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Niewiadomski Jozef: Den Menschen in seiner Sünde lieben…
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Den Menschen in seiner Sünde lieben…
(Predigt zum Fest „Taufe des Herrn“, gehalten in der Jesuitenkirche am 8. Januar 2023)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2023-01-09

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

1
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Wie Peitschenhiebe – so wirkten seine Worte damals. Und können auch heute noch so wirken. Vor unseren Augen steht der profilierteste Systemkritiker seiner Zeit: Johannes der Täufer. Seine Botschaft ist klar: Es sei schon „5 nach 12“, die Axt sei schon an die Wurzel der Bäume gelegt, das Gericht werde die große Scheidung bringen. Johannes wird nie müde, das Böse in den Menschen anzuprangern, aber auch auf die Bösen mit dem Finger zu zeigen und sie als „Schlangenbrut“ zu beschimpfen. Eine Gestalt aus der alten Welt? Keineswegs! Die Logik, die sein Denken strukturiert, scheint auch heute aktuell zu sein: vielleicht ist sie aktueller denn je. Könnte er doch problemlos zum Vorbild, gar zum Paten für all jene werden, die in ihrer Gegenwart bloß Korruption, bloß Verdichtung von Sackgassen, bloß den Inbegriff von Misswirtschaft sehen. Deswegen auch zu einer radikalen Umkehr aufrufen. Um dem Gericht zu entgehen! Einen Unterschied gibt es freilich. Der Johannes von damals drohte mit dem göttlichen Gericht. „Gott des Zornes“ bemächtigte sich seiner Phantasie, ein Gott, der letztendlich das apokalyptische Inferno Wirklichkeit werden lässt. Auf diesen Gott wird der moderne Systemkritiker freilich verzichten. Weil über die langfristigen Folgen des menschlichen Handelns aufgeklärt, braucht er Gott als die Ursache von Katastrophen nicht. Der Mensch allein genügt ihm: der Mensch als Täter der Geschichte und der Mensch als Opfer von Untaten: der eigenen, vor allem aber der fremden Untaten. Der Taten jener, auf die man problemlos mit dem Finger zeigen und gegen die man lustvoll die Peitsche der Kritik schwingen kann.

2
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Fasziniert von der systemkritischen Botschaft des Johannes verlässt der dreißigjährige Mann seine Heimatstadt Nazareth und auch seinen geordneten Alltag. Er steigt sozusagen aus. Jesus schließt sich der Reihe der Bekehrungswilligen an, scheint von dem Täufer fasziniert zu sein. Auch wenn es ihn stört, dass der hagere Mann mit denselben dunklen Farben sowohl den Zeitgeist geißelt, als auch das Bild Gottes malt und so den tief verunsicherten Menschen zusätzlich noch Angst einjagt. Damit auch den Boden bereitet zur modernen Beseitigung Gottes im menschlichen Leben. Denn: um die Katastrophe herbeizuführen, dazu braucht die Menschheit keinen Gott. Der Mensch allein genügt.

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Liebe Schwestern und Brüder, auf diese Weise rekonstruiert, beschreibt das Szenario von damals unsere heutige medial strukturierte Welt. Dieses Szenario kann auch problemlos die Atheisten, Agnostiker und die Gläubigen aller Religionen integrieren. Dieses Szenario ist hochmodern, wenn man die biblischen Narrative beim Dialog zwischen Johannes und Jesus, wer da wen zum Zeichen des ethisch notwendigen Umdenkens und der Umkehr taufen sollte, unterbricht. Was sich aber in der Fortsetzung der Geschichte, was sich bei der Taufe Jesu selbst ereignet, das ist nicht nur unmodern, das übersteigt die Grenzen der menschlichen Vernunft. Deswegen wird auch das ganze Event zur Herausforderung und zum Ärgernis für alle: für die Anhänger alter und neuer Religionen, für die Juden und Muslime, für Klimaretter, Weltethosaktivisten und viele andere mehr. Denn: Jesus reiht sich zwar in die Reihe der Bekehrungswilligen ein, lässt sich gar von Johannes taufen, doch wird diese seine Taufe zum Anlass einer alles – aber gar alles – umwälzenden Offenbarung. “Du bist mein geliebter Sohn, dich habe ich erwählt!” Was könnte diese Stimme Gottes den Zeitgenossen, die unablässig die Moralkeule und die Peitsche der Kritik schwingen, was könnte sie ihnen sagen?

