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"Für die Lyrik die Anerkennung zu erreichen, die ihr zusteht, das wäre mein Wunsch."
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"Für die Lyrik die Anerkennung zu erreichen, die ihr zusteht, das wäre mein Wunsch."

Ein Interview mit Julietta-Ruth Fix, Gründerin und langjährige Betreiberin der Website "Fixpoetry". Von Rebecca Heinrich und Siljarosa Schletterer

 

Rebecca Heinrich und Siljarosa Schletterer: Liebe Julietta-Ruth Fix, zuerst einmal herzlichen Dank, dass Sie uns Ihre Zeit schenken für dieses Interview. Wir freuen uns sehr darüber, dieses Gespräch mit Ihnen führen zu können.

„Es besteht kein Zweifel: Die hohe Zeit des Bloggens, oder besser: der ausführlichen schriftlichen Äußerung im Internet, ist vorbei“, prophezeite Lothar Struck bereits 2018. Die Veranstalter*innen und Initiator*innen des Buchblog-Awards gelangen für den Literaturbetrieb zu einer anderen Sichtweise: „Buchblogger*innen, Bookstagrammer*innen, BookTuber*innen und Co. sind aus dem Literaturbetrieb nicht mehr wegzudenken […]“.[1] Die Veranstalter*innen des Awards, der 2017 zum ersten Mal vergeben wurde, weisen damit auf das breite Spektrum der Formen von Literaturvermittlung in den Sozialen Medien hin. Wie verorten Sie die Lyrikkritik und Lyrikvermittlung in den Sozialen Medien? Welche Chancen und Gefahren nehmen sie wahr?

Julietta-Ruth Fix: Buchblogger*innen, Bookstagrammer*innen, Booktuber*innen und Co. Alles nice. Nice to have. Alles ist willkommen, was das Interesse an Büchern weckt. Aber mit der ehrwürdigen Literaturkritik im Sinne von Auseinandersetzung mit einem Buch haben diese Initiativen wenig zu tun. Sie klingen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, wie Werbebotschaften; Bucherscheinungen aus etablierten Verlagen werden gefeatured. Der ökonomische Aspekt steht im Vordergrund, ein kurzfristiger Hype wird initiiert und ist morgen schon vergessen. In den sozialen Medien tummeln sich viele kleine Gruppen Literaturinteressierter, die je nach Genre und Clique über Bücher diskutieren. Ich denke, es ist eine gute Form sich kurz und intensiv über ein Buch auszutauschen; aber auch hier steht Kurzfristigkeit an erster Stelle. Darin sehe ich weder Chance noch Gefahr.

Wie wird es mit der Literaturkritik weitergehen? Die Feuilletons der großen Tages- und Wochenzeitungen werden weiterhin Literatur besprechen, Lyrik manchmal und wenn, dann meist die Titel preisgekrönter Autor*innen. An der ein oder anderen Stelle im Netz werden wir Kritiken lesen können. Literaturkritik.de veröffentlicht fast täglich. Liest das wer? Oder ist das literaturwissenschaftliche Archivarbeit. Ich weiß es nicht.

Ist das Erscheinen von Literaturkritik noch zu steigern? Ich vermute nicht. An der Monstranz der Kritik trägt die deutschsprachige Literaturkritik schwer.

Es wird immer wieder behauptet, junge Leute erreicht man auf konventionellen Wegen nicht mehr. Das glaube ich jetzt erstmal nicht. Auf Fixpoetry war der Anteil der 18-  bis 30-Jährigen sehr hoch, es gibt also durchaus einen jungen, an Büchern interessierten Markt.[2]

Ich würde auf die Tageszeitungen und personalisierte Sendungen im Fernsehen wie z.B. Druckfrisch von Denis Scheck setzen. Er schafft es in einer spannungsgeladenen halben Stunde Bücher auch kritisch vorzustellen. Und das in einer einfachen Sprache mit passenden Bildern und Showeffekten. Dagegen spricht meiner Meinung nichts.

Ich glaube nicht mehr an „kleine“ Seiten im Netz, die mühevoll mit Ausbeutung der Macher*innen und Autor*innen, Bücher besprechen. Auch in der Kombination mit anderen Inhalten, Text des Tages, Kolumnen, Genderpositionen etc., wie Fixpoetry die letzten Jahre erschienen ist, sehe ich keine Zukunft. Der Zuspruch ist endlich, die Förderung trotz aller Bemühungen um Qualität und interessanten Inhalt gleich null.

