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Niewiadomski Jozef: Global village und Weltkirche
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Global village und Weltkirche

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:Ist der Blick auf die universale Kirche hilfreich in einer Welt, die die Globalisierung heute weitgehend als Bedrohung erlebt? Die Katholische Kirche ist jedenfalls der Kultur des Weltdorfes zum Stein des Anstoßes geworden. Diese ist von der Katholischen Kirche fasziniert und stolpert gleichzeitig über sie. Als weltweite, multikulturell verwurzelte Organisation mit (eigener) globaler Infrastruktur, mit dem Papst als Repräsentanten, der verbindlich in ihrem Namen zu sprechen vermag, mit Millionen von Menschen, die (nicht nur in den unzähligen katholischen Basisgemeinden) im Grunde dasselbe glauben, leben und auch tun wie Mutter Theresa, bleibt die Katholische Kirche das wichtigste Sozialgebilde der Gegenwart, das sich dem verschleiernden Globalisierungstraum nicht unterwirft.
Publiziert in:Theologisch-Praktische Quartalschrift 148 (2000)
Datum:2003-05-23

Inhalt

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1. Elemente einer Vision

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Die Rede „Gaudet Mater Ecclesia", die Papst Johannes XXIII. zur Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils gehalten hat, (1) warnte nicht nur vor den „Unglückspropheten" (8) und legte den Konzilsvätern den berühmt gewordenen „Sprung vorwärts" in der Durchdringung kirchlicher Tradition nahe (15). Sie reflektierte auch auf eine neue Art und Weise die Frage nach der „Einheit der christlichen und der menschlichen Familie" (18-20). Den tiefsten Grund für die Vision einer menschlichen Familie erblickte der Papst im universalen Heilswillen Gottes (vgl. 1 Tim 2,4), zielt doch dieser auf „eine umfassende und dauerhafte Einheit der Herzen". Eine solche „sichtbare, in der Wahrheit gegründete Einheit" hat aber nicht einmal die christliche Gemeinschaft erreicht. (18). Deswegen wird die katholische Kirche auch in ihrer institutionellen Gestalt in die Pflicht genommen, „sich mit Nachdruck dafür einzusetzen, dass das große Geheimnis der Einheit sich voll offenbart."

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Dem Hinweis auf den kirchlichen Einsatz folgen aber keine strategischen Schritte. Von der jahrhundertealten Tradition, die das Ringen um die kirchliche Einheit im Zusammenhang mit der Bemühung um die Einheit des Reiches gesehen und deswegen auch den Einsatz der politischen Gewaltmittel als strategische Maßnahme geheiligt hat, findet sich in der Rede keine Spur mehr. Auch die verhängnisvolle Versuchung, die Einheit der Menschheit durch die Unterordnung eines jeden Menschen unter die eine legitime päpstliche Macht zu definieren, gehört der Vergangenheit an. Johannes XXIII greift zwar auf die Metapher der ganzen Menschheit zurück, der (Alb)Traum eines Bonifaz VIII. liegt ihm fern. (2) Die leidvollen Erfahrungen haben das Gedächtnis der ältesten Institution der Menschheit nachhaltig geprägt und sie gelehrt, dass der geglaubte und erhoffte Universalismus - "die tiefe Einheit der Herzen" - nicht auf dem Weg gewaltsamer Unterwerfung herstellbar ist. Anstatt die Konturen einer politischen, oder auch nur juridischen Einheit der Menschheit zu zeichnen, gibt dieser Papst ein Glaubenszeugnis ab. Die Einheit sei durch Christus, vor allem durch seine Passion bereits verwirklicht. Der Kirche und der Welt kommt sie aber zuerst im Modus seines Gebetes zu: die Kirche weiß sich in dieses Gebet Christi einbezogen und sie ist froh, dass sein Gebet auch außerhalb ihrer Gemeinschaft Frucht trägt (19).

