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Scharer Matthias: Die Geistbegabung verkünden und feiern
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Die Geistbegabung verkünden und feiern
(Eine "Fährmannskunde" zur Firmung aus der Perspektive Kommunikativer Theologie)

Autor:Scharer Matthias
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:Wenn es um das Verkünden und Feiern im Zusammenhang mit dem Firmsakrament geht, dann werden in der Regel Modelle und Rezepte angeboten. Der Beitrag führt in grundsätzliche theologisch-didaktische Überlegungen zum Firmsakrament ein und eröffnet Möglichkeit für die Katechese und Predigt.
Publiziert in:Scharer M., Die Geistbegabung verkünden und feiern. Eine "Fährmannskunde" zur Firmung aus der Perspektive Kommunikativer Theologie, in: Zwischen Schwellenangst und Schwellenzauber. Kasualpredigt als Schwellenkunde. Hg. von E. Garhammer, H. Schöttler, G. U
Datum:2004-07-29

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Je herausfordernder eine Verkündigungs- oder Feiersituation ist, umso größer wird die Nachfrage nach schnell umsetzbaren Rezepten die beschreiben, ‚wie man es macht’. Die zahlreichen Modelle und Kurse zur Firmung sind deutliche Signale dafür, dass es im Hinblick auf dieses Sakrament eine große Verunsicherung darüber gibt, wie der seelsorgliche und liturgische Umgang mit heranwachsenden FirmkandidatInnen und mit den Gemeinden anlässlich der Firmung und Firmbegleitung (1) geschehen kann.

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Eine ‚Fährmannskunde’ zur Firmung ist kein ‚Kochrezept’, das detaillierte Anweisungen für die ‚Zubereitung' des ‚liturgischen Mahles’ oder den ‚Mix’ eines ‚seelsorglichen Cocktails’ bietet. Diese Fährmannskunde will den Blick für die ‚Lebens-Mittel’, die anlässlich der Firmung zur Verfügung stehen, öffnen und die Aufmerksamkeit auf jene ‚Meilensteine’ (Prinzipien) richten, die den ‚offenen Weg’ mit den FirmkandidatInnen in Verkündigung und Liturgie markieren könnten. Beide beziehen sich sowohl auf die Glaubenstradition als auch auf das (geistgewirkte) Leben heute, ohne dass das eine gegen das andere ausgespielt werden soll. Weder wird aus der Glaubenstradition ein Modell für die seelsorgliche Begleitung von FirmkandidatInnen und den liturgischen Umgang mit ihnen abgeleitet noch macht die Fährmannskunde den Versuch, sich an die Situation jugendlicher FirmkandidatInnen anzugleichen. Mit dieser ‚korrelativen Perspektive’ ist bereits ein erstes Prinzip angedeutet:

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Liturgie und Verkündigung der Firmung ereignen sich an der immer wieder neu auszulotenden Schnittstelle von Glaubenstradition und Situation der FirmkandidatInnen und Gemeinden heute, die weder füreinander verzweckt, noch gegeneinander ausgespielt werden dürfen.

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Dass für einen solchen ‚Grenzgang’ Patentrezepte oder gebrauchsfertige Vorlagen weder theologisch noch praktisch Sinn machen, liegt auf der Hand. Sie würden jene notwendigen Suchprozesse und Entscheidungen, die nur vor Ort stattfinden und getroffen werden können, behindern und einebnen. Was seelsorglich und liturgisch im Hinblick auf die Firmung helfen kann, ist eine ‚Aufmerksamkeitslenkung’ auf den ‚Kairos’ des kommunikativen Geschehens zwischen den unterschiedlichen Beteiligten in ihrem jeweiligen Kontext. Diese für die Feier und Verkündigung der Firmung ‚günstigen und entscheidenden Augenblicke’ können aber nur in der Offenheit auf das ‚Wehen’ jenes Geistes hin erahnt und erkannt werden, den wir als die innergöttliche Kommunikation ‚in Person’ bekennen und der die ‚Kommunikation des kommunikativen Gottes’ in der Geschichte der FirmkandidatInnen und der Gemeinden anstiftet. Die ‚kommunikative Firmtheologie’ als Grundlage einer Verkündigungs- und Feierpraxis hat also nicht die ‚Übersetzung’ und didaktische Vermittlung der ‚Lehre vom Hl. Geist’ in der Praxis der Gemeinden zum Ziel, sondern sie sensibilisiert die theologische Aufmerksamkeit auf die (kommunikative) Praxis im Zusammenhang mit der Firmung als ‚geistbedeutsame’ Praxis.

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Worauf sollte sich die Aufmerksamkeit richten, wenn es um Gottesdienst und Verkündigung anlässlich der Firmung geht? Ich greife folgende vier Perspektiven auf (2) , die es miteinander so zu vernetzen gilt, dass sowohl ihre Beziehung zueinander, als auch ihre Differenz voneinander deutlich werden:

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die jeweiligen kirchlichen und gesellschaftlichen Kontexte, in denen die Firmung stand und steht, als Problem von ‚damals und heute’,

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die möglichen ‚Firmbiografien’ der Betroffenen als Herausforderung pluraler Geistbegabungen,

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das ‚Wir’ der Gemeinde anlässlich der Firmung als ‚geschenktes’ (und nicht gemachtes) WIR,

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die elementare Glaubenstradition zur Firmung als Klärung dessen, wovon wir im Zusammenhang mit ‚Hl. Geist’, ‚Firmung’, ‚Gabe’ sprechen.

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Als zentrale Metapher für die Theologie des Firmsakramentes, welche diese vier Ebenen zu verbinden sucht, wähle ich: ‚geistbegabt’ bzw. ‚Geistbegabung’. Die Geistbegabung wird den FirmkandidatInnen in der Spendeformel „Sei besiegelt mit der Gabe Gottes, dem Heiligen Geist“ ausdrücklich zugesagt. Was Geistbegabung ist/bzw. nicht ist, lässt sich sowohl aus der Glaubenstradition, als auch aus dem Leben und Zusammenleben der Betroffenen wie es im liturgischen Geschehen zentrale Gestalt gewinnt, erschließen. Als 2. Prinzip kann also gelten:

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‚Geistbegabung’ eignet sich als zentrale Metapher für Verkündigung und Liturgie der Firmung; sie unmittelbar zu kommunizieren (feiern) und kommunikativ zu erschließen (verkünden), ist das wesentliche Anliegen von Liturgie und Verkündigung der Firmung (3) .

