsweise am Mara River in Ostafrika oder an der Vjosa in Albanien. „Mir ist es vor allem im Hinblick auf die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses wichtig, dass wir das Ökosystem Fluss nicht nur intellektuell sondern auch emotional erfassen. Diese Erfahrung und daraus resultierend der Wunsch, zum Schutz dieser Ökosysteme beizutragen, kann meiner Meinung nach wesentlich zur großen Motivation beitragen, die für gute Forschungsarbeit unerlässlich ist“, beschreibt Singer. Diesen Anspruch hat der Wissenschaftler auch für die Ausbildung seiner zukünftigen Studierenden an der Universität Innsbruck: „Nachdem ich nun sieben Jahre an einem Forschungsinstitut – dem Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin – gearbeitet habe, freue ich mich, hier in Innsbruck auch in der Lehre tätig zu sein. Meiner Vorstellung nach werden, auch schon in Lehrveranstaltungen, die jungen Menschen viel früher in Forschungsprozesse einbezogen. Das Wesen der Forschung besteht ja nicht aus Wissen, sondern aus der Begeisterung für das Unbekannte und die Fähigkeit Fragen zu stellen.“
Zur Person
Gabriel Singer, geboren 1976 in Niederösterreich, studierte biologie an der Universität Wien, wo er 2009 mit einem Doktorat in Ökologie abschloss. Nach einer Zeit als PostDoc an der Universität Wien und am WasserCluster Lunz wechselte er 2013 als Arbeitsgruppenleiter an das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin. Seine Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Umweltpreis der Stadt Wien (2009), einem Junior-Fellowship des Hanse-Wissenschaftskollegs und dem ERC-Starting Grant (2016). Seit 1. Dezember 2019 ist Gabriel Singer Universitätsprofessor für Aquatische Biogeochemie am Institut für Ökologie der Universität Innsbruck.