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Die vom Johannes XIII. nur angedeutete Logik wird in der sehr komplexen Ekklesiologie des Zweiten Vatikanums begrifflich ausgearbeitet. Der Glaube, dass der universale Heilswille Gottes von seinem Wesen her ekklesiale Konturen hat, deswegen primär nicht den isolierten Individuen gilt, die je einzeln gerettet und nachträglich zu einem sozialen Gebilde geschlossen werden (3), lässt sich dort vom Bekenntnis zur konkreten - auch institutionalisierten - katholischen Kirche, nicht trennen. So wie jede Eucharistiegemeinschaft ein Zeichen und Werkzeug des universalen Heilswillens Gottes und damit auch einen Ausweis der Katholizität darstellt, so tut das auch die weltweite Institution. In diesen beiden fundamentalen Bedeutungen ist ja dem Konzil die Kirche das Sakrament für die Einheit mit Gott und auch für die Einheit der Menschen untereinander (4). Es ist ein "allumfassendes Heilssakrament", das aber in allen seinen Einrichtungen nur "dieser Weltzeit angehört" (5) . Der eschatologische Charakter der Kirche macht einen Strich durch die Rechnung im Kontext aller Träume vom Modell einer societas perfecta, das im Kontext der durch Endlichkeit, Versagen und Schuld gezeichneten Geschichte mit welchen Mitteln auch immer zu reproduzieren wäre, der sakramentale Charakter vollbringt dasselbe im Zusammenhang der Versuchung zur religiösen Unmittelbarkeit. Gott ruft zwar jeden beim Namen an, doch er beruft nicht ein isoliertes Individuum; seine Beziehung zu der einen Menschheit "materialisiert" sich geradezu in den vielen Beziehungen der Menschen untereinander, in gemeinsamen - oft mit Blut und Tränen geschriebenen - Lebensgeschichten, kontextuellen Traditionen und allzu ambivalenten Zeichen. Sie inkarniert sich schlussendlich in seinem Sohn, dessen zentrales Anliegen zwar eine unmittelbare Sammlung war, dessen irdische Lebensgeschichte aber in der Sackgasse einer Sammlung gegen ihn endete. Deshalb können Ablehnung und Abbruch von Kommunikation für das Verständnis jener tiefen Einheit der Herzen, auf die der universale Heilswille Gottes hinzielt, nicht etwas Äußeres und Sekundäres darstellen. Weil Gott in Christus in die Schicksalsgemeinschaft einer durch Endlichkeit, Versagen und Schuld gekennzeichneten Welt eingetreten und ihr sogar zum Opfer gefallen ist, kann die Kirche an den alle Grenzen aller Schicksalsgemeinschaften überwindenden Heilswillen glauben. Ubiquitär und durch die Zeiten hindurch transformiert also dieser universale Heilswille des einen Gottes den widersprüchlichen Synkretismus menschlicher Geschichten zur einen großen Geschichte mit Gott und damit auch die vielen antagonistischen menschlichen Gruppen zu der einen Menschheit.

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Aus solchen Gründen glaubt das Konzil die Religionsfreiheit als einen religiösen Wert(6) und buchstabiert dies - angesichts der ambivalenten Kirchengeschichte - auf eine geradezu revolutionäre Art und Weise als die Logik der einen Kirche, die dem universalen Heilswillen Gottes entspricht, sowohl im Hinblick auf die sakramentstheologischen als auch auf die institutionellen Aspekte empirischer Kirchen und Glaubensgemeinschaften durch. Als komplexe Wirklichkeit, eine hierarchisch strukturierte Gesellschaft und der Leib Christi, ist die Kirche in der weltweiten Katholischen Kirche verwirklicht (7). Deren Liturgie und Diakonie (das Weltenagement ist ja bloß die Konsequenz des Evangeliums) (8), aber auch ihr Geschick (im Tun und Ergehen) sind für die Wahrnehmung der kirchlichen Einheit, genauso wichtig, wie die institutionelle Leitung. Aus diesem Grund bleibt auch die, eine Institution erst schaffende Logik des Amtes, hier dem sakramentalen Ordo verpflichtet; Amtsträger und Vorsteher der Eucharistie stellen verschiedene Nuancen von ein und derselben Lebensgeschichte dar.