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Zur besseren Veranschaulichung sei die Vernetzung der unterschiedlichen Perspektiven in einem Schema dargestellt.

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Die

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Glaubens-

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tradition zur

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Firmung

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Die

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Geistbegabung

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feiern

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und

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verkünden

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Kontexte der Firmung ‚damals’ und ‚heute’

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Das ‚geschenkte’ WIR der Gemeinde

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gegen

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‚gemachte’ Einheit

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Firmbio-

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grafien der

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Betroffenen

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in ihren (impliziten)

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geisttheol. Bedeutungen

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Ich folge in den weiteren Ausführungen diesem Schema und beginne beim Kontext der Firmung ‚damals und heute’.

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1. Beschenkt mit der ‚Gabe Gottes’ oder von ‚Göttern’ verführt?

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Der gegenwärtige kirchlich-gesellschaftliche Kontext, in dem Heranwachsende gefirmt werden, stellt eine große Herausforderung für Verkündigung und Feier dieses Sakramentes dar. Jugendliche FirmkandidatInnen, die nicht mehr in eine Volkskirche hineinwachsen, sondern in unserer (post-)modernen Welt, mit der Gabe Gottes, dem Hl. Geist besiegelt werden, sind vor ganz andere Herausforderungen gestellt, als das für FirmkandidatInnen vor einigen Generationen der Fall war, die noch dazu in der Regel als Kinder gefirmt wurden: Jugendliche FirmkandidatInnen lassen entweder das Firmsakrament als bedeutungsloses Klischee über sich ergehen, oder sie kommen in das Dilemma, kaum einen ‚Ort’ zu finden, an dem das, womit sie ‚besiegelt’ wurden, in irgend einer Weise vom Leben abgedeckt ist. Mit dieser Erfahrungsarmut von Geistbegabung finden sie sich in guter Gesellschaft mit den ChristInnen in der Frühzeit der Kirche. Der Unterschied zwischen damals und heute besteht möglicherweise darin, dass die Erfahrungsarmut von Geistbegabung in der Kirche geringer war als in der Gesellschaft. Doch auch die ChristInnen des Anfangs der Kirche hat die christliche Initiation in ein Dilemma gebracht. Wenn Firmung nicht den ‚feierlichen Kirchenaustritt’ (4) bedeutet, sondern – wie das heute oft der Fall zu sein scheint – als ein die Erwachsenentaufe ‚nachholendes’ Initiationssakrament verstanden wird, dann werden Parallelen zwischen der Initiation in der Frühen Kirche und der Firmung heute deutlich.

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1.1. Getauft aus dem Wasser und dem Hl. Geist

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Die ‚Gabe Gottes, der Hl. Geist’ wurde ChristInnen in den ersten Jahrhunderten der Kirche in der Taufe verliehen. Die Taufe war über Jahrhunderte auch das Sakrament der Geistbegabung. Wer – zunächst als erwachsene Frau/als erwachsener Mann – Christin bzw. Christ wurde, wurde getauft ‚aus dem Wasser und dem Heiligen Geist’. Diese geistorientierte Tauftheologie entsprach sowohl der synoptischen Tradition der johannes-Jesustaufe, als auch dem paulinischen Verständnis: In der entscheidenden Erzählung der Synoptiker „öffnet sich der Himmel“ als Jesus aus dem Wasser des Jordan steigt und „der Geist“ kommt „wie eine Taube“ auf ihn herab; eine „Stimme aus dem Himmel“ offenbart, wer er ist: „Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden“ (Mk 1, 10f par). Wer nach paulinischer Theologie getauft wurde, war der Sünde ‚gestorben’; das neue ‚Leben aus dem Geist’ hatte begonnen (vgl. Röm 8,1-17). An ihrer Geistbegabung konnte man die Getauften erkennen.

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Kindertaufe und Erwachsenenfirmung?

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Mit der Praxis der Kindertaufe trat das Bewusstsein von der Geistbegabung durch die Taufe in den Hintergrund. Nach und nach entwickelten sich die ‚Geistriten’ zu einem eigenen Sakrament, das der Bischof den neugetauften Kindern spendete, wenn er das erste Mal nach deren Taufe in die Gemeinde kam. Stimuliert durch die augustinische Erbsündenlehre gewannen Kategorien wie ‚Schuld-Unschuld’, Reinheit-Unreinheit’ im Zusammenhang mit der Taufe an Bedeutung. Die Geistbegabung, die in der jeweiligen Zeitepoche mit gängigen gesellschaftlichen Symbolhandlungen (z.B. ‚Ritterschlag’) verbunden wurde, war immer deutlicher dem Firmsakrament vorbehalten.

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Erst das Zweite Vatikanische Konzil lenkte die Aufmerksamkeit wieder auf die Zusammengehörigkeit der christlichen Initiation in Taufe, Firmung und Eucharistie. (5) Damit wurden eine Reihe von sakramententheologischen Problemen offenkundig, die in der Verkündigung und Liturgie der Firmung bis heute ungelöst sind:

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Kann die Reihenfolge der Initiationssakramente, wie sie Kindern gespendet wird, angesichts einer anderen kirchlichen Tradition aufrecht erhalten werden: Taufe – Eucharistie – Firmung? Oder müsste man nicht getauften Kindern bzw. Jugendlichen zunächst das Firmsakrament spenden?

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Bringt nicht das – vor dem ersten Empfang der Eucharistie noch zusätzlich eingeschobene – Bußsakrament die Logik der Initiation völlig durcheinander?

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Sollte man – wie es einer langen kirchlichen Tradition entspricht – Kinder und nicht junge Erwachsene firmen?

