- Leseraum
| Vom Ende des Leids. Predigt zum 5. Sonntag nach Ostern (LJ C)Autor: | Wandinger Nikolaus |
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Veröffentlichung: | |
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Kategorie | predigt |
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Abstrakt: | |
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Publiziert in: | |
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Datum: | 2025-05-21 |
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Inhalt1
 | Lesungen: (Apg 14,21b-27) Offb 21,1-5a; Joh 13,31-33a.34-35 | 2
 | Liebe Gläubige, | 3
 | in mir hat die heutige Lesung ein Bild wachgerufen: das Bild einer Mutter, die die Tränen ihres Kindes abwischt, das weint, weil es sich das Knie aufgeschlagen hat; die es dann in die Arme nimmt, und ganz schnell tut das Knie nicht mehr weh und die Welt ist wieder in Ordnung. Wie sehr würden wir Erwachsenen uns das oft wünschen: Wenn unsere Trauer und unser Leid, auch wenn sie sich nicht in äußeren Tränen zeigen, so leicht weggewischt werden könnten, wie das früher, als wir noch Kinder waren, der Fall war: durch ein Abwischen der Tränen und eine Umarmung. | 4
 | Aber das geht oft nicht mehr. Ein aufgeschlagenes Knie ist ja letztlich eine Bagatelle. Die Verletzungen, die wir im Leben erfahren mussten, sind nicht so leicht zu beheben, schon gar nicht die Verletzungen jener, die in den Kriegs- und Elendsgebieten dieser Welt leben und oft daran zugrunde gehen. Da ist es mit einem Pflaster und einem Heile-Heile-Segen nicht getan. | 5
 | Und so stellt sich die Frage, ob es sich denn die heutige Lesung mit ihrem Bild, dass Gott die Tränen von den Augen abwischen wird, nicht ein wenig zu leicht macht. Geht denn das so einfach? Gott kann doch das viele Leid auch nicht ungeschehen machen. Ist es nicht naiv zu glauben, er könne all die Leidenden und Trauernden trösten? | 6
 | Vielleicht. Vielleicht greift meine Assoziation mit dem aufgeschlagenen Knie aber einfach zu kurz. Dieser Text steht ja fast am Ende des Buches der Apokalypse, des Buches, das von einer großen Drangsal der Glaubenden spricht. Nicht umsonst hat bei uns das Wort „Apokalypse“ den Beigeschmack von katastrophalem Ende der Welt bekommen, denn davon ist in diesem Buch viel die Rede. Es übersetzt etwas ins Allgemeinmenschliche und Gesellschaftliche, das sich schon im Tod und der Auferstehung Jesu zeigte, nämlich, dass der Glaube an Gott nicht bedeutet, dass Gott uns durch übermächtiges Eingreifen vor den Widrigkeiten des Lebens und vor den Boshaftigkeiten anderer Menschen bewahrt. Gott hat sich dagegen entschieden, mit Übermacht in die Welt einzugreifen, weil er von uns nicht aus Angst, sondern aus Liebe verehrt werden will. Nicht angstvolle Unterwerfung, sondern liebevolle Zuwendung möchte er von uns; daher wendet er sich uns auch auf eine gewaltfreie, ja machtlos scheinende Weise zu, selbst wenn das bedeutet, dass jene, die selbst zur Grausamkeit und Gewalt greifen, zunächst ungebremst agieren können. Jesus hat, um dies deutlich zu machen, lieber den Tod gelitten, als sich – wie er selbst als Möglichkeit in den Raum stellte – von zwölf Legionen von Engeln verteidigen zu lassen (vgl. Mt 26,53). | 7
 | Gott greift also nicht mit überwältigender Macht ein. Das bedeutet aber nicht, dass er nicht eingreift und nichts tut. Immer wieder, so erzählt es uns die Heilige Schrift, schickte er Menschen, Propheten, Heilige, die versuchen, die Menschen auf einen Weg zu führen, der das Leid in der Welt weniger werden lässt anstatt mehr. Der Höhepunkt dieses Eingreifens Gottes ist Jesus selbst. „Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.“ (Joh 13,34) gibt er uns heute mit auf den Weg. Er sagt dies, nachdem er noch allen Jüngern, inklusive dem Judas, der erst danach hinausgeht, um ihn zu verraten, die Füße gewaschen hat. Sein Rat, ja sein Gebot an uns: Anstatt anderen Menschen auf die Füße zu treten, sollen wir ihnen lieber die Füße waschen. Es ist besser, ihnen einen Dienst zu tun als sie nur für uns in Dienst zu nehmen. Das ist das scheinbar so einfache Rezept, um Leid in der Welt zu verringern. | 8