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Das Bekenntnis zur Verwirklichung dieser Einen Kirche in der Katholischen kann sie logischerweise nicht von den anderen Kirchen und religiösen Gemeinschaften abgrenzen. Universaler Heilswille Gottes mit Religionsfreiheit verbunden, definiert ja die Einheit weder in den Kategorien der Uniformität, noch durch Abgrenzung, sondern bei der Annerkennung der Differenzen durch konsequente Grenzüberwindung: Die Suche nach dem gemeinsamen Nenner weitet also die Grenzen der Catholica!

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Auf unterschiedliche Weise spiegelt sich demnach der katholisierende Impuls in jenen Arten von Einheit wider, die die vom apostolischen Stuhl getrennten Christen oder die nicht christlichen Religionen, schlußendlich auch alle Menschen mit der katholischen Kirche in Wertschätzung und Respekt verbinden. (9) Dem saloppen Verständnis der Einheit, das sie als eine wie auch immer geartete Uniformierung und Schleifung von konfessionellen oder religiösen Ansprüchen begreift, schiebt das Konzil einen klaren Riegel vor. Weil die getrennten Kirchen und Gemeinschaften nicht ohne Bedeutung für das Geheimnis des Heils sind (10), stellt nicht nur deren religiöse und kulturelle Vielfalt, sondern selbst die Tatsache der christlichen Trennung etwas Wichtiges dar für die Zuordnung der im universalen Heilswillen Gottes begründeten Einheit zu allen empirisch greifbaren Formen der Katholizität. Die Zerrissenheit des Menschen durch die Sünde, die den tiefsten Grund für die Trennungen und Feindschaften unter den Menschen darstellt und die Grenzen, die sich schon aufgrund der menschlichen Endlichkeit ergeben, verstärkt, spiegelt sich auch in der kirchlichen Geschichte und Gegenwart wieder; ja sie trifft die Kirche in ihrem Wesen. Die Trennung wird deshalb mit dem heilsgeschichtlichen Geheimnis in Verbindung gebracht, nicht aber durch eine moralisierende Brille, oder aber durch die Jagd auf Sündenböcke bewältigt. Obwohl Catholica, bleibt also die institutionelle Katholische Kirche auffallend skeptisch all den Einheitsbestrebungen (in der christlichen, oder aber in der menschlichen Familie) gegenüber, die die tiefen, oft jahrhundertealten Risse strategisch bewältigen, oder nur hinweginterpretieren wollen. Weil das Geheimnis des Bösen und die Macht der Sünde auch die best gemeinten strategischen Schritte pervertieren kann, darf die Hoffnung auf die "tiefe Einheit der Herzen" von der heilsgeschichtlichen Dramatik niemals losgelöst werden.

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Dieser katholische Glaube an die die Menschen einigende Kraft des kirchlichen Sakramentes scheint für viele Zeitgenossen inzwischen obsolet geworden zu sein. Und dies weniger aufgrund des kirchlichen Unvermögens diese Vision glaubwürdigt durch Zeugnis zu unterstützen, vielmehr wegen der Veränderungen der Welt von heute.

