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Theologisches Forschungszentrum RGKW (Religion - Gewalt - Kommunikation - Weltordnung) : Nicht allein die katholische Christenheit erwartet „einen Sprung vorwärts“. Plädoyer für eine mutige pastorale Lehrentwicklung
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Nicht allein die katholische Christenheit erwartet „einen Sprung vorwärts“. Plädoyer für eine mutige pastorale Lehrentwicklung
(Stellungnahme zur XIV. ordentlichen Bischofssynode „Die Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt von heute“ vom 4. – 25. Oktober 2015)

Autor:Theologisches Forschungszentrum RGKW (Religion - Gewalt - Kommunikation - Weltordnung) 
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2015-05-09

Inhalt

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Verfasst vom Theologischen Forschungszentrum an der Katholisch-Theologischen Fakultät Innsbruck: „RGKW“ (Religion – Gewalt – Kommunikation – Weltordnung)[1]

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Papst Franziskus hat die ganze Kirche aufgefordert, durch Gebet und Eingaben den Prozess der Bischofssynoden aktiv mitzutragen Das theologische Forschungszentrum an der Katholisch-Theologischen Fakultät (RGKW) hat sich seit Herbst 2014 die Aufgabe gestellt, den tiefgreifenden Reformprozess, der mit dem Amtsantritt von Franziskus als Bischof von Rom begonnen hat, theologisch zu begleiten und tatkräftig zu unterstützen. In diesem Zusammenhang steht diese gemeinsame Erklärung.

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Die entscheidenden Optionen werden eingangs kurz zusammengefasst. Im zweiten Teil folgt eine nähere Begründung und Auslegung. Das Wort, mit dem Papst Johannes XXIII. in seiner Eröffnungsansprache die Aufgabe des Zweiten Vatikanischen Konzils bildhaft zusammenfasste, sollte auch die Bischofssynode im Herbst prägen: „einen Sprung vorwärts, der einem vertieften Glaubensverständnis und der Gewissensbildung zugutekommt“ („un balzo innanzi verso una penetrazione dottrinale e una formazione delle conoscienze“).

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Leitoptionen

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1. Offen sprechen: Wir unterstützen eine mutige Entwicklung der Lehre und Pastoral durch eine Theologie in den Zeichen der Zeit.

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Diese stärkt durch ihre Deutung von Sexualität, Ehe und Familie im Zeichen des Bundes die christliche Ehe als Glaubenszeichen und wertet Sexualität in ihrer alle menschliche Kommunikation prägenden Kraft grundsätzlich positiv. Ein differenziertes lehramtliches Bekenntnis zum Wert und zur Würde der gelebten Sexualität ist unbedingt notwendig! Ohne ein solches Bekenntnis wird der schwerwiegende Ballast der Tradition, der wie eine „Leiche im Keller“ wirkt, nicht aufgearbeitet, ja nicht einmal bemerkt.

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2 . Das Kriterium für die „Gradualität“ der faktisch gelebten Lebensgemeinschaften, ...

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... innerhalb und außerhalb des Sakraments und der gesellschaftlichen Institution Ehe liegt im Gelingen jener Kommunikation, die in sich ein Zeugnis für das Reich Gottes darstellt („geschenktes Wir“): in Wertschätzung, Solidarität und Versöhnung. Das „Prinzip der Gradualität“ für die Gesamtkirche ist im Sinne von Lumen gentium 8 auf Lebensgemeinschaften innerhalb und außerhalb der Kirche anzuwenden.

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3. Mut zu einer ungewohnten „Erfahrung der Gnade Christi“ in der Wiederzulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten

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Das Annullierungsverfahren ist keine generelle Lösung für gescheiterte Ehen, weil es oft einen Weg der Versöhnung eher verhindert. Mit Recht wird es vom Glaubenssinn der Glaubenden als Kniff zurückgewiesen. Die Vorstellung eines Bundes, der nie geschlossen worden sei, war und ist prekär. In einer verantworteten Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten, wie sie faktisch von vielen SeelsorgerInnen praktiziert wird, eröffnet sich jedoch die Möglichkeit einer neuen Erfahrung des Wirkens des Geistes Christi für die Gesamtkirche.