 | Doch offenbar ist es nicht so einfach, sonst würden wir nicht so oft daran scheitern. Und: Sonst wäre Jesus nicht gekreuzigt worden; sonst gäbe es nicht so viele Kriege und so viel Elend. Im Versuch, die Welt durch sein Vorbild des Dienens statt des Ausnützens besser zu machen, ist Jesus gescheitert, so muss man ernüchtert feststellen. Ist damit aber Gottes Heilsplan auch gescheitert? | 9
 | Das hängt von der Wahrheit der Osterbotschaft ab. Wenn sie nicht zutrifft, wenn Jesus nicht vom Tod auferstanden ist, dann war seine Einstellung eine fromme Illusion, die nur zu seinem Tod geführt hat. Dann sind wir schlecht beraten, wenn wir ihm nachfolgen. Dann könnten wir jetzt gleich heimgehen. | 10
 | Wenn es aber zutrifft, dass Jesus vom Tod auferweckt wurde, dann sieht es ganz anders aus. Dann hat Gott machtvoll eingegriffen, hat seine Macht über Leben und Tod eingesetzt, um ihm neues, unzerstörbares Leben zu schenken. Und der auferstandene Christus trägt an seinem Auferstehungsleib noch die Wundmale der Kreuzigung; diese sind nicht verschwunden – Gott hat das Leid, das ihm angetan wurde, tatsächlich nicht ungeschehen gemacht. Aber: Diese Wundmale schmerzen nicht mehr, sie behindern Jesus nicht mehr; sie sind verwandelt; wir sagen in der Sprache des Glaubens: sie sind verklärt. | 11
 | Ist es nicht gerade das, was die Offenbarung des Johannes auf die gesamte Weltgeschichte überträgt? Das Leid, die Tränen, der Schmerz: Gott verhindert sie nicht, so sehr wir uns das oft wünschen würden. Er will kein Gott sein, der mit übermächtiger Gewalt eingreift, um der Gewalt entgegenzutreten. Er hat sich entschieden, ein Gott zu sein, der nachdem die menschliche Gewalt an ein Ende gekommen ist, das Leben neu schenkt, die Tränen abwischt, das Leid verwandelt, die Wunden verklärt. Gerade das Buch der Apokalypse verharmlost Gewalt und Leid nicht, sondern zeigt, wie schlimm sie sein können. Es bagatellisiert sie nicht zu einem aufgeschlagenen Knie, sondern zeigt ihre ganze Abgründigkeit. | 12
 | Aber, es betont auch, dass – wie im Falle Jesu – Leid und Tod nicht das letzte Wort haben. Die Welt, wie sie noch ist, wird vergangen sein und eine andere Welt wird existieren: eine Welt, in der Gott unter den Menschen wohnt, selber ihre Tränen abwischt, und in der gilt: „Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal.“ Die Auferstehung Jesu verbürgt uns das. | 13
 | Wenn wir darauf wirklich hoffen, dann können wir Jesu neues Gebot – einander zu lieben, wie er uns geliebt hat – wenigsten ein Stück weit erfüllen, denn dann müssen wir nicht befürchten, uns dabei zu verlieren. Vielmehr werden wir das ewige Leben gewinnen. | 14
 | Lassen Sie mich schließen mit einem Zitat aus der Autobiografie des verstorbenen Papstes Franziskus, die ja „Hoffe“ heißt: | 15
 | „Wenn Barmherzigkeit der Name Gottes ist, dann ist die Hoffnung der Name, den er uns gegeben hat, der unserer tiefsten Wirklichkeit und unserer wahrhaftigsten Essenz entspricht. Wir sind aus Leben und für das Leben gemacht. Wir sind für Beziehungen geschaffen. Wir sind aus Liebe und für die Liebe entstanden. Und unsere Lieben sind nicht ins Dunkel verschwunden, sondern erwarten uns im Licht, in der Fülle dieser Liebe. Wir sind alle auserwählte Kinder, die für Großes geschaffen sind, für kühne Träume.“[1] | 16
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[1] Franziskus, Papst: Hoffe. Die Autobiografie. München 2025, Kindle-Ausgabe, S. 335.
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