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Die nachkonziliare Entwicklung selbst stand ja im Dienste der Vision und machte die Katholische Kirche erst recht zu einer Weltkirche in actu. Nimmt man die Enzyklika von Paul II. "Evangelii nuntiandi" als Maßstab für eine normative Refelxion zum Thema: "Weltkirche", so wird man sagen, die eine Catholica unter der Gestalt vieler Teilkirchen gibt es erst heute: Menschengruppen, die eine bestimmte Sprache sprechen, durch ein kulturelles Erbe, eine Weltanschauung und eine geschichtliche Vergangenheit verbunden sind, leben ihre Katholizität, weil sie mit anderen Teilkirchen im Vollzug der Liturgie, der Diakonie, im Erleiden des Geschicks, aber auch in den katholischen Amtsstrukturen verbunden sind. Die größte organisierte Religionsgemeinschaft der Welt von mehr als einer Milliarde Menschen hat sich in den nachkonziliaren Jahren auf eine bemerkenswerte Weise als Lerngemeinschaft in Sachen Ökumene, Toleranz und Religionsfreiheit gezeigt(11) und sorgte mit, für viele politische und kulturelle Veränderungen, die den Weg der Erfahrung der einen Menschheit ebnen(12). Warum wird dann dieser katholisierende Weg - selbst von vielen Katholiken - als obsolet erlebt?

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2. Catholica electronica et oeconomica unitas

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Durch die Weltkriege, v.a. durch den Zweiten Weltkrieg, aufgrund moderner Verkehrsmittel und die Migration von Menschen, durch Rundfunk, Fernsehen, schlussendlich auch Internet ist die Welt für die Menschheit des ausgehenden 20. Jahrhunderts auch auf der Ebene der alltäglichen Erfahrung zu einem großen Dorf geworden. Doch nicht der universale Heilswille Gottes und dessen kirchliche Präsenz wird als Geburtshelfer des global village identifiziert. Weder dem religiösen Glauben, noch der politischen Bemühung um die Einheit der Welt kommt diese Ehre zu, sondern der modernen Informationstechnologie und dem Markt mit seiner Eigengesetzlichkeit. Dessen „unsichtbare Hand" hat sich in den letzten zwanzig Jahren zunehmend an die Stelle der sichtbaren Hand der Politik, die Bilder der neuen Medien an die Stelle der Bilder, Worte und Sakramente klassischer Religionen (13) gesetzt. Der Glaube an die Bedeutung der Eigengesetzlichkeit der Computersysteme und Satelitenprogramme, von transnationalen Unternehmen, schlussendlich auch der Kapitalströme ersetzt in der politischen Philosophie und der Sozialwissenschaft der Gegenwart nicht nur den Glauben an Gottes Wirken, sondern mehr oder weniger konsequent auch das Vertrauen in den Menschen, der die Geschichte unserer Welt gestaltet. Nicht nur der Rahmen des großen Weltdorfes, auch die moderne Weltgesellschaft samt ihren Kommunikationsprozessen wird als das Ergebnis eines Vorgangs dargestellt, der sich letztendlich unabhängig vom Wollen und Planen der Menschen vollzieht.(14)

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Obwohl von den Menschen produziert, präsentiert sich das global village denselben Menschen als vorgegeben; als eine electronica et oeconomica unitas absorbiert es Kulturen, Religionen und Individuen zu einer neuen Catholica. Überall in der Welt und zu jeder Zeit überwindet der entscheidende Sozialisationsfaktor der Globalkultur - die kommerzialisierten neuen Medien - Grenzen und Barrieren; Menschen aller Rassen und Sprachen, aller Schichten und Gruppen werden - und dies unabhängig davon, ob sie dies wollen oder nicht - zu ein und derselben globalen Gemeinschaft vereinigt. Es ist allerdings eine Gemeinschaft vom höchst paradoxen Charakter. Realpolitisch scheint sie immer mehr zum Inbegriff einer Illusion zu werden, „hinter deren brüchiger Kulisse die Verelenden stehen, die keinen Zugang zu den neuen Medien haben und so vollends ihre Stimme verlieren". (15) Aber auch die Gemeinschaft derer, die auf eine privilegierte Art und Weise im großen Weltdorf beheimatet sind, ist von fundamentalen Wiedersprüchen gezeichnet. Die mediale Illusion der einen Welt verstärkt zwar bei ihnen die wahrgenommene Ungleichzeitigkeit, sie verführt aber zu trügerischen Hoffnungen auf die Möglichkeit einer raschen Beseitigung der Ungleichzeitigkeit durch Angleichung an einen, durch die mediale Kultur selbst definierten Standard. Die feuerbachsche und leninistische Religionskritik, die im Glauben bloß Opium des Volkes, oder aber für das Volk gesehen hat, bekommt angesichts der eletronica et oeconomica religio eine neue Nuance. Neben der wirtschaftlich-politischen Zerrissenheit steigert die globalisierende Kultur die Zerrissenheit der Menschen in anthropologischer Hinsicht. Drei Beispiele sollen diese These beleuchten.