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4. Pastorale Fragen haben lehrmäßige Bedeutung

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Mit dem Thema dieser Bischofssynoden steht nicht zuletzt die Frage nach der angemessenen Auslegung des Zweiten Vatikanischen Konzils wieder auf der Tagesordnung. Denn: Pastorale Fragen haben der konziliaren Pastoralkonstitution zufolge konstitutive, nicht applikative Bedeutung für die Lehrentwicklung der Kirche.

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Im Einzelnen

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Die verstärkte Sorge der Kirche um Ehe und Familie kann angesichts der vielfältigen Krisen dieser Lebensformen in ihrer konstitutiven Bedeutung für die menschliche Gesellschaft nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die erhöhte Aufmerksamkeit für wirtschaftliche Zwänge, politische und kulturelle Selbstverständlichkeiten ist gewiss die Voraussetzung für jene missionarische Umkehr (Lineamenta 32), die auch jenes Handeln Christi zu erkennen vermag, das „außerhalb unserer gewohnten Schemata” zu finden ist. Damit die vierzehnte ordentliche Bischofssynode den synodalen Prozess mit heilsamen und überzeugenden Orientierungen zu vollenden vermag, haben wir uns verpflichtet gefühlt, diese Stellungnahme zu veröffentlichen. Solche Äußerungen können nie umfassend oder hinreichend differenziert ausfallen, auch unsere nicht. Wir konzentrieren uns daher kritisch auf Unstimmigkeiten und Mängel und positiv auf wenige Grundoptionen.

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Wir unterstützen eine mutige Entwicklung der Lehre und Pastoral auf der Basis einer Theologie in den Zeichen der Zeit (GS 4. 11; v.a. 49.51). Diese theologische Deutung von Sexualität, Ehe und Familie im Bild des Bundes stärkt die christliche Ehe als Glaubenszeichen und wertet Sexualität grundsätzlich positiv (Gaudium et spes 47-52: Förderung der Würde der Ehe und Familie; Lineamenta 17). Sexualität prägt ja alle menschlichen Kommunikationen in einer großen Vielzahl von kulturell entwickelten Ausdrucksmitteln, die gegenwärtig eine enorme Transformation erfahren und so mit traditionellen Formen und Überzeugungen nicht immer übereinstimmen. Da Sexualität und Gewalt, bzw. Sehnsucht nach Nähe und Verletzbarkeit eng miteinander verknüpft sind, schlagen wir vor, die von Kardinal Schönborn aufgeworfene Frage nach der Gradualität im Ehe-Sakrament an der Qualität der Kommunikation zu prüfen, die verschiedene Lebensformen ermöglichen und auszeichnen; auch in vorläufigen oder gebrochenen Formen. Denn auch diese können so als mögliches „Senfkorn“ für die Erkenntnis, Annahme und Verwirklichung des Christusgeheimnisses anerkannt werden und so gedeihen.

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1. „Die Leiche im Keller“. Offen gesprochen: Sexualität steht noch immer unter dem Verdikt der Sünde

