Mit der Filmreihe „Beyond single stories“ wollen wir Filme zeigen, die die Vielfalt unserer Gesellschaft widerspiegeln, vielfältige Geschichten, Lebensrealitäten und Lebensentwürfe erzählen und gemeinsam diskutieren, welche Vorstellungen von Diversität, deren Bedeutung und letztlich auch deren politische Konsequenzen in unserer Gesellschaft herrschen. Die Erzählweisen und Perspektiven, die Filme bieten, sind immer auch Angebote zur Identifikation. Sind diese einseitig, werden sie als dominant und repräsentativ wahrgenommen, davon abweichende Narrative und Charaktere hingegen marginalisiert. Die Schriftstellerin Chimamande Ngozi Adichie nennt dies in ihrem TED-Talk auch „the danger of a single story“. Wem also geben Filme eine Stimme, wem bieten sie Vorbilder, wen repräsentieren sie? Welche Rolle spielen Medien dabei, Unterschiede zwischen Menschen zu zeigen, zu deuten, zu betonen oder zu vernachlässigen?
Die beiden Filme "It Works I" und "It Works II" des Eröffnungsabend am 09. November 2022 im Leokino sind Porträts von drei Menschen, ihrem Leben und ihrem Alltag, im ersten Teil als Kinder, im zweiten Teil als 30-jährige Erwachsene. Es war nie geplant, eine entsprechende Fortsetzung zum Kurzfilm aus den 1990ern zu drehen, wie uns der Regisseur Fridolin Schönwiese im anschließenden Publikumsgespräch erzählt, es hat ihn auch einiges an Mut gekostet, an die drei nach so vielen Jahren wieder heranzutreten. Doch die drei haben ihn in ihren jeweiligen Lebenssituationen herzlich empfangen. Aus dem geplanten einen Produktionsjahr wurden fünf und aus den Begegnungen dieser Zeit ein berührender Dokumentarfilm, der „einfach das Menschsein zeigt“, wie es ein Zuseher des Abends schildert, der verdeutlicht, „wie Geduld den Platz von Erwartungen einnimmt“, so eine andere Zuseherin. Der Film zeigt Michael, Gerald und Valentin in ihrem Alltag und schafft es dabei, nicht im Beschreiben zu verharren, sondern die drei zu begleiten. Michael Hagleitner, einer der Protagonisten, erzählt uns etwa auch, wie wichtig es für ihn war, ihn in seinem Arbeitsumfeld zu zeigen – er arbeitet Vollzeit bei der ÖBB – im Umgang mit seinen Kolleg*innen, im selbstständigen Tun. Und damit neue Bilder von Menschen mit Behinderung zu schaffen – Bilder, die den Menschen in den Vordergrund stellen. Die aktuelle Debatte um die Spendenaktion "Licht ins Dunkel" und die dabei transportierten Bilder von Menschen mit Behinderung zeigt, wie wichtig es ist, diesen Vorstellungen etwas entgegenzusetzen, neue Bilder zu schaffen. It Works II zeigt das Leben dreier unterschiedlicher Menschen, bringt uns ihre Herausforderungen näher und zeigt uns, wie die drei diese Herausforderungen meistern. "It Works II" ist ein Film über das Gelingen.
Die Südtiroler Landzeit-Dokumentation "Becoming Me", der zweite Film unserer Filmreihe, begleitet Marian, einen trans Mann, in seinem Transitionsprozess ab seinen ersten Überlegungen zu seiner Geschlechtsidentität. Auch hier stehen Erwartungen im Zentrum: Welche bestimmen unser Leben, welche will oder muss man erfüllen, welchen kann man sich widersetzen, welche kann man überwinden? Womit sich letztlich die Frage stellt: Welche Vorstellungen von trans Personen haben wir, welche Perspektive(n) bietet der Film? Was brauchen wir als Gesellschaft, um sensibel mit Geschlechtsidentität umzugehen? Auch "Becoming Me" zeigt nur eine von vielen möglichen Geschichten, wie in der anschließenden Diskussion deutlich gemacht wird.
Der letzte in diesem Jahr gezeigte Film unserer Filmreihe war schließlich "Corsage" von Marie Kreutzer, ein völlig neues, spannendes Porträt von Kaiserin Elisabeth in den Jahren 1877/1878. Der Film zeigt ein mögliches Leben der Kaiserin abseits der funkelnden Fassade, zeigt die Rebellion einer Frau gegen gesellschaftliche Zwänge. Auch wenn das Wort Rebellion so nie in ihren Tagebüchern und Aufzeichnungen der kaiserlichen Hofdamen vorkommt, wie uns Marie Kreutzer im Gespräch erzählt, so zeigt sie sich doch in ihren Gedanken, Haltungen und Taten. Auch "Corsage" zeigt uns eine mögliche Geschichte, eine mögliche Interpretation der Figur der Kaiserin Elisabeth – im Spiel zwischen historischen Fakten, bröckelnden Fassaden und neuen Einsichten.
Wie geht es weiter?
Im neuen Jahr geht unsere Filmreihe in die Abschlussrunde: Am 11. Jänner 2023 zeigen wir die Innsbrucker Dokumentation "Eva-Maria" von lukas Ladner aus dem Jahr 2021. Auch hier freuen wir uns auf ein spannendes Gespräch mit dem Regisseur und der Protagonistin, und laden Sie herzlich zu diesem letzten Filmabend unserer Reihe ein!
Alle Details zur Filmreihe bzw. unserem Themenschwerpunkt „Diversität im Film“ finden Sie hier.
(Teresa Millesi)
Biografische Notiz
Teresa Millesi ist Koordinatorin des Forschungsschwerpunkts "Kulturelle Begegnungen - Kulturelle Konflikte. Sie beschäftigt sich vor allem mit Dekolonialisierung, Film und Entwicklungsforschung. Sie schrieb ihre Dissertation zum filmischen Widerstand Indigener im Kontext territorialer Konflikte in Lateinamerika.