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Oder sollte man im Zusammenhang mit der Firmung den ‚modernen’ Mündigkeitsgedanken in das Zentrum rücken und nur Jugendliche bzw. junge Erwachsene zum Firmsakrament als ‚selbstverantwortete Initiation’ zulassen?

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Aus diesen grundsätzlichen Anfragen ergibt sich ein 3. Prinzip:

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Wenn Verkündigung und Liturgie im Zusammenhang mit dem Firmsakrament in einer Gemeinde bedacht werden, können theologische Grundsatzfragen um die Tradition der christlichen Initiation nicht ausgespart oder der ‚höheren kirchlichen Ebene’ überantwortet werden. Auch wenn sich kirchliche Strukturen nur langsam verändern ermöglicht das Bewusstsein der Verantwortlichen von einer offenen Tradition des Firmsakramentes einen größeren Gestaltungsspielraum.

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1.3. In einer Welt voller Götter

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Frühkirchliche und heutige Situationen der Initiation haben auch insofern etwas miteinander zu tun, als beide Welten voller verführerischer ‚Götter’ waren und sind: Damals waren es die antiken Mythen, welche die Kultur bis in das Bildungswesen hinein prägten und Sinn und Orientierung versprachen; heute sind es die verlockenden Erzählungen vom nie endenden Konsum, von grenzenloser Kommunikativität, von esoterisch erfüllender Religiosität u.v.a., welche den ‚Himmel’ der Erfüllung menschlicher Begierden auf die Erde zaubern wollen. Ist angesichts einer Welt voller mächtig verlockender ‚Götter’, die alle die Unterwerfung des Menschen fordern, die Aufmerksamkeit auf das ‚leise Säuseln’ des Gottesgeistes (vgl. 1 Kön 19, 12) überhaupt noch möglich?

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Die Buntheit der (Firm-)biografien und die Vielfalt der Geistbegabungen

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Wer auf die Geistbegabung achten will, ist zunächst mit einer großen Vielfalt unterschiedlichster Biografien der Betroffenen konfrontiert. Da begegnen einander:

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Die – meist jugendlichen – FirmkandidatInnen mit ihren unterschiedlichsten Religions-, Glaubens- und Kirchenzugängen.

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Die sie begleitenden Erwachsenen mit unterschiedlich ‚gefärbten’ Firmerinnerungen und Firmnostalgien.

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Die Eltern und Verwandten der FirmkandidatInnen mit unterschiedlichsten Firmverständnissen.

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Die einzelnen ChristInnen in der Gemeinde mit ihren Firmbezügen.

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Die Firmspender und die SeelsorgerInnen in der Gemeinde mit ihren unterschiedlichen Firmerfahrungen.

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Es würde den Rahmen diese Beitrages bei weitem sprengen wenn die möglichen biografischen Details nur im Ansatz behandelt würden. Ich kann nur generell auf einige wichtige Unterscheidungen aufmerksam machen, die für einen anteilnehmenden ‚biografischen Blick’ wichtig sind.

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2.1. Religion – Glaube – Kirchenbezug

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Vor allem in ländlichen Gegenden scheint noch immer zusammen zu fallen, was für die meisten Menschen in unseren nördlich-westlichen Gesellschaften längst nicht mehr selbstverständlich zusammen gehört: Religion, Gottesglaube und Kirchenbezug. War in einem geschlossenen volkskirchlichen Milieu nichts anderes denkbar als dass ein ‚religiöser Mensch’ an den christlichen Gott glaubte und seinen Glauben am Glauben der Kirche ausrichtete, so unterscheiden sich heute diese Bereiche immer deutlicher. Im Hinblick auf die ‚biografische Aufmerksamkeit’ gilt ein 4. Prinzip:

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Wer ‚religiös’ ist muss noch nicht an den christlichen Gott und an seine Wahrheit glauben; schon gar nicht muss sie/er einer Kirche zugehören oder gar in ihr beheimatet sein. Religiöse Biografien sind nicht mehr automatisch identisch mit christlichen Glaubensbiografien oder Kirchenbiografien.

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Wenn der Geist weht, wo er will, dann sind Kirchengrenzen möglicherweise nicht unbedingt das Entscheidende für biografische Geisterfahrung.

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Substantielle und funktionale ‚Religion’

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Die Unterscheidung von Religion, (christlichem) Glauben und Kirchenbezug führt uns zu einer weiteren Differenzierung, die für die Aufmerksamkeit auf biografische Geisterfahrung hilfreich sein kann: Es sind die religionssoziologisch gebräuchlichen Unterscheidungen von substantieller und funktionaler Religion. Was ist damit gemeint?

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Die moderne Religionssoziologie mit ihren quantitativen Verfahren zur ‚Messung’ von Religion und Religiosität der Menschen war lange Zeit darauf fixiert, ‚hard-facts’ der Religion wie Häufigkeit des Betens, Gottesdienstbesuch, Festhalten an bestimmten Glaubenswahrheiten zu messen. Die Ergebnisse wurden für die ‚Religion’ immer fataler: Die ‚substantielle Religion’, die an klar definierter religiöser Praxis und an Bekenntnissätzen festgemacht wurde, nahm immer mehr ab. Doch ein Blinder konnte (noch bevor manche ReligionssoziologInnen ihre Kategorien und Messinstrumente änderten) sehen, dass der scheinbare Verfall der ‚substantiellen’ Religion keineswegs mit Religionslosigkeit Hand in Hand ging. Das Gegenteil war und ist der Fall. Es gilt eine 5. Prinzip:

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Der ‚Markt’ der Religion differenziert sich immer weiter aus. Während traditionelle religiöse Institutionen wie bei uns die christlichen Kirchen an Bedeutung für die Gestaltung religiöser Biografien der einzelnen Menschen verlieren, gewinnen außerkirchliche an Einfluss. Die Patchwork-Religiosität, die wie ein ‚Fleckerlteppich’ aus unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen ‚zusammengebastelt’ wird, gehört zum Standard – zumindest städtisch sozialisierter – religiöser Biografien.

