Forschung
Univ.-Prof. Dr. Eva Bänninger-Huber
Die Forschung von Eva Bänninger-Huber ist gekennzeichnet durch einen interdisziplinären Forschungsansatz, der Methoden und Inhalte unterschiedlicher psychologischer Disziplinen wie der Klinischen psychologie, der Emotions- und der Psychotherapieforschung miteinander verknüpft. Sowohl bei der Modellbildung als auch bei der Interpretation der untersuchten Prozesse sind neuere Konzepte und Befunde der Psychoanalyse von zentraler Bedeutung. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Untersuchung der affektiven, insbesondere der mimischen Aspekte verschiedener Arten naher Beziehungen mittels Videoaufnahmen (Alltagsbeziehungen, Klinische Interviews, psychotherapeutische Interaktionen). Diese Interaktionen werden als dyadisches Geschehen konzeptualisiert, das von beiden beteiligten Personen bewusst und unbewusst mitgestaltet wird.
Der Hauptteil der neuesten Abschlussarbeiten in diesem Forschungsbereich betrifft die mikroanalytische Untersuchung ausgewählter interaktiver Beziehungsmuster und ihre Bedeutung für den psychotherapeutischen Prozess, mimische Synchronisierungen, die Phänomene „Weinen“ und „Schweigen“ anhand von Videoaufnahmen.
Außerdem werden interaktive Regulierungsprozesse bei bestimmten Dyadentypen untersucht. Dazu zählen Alltagsinteraktionen verschiedener Dyadentypen (z.B. Mütter mit ihren Klein-kindern, Freunde, Paare, Väter mit ihren adoleszenten Söhnen, Mütter mit ihren adoleszenten Töchtern), Untersuchungen mit Patienten und Patientinnen unterschiedlicher Störungsgruppen (z.B. Mütter mit ihren anorektischen Töchtern), als auch Interviews (OPD) zwischen Therapeuten und Patienten. Sowohl quantitative als auch qualitative Methoden (qualitative Inhaltsanalysen) kommen dabei zum Einsatz. Neben diesem Kernbereich werden auch Untersuchungen durchgeführt, welche narrative Interviews als Datenerhebungsmethode verwenden. Auch hier sind die Forschungsinhalte sehr vielfältig und umfassen Themen wie „Emotionsarbeit in Ärger Situationen bei Pflegekräften dementer Menschen“, „Glücksmomente in der Psychotherapie“ oder das „Erleben und die Regulierung von Emotionen bei polnischen Migrantinnen.“
Die Lehre reflektierte die oben beschriebenen Forschungsthemen. So werden etwa Vorlesungen zu den Themen „Nonverbale Kommunikation“ und „Emotionale Prozesse im Alltag und der Psychotherapie“ angeboten, Seminare im Bereich der Störungsbilder (z.B. Essstörungen, Zwangsstörungen, Depressionen), Klinischer Interventionen (z.B. Psychoanalyse, Gerontopsychologie) oder Gesprächsführung. Regelmäßig finden ein FACS-Kurse statt sowie Vertiefungen in der Anwendung von Methoden der Verhaltensbeobachtung.
Forschungsansatz und -bereiche
Unser Ansatz ordnet sich in die Psychotherapieprozessforschung ein und verfolgt das Ziel, das affektive Regulierungsgeschehen in psychoanalytischen Psychotherapien anhand von Videoaufnahmen mikroanalytisch zu beschreiben und mit dem Therapiefortschritt in Beziehung zu setzen.
Dabei wird ein interdisziplinäres Vorgehen gewählt, indem Erkenntnisse und Methoden aus verschiedenen, traditionell unterschiedlichen Bereichen, kombiniert werden. Es sind dies im Wesentlichen die Disziplinen Klinische psychologie, Emotionspsychologie, Psychotherapieforschung, Interaktionsforschung, Entwicklungspsychologie und Psychoanalyse.
Dabei verfolgen wir einen Ansatz der Verhaltensbeobachtung und untersuchen die interessierenden Phänomene in möglichst ökologisch validen Situationen. Sowohl qualitative als auch quantitative Methoden kommen zum Einsatz. Zur Codierung der Daten wird das Facial Action Coding System (FACS) von Ekman et al. (2002) verwendet.
FACS ist ein objektives Beobachtungssystem, das auf anatomischen Beschreibungen der Gesichtsmuskulatur basiert. Differenziert werden 33 Beobachtungseinheiten (=Action Units). Solche Videoanalysen haben den Vorteil, dass damit auch unbewusste emotionale Prozesse identifizierbar werden, die sich zwar auf dem Gesicht zeigen, aber einer subjektiven Beschreibung nicht zugänglich sind.
Ein weiteres Anliegen ist die Verbindung von Grundlagenforschung und praktischer Anwendung. Aus diesem Grund analysieren wir das emotionale Verhalten verschiedener klinischer Patientengruppen in unterschiedlichen sozialen Interaktionen und in der Psychotherapie. Die Analyse emotionaler Prozesse im nicht-klinischen Kontext bildet eine wichtige Ergänzung im Bereich der Grundlagenforschung.