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Die elektronisch ermöglichte Ubiquität und Gleichzeitigkeit von Zivilisationen im global village zielen auf eine unmittelbare Beziehung und Bindung (religio) zwischen der Kultur der Globalität und dem sich seine eigene Welt zusammenbastelnden Zeitgenossen. Wenn schon jeder Zuschauer bei den Fernsehnachrichten je individuell in eine "unmittelbare" Beziehung zu den Chancen und Problemen des global village tritt, tut dies umso mehr der Surfer. Das Dorf präsentiert ihm sowohl die Mechanismen des Marktes, als auch die mediale Vernetzung sämtlicher Kommunikationsräume bloß als institutionelle Möglichkeitsbedingen seiner Freiheitserfahrung. Die theoretische Auflösung des Subjektes und die radikale systemtheoretische Funktionalisierung der Wirklichkeit gehen also in der electronica et oeconomica religio Hand in Hand mit dem emphatischen Glauben an die Möglichkeit der Verwirklichung der individuellen Freiheitsträume. Der medial vermittelte Pluralismus von individuellen Lebenshaltungen, Religionen und Kulturen schafft ja automatisch ein neues Lebensideal. Es ist eben das Ideal einer frei zu wählenden Bricollageidentität. Synkretismus, Bastelmentalität, Self-Fashioning: solche Begriffe stehen Pate für das modern gestylte Leben. Und was ist mit der ausdrücklichen "religio" (Bindung)? Wenn schon Religion, dann auf jeden Fall eine freikirchliche! Oder bloß als ein "Event"! Alles andere gilt als Beschneidung der Freiheitserfahrung.

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Die fortschreitende Auflösung von traditionellen kulturellen, politischen und religiösen Institutionen zugunsten der Bricollagelogik oder aber die Degradierung von Institutionen zum Vorbereitungsrahmen von Events, bereichert zwar das gesellschaftliche Leben der Gegenwart. Die Kehrseite der Entwicklung ist inzwischen aber auch nicht zu übersehen. Das von den neuen Medien unablässig bezeugte "Evangelium", das jedem Individuum seinen eigenen Gott, seinen eigenen Himmel und auch seine eigenen Weg dorthin - seine eigene Kirche - verkündet, verbindet die Menschen nicht untereinander, sondern isoliert sie zunehmend.

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Dem emphatischen Vertrauen, dass Lebensgeschichten und Traditionen im Supermarkt der Möglichkeiten nach Belieben vom Individuum gewählt und gestaltet, dass Kulturen und Religionen weltweit wie "Hamburger" konsumiert werden können, korrespondiert auch eine Kontrasterfahrung: zunehmend mehr Menschen definieren sich in dieser Weltgesellschaft als Opfer. Und dies wohl, weil sie bereits unter die Räder der neuen religio gekommen sind und den schmerzhaften Unterschied zwischen den "Hamburger-Konsumenten" mit und jenen ohne "Geld" entdeckten (16), wohl aber auch, weil in der medial strukturierten Öffentlichkeit auch Opfer längst ihre Rolle als Katalysatoren des Self-Fashioning bekommen haben: Will man in der medial strukturierten Öffentlichkeit etwas erreichen, oder auch nur gelten, so muss man eben sich als Opfer präsentieren!