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Als „Expertin der Menschlichkeit” (Lineamenta 2) ist die Kirche gerufen, im kulturellen Umbruch der letzten Jahrzehnte, der die gelebte Sexualität von dem ihr anhaftenden Geruch der „Sündhaftigkeit“ und „Unkeuschheit“ befreite, auch ein „Zeichen der Zeit” zu sehen. Ein differenziertes lehramtliches Bekenntnis zu Bedeutung und Würde der gelebten Sexualität ist unbedingt notwendig! Damit wird nicht der „status quo“ abgesegnet, sondern im Licht des Evangeliums Glaube und Humanisierung der Lebensformen miteinander zu verbinden gesucht (siehe grundsätzlich: GS 4 und 11; ebenso: GS 49, 51). Auch innerhalb der christlichen Kirchen, auch der katholischen, sind diese Veränderungen nicht mehr zu übersehen. So fordert z.B. der „Katechismus der Katholischen Kirche“ trotz der Betonung der objektiven Irregularität solcher Lebensformen, Homosexuelle nicht in irgendeiner Weise zurückzusetzen (KKK 2358). Ebenso sollen wiederverheirateten Geschiedenen „Priester und die ganze Gemeinde aufmerksame Zuwendung schenken, damit sie sich nicht als von der Kirche getrennt betrachten“ (KKK 1651; Lineamenta 51 spricht von „nicht diskriminieren“). Wir sehen darin eine gute Lehr- und Praxisentwicklung, die deshalb weitergeführt werden sollte, weil der derzeitige Zustand zu einer solchen Diskrepanz zwischen Leben und Lehre geführt hat, dass die Glaubwürdigkeit unserer Kirche großen Schaden genommen hat. Dies wäre zu überwinden, wenn dieser Zustand als Zwischenstadium aufgefasst und auf eine überzeugende Regelung hin weiterentwickelt würde.

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Wir sind davon überzeugt, dass der angestrebte weite und realistische Blick auf die Situation von Familie und Ehe heute nur dann im Sinn einer missionarischen Erneuerung gelingt, wenn das immer präsente Thema „Sexualität“ aufgearbeitet und nicht verdrängt wird (nur in Nr. 10 der Lineamenta wird es ausdrücklich angesprochen). Totschweigen bewältigt nicht den schwerwiegenden Ballast einer dominierenden Tradition, der die gelebte Sexualität prinzipiell unter das Verdikt der Sünde stellte, sondern zementiert eine theologisch unausgewogene Lehre und auf sie bezogene antikatholische Vorurteile. Das Ergebnis ist: Unsere Kirche hat in diesem Feld fast jede Orientierungskompetenz verloren. Das gewohnte Schema einer ausschließlich durch das Sakrament der Ehe legitimierten Intimität führt letztendlich zu den pastoralen Sackgassen im Kontext der Zulassung von Geschiedenen-Wiederverheirateten zur Eucharistie. Wie könnten sonst jene Betroffenen, die „wie Bruder und Schwester” leben, von den Sanktionen ausgenommen werden?

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Auch die Einschätzung von Homosexualität und eine von der Realität oft völlig abgehobene Pastoral der Vorbereitung auf die Ehe sind davon betroffen. Klärung tut hier not!

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Erst nachdem wir uns um diese „Leiche im Keller“ gekümmert haben, kann auch wieder von Keuschheit glaubhaft gesprochen und der Sinn eines freiwilligen Verzichts auf das Ausleben intimer Sexualität (Zölibat) einsichtig gemacht werden. Eine solche Umkehr bedeutet keineswegs die Preisgabe kirchlicher Sexualmoral unter dem Zwang des Faktischen. Es fordert aber dazu heraus, das Sakrament nicht primär im Kontext der regulativen Moral zu sehen, sondern die Gnade und Gabe des Sakraments, die in der Erfahrung eines „geschenkten Wir“ zum Ausdruck kommt, je neu in die menschlichen Lebensgeschichten als Zusage der Gegenwart des barmherzigen Gottes und seiner Gabe eines „Lebens in Fülle“ (Joh 10. 10) zu buchstabieren.

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Wenn die Familie selbst das Subjekt der Familienpastoral sein soll (Lineamenta 30), dann ist der „sensus fidei” aller Familienmitglieder (Erwachsener, Jugendlicher und auch Kinder) für die Ausformulierung realitätsnaher Normen ebenso vom bischöflichen Amt zu berücksichtigen wie die implizite Dogmatik der Seelsorgerinnen und Seelsorger, die in enger Begleitung der Menschen im Blick auf die Leitnorm des heutigen Bischofs von Rom handeln. Denn „Barmherzigkeit“ ist, wie Kardinal Kasper herausgestellt hat, nach Thomas von Aquin (STh II-II, q. 30, a 4, zitiert in: Papst Franziskus, Evangelii gaudium 37) die vorzügliche Weise, wie sich Gottes Allmacht, in dem Liebe und gerechtigkeit eins sind (siehe Ps 85,11), in der konkreten Geschichte offenbart. So hat auch Jesus Christus die Beweggründe seines Herzens beschrieben (Mt 11, 28-30). Wenn aber Gottes Allmacht sich in Jesus Christus als Güte und Barmherzigkeit offenbart, dann muss alles Lehren und Handeln der Kirche Jesu Christi als Zeugnis dieser göttlichen Barmherzigkeit erkennbar werden.