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Wohl nur eines: Auch wenn es schon 5 nach 12 sein sollte, auch wenn die Krise ihren Lauf genommen hat, auch wenn die Menschen aller Kulturen und aller Religionen durch den Ruf nach Ethik, durch ihre Bekehrungsbereitschaft ein klares Zeugnis ablegen, dass unsere Gegenwart doch eine bedrohte, ja eine sündige Gegenwart ist, öffnet sich der Himmel schon jetzt über diese sündige Welt. Gott selber, der Sohn des Vaters wird nicht nur ein sterblicher Mensch, er steigt in die Welt der Sünde, in die Welt der Korruption und der Misswirtschaft herab! Und dies nicht, weil er selber von Sünde gezeichnet bleibt. Nein! Wenn schon irgendjemand mit dem Finger auf die Sünder und die Korrupten zeigen konnte, dann wäre es er gewesen. Er tut es aber nicht. Er streckt seinen Zeigefinger nicht aus und schwingt auch die Peitsche der Kritik nicht. Vielmehr geht er aus Solidarität mit der sündigen Welt auf die Augenhöhe mit ihr. Um jegliches Missverständnis des Moralismus zu vermeiden, jenes Moralismus, der im frommen Hochmut sich anmaßt, den authentischen, den menschlichen Weg zur Rettung der Welt, gar zum Ergreifen des Himmels gefunden zu haben meint, eines Moralismus, der immer mit Verachtung auf die Gestrauchelten schaut. Ganz gleich ob sich dieser Moralismus in aufgeklärte säkulare Kleider oder in traditionelle religiöse Paramente hüllt. Jesus steigt in den Jordan, den Fluss, den die Ikonenschreiber als den Fluss des Todes geschrieben haben, er steigt herab, weil sich in der Inkarnation Gottes das Himmlische mit den Versagern und Sündern verbindet.

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Fjodor Dostojewskij hat in seinem Roman “Die Brüder Karamasow” dem sterbenden Mönch Sossima die wunderschönen Worte in den Mund gelegt, gerichtet an die Mönche, an die Mitbrüder des Sterbenden: “Brüder... Habt keine Angst vor der Sünde der Menschen. Liebt die Menschen in ihrer Sünde, denn das ist die Liebe, mit der Gott den Menschen liebt.” Den Menschen in seiner Sünde lieben und ihn auch in all die Abgründe zu begleiten, in die ihn die Sünde stürzt..., das ist die Lebensgeschichte Jesu, des menschgewordenen Sohnes Gottes. Und das Fest der Taufe Jesu stellt so etwas wie die feierliche Inauguration dieser Lebensgeschichte in aller Weltöffentlichkeit dar.

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Die modernen Systemkritiker und Aktivisten werden auf Gott verzichten, werden sich mit der Ethik begnügen und immer wieder erfahren müssen, dass sie überfordert sind. Mehr noch: sie werden erfahren, dass sie scheitern. Oft kläglich scheitern. Das Fest der Taufe Jesu hat gerade für diese scheiternden Menschen eine klare Botschaft parat, eine Botschaft, die paradoxerweise selbst in den Kirchen durch  die links oder rechts gerichteten Moralkeulen in unseren Tagen verdunkelt bleibt: Gott liebt den Menschen gerade in seiner Sünde, deswegen begleitet er ihn in die letzten Sackgassen seines Lebens, in die Welt des Scheiterns und des Todes, in die damit verbundene Haltung der Angst, des Zweifels, ja der Verzweiflung. Er begleitet den Menschen gar in die höllische Logik der Gottferne, in die Welt des tödlichen Zynismus, der Banalität und der Leere. Deswegen verdichtet das heutige Fest den Inbegriff christlicher Hoffnung. Das Fest sagt uns also zu: Die Bemühung um den sittlichen Ernst und das Engagement für Ethik verbinden uns Christen mit allen Menschen guten Willens; unser Glaube an Christus geht aber einen radikalen Schritt weiter: Wir glauben an den menschgewordenen Sohn Gottes, der in seiner Menschwerdung auf unsere Augenhöhe herabgestiegen ist. Deswegen lautet das Proprium des christlichen Glaubens heute: Selbst dann, wenn ich falle, selbst in meiner Sünde, gar in meinem Absturz in die Welt der Verzweiflung und der Hölle, selbst dann geht einer mit mir mit... und dies nicht irgendeiner! Nicht eine auswechselbare Maske und nicht ein Lebensabschnittspartner. Es begleitet mich der Sohn Gottes, und er begleitet mich nicht von oben herab. Nicht in der hochnäsigen Haltung des Champions aller Zeiten. Nein! Unaufdringlich ..., und doch solidarisch ist er mit dabei; so nimmt er mich hinein in die Geschichte des göttlichen Lebens. Und weil dies so ist, weil sich das wirklich ereignet, lebe ich als Christ zwar in einer Welt von Krisen – aber nicht in einer trostlosen Welt. Ich sterbe zwar – aber ich sterbe nicht einen sinnentleerten Tod. Weil der Sohn Gottes in die Welt der Sünde und der Korruption hinabsteigt, auch in meine ganz private Welt: In die Welt meiner Bemühungen um Bekehrung, aber auch in die Welt meines Versagens, in die Welt meiner Sünde, meiner Angst, meines Zweifels und gar meiner Verzweiflung, weil ER dies macht, kann ich mir den Luxus der Gelassenheit leisten – dankbar murmelnd: Ich glaube... Ich glaube, dass Du der geliebte Sohn bist, der Sohn eines Gottes, der ja der Inbegriff der alles übersteigenden Liebe ist.

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