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Die Spannung zwischen dem programmatischen Vertrauen und der faktisch gemachten Erfahrung wird aber durch eine rituell gepflegte Anschuldigungsmentalität und Jagd auf Sündenböcke bewältigt. Im global village stellt diese Strategie das Universalrezept nicht nur für die Bewältigung von Krisen und Zusammenbrüchen dar; der eletronica religio ist sie inzwischen zum Inbegriff der Reduktion der Komplexität geworden. Indem aber das Individuum unablässig auf jene Menschen, Institutionen und auch Wertvorstellungen aufmerksam gemacht wird, die sein Leben angeblich zerstören, wird es gerade im Kontext seiner Lebensgeschichte und seinen tatsächlichen Lebensumfeldes noch einmal isoliert.

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So paradox es also klingen mag: Das global village schafft zwar aufgrund der weltumspannenden Mechanismen und Kommunikationsnetze eine Schicksalsgemeinschaft der Menschheit, zugleich atomisiert es und vereinsamt auch deren Mitglieder.

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3. Not-wendende Kirche

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Das Bild des „global village" als einer weltumgreifenden, Menschheit gewaltsam einigenden, die Menschen aber nach und nach atomisierenden religio macht verständlich, warum die Katholische Kirche der Kultur des Weltdorfes zum Stein des Anstoßes, zum mysterium tremendum, aber auch zum mysterium fascinosum wurde. Die electronica et oeconomica unitas absorbiert zwar die Bilder von Mutter Theresa und Johannes Paul II., macht sie sogar zu Ikonen des global village, sie stolpert aber zugleich über diese Gestalten, genauso wie sie über die Institution stolpert, ohne die diese unzeitgemäßen Ikonen nicht denkbar wären. Den christlichen Kirchen gilt ja gerade in der medialen Öffentlichkeit wegen ihrer not-wendenden Funktion als Dienstleistungsunternehmen zur Integration der Schwachen, Kranken, Gescheiteten und Ausgegrenzten uneingeschränkte Achtung, ja sogar Bewunderung. Bewunderung und Unverständnis zugleich werden aber dem Katholizismus entgegengebracht. Als weltweite, multikulturell verwurzelte Organisation mit (eigener) globaler Infrastruktur, mit dem Papst als Repräsentanten, der verbindlich in ihrem Namen zu sprechen vermag, mit Millionen von Menschen, die (nicht nur in den unzähligen katholischen Basisgemeinden) im Grunde dasselbe glauben, leben und auch tun wie Mutter Theresa, bleibt die Katholische Kirche das wichtigste Sozialgebilde der Gegenwart, das sich dem verschleiernden Globalisierungstraum nicht unterwirft, auf die faktische Zerrissenheit der Welt (gerade im Kontext der weltpolitischen Organisationen) aufmerksam macht und den Opfern der Globalisierung auch Stimme verleiht. Insofern bleibt sie weltweit der mächtigste Gegner für die anonymen Kräfte und Mechanismen der "unsichtbaren Hand des Marktes", als auch den sichtbaren, aber verschleiernden Bilder der neuen Medien. (17) Mit ihrer Weigerung, sich der weltweiten Jagd auf Sündenböcke anzuschließen, macht sie deutlich, daß sie den Kampf gegen die Sackgassen der Globalisierung mit anderen Mitteln führt als dies die Öffentlichkeit des global village tut. Zwar verfällt auch sie immer noch der Versuchung der moralisierenden Logik des erhobenen Zeigefingers(18), ihr prophetisches Zeugnis und ihre Zuwendung zu den Opfern ist aber von einer anderen Qualität als die Entrüstung der Nachrichtensprecher und Fernsehkommentatoren. Nicht umsonst bleibt ja die kirchliche Diakonie in die kirchliche Liturgie eingebunden und erhält von dorther - nicht aber von einem abstraktem Imperativ der Solidarität mit den Opfern - ihre Eindeutigkeit. Jede Eucharistie, die ja Quelle und Höhepunkt des kirchlichen Lebens darstellt, feiert ein exaktes Gegenteil zu den gesellschaftlichen Einigungsmechanismen; sie nimmt die Allgegenwart der Zerrissenheit wahr, thematisiert auch ausdrücklich die unzähligen Opfer, verschleiert aber diese nicht. Im Unterschied zur electronica et oeconomica religio durchbricht und transformiert das eucharistische Geschehen das ausgrenzende Verhalten in den menschlichen Gesellschaften. Die Menschen einigen sich nicht in der Benennung, Verurteilung, oder aber auch Beseitigung von Dritten. Sie versammeln sich um einen Ausgestoßenen selbst. Dessen proexistente Haltung, die alle (ausgrenzenden) Menschen gerade in ihrer Schuldhaftigkeit, damit auch in ihrer sie atomisierenden Individualität miteinschließt, ist aber ohne seinen Glauben an Gott, der in dieser Geschichte wirkt, nicht denkbar. (19) Von diesem Sakrament begreift sich nun die ganze Institution. Sie stellt aber nicht bloß eine äußere Möglichkeitsbedingung „eucharistischer Events" dar; ihre institutionelle Verfaßtheit zielt bei aller - den sakramentalen Zeichen anhaftenden - Ambivalenz auf eine Kontrastlogik hin (20). So unmodern die katholische Auffassung auch sein mag, so not-wendend bleibt sie! Nicht nur im Kontext der modernen Auflösung von Institutionen. Unmittelbar auf der tagespolitischen Ebene scheint sie zwar (vor allem im Mitteleuropäischen Bereich) ihrem Gegner immer wieder zu erliegen. Der oeconomica et eletronica religio gelingt es immer wieder ihren Gegner selbst in der katholischen Öffentlichkeit als unzeitgemäß (weil hierarchisch) und gefährlich darzustellen.(21)