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2. Die Gabe des Sakraments: ein „geschenktes Wir“ als Zeichen der Gegenwart des Reiches Gottes und als Kriterium der Gradualität

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Wir treten dafür ein, die Gabe des Sakraments der Ehe als Zeichen des Reiches Gottes zu lesen und dieses Sakrament als basale Ekklesiologie auszulegen (siehe zur „Hauskirche“: Lineamenta 23; LG 11). Damit würde die Synode die Analogie zwischen der Kirche selbst und ihren Grundvollzügen in den Sakramenten stärken.

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So wichtig der Hinweis der Lineamenta auf die „semina verbi” für die theologische Wertschätzung von Lebensformen in den nichtchristlichen Kulturen ist (22 mit Verweis auf Ad gentes 11; 13 und der bundestheologischen Wertschätzung einer „Naturehe“), so sehr vermissen wir die Denkfigur der „sakramentalen Gradualität“, die auf dem Boden von Lumen Gentium 8 in der Synodenaula ausführlich diskutiert und von den meisten Synodalen als theologischer Durchbruch angesehen wurde. Diese Denkfigur schein z.B. als Wachstumsstufen in den verschiedensten Lebensformen mit dem entsprechenden pastoralen Takt angedeutet zu werden in: Lineamenta 24-28; und besonders 41ff. Gerade das konsequente Fortschreiten auf dem durch diese Denkfigur vorgezeichneten Weg könnte ermöglichen, dass all die notwendigen Schritte in der Seelsorge jener Menschen, die in „irregulären“ Beziehungen leben, weder als Beleidigung der Betroffenen, noch als Anbiederungsstrategie bewertet werden, sondern als Verlassen eines „gewohnten Schemas”. Dazu möchten wir folgende Orientierung geben:

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Die Idee der Gradualität ist mit der Sendung der Kirche verbunden, die in all ihren Vollzügen (institutionell und geistlich) die Gegenwart Christi und seines Reiches zeichenhaft repräsentieren soll. Die einzige Kirche Christi ist nicht schlechthin identisch mit der katholischen Kirche, sondern subsistiert in ihr (LG 8). Diese Unterscheidung befähigt die Kirche dazu, nach außen vielfältige Elemente der Heiligung und Wahrheit außerhalb ihres Gefüges anzuerkennen, sowie sich nach innen stets zu erneuern. Die wahre Kirche Christi geht ja immerfort den Weg der Buße und Erneuerung in der Spur ihres Herrn, der bevorzugt den Armen und Schwachen in der Gestalt des demütigen und armen Messias begegnete (LG 8).

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Daher: Die Kommunikationsgestalt des Reiches Gottes, die eine wahrhaft humane Entwicklung fördert und trägt, ist der Maßstab der Gradualität, innerhalb und außerhalb einer offiziell anerkannten Ehe- oder Lebensgemeinschaft. So kann uns auch an ungewohnten Orten das Geheimnis Christi offenbar werden. Im Kompendium der Soziallehre der Kirche wird gesagt: „Die im Sakrament geschenkte eheliche Liebe, die aus der Liebe Christi selbst erwächst, macht die christlichen Eheleute zu Zeugen einer neuen, vom Evangelium und vom Ostergeheimnis inspirierten Sozialität“ (220). Diese neue Sozialität, die hier als „Kommunikationsgestalt des Reiches Gottes“ begrifflich bestimmt wird, kann in besonderer Weise im traditionellen Eheversprechen entdeckt werden. Und wir können erkennen und anerkennen, dass Menschen auch in anderen Lebensformen faktisch diese neue Sozialität leben: Den anderen ehren, achten und ihm die Treue halten in guten und in bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit, bis in den Tod.