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Was in einem ‚religiösen Fleckerlteppich’ im Augenblick religiöse Funktionen übernimmt, kann sehr verschieden sein. Die ‚funktionale’ Religion kann von Musik- und Kunsterleben über esoterische Praktiken und Anschauungen bis zu Mode und Konsum reichen.

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2.3. Die Prophetie der FirmkandidatInnen

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Wer im gegenwärtigen kirchlich-gesellschaftlichen Kontext die Geistbegabung junger Menschen wirklich wahrzunehmen beginnt, muss damit rechnen, dass sie/er Ratlosigkeit erntet oder als „vom süßen Wein betrunken“ (Apg. 2,13) gilt; dies nicht nur in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit, sondern auch in der Kirche. Die Geistbegabung von FirmkandidatInnen noch vor ihrer seelsorglichen und liturgischen ‚Betreuung’ anzuerkennen hieße, der ‚Prophetie’ der Jugendlichen Raum zu geben und darauf zu vertrauen, dass der Geist Gottes in ihnen wirkt, längst ‚bevor der Missionar kommt’ (6) . Im Sinne der ‚Logik’ des Heiligen Geistes, der bekanntlich weht, wo er will und die Grenzen kirchlicher Wahrnehmung sprengt, wäre es für Gemeinden theologisch fahrlässig, das überraschende Wehen des Geistes zu überhören.

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Es braucht also die ‚Geistesgabe’ der anteilnehmenden Aufmerksamkeit auf die FirmkandidatInnen als 6. Prinzip:

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Wer im gegenwärtigen kirchlich-gesellschaftlichen Kontext die Geistbegabung junger Menschen wahrzunehmen beginnt, bedarf eines tiefen, liebend-anerkennenden Blickes, vergleichbar mit dem ‚Blick’ Jesu auf die Menschen am Rande. Es ist ein Blick, der nicht mit soziologisch- oder psychologisch geschulter ‚Interpretationsmacht’ das Leben von FirmkandidatInen analysiert und schnell zu wissen meint, ‚wie die heutigen Jugendlichen sind’; vielmehr geht es um eine anteilgebende und anteilnehmende Aufmerksamkeit, mit der sich Menschen aus der Gemeinde und Verantwortliche in die ‚Ohnmacht’ der Beteiligung an der konfliktreichen Kommunikation zwischen den Generationen hinein begeben und sich in der Begegnung in ihren Anschauungen auch wandeln lassen.

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3. Das ‚geschenkte’ Wir der einander fremden Geistbegabten

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Wenn Menschen mit vielfältigsten Geist-/Ungeisterfahrungen in der Gemeinde zusammenkommen, gilt zunächst, sich an die Ungeduld der Jünger und an den ‚Blick’ Jesu zu erinnern, das Unkraut nicht mit dem Weizen auszureißen und die Trennung von Unkraut und Weizen einem Anderen zu überlassen. Doch wer sein/ihr schnelles Urteil von der vertrauensvollen Gelassenheit Jesu wandeln lässt, steht – etwa als Seelsorger/Seelsorgerin – vor der Herausforderung, einer unübersehbaren Vielfalt von Geist-/Ungeisterfahrungen gerecht zu werden, die keineswegs von der eigenen Biografie abgedeckt sind.

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3.1. ‚Gemachte’ Einheitlichkeit, ‚geschenkte’ Einheit in Vielfalt

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Wie kann und soll man angesichts der radikalen Pluralität religiöser Biografien gemeinsam Gottesdienst feiern und verkünden? Muss nicht zuerst die menschliche Basis für eine Gemeinschaft gelegt werden, in der die Menschen einander verstehen, in der sie sich wohl fühlen und – wenn möglich – ähnlich denken? Muss nicht eine Gemeinde entstehen, in der alle „ein Herz und eine Seele“ sind? Das – in der Regel aussichtslose – Bemühen um eine Einheitlichkeit, die oft mit Einheit im Geiste verwechselt wird, verschlingt viel Energie in der Firmbegleitung und in der Vorbereitung von Gottesdiensten.

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Gnadentheologisch betrachtet kann man die Perspektive auch umdrehen und damit ein 7. Prinzip deutlich machen:

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Es geht nicht um die seelsorgliche und liturgische ‚Herstellung’ eines Wir der FirmkandidatInnen und der Gemeinde, sondern um das Vertauen auf ein vom Geist Gottes ‚geschenktes’ Wir, das Fremdheiten und Andersheiten nicht einebnet, sondern achtet, bestehen lässt, ja fördert.

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Vielleicht können jugendliche FirmkandidatInnen mit ihrem Hang zu einer ‚Identität radikaler Pluralität’ (7) , die Vieles und auch Unterschiedliches nebeneinander stehen lässt, nicht nur aus der Defizitperspektive mangelnder Klarheit in ihrer Weltanschauung, sondern auch aus der Anerkennungsperspektive für ein mögliches prophetisches Sensorium gesehen werden, das für die Vielfalt von Überzeugungen, die nicht alle harmonisiert werden müssen, offen ist.

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Die sakramentale Kommunikation und die Sehnsucht nach Unmittelbarkeit