- Was zeichnet eine gute therapeutische Beziehung aus?
- Welche verbalen und nonverbalen Verhaltensweisen unterstützen einen produktiven therapeutischen Prozess?
- Was tragen nonverbale Verhaltensweisen zur Aufrechterhaltung der notwendigen Balance zwischen Beziehungssicherheit und Konfliktspannung in der therapeutischen Beziehung bei?
Diesen Fragen wird in einem seit März 2011 angelaufenen Forschungsprojekt nachgegangen. Datenmaterial bilden psychoanalytische Langzeittherapien, die an der psychotherapeutischen Forschungsambulanz des Institutes für psychologie der Universität Innsbruck stattfinden. Diese werden mit Einverständnis der Patientinnen und Patienten vollständig im Split-Screen Verfahren auf Video aufgezeichnet. Das Projekt entspricht wurde von der Ethikkommission geprüft und mit dem "Certificate of good Standing" der Universität Innsbruck versehen.
Die Videodaten werden mit intrapsychischen und interaktiven Prozessen der Affektregulierung, mit klinisch-psychodynamischen Einschätzungen des Therapieprozesses und mit diagnostischen Daten von mehreren Messzeitpunkten (Therapiebeginn, Therapieende, Katamnese) in Beziehung gesetzt. Verwendet werden diverse Selbst- und Fremdeinschätzungsinstrumente (SKID, AAP, SCL-90, IIP, EER, OPD-SF, PHQ, FLZ).
In einer Vielzahl früherer Studien wurden bereits spezifische interaktive Beziehungsmuster (PAMs, TRAPs u.a.) identifiziert, die dazu dienen, Störungen in der Affektregulierung mit Hilfe des Gegenübers aus zu regulieren. In diesem Forschungsprojekt werden nun diese Phänomene und ihre Bedeutung für die therapeutische Interaktion systematisch und im Vergleich zwischen unterschiedlichen therapeutischen Dyaden untersucht. Einen weiteren thematischen Schwerpunkt bildet die Analyse des Zusammenhangs zwischen Häufigkeit und Dauer mimischer Synchronisierungen und einem produktiven therapeutischen Prozess. Schließlich wird auch dem Phänomen des Weinens im therapeutischen Setting Aufmerksamkeit geschenkt. Insgesamt sollen die Bedeutung und die Funktion nonverbaler, unbewusster Regulationsmechanismen in psychoanalytischen Therapien besser verstanden und für die klinische Optimierung von therapeutischen Haltungen und Interventionen nutzbar gemacht werden.
Im Bereich emotionale Prozesse in Alltagsinteraktionen geht es primär um die Untersuchung der Entstehung und Regulierung von Emotionen in der direkten zwischenmenschlichen Interaktion. Auch hier bilden Videoaufnahmen die Grundlage für die Mikroanalysen des in der direkten Interaktion auftretenden verbalen und nonverbalen Verhaltens. Dieses wir in unterschiedlichen emotionalen Kontexten und Beziehungstypen untersucht.
Interaktive Beziehungsmuster wie die sog. Prototypischen Affektiven Mikrosequenzen (PAMs) und traps sind wichtige Prozesse der interaktiven Affektregulierung. Sie sind u.a. gekennzeichnet durch gemeinsames Lächeln und Lachen und erhöhen die affektive Bindung in einer Beziehung. Bislang konnten PAMs in zahlreichen Alltagsinteraktionen (z.B. Langebner, 2000; Juen & Juen, 2001; Köhler, 2002; Peham, 2005; Dietl, 2009; Schiestl, 2012; Schiestl & Bänninger-Huber, 2014; Fiechtner, 2015) im Kontext verschiedener negativer Emotionen (Ärger, Schamgefühle, Eifersucht, Schuldgefühle) und in unterschiedlichen Dyadentypen (psychotherapeutische Interaktionen, Mütter mit ihren zweijährigen Kindern, Paare, Freundinnen und Freunde, Mütter und adoleszente Töchter, Väter und adoleszente Söhne, Mütter und anorektische Töchter) identifiziert werden.
In weiteren Arbeiten wurden sog. traps („Beziehungsfallen“) konzeptualisiert (z.B. Bänninger-Huber, 1996; Bänninger-Huber & Widmer, 2000) und identifiziert (z.B. Geir & Mair, 1999; Peham, Ganzer, Bänninger-Huber & Juen, 2002; Peham, 2005; Gruber, 2013; Gruber & Bänninger-Huber, 2014; Fiechtner, 2015). Traps haben die Funktion, die durch eine Erzählung reaktivierte negative Emotion eines Individuums auszuregulieren, indem sie das Gegenüber zu entlastenden Reaktionen „verführen“. Damit wird die Konfliktspannung in der Dyade reduziert. Eine gelingende Form der dyadischen Affektregulierung ist charakterisiert durch eine Balance zwischen Beziehungssicherheit und Konfliktspannung, die sich auf der Ebene des Verhaltens in Form sog. gelingender PAMs (mit Lächeln und Lachen) und nicht-gelingenden traps (keine Entlastung) manifestiert.