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Ein differenziertes Selbstverständnis der Kirche bedingt eine Gradualität in all ihren Bereichen. Deswegen steht auch ihre Verwirklichungsgestalt im Ehesakrament immer schon in einer dynamischen Spannung zu ihren defizienten Realisierungen, innerhalb und außerhalb der kirchlich geschlossenen Ehen. Die Orientierung an der Kommunikationsgestalt des Reiches Gottes ermöglicht einen Blick auf alle nichtehelichen Gemeinschaften, der zuerst das Gute und Wahre wahrnimmt, das in ihnen besteht, und befreit von theologischen Idealisierungen, die sich von der konkret gelebten Realität immer mehr loslösen und schmerzhafte Verengungen des kirchlich-seelsorgerlichen Blicks bereits im Ansatz bedingen.

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Das hier favorisierte Verständnis der Gradualität, das ein Zurückbleiben hinter einer sakramental vergegenwärtigten Heiligkeit von Kirche bedenkt, betrifft immer alle Glieder der Kirche in Praxis und Lehre, aber auch die kirchliche Struktur selbst. Wir alle sind „zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig“ (LG 8) und bleiben gerade so gerufen auf den Weg der Heiligkeit (LG, Kap V). Eine als unterschiedliche Realisierungsweise des Evangeliums verstandene Gradualität führt keineswegs zum Relativismus. Sie macht Normen nicht überflüssig und verbietet auch nicht eine Regulierung im Empfang der Sakramente. Die Synode muss aber nicht nur fragen, wie weit Christen die Normen erfüllen und – trotz wiederholten Versagens – erfüllen wollen, sondern auch, wie weit sie es unter den jeweiligen realen Lebensbedingungen auch tatsächlich können.

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3. Mut zu einer ungewohnten „Erfahrung der Gnade Christi“ in der Wiederzulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zu den Sakramenten.

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Kirchen bleiben gebunden an Gottes Wort in der Schrift. Diese Seele der Theologie und Quelle des Lebens der Kirche (DV 24) wird immer im Licht der Überlieferung und des konkreten Lebens des ganzen pilgernden Gottesvolkes ausgelegt. Die Erneuerung der Schöpfungsidee lässt Jesus in konkreten Situationen entschieden für die unbedingte Verbindlichkeit des Eheversprechens eintreten (Mt 19,4-6; Lineamenta 14). Jesu Entschiedenheit und die Analogie zwischen Christus und seiner Kirche (Eph 5,21-33) haben alle Kirchen im Laufe der Geschichte in Anspruch genommen, auch wenn sehr unterschiedliche Lösungen angesichts von Scheitern, Versagen und Nicht-Gelingen gefunden worden sind.

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Vor allem die Praxis der orthodoxen Kirchen, die vom römischen Lehramt nie verworfen worden ist (siehe: z.B. Trienter Konzil DH 1807, Anm.), möge aufmerksam studiert und erwogen werden.

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Das Trennungsverbot Jesu wurde selbst von der katholischen Kirche nicht legalistisch umgesetzt (CIC 1983, 1141-1155). Nicht nur Trennung ist möglich, ja bisweilen geboten, sondern in der Gestalt einer „Josephs-Ehe“ ist auch eine Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zur Eucharistie möglich; – nach unserer Auffassung eine höchst prekäre „Lösung“.

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Eine besondere Überlegung muss daher jenem Weg gelten, der innerhalb der römisch-katholischen Kirche derzeit als Ausweg hoch im Kurs steht: die Annullierung von Ehen (Lineamenta 48-49). Wir geben in diesem Zusammenhang Folgendes zu bedenken, ohne diesen in Einzelfällen hilfreichen Weg in Frage zu stellen: Die Erfahrung zeigt, dass viele Menschen diese stark juristisch geprägte Lösung nicht innerlich mittragen können, auch wenn sie aus pragmatischen Gründen diesen Weg einschlagen. Das faktische Verfahren wirkt vielfach kontraproduktiv, versöhnend jedenfalls nicht. Weil zudem ein Zusammenleben über Jahre hin nicht nichts bedeuten kann, erachten wir das verbreitete Unverständnis für diese Regelung als Zeugnis des Glaubenssinnes. Im Sinne einer angemessenen Theologie des Sakraments kann die Erinnerung an eine bestandene Beziehung ja nie gelöscht werden, vielmehr muss die Verantwortung füreinander in und nach der Trennung betont werden. Die Praxis der Annullierung verhindert dies und untergräbt so faktisch das Bekenntnis zur Unauflöslichkeit der Ehe.