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Mit dieser Vielfalt an Zugängen, Erfahrungen und Begabungen steht die christliche Initiation, wie immer sie kirchlich-sakramental geregelt ist, in einem unmittelbaren Zusammenhang zur Kirche als ‚Kommunikationsgestalt’. Die Kirche spendet nicht nur Sakramente und spricht darüber, sie ist Sakrament. Die Frühe Kirche hatte in ihrer starken Bindung der Sakramente an die Gemeinden und an das alltägliche Leben der Menschen ein ausgeprägtes Bewusstsein dafür, dass diese ‚kommunikativen Handlungen’ für die Existenz der Kirche konstitutiv sind. Sakramente waren und sind „Figuren gemeinsamen Lebens. Nur mittels dieser Figuren erbildet sich ein solches Leben. Nur in immer erneutem Vollzug dieser Figur des Lebens bleibt es bestehen.“ (8) Jugendliche, die mit der Gabe Gottes dem Hl. Geist besiegelt werden, begeben sich auch heute in die Unmittelbarkeit der sakramentalen Kommunikation der Kirche, die sie in das Geschehen hineinnimmt. Nicht mehr die ‚diskursive’, begründende und argumentierende Kommunikation über die Firmung und Geistbegabung bestimmen das liturgische Geschehen, sondern die performative, das Leben ‚wandelnde’ Kommunikation. Die Geistbegabung feiern darf nicht mit einem theologischen Vortrag über den Hl. Geist mit anschließender ‚liturgischer Übung’ der Firmung verwechselt werden. Aus der wandelnden Kraft der liturgischen Feier heraus in der die unterschiedlich Geistbegabten ihre Rolle im ‚heiligen Spiel’ übernehmen und spielen und nicht umgekehrt könnten jene ‚Überzeugungsgemeinschaften’ angestiftet werden, welche jugendliche Geistbegabte wie der Fisch das Wasser brauchen. Dies trifft in besonderer Weise dort zu, wo der Kontext in dem die FirmkandidatInnen leben, noch nicht oder nicht mehr volkskirchlich geprägt ist.

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3.3. Verkündigen und Feiern ‚mit’ den FirmkandidatInnen und der Gemeinde

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Die Bewegung der Verkündigung und des Feierns anlässlich der Firmung kann auf diesem Hintergrund nicht einlinig von den SeelsorgerInnen, FirmbegleiterInnen und Verantwortlichen in der Gemeinde zu den FirmkandidatInnen gehen, so als ob sie vor ihnen oder für sie alles machen müssten oder könnten (9) . Ein 8. Prinzip lautet:

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Verkündigen und Feiern anlässlich der Firmung sind nur mit den FirmkandidatInnen und der Gemeinde möglich. In der Differenz und in der Verständigung zwischen den Generationen mit ihren sehr unterschiedlichen Auffassung vom Leben und im gemeinsamen Suchprozess nach der das Leben gewiss machenden Wahrheit sind alle Betroffene.

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4. Geistbegabung benennen und unterscheiden

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Schon bisher haben wir den Blick auf die Geistbegabung nicht nur an der Situation heutiger FirmkandidatInnen, ihrer Kommunikation und der gesellschaftlichen Wirklichkeit, in der sie leben, ausgerichtet: Wir haben diese Perspektiven aus der Glaubenstradition heraus zu verstehen versucht. Wenn wir die Glaubenstradition in diesem Abschnitt nochmals ausdrücklich thematisieren, dann nicht, weil wir zusätzliche ‚Inhalte’ benötigen, die wir in die Verkündigung und Liturgie der Firmung einbringen können, sondern als Hilfe zur Sprachklärung.

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4.1. Wovon reden wir, wenn wir von ‚Geistbegabung’ sprechen?

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Die Glaubenstradition stellt ‚Kommunikationsregeln’ für unser Sprechen von ‚Geistbegabung’ zur Verfügung. Wovon sprechen wir, wenn wir von ‚Geist’, von ‚Gabe’, von ‚Begabung’ sprechen? Um die Bedeutung der tradierten Sprache zu klären, kann es hilfreich sein, sich zunächst zu fragen, was ‚Menschen auf der Straße’ mit ‚Geist’ assoziieren und was theologisch damit gemeint ist. Vielfach werden wir beim Wort ‚Geist’ auf Unverständnis stoßen, oder auf die Verbindung mit Geister, Gespenster oder ‚so was’ bis zu ‚Geist ist Verstand, Intelligenz, vielleicht Superhirn’.

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Im Unterschied zum Lateinischen haben wir im Deutschen nur ein Wort für Geist. Das Lateinische kennt dagegen einen differenzierten Sprachgebrauch: spiritus, mens, intellectus, animus, ratio. In Fremdwörtern gebrauchen wir solche Begriffe auch im Deutschen: Wir sprechen von spiritistisch, von Spirituosen, von mentalen Einstellungen, von Intelligenzquotienten, von intellektuell, von animieren, von Rationalität usw. Wenn wir als ChristInnen vom (‚Heiligen’) ‚Geist’ bzw. von ‚Geistbegabung’ reden, müssen wir uns der Vielfalt und Widersprüchlichkeit unserer Begriffe im (post-)modernen Kontext bewusst sein. Die Frage ist, woran wir mit unserer Glaubenssprache anschließen können?

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Für unsere abendländische Kultur ist eine abwertende Trennung des Körpers als ‚Materie’ von der Seele als ‚Geist’ charakteristisch. Im modernen Zusammenhang kann ‚Geistbegabung’ auch schnell mit ‚Intelligenz’ assoziiert werden. Der höhere Intelligenzquotient würde dann über den Grad der Geistbegabung Auskunft geben. Gerade Jugendliche, die im Schulsystem stehen, sind durch die Verbindung von Geist und Intellekt gefährdet, möglicherweise zu AußenseiterInnen im Bildungssystem zu werden. Im Hinblick auf die Intelligenz, der in unserer Wissensgesellschaft eine hohe Anerkennung zukommt, gibt es selbst im säkularen Bereich eine gewisse Trendwende, die sich mit Begriffen wie ‚emotionaler’ oder ‚spiritueller’ Intelligenz verbindet. Doch ist auch emotionale oder spirituelle Intelligenz nicht einfach mit ‚Geistbegabung’ gleichzusetzen.

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Ein 9. Prinzip kann heißen:

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Um dem Phänomen der Geistbegabung auf die Spur zu kommen, müssen wir uns von der Assoziation ja Identifikation von Geist und Bewusstsein bzw. Intellekt lösen.