Was ich mir noch vorstellen könnte, wäre der Aufbau eines wirklich digitalen Literaturhauses in Kooperation mit einem etablierten Feuilleton. In so einer Kooperation könnte man sowohl den etablierten älteren Leser*innen und Besucher*innen der Literaturhäuser als auch den jungen Leser*innen einen Streifzug durch das literarische Leben im deutschsprachigen Raum präsentieren. Man könnte etabliert und frisch am Markt zueinander bringen, sich gegenseitig unterstützen, jungen Kritiker*innen und Autor*innen eine Chance geben, sich in Solidarität mit Randgenres üben und eine Fröhlichkeit entstehen lassen, die der Literaturkritik so oft fehlt. Überhaupt wäre ein Funken mehr Lockerheit keine Abwertung, sondern eher ein guter Schritt in Richtung Vermittlung von Literatur.

Heinrich/Schletterer: Was war dabei Ihr Antrieb, die Plattform „Fixpoetry“ zu gründen?

Fix: Banal. Sehr banal. Ich hatte begonnen Lyrik zu schreiben und gleichzeitig erste intensive Erfahrungen mit Webseiten (ganz andere Baustellen) gemacht.  So kam eins zum anderen. Ich habe mich mit einem Gestalter zusammengetan und einfach angefangen. Zu Beginn waren es ausschließlich illustrierte Gedichte. Fixpoetry, so wie wir in den letzten Jahren erschienen sind, gibt es seit 2009.

Heinrich/Schletterer: Was hat dazu geführt, dass Sie Fixpoetry nicht mehr weiterführen konnten? Welche Einsichten über die Lyrikkritik, die Lyrik- und generell die Literaturvermittlung können wir daraus gewinnen?

Fix: Die finanzielle Situation. Seit 2019 habe ich immer wieder auf die schlechte finanzielle Ausstattung der Seite hingewiesen und trotzdem ungebremst weitergemacht. Viele Autor*innen schrieben jahrelang ehrenamtlich. Das hat dazu geführt, dass sich mein ursprüngliches Konzept mehr und mehr verwässerte. Keiner meiner Anträge sowohl an den Bund als auch an die Kulturbehörde Hamburg wurde bewilligt. Vorschläge wie, die Verlage finanziell miteinzubeziehen, habe ich aus Gründen der Unabhängigkeit abgelehnt. Es war zermürbend, am Ende so zermürbend, dass mir der Griff zur Tastatur schon zu viel war. Ich war erschöpft und bin es noch. Ich habe keine Chance mehr für die Seite gesehen und sehe sie auch heute nicht. Das ist traurig. Einerseits. Andererseits verspüre ich Erleichterung. Ich bin froh über diese Entscheidung.

Heinrich/Schletterer: Was ist Ihrer Meinung nach das größte Desiderat der Lyrikkritik – oder allgemeiner: der Lyrikvermittlung –, was würde benötigt werden, um diesem Desiderat entgegenzuwirken?

Fix: Endstation Sehnsucht. Für die Lyrik die Anerkennung zu erreichen, die ihr zusteht, das wäre mein Wunsch. Dafür müssten meines Erachtens die Förderstrukturen für Konzepte, die sich allumfassend mit Literatur beschäftigen, geändert werden. Weg vom Einzelprojekt, hin zu Konzeptionen, die sich mit verschiedenen Spielarten der Literatur beschäftigen, Verbindungen aufgreifen und die Literatur zugänglich und interessant machen.

Heinrich/Schletterer: Sie haben 2019 den Gertrud-Kolmar-Preis ins Leben gerufen, um explizit den Fokus auf Lyrikerinnen – bewusst nicht gegendert – zu lenken. Wie verfolgen Sie den Umgang mit Lyrikerinnen? Hat sich Ihrer Meinung nach seit der Installierung des Lyrikpreises etwas verändert? Wenn ja, was? Wenn nein, was bräuchte es weiterhin für Strategien und Maßnahmen?

In der bewerbung für die Förderung des Gertrud-Kolmar-Preises habe ich die Verteilung der Literaturpreis bis 2018 genau aufgezeigt.

Der Literaturnobelpreis wurde bis 2017 99 Männern, aber nur 14 Frauen (rund 12,4%) zuerkannt.

Georg-Büchnerpreis: Er gilt als renommiertester und höchstdotierter deutscher Literaturpreis. Bis 2017 stehen hier 71 Preisträger nur 11 Preisträgerinnen (rund 13,4%) gegenüber.