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Dogmatisch ist auch an jene Sackgasse zu erinnern, welche die Lehre des gnostisch inspirierten Barnabasbriefs im Blick auf den Bund Gottes mit Israel darstellte. Nach diesem Brief sei dieser Bund gar nicht zustande gekommen (z.B. Kap 14). Dies hat die Gesamtkirche immer abgelehnt, aber in der Substitutionstheorie eine nicht weniger prekäre Interpretation entwickelt, die erst im Zweiten Vatikanischen Konzil revidiert worden ist. Daran ist heute zu erinnern, da die Ehe mit guten Gründen in der Kategorie des Bundes interpretiert wird. Das kirchliche Denken kennt also den Gedanken eines in gewisser Weise gescheiterten Bundes, neben den ein neuer tritt, ohne dass der alte dadurch nichtig würde. Das Konzil griff in diesem Zusammenhang auf die Logik des Römerbriefes zurück (Röm 9-11), die ja das Versagen als integralen Bestandteil eines dramatischen Prozesses der Wahrheitsfindung begreift, deswegen auch dieses nicht einseitig den Betroffenen zur Last legt. Auch in diesem Zusammenhang müsste das, was für die Frage der Gründung der Kirche gilt, auch für die Sakramente gelten, auch wenn eine zweite Lebensgemeinschaft bei bestehendem Eheversprechen nicht als Sakrament gelten kann. Doch ist diese zweite Lebensgemeinschaft, besonders wenn sie der unten skizzierte Zeugnischarakter auszeichnet, sicherlich nicht ohne Segen und Gnade Gottes. Die Treue Christi gilt ja nicht nur den Frommen und Gerechten, sondern gerade den Sündern und Sünderinnen, die wir immer alle in der Kirche sind. Allein durch diese Treue Christi darf sich die Kirche und jede und jeder einzelne in ihr, in welchen Biographien sie auch immer sich verwickelt haben, als geheiligt und zur Heiligkeit gerufen bekennen.

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Was das Sakrament der Ehe und das Eheversprechen auch dann bedeuten könnten, wenn die Beziehung durch die verschiedensten Umstände nicht aufrecht erhalten werden kann, möchten wir abschließend deshalb noch kurz andeuten, weil diese Frage in der überkommenen Theologie und Pastoral der Ehe kaum gestellt worden ist. In Lineamenta 52 wird aber die Notwendigkeit betont, die Frage des Umgangs mit wiederverheirateten Geschiedenen zu vertiefen. Das Reich Gottes, das unter uns begonnen hat, wird umfassend erst in der eschatologischen Vollendung verwirklicht. Das damit verbundene Gericht bedeutet keine Abrechnung, sondern die mit dem Aufgang der Herrlichkeit Gottes verbundene Ermöglichung vollendeten Menschseins mit allen unseren Brüchen, Verwundungen und Verfehlungen. Die Brautleute versprechen einander bei der Eheschließung nicht nur die Treue „bis der Tod uns scheidet“, sondern auch den anderen zu lieben, zu achten und zu ehren „alle Tage meines Lebens“. Wer diese Aussage im Glauben ernst nimmt, darf die Dimension des ewigen Lebens nicht ausblenden. Denn jede Freiheitsentscheidung zielt auf Endgültigkeit, die von der Hoffnung getragen wird, durch Gottes Gnade einmal im Gericht der Versöhnung vollendet zu werden.