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Was ist nun im religiösen und im spezifisch christlichen Kontext mit Geist gemeint? Das Wort ‚Geist’ zeigt sich in vielen Sprachen als geradezu undefinierbares Urwort; an seiner Wurzel ist indes in der Regel eine religiöse Urbedeutung auszumachen: Geist bezeichnet zunächst eine urtümliche Macht, eine übermenschliche, also göttliche Kraft, die sich in körperlichen Phänomenen, besonders in der Ekstase, aber auch in Besessenheit zeigen kann. Daraus ergibt sich ein 10. Prinzip:

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Geistbegabung ist nicht ‚etwas’, das durch Erziehung und Bildung ‚hergestellt’ werden kann; Geistbegabung fällt dem Menschen zu, ist ein Geschenk, und kann ihn buchstäblich ‚überfallen’.

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Religionsgeschichtlich gesehen besteht zunächst eher einen Zusammenhang zwischen Geist und Geistern als zwischen Intellekt und Geist. Das Geheimnisvolle, das Herumgeistern, das unberechenbar Überwältigende - das sind charakteristische Merkmale an der Wurzel des Urwortes ‚Geist’. Durchaus in Korrespondenz zu dieser Wurzel nennt die christliche Tradition den Heiligen Geist auch den Geist der Weisheit, der Einsicht, des Verstandes. Sie greift dabei auf eine Aufzählung der Gaben des Geistes im Buch des Propheten Jesaja zurück. Dort werden die Charismen, die Geistesgaben des künftigen Retters und gerechten Herrschers, aufgeführt: Verstand und Einsicht sind wie starke Zweige an dem Stamm, der aus der Wurzel ‚Geist’ hervortreibt. Die Wurzel aber ist Dynamik, unverfügbares Leben.

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Die Dynamik des Lebens, die im Wort Geist und damit auch in der ‚Geistbegabung’ liegt, kann man in den drei für die christliche Tradition wichtigen Sprachen (Hebräisch, Griechisch, Lateinisch) noch ‚hören’: Das griechische Wort pneuma und das lateinische Wort spiritus zeigen schon in ihrem Anlaut den Zusammenhang mit Hauchen. Das hebräische ruach bezeichnet sowohl den Atem wie den Wind, und zwar das kräftige Atmen und den stürmischen Wind. Beides hängt zusammen - mit Leben: So wie das Atmen für den Menschen lebensnotwendig ist, so auch der Wind, der Regen bringt, den Boden tränkt, damit er Lebensmittel hervorbringt. Somit ergibt sich als 10. Prinzip die Einsicht:

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Geist und Leben gehören untrennbar zusammen. Was für oder gegen das Leben ist, ist für oder gegen den Geist und umgekehrt.

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4.2. Unverfügbare Gabe des Menschen

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Sofern das Wort in seiner Wurzelbedeutung religiös eingefärbt ist, verwahrt es die Erfahrung, dass Geben und Nehmen von Leben letztlich etwas ist, das die Macht des Menschen übersteigt. Geist äußert sich spontan, ist unberechenbar, wird geschenkt, nicht erarbeitet. Bei den Phänomenen, die wir mit Geist in Verbindung bringen, sind zunächst einzelne Menschen im Blick: vom Geist ergriffen oder auch besessen, zum Charismatiker/zur Charismatikerin begabt oder zur Prophetin/zum Propheten berufen werden einzelne Menschen. Häufig sind es Persönlichkeiten, die den Geist einer Gruppe oder Institution prägen. Andererseits ist Geistbegabung wie Geistbesessenheit ein soziales Phänomen, eine Gabe oder eine Belastung für die Gemeinschaft. Es wird geradezu ein Kriterium zur Unterscheidung der Geister, dass das Charisma in den Dienst an der Gemeinschaft stellt. Im Unterschied zu den Falschpropheten mit ihren individualistischen Orakeln verkünden die wahren ProphetInnen, was Gott für sein Volk will.

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Im Verlauf der Lebens- und Glaubensgeschichten Israels nimmt die an sich unbestimmte numinose und wertindifferente Ruach auch die Konturen als Geist Jahwehs, als Geist Gottes an. Sie

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- schafft Leben und belebt die Schöpfung;

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- erweckt charismatische Rettergestalten und ProphetInnen;

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- ruht auf Königen, besonders auf dem verheißenen endzeitlichen König, Knecht, Propheten;

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- wird schließlich als endzeitliche Gabe für alles Fleisch, alles Leben, erwartet.

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Nur an drei Stellen (Jes 63,10.11; Ps 51,13) begegnet im Ersten Testament die Wendung ‚Heiliger Geist’ bzw. ‚Geist der Heiligkeit’. Heilig bezeichnet hier die unverfügbare Souveränität göttlichen Geistwirkens. Wird so einerseits menschliche und göttliche Ruach unterschieden - nur Gott ist heilig -, geht es andererseits darum, die Zuwendung des göttlichen Geistes zum Menschen zum Ausdruck zu bringen: Der heilige Geist ist der heiligende und heilende Geist. Sofern also im Ersten Testament von der Ruach Gottes die Rede ist, erscheint der Geist als schöpferische Macht Gottes, die Leben schenkt und erhält, im Kosmos wirkt und rettend in die Geschichte - einzelner wie des Volkes - eingreift und neues, endgültiges Leben verheißt.

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Die Ruach Jahwehs erscheint nicht als selbständige Größe neben Gott, sie ist vielmehr die Zugewandtheit Gottes, - die Zugewandtheit Gottes ‚in Person’ könnten wir sagen, wenn wir dies mit dem Schöpfungspsalm 104 so verstehen:

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"Verbirgst du dein Angesicht - nimmst du ihnen den Geist;

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sendest du deinen Geist aus - erneuerst du das Angesicht der Erde."

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Wo Gott der Erde sein Angesicht, sich selbst also, zuwendet, erhalten seine Geschöpfe Lebensatem und Lebensgeist; sobald der Herr sich abwendet, schwindet die Lebenskraft, geht der Schöpfung die Luft aus.