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Im Unterschied zum global village müßte sie in der Auseinandersetzung Gelassenheit zeigen können. Schließlich vertraut sie auf mehr, als bloß auf die Eigengesetzlichkeit von Systemen. Dem Glaubensbekenntnis „extra mercatum et media nulla vita nec salus" setzt sie ein anderes entegen: Lange vor diesen war Gott schon da, und er wird auch nach ihnen sein.

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Anmerkungen:  

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 1. Die vom Papst gehaltene italienische Fassung, deren lateinische und deutsche Übersetzung findet man in: L.Kaufmann, N. Klein, Johannes XXIII. Prophetie im Vermächtnis. Fribourg 1990,116-150 (die Zahlen im Text beziehen sich auf die Gliederung der Ansprache).

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2. In seiner Bulle „Unam sanctam" formulierte Papst Bonifaz VIII. (1302): „Wir erklären, sagen und definieren..., daß es für jedes menschliche Geschöpf unbedingt notwendig zum Heil ist, dem Römischen Bischof unterworfen zu sein." (DH 875)

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3. Vgl.LG 9: Gott will die Menschen "nicht einzeln, unabhängig von aller wechselseitigen Verbindungen ...heiligen, retten..., sondern sie zu einem Volke machen" (DH 5122)Sowohl das Bild des Volkes Gottes, als auch das Bild des Leibes Christi ist von ein und derselben antiindividualistischen Logik geprägt.

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4. LG 1 (DH 4101).

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5. LG 48 (DH 4168).

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6. Die Religionsfreiheit wird vom Konzil nicht nur in der Würde der menschlichen Person begründet, sondern auch als "der Weg Christi und der Apostel" qualifiziert. (Dignitatis humanae 2/DH 4240)

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7. LG 8 (DH 4118f.)

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8. GS 43 (DH 4343)

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9. LG 13 (DH 4135-4132); vgl. Johannes XXIII, Gaudet mater ecclesia 19 (s. Anm. 1).

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10. UR 4 (DH 41899).