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Wenn alle sozialen Beziehungen und dann in besonderer Weise auch die Ehe in diesem Licht interpretiert werden, dann wird die erhoffte „Communio sanctorum“ sich schon heute zeigen als Versöhnung, Wertschätzung und Solidarität für prinzipiell alle, besonders aber für jene Personen, die mir anvertraut worden sind. Alle werden der Verheißung des neuen Lebens Gottes nur in einer radikalen Umkehr teilhaftig, im Gericht der Versöhnung. Das Medikament gegen den Tod und die Nahrung auf der Pilgerschaft in die Ewigkeit Gottes aber ist die Eucharistie, aus der alles christliche Leben schöpft und alle Versöhnung sich nährt. Wie will die Kirche Menschen auf ihrem Weg der Versöhnung auf prekären und gebrochenen Lebenswegen begleiten, wenn sie deren Bitte um das Brot des Lebens prinzipiell zurückweist?

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In seiner Predigt in der Feier mit den neuen Kardinälen am 15. Februar 2015 hielt Papst Franziskus fest, dass die Geschichte der Kirche von einer Logik der Eingliederung und einer Logik der Ausgrenzung geprägt gewesen sei. Jesus aber habe eindeutig die Logik der Eingliederung gelebt. „Indem Jesus den Aussätzigen heilt, fügt er keinem Gesunden Schaden zu, vielmehr befreit er ihn von der Angst; er setzt ihn nicht einer Gefahr aus, sondern schenkt ihm einen Bruder; er verachtet nicht das Gesetz, sondern achtet den Menschen, für den Gott das Gesetz gegeben hat.“ In diesem Sinne wird durch eine verantwortete Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zur Eucharistie das verpflichtende Wort Jesu nicht außer Kraft gesetzt. Denn die Gnade des Sakraments Ehe zeigt sich auch in den zerbrochenen und getrennten Beziehungen, z.B. in der Ermutigung und Befähigung zur Versöhnung, zum Respekt und zur gemeinsamen Verantwortung für Kinder und das ehemalige soziale Netzwerk. Wer die Konflikte in und nach zerbrochenen Beziehungen kennt, die immer in der Verwicklung von Intimität und Verletzbarkeit gründen, kann ahnen, welch missionarisches Zeugnis vom Evangelium der Versöhnung uns solche Menschen noch im Scheitern schenken können. Deswegen ist die Zulassung von jenen wiederverheirateten Geschiedenen, die ein solches Zeugnis der Versöhnung uns offenbaren und auch in einer neuen Beziehung gemeinsam Verantwortung füreinander übernehmen, kein Widerspruch zu Christi Wort, sondern Zeugnis der Wirksamkeit seiner Gnade in einer von Sünde gezeichneten Welt. Ein solches Zeugnis aber verlangt zu Recht nach der Teilhabe am Sakrament der Versöhnung und des neuen Lebens.

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Deshalb ist der prinzipielle Ausschluss von wiederverheirateten Geschiedenen vom Sakrament wohl eher soziologisch als Identitätsstiftung durch Ausgrenzung zu verstehen, die kaum dem Geist Jesu entspricht. Ist die in der Kirche immer noch mit einer Selbstverständlichkeit sondergleichen gelebte Mentalität der Einschätzung von Menschen als „hartnäckigen öffentlichen Sündern“, die ja, weil sie „in einem dauernden öffentlichen Ehebruch“ (KKK 2384) leben, ein „öffentliches Ärgernis“ hervorrufen, eine Hilfe oder ein Hindernis für die Verkündigung des Evangeliums? Müsste dies nicht gerade um der Seelsorge willen überdacht werden?

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Dem gegenüber fasst der Papst am Ende der genannten Predigt die Logik prinzipieller Eingliederung mit folgenden Worten zusammen, die in großen Lettern über der kommenden Synode stehen mögen: „Wir entdecken den Herrn nicht, wenn wir den Ausgegrenzten nicht ehrlich aufnehmen! Erinnern wir uns immer an den heiligen Franziskus, der sich nicht scheute, den Aussätzigen zu umarmen und die aufzunehmen, die unter jeglicher Art von Ausgrenzung leiden. Tatsächlich, liebe Brüder, am Evangelium der Ausgegrenzten zeigt, erweist und entscheidet sich unsere Glaubwürdigkeit!“

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4. Pastorale Fragen haben lehrmäßige Bedeutung.