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Göttlicher Geist und menschlicher Atem, Angesicht Gottes und Antlitz der Erde werden in diesen Psalmversen jeweils durch dasselbe Wort - panim bzw. ruach - ausgedrückt. Die griechische Übersetzung des Alten Testaments verwendet für "Angesicht" ein Wort - prosopon - , das später in der lateinischen Theologie mit persona wiedergegeben wird. Hier ergibt sich eine Möglichkeit zum Verständnis dessen, was mit der Person des Heiligen Geistes gemeint ist, und das uns davor bewahren kann, unser Gottesbild im Sinne eines Dreigötterglaubens zu verzeichnen.Im Heiligen Geist wendet sich Gott selbst uns zu, um uns Leben zu schenken, uns am Leben zu erhalten, uns eine end-gültige Lebensperspektive einzuhauchen.

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Diesen seinen Lebenswillen hat der Gott des Lebens nach christlichem Verständnis im Neuen, im Zweiten Testament bekräftigt. Aus der Kraft des Geistes heraus verkündet Jesus die geisterfüllte Herrschaft Gottes in Wort und Tat. So erscheint er Zeitgenossen als der endzeitliche Prophet, Gottesknecht und Messias. Vom schöpferischen Geist zu neuem, endgültigem Leben beim Vater auferweckt, wird er selber zum Leben spendenden Geist bzw. zum Vermittler des heiligen-heilenden Geistes der neuen Schöpfung. Menschen erfahren den Geist Gottes als den Geist des Vaters und des Sohnes. Sie erfahren ihn als den, durch den sie zum Glauben kommen, in dessen Kraft sie Vertrauen zum Gott des Lebens, zum Schöpfer des neuen Lebens fassen können. Sie erfahren ihn als den, der sie in neuer, eben Leben fördernder Weise als Gemeinschaft zusammenleben lässt, der die Wahrheit über die todbringenden Mächte und die heilende Zuwendung Gottes aufdeckt und in Erinnerung ruft.

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Sie erfahren ihn als den, der die Gemeinschaft mit Charismen, Geistesgaben, beschenkt und jede und jeden auf ihre und seine Weise Zeugnis dafür geben lässt, dass Leben möglich ist, dass es sich lohnt zu leben. Weil dies keine Menschenmöglichkeit ist, weil dies keiner von uns versprechen oder gar garantieren kann, eben deshalb wird er bekannt und angerufen als der heilige-heilende Geist Gottes, als Geist des Gottes, der "ein Freund des Lebens" ist.

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5. Wer kann FirmkandidatInnen liturgisch und seelsorglich ‚gut’ begleiten?

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Verkündigung und Liturgie der Firmung ist an litugrische und seelsorgliche Prozesse, also an konkrete Menschen und ihre ‚Interaktion’ gebunden. Was – so können wir abschließend fragen – sind Kenzeichen für jene Menschen, welche die Geistbegabungen in der Gemeinde ‚gut’ feiern und verkünden können? (10)

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5.1. Sie haben Achtung vor allem Lebendigen.

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Die Achtung vor dem Lebendigen, die in unseren Tagen Menschen unterschiedlicher Weltanschauung verbindet, ist eine zutiefst geistliche Einstellung. Das bedeutet: Leben und Lebendigkeit können nicht gemacht werden. In ihrem Einsatz für die Erhaltung der Schöpfung sind die Menschen angewiesen auf die Lebensmacht des Geistes Gottes. Für gottgläubige Menschen jedenfalls heißt Leben: Mit dem Atem und im Windbraus des Schöpfergeistes von Gott her und auf ihn hin existieren.

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5.2. Sie fördern die Freiheit

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Gott gibt die Schöpfung frei als das andere, das sein darf, ohne dass es aufhört, sein Eigentum zu sein. Die Welt und die Menschen sind kein zwangsläufiges Produkt eines göttlichen Sichausdehnens, sondern freigewollte Frucht göttlicher Liebe, die - ohne die anderen zu brauchen - aus sich herausgeht und andere sein lässt. So ist der Mensch frei, nämlich in geschenkter Freiheit. Aus dem Geist leben heißt: anderem Leben Raum geben, Weite eröffnen, seine Existenz bejahen und respektieren und in all dem seine Freiheit wollen und fördern.

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5.3. Sie leben in Beziehung

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Geist ist ekstatisch, geht aus sich heraus, auf anderes zu, ist dadurch er selbst, ohne Angst, sich im auf den anderen Zugehen selbst zu verlieren, selbst zu kurz zu kommen. Als Geistgeschöpf hat alles Lebendige teil an der Heiligkeit, der Unverfügbarkeit. Leben aus dem Geist als Beim anderen Sein bedeutet also weder Selbstaufgabe - das wäre eine falsch verstandene Spiritualität - noch Vergewaltigung des anderen - das wäre gar keine Spiritualität. Die Glaubwürdigkeit der Kirche, die im Neuen Testament auch Tempel des Geistes genannt wird, hängt nicht zuletzt davon ab, ob sie in ihrem eigenen Haus, gegenüber allen Hausgenossen diesen Respekt vor der Freiheit aufbringt, vor der Freiheit des Gewissens, vor der Freiheit des Forschens, vor der Freiheit zum Widerspruch. Was von der Gesellschaft gefordert wird - die Respektierung der Gewissensfreiheit - , darf nicht bei den eigenen Mitgliedern in falscher Weise spiritualisiert werden!

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5.4. Sie wenden sich der unterdrückten Kreatur zu