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11. Das saloppe Urteil über die bremsende Katholische Kirche in Sachen Ökumene und interreligiöser Dialog übersieht die relative Unvergleichbarkeit der Gesprächspartner. Keine andere Religionsgemeinschaft weist analoge Strukturen auf und keine Großkonfession und auch -religion kennt Instanzen, die im Namen der ganzen Gemeinschaft sprechen können.

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12. In diesem Zusammenhang ist vor allem die konsequente Verknüpfung der Menschenrechtsproblematik mit dem Weg des Evangeliums zu nennen.

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13. Vgl. dazu: J. Niewiadomski, Extra media nulla salus. Zum Anspruch der Medienkultur. In: ThPQ 143 (1995) 227-233.

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14. Die Faszination durch die Eigengesetzlichkeit der das global village erschaffenden Mechanismen kokettiert zwar mit der Apokalypse, führt aber logischerweise zum Traum von einem neuen evolutionären Sprung; zur Illustration solcher Hoffnungen vgl. das am Bild der Erschaffung des Menschen aus der Sixtina stilisierte Titelbild des Sonderheftes GEO zum Thema: Faszination Zukunft: Das 21. Jahrhundet (GEO 1/1995; ein Digitalfinger erschafft dort den neuen Menschen.

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15. W. Guggenberger, Universale Kirche und neue Weltordnung. Zehn Thesen zur politischen Kraft des Evangeliums angesichts der Globalisierung. In: ZKTh 120 (1998) 420-423, 420.

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16. Das Geld steht hier stellvertrettend für die notwendigen Mittel, die das Individuum besitzen muss, um jene Bedürfnisse befriedigen zu können, die ihm das Evangelium von der Bricollageidentität nahe legt. Dies kann die Gesundheit, Schönheit, Potenz u.v.a.m. sein.

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17. Mit seiner weltweiten Präsenz und der inhaltlichen Fokussierung seiner Verkündigung auf die Fragen der Menschenrechte und sozialer gerechtigkeit hat Johannes Paul II. dem Katholizismus mehr zu seinem sperrigen Erscheinungsbild im global village beigetragen als alle seine Kritiker (die meistens der Logik der electronica religio verpflichtet bleiben).

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18. In dieser Rolle ist die Kirche - Gott sei Dank - längst durch die moralisierende Öffentlichkeit ersetzt worden; der gegenteilige Eindruck ergibt sich nicht zuletzt aufgrund der medialen Berichterstattung über das kirchliche Engagement, die dieses nur auf „moralisierende Geißelung" reduziert. Vgl. dazu: J. Niewiadomski, Herbergsuche. Auf dem Weg zu einer christlichen Identität in der modenen Kultur. Münster 1999, v.a. 9-30.

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19. Zur Frage der Transformationskraft des eucharistischen Geschehens - im Kontext der global gewordenen Welt - vgl. M. Scharer, J. Niewiadomski, Faszinierendes Gehemnis. Neue Zugänge zu Eucharistie in Familie, Schule und Gemeinde. Innsbruck 1999, v.a. 15-41, 75-105.

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20. Zur sakramentstheologischen Dimension des kirchlichen Ordo in diesem Kontext vgl. J. Niewiadomski, „Menschen, Christen, Priester..." Dogmatische Überlegungen zur Amtstheologei. In: ThPQ 145 (1997) 269-280.

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21. Dabei ist die religionssoziologische Struktur der electronica religio keineswegs eine andere als die der katholischen Kirche. Unterschiedlichste Sender in verschiedensten Ländern haben denselben Typus von Bildern und Geschichten. Die faszinierende Vielfalt der medialen Religion ist aber nur möglich, weil die pluralistische Oberfläche von einer meistens verborgenen strikt hierarchisch geordneten Struktur getragen wird; im Unterschied zur Katholischen Kirche verschleiert allerdings die mediale Religion auf eine geradezu faszinierende Art und Weise diese ihre eigenen Möglichkeitsbedingungen.

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