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In seiner Predigt vom 15. Februar 2015 hat Papst Franziskus von einem grundlegenden pastoralen Prinzip mit dogmatischer Bedeutung gesprochen. In der Bischofssynode im Herbst geht es daher nicht ‚nur’ um die Familienpastoral, sondern grundsätzlich auch um den lehrmäßigen Stellenwert von pastoralen Erwägungen überhaupt.

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Die pastorale Wende des Zweiten Vatikanischen Konzils steht auf dem Spiel. Im Rahmen eines „Lehramtes von pastoraler Natur“ (Johannes XXIII.) fand sie dort ihren deutlichsten Ausdruck in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes, die vor fünfzig Jahren nach harten Auseinandersetzungen beschlossen wurde. In ihr wurde höchstlehramtlich klargestellt, dass pastorale Fragen für die Lehre der Kirche von konstitutiver und eben nicht nur von applikativer Bedeutung sind. Die pastorale Konstitution (Gaudium et spes) ist daher von gleichem Rang wie die Konstitution über die Heilige Liturgie (Sacrosanctum concilium), die Kirche (Lumen gentium) und die Offenbarung (Dei Verbum).

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Wesentliche Teile der nachkonziliaren Debatte drehten sich im Kern um die damit verbundene Frage nach dem dogmatischen Stellenwert eines ‚Pastoralkonzils’. Lehramtlich ist diese Frage zwar entschieden, weltkirchlich durchgesetzt sind die damit verbundenen Konsequenzen aber noch lange nicht. Im gegenwärtigen Pontifikat spitzen sie sich sogar noch einmal zu. Die diesbezüglichen Problemkonstellationen auf dem Zweiten Vatikanum wie auch auf der vergangenen Außerordentlichen Bischofssynode entsprechen sich auf eine frappierende Weise: Auf der einen Seite stehen Kräfte, für die Pastoral nicht mehr ist als ein Ort der Anwendung von lehramtlichen Prinzipien, auf der anderen Seite Kräfte, für die Pastoral ein Ort der Entdeckung des Evangeliums in der eigenen Gegenwart ist. Oder wie Papst Franziskus sagt:„Das Zweite Vatikanum war eine neue Lektüre des Evangeliums im Licht der zeitgenössischen Kultur.“ Die Lineamenta der bevorstehenden Bischofssynode sprechen vor diesem Hintergrund von einem „notwendigen Realismus“, der evangeliumsferne Entscheidungen vermeiden helfe, die einer „Pastoral eigen sind, welche lediglich die Lehre anwendet“. Im Rahmen einer konzilsgemäßen Pastoral der Barmherzigkeit, die in der Spur Jesu ein ‚Herz’ für Menschen in der ‚Misere’ hat („miseri-cordia“), gilt es, diesen Realismus mit theologischen Argumenten zu stützen.

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Anmerkung:

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[1] Dieser gemeinsame Text wurde von Józef Niewiadomski entworfen und nach einer ersten Diskussion von Roman A. Siebenrock überarbeitet. Danach haben vor allem Christian Bauer, Willhelm Guggenberger, Nikolaus Wandinger und Willibald Sandler wertvolle Korrekturen und Ergänzungen eingebracht. Der endgültige Text wird von folgenden Mitgliedern des Forschungszentrums mitgetragen: Christian Bauer, Anni Findl-Ludescher, Wilhelm Guggenberger, Maria Juen, Harald Klingler, Martina Kraml, Gertraud Ladner, Stephan Leher, Mathias Moosbrugger, Michaela Neulinger, Józef Niewiadomski, Claudia Paganini, Wolfgang Palaver, Johannes Panhofer, Teresa Peter, Richard Pirker, Dietmar Regensburger, Willibald Sandler, Matthias Scharer, Roman A. Siebenrock; Petra Steinmair-Pösel, Nikolaus Wandinger.

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