Auch im weniger gut dotierten Segment der Literaturpreise müssen wir ein bedauerliches, rational nicht erklärbares Missverhältnis konstatieren. Hierfür einige Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum:

Lyrikpreis Meran: bis 2016 13x vergeben, der Preis wurde 1x geteilt. 10 Preisträger stehen nur 4 Preisträgerinnen gegenüber (rund 28,6%).

Basler Lyrikpreis: bis 2018 10x vergeben. 7 Preisträger, nur 3 Preisträgerinnen (30%)

Dresdner Lyrikpreis: bis 2016 11x vergeben, der Preis wurde 3x geteilt. 9 Preisträger, nur 5 Preisträgerinnen (rund 35,7%)

Ernst-Jandl-Preis für Lyrik: bis 2017 9x vergeben. 7 Preisträger, nur 2 Preisträgerinnen (rund 22,2%)

Peter-Huchel-Preis: bis 2018 35x vergeben. 24 Preisträger, nur 11 Preisträgerinnen (rund 31,4%)

Hinzu kommt, dass viele Preise eine Altersbeschränkung aufweisen und Lyriker*innen ab 35 Jahren eine Teilnahme verweigert wird. Das betrifft explizit Frauen, die in dieser Zeit meist noch mit Beruf und Kindern, meist auch noch Haushalt bereits eine Doppel- bis Dreifachbelastung haben.

Das allein schien mir Grund genug, einen Preis, der sich ausschließlich an Frauen richtet, auszuloben.

Ich habe den Zuschlag von den Elbkulturfonds dafür bekommen. Und – das ist auch sehr wichtig – ich konnte alle am Preis beteiligten Frauen (Jury, Vorjury, Gestaltung etc.) dem Aufwand entsprechend honorieren. Leider ist eine Weiterfinanzierung des Projekts durch die Elbkulturfonds nicht möglich. Die Beteiligung am Preis war überwältigend. Wir hatten 1044 bewerbungen, die von der Vorjury gelesen wurden. Übrig blieben immer noch über 300 Texteinreichungen, die mehr oder weniger alle diesen Preis verdient hätten. Zum Preis haben wir allen beteiligten Fragen gestellt. Die Auswertung des Fragebogens findet Ihr hier (ganz nach unten scrollen)

Nach der Installierung des Preises haben einige Frauen ein Verlagsangebot bekommen und konnten Ihre Texte veröffentlichen.

Heinrich/Schletterer: Auf Facebook erwähnten Sie als Kommentar auf den Artikel von Nicole Seifert zum Thema „Misogynie in der Literaturkritik“, dass auch Sie mit Verachtung konfrontiert waren – wie kam diese zum Ausdruck bzw. worauf bezogen Sie sich damit?

Fix: Den Ausdruck Verachtung würde ich gerne mildern und als Missachtung meiner Arbeit und die der vielen Beteiligten am Großprojekt Fixpoetry benennen, anders kann ich das Ausbleiben von Förderung aller relevanten Stellen nicht interpretieren. Wenn die Kulturbehörde Hamburg mir 1500 Euro für ein ganzes Jahr anbietet, dann weiß ich, ok, das ist eindeutig eine vollkommen falsche Einschätzung unserer Arbeit.

Heinrich/Schletterer: Was sind Ihre Pläne für die Zeit „nach Fixpoetry“? Auf welche Lektüre der Autorin Julietta-Ruth Fix dürfen wir uns bereits jetzt freuen?

Fix: Ich habe noch keine neuen Pläne. Ich erhole mich gerade von der Arbeit, die ich seit Jahren tagtäglich geleistet habe. Schreiben ist für mich zurzeit keine Perspektive. Im Sommer arbeite ich in einem kleinen Projekt meines Brotberufes mit und vorher muss ich mich noch einer Kiefer-OP unterziehen. Im Moment ist alles noch schwer, schwankend und erleichternd zugleich. Die Erleichterung überwiegt aber Gott sei Dank.

Heinrich/Schletterer: Vielen Dank für Ihre wertvollen und anregenden Antworten!

 


Anmerkungen

[1] Hinter dem Preis stehen NetGalley und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels.

[2] Fixpoetry.com wurde zum 31.12.2020 eingestellt. Die Seite wird vom Innsbrucker Zeitungsarchiv im Rahmen des DILIMAG-Archivs langzeitarchiviert.

Foto: Julietta-Ruth Fix.

 

Das Gespräch führten Rebecca Heinrich und Siljarosa Schletterer, 22.02.2021.