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Das Neue Testament erzählt, dass Jesus vom Geist in die Wüste und dort in Versuchung geführt wird. Dass Jesus vom heiligen Geist Gottes erfüllt ist und nicht dem unheiligen, widergöttlichen, lebensfeindlichen Ungeist folgt, zeigt sich darin, dass er der Versuchung widersteht, äußerliches Sattwerden, schrankenloses über andere Herrschen und Gott als den Herrn des Lebens Herausfordern mit der Selbstverwirklichung des Menschen zu verwechseln. Die Menschen sind nicht Herren des Lebens; sie sind vielmehr - geschaffen nach seinem Bild und Gleichnis - berufen als Hüterinnen des Lebens, als Pfleger der Schöpfung. Wie Jesus sich in der Kraft des Geistes besonders den vom Leben vernachlässigten, den Unterdrückten, Zukurzgekommenen zuwandte, so verwirklicht sich geistgemäßes Leben in besonderer Weise in dem, was die Christen Lateinamerikas die "vorrangige Option für die Armen" nennen. Wer dies als Politisierung des Evangeliums denunzieren will, muss erklären, wie er den Pfingsthymnus ohne falsche Spiritualisierung verstehen will, wenn es da heißt: "Komm herab, o Heilger Geist, der die dunkle Nacht zerreißt, strahle Licht in diese Welt. Komm, der alle Armen liebt, komm, der gute Gaben gibt, komm, der jedes Herz erhellt. - Höchster Tröster in der Zeit, Gast, der Herz und Sinn erfreut, köstlich Labsal in der Not, in der Unrast schenkst du Ruh, hauchst in Hitze Kühlung zu, spendest Trost in Leid und Tod. - Komm, o du glückselig Licht, fülle Herz und Angesicht, dring bis auf der Seele Grund. Ohne dein lebendig Wehn kann im Menschen nichts bestehn, kann nichts heil sein noch gesund.- Was befleckt ist, wasche rein, Dürrem gieße Leben ein, heile du, wo Krankheit quält. Wärme du, was kalt und hart, löse, was in sich erstarrt, lenke, was den Weg verfehlt."

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5.5. Sie leben unter Vorbehalt

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So sehr die Nachfolgerinnen und Nachfolger des geisterfüllten Jesus aufgerufen sind, mit am Reich des Geistes zu bauen, - es gehört zu ihrer geliehenen Existenz, dass sie sich als unnütze Mägde und Knechte verstehen, wie das Evangelium sagt. Das heißt: Nicht die Menschen, sondern der Gott des Lebens selbst führt in die Vollendung. Alles menschliche Tun ist zu relativieren; nichts, was dem Reich Gottes dient, ist absolut, absolut ist nur dieses selbst.

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Diese Kriterien zur Unterscheidung des Geistes gelten auch da, wo sie nicht ausdrücklich mit dem Heiligen Geist in Verbindung gebracht werden. Sie gelten erst recht da, wo man sich auf den Heiligen Geist beruft. Nur da, wo wenigstens nachhaltig versucht wird, diesen Kriterien zu entsprechen, werden Kirchen glaubwürdig dazu einladen können, sich auf ein Leben aus dem Geist einzulassen. Ob Kirchen, ob die Christen in ihnen geistlich sind, zeigt sich daran, ob sie dem Leben dienen. Alles christliche Handeln und jede kirchliche Ordnung muss sich geistlich-kritisch befragen lassen, ob es Leben fördert, der Lebensqualität dient, die der Gott des Lebens für alle vorgesehen hat.

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Weil Menschen bei allem guten Willen auch dann noch schwache Geschöpfe sind, können sie nicht oft genug den Hymnus anstimmen: "Komm, Schöpfer Geist! - Gib dem Volk, das dir vertraut, das auf deine Hilfe baut, deine Gaben zum Geleit. Lass es in der Zeit bestehn, deines Heils Vollendung sehn und der Freuden Ewigkeit. Amen. Halleluja."

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Anmerkungen:

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1. Der Begriff ‚Firmbegleitung’ wird hier bewusst für den seelsorglichen und liturgischen Umgang mit heranwachsenden FirmkandidatInnen gewählt. Wie die folgenden Ausführungen deutlich machen werden, setzt sich die Firmbegleitung von einem ‚Firmunterricht’ oder auch von einer ‚Firmkatechese’ im Sinne einer ‚religiösen Unterweisung’ deutlich ab, indem die ‚geistbegabten’ Jugendlichen als Subjekte eines ‚intersubjektiven’ Geschehens radikal ernst genommen werden. M.A. müsste der Katechesebegriff generell in diese Richtung verändert werden. Das ermöglicht eine Wahrnehmung (oft implizit bleibender) ‚biografischer’, ‚kommunikativer’ und ‚kontextueller Theologie’, die mit der expliziten Theologie der Glaubenstradition in ‚dynamische Balance’ gebracht werden muss. Vgl. zu diesem Ansatz: Scharer, Matthias/Hilberath, Bernd-Jochen, Kommunikative Theologie. Grundlegung, Mainz 2002.

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2. Vgl. die hermeneutischen Perspektiven der ‚Kommunikativen Theologie’ in: M. Scharer/B.J. Hilberath, Kommunikative Theologie.

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3. Damit verbinde ich die frühkirchliche Form der mystagogischen Katechese, die der Feier der Glaubensgeheimnisse nachgeordnet war und sie aus dem Vollzug heraus erschloss, mit dem Anliegen einer Kommunikativen Theologie als partizipativen Prozess, in dem sich die oben genannten Perspektiven verbinden und in ‚dynamischer Balance’ gehalten werden.

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4. Hilberath, Jochen/ Scharer, Matthias, Firmung: Wider den feierlichen Kirchenaustritt. Theologisch-praktische Orientierungshilfen, Mainz u.a.O. 1998; 22000.

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5. Vgl. u.a. Konstitution über die heilige Liturgie ‚Sacrosanctum Concilium’ (SC), 71.

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6. Vgl. Boff, Leonardo, Gott kommt früher als der Missionar. Neuevangelisierung für eine Kultur des Lebens und der Freiheit, Düsseldorf 1991.

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7. Vgl. Höring, Patrik C., Identität radikaler Pluralität, in: Diakonia 32 (2001) 278 – 284.

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8. Hünermann, Peter, Sakrament – Figur des Lebens, in: Schaeffler, R./Hünermann, P., Ankunft Gottes und das Handeln des Menschen (QD 77), Freiburg i. Br. 1977, 55.

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9. Vgl. Hilberath, Bernd Jochen/Scharer, Matthias/Haslinger, Herbert, Konkretion: Leitung, in: Handbuch Praktische Theologie Bd.2, hg. v. Haslinger, Herbert u.a., Mainz 2000, 494 – 510.

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10. J.B. Hilberath hat in unserem gemeinsamen Firmbuch 5 Kriterien für die FirmbegleiterInnen angeführt, welche auch für die LiturgInnen und SeelsorgerInnen gelten.

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