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Niewiadomski Jozef: “Böses durch das Gute überwinden”. Zum Lebensweg von Jerzy Popieluszko
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“Böses durch das Gute überwinden”. Zum Lebensweg von Jerzy Popieluszko
(Predigt zur Seligsprechung des polnischen Märtyrers, gehalten am 6. Juni um 11 Uhr in der Jesuitenkirche)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2010-06-14

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Der Ring der Verfolger wird immer enger. Landesweit bringen die gleichgeschalteten Medien - Fernsehen, Radio und Presse - die verleumderische Darstellung der Lebensweise des Priesters: Ohne das Wissen kirchlicher Obrigkeit besitze er eine Zweitwohnung in der Stadt, er führe also ein Doppelleben. Bei der Hausdurchsuchung fand die Polizei belastendes Material: nicht nur Flugblätter und antistaatliche Informationsbroschüren, sondern auch Sprengstoff, Tränengas und Waffen. Das vor Ort anwesende staatliche Fernsehen hat diese Demaskierung “des Heuchlers”  gefilmt! Durch diese - im großen Stil inszenierte - Provokation sollte der Priester in den Augen der Bevölkerung kompromittiert werden. Immer und immer wieder wiederholten die Medien die Skandalmeldung über den zwielichtigen Bürger Popieluszko. Umgeben von engen Freunden, die sich in seiner Wohnung versammelt haben, ringt der Priester um Fassung, er scheint in bodenlose Verzweiflung zu fallen. Die bisher stattgefundenen  Verhöre - insgesamt 16 an der Zahl - gar in der Nacht, die er im Gefängnis in einer Zelle mit Mördern verbringt, hatten ihn eher stark gemacht und auf seinem Weg bestätigt. Doch nun? Einer der Freunde - im Nachhinein als eingeschleuster Agent der Geheimpolizei geoutet - bricht das Schweigen. Es sei höchste Zeit, mit der harmlosen Tour aufzuhören. Nicht das verharmlosende Evangelium sei nun gefragt, nicht der Gewaltverzicht und auch nicht die Botschaft der Überwindung des Bösen durch das Gute. Klare Worte seien vonnöten. Jerzy solle doch die schändliche Provokation entlarven und in seiner Predigt direkt die Spitze des Unrechtsstaates angreifen. Zum Kampf solle er aufrufen gegen General Jaruzelski, gegen General Kiszczak, gegen den obersten Propagandachef Urban. Der Priester, der den Tränen nahe ist, fragt die Freunde, ob sie alle so denken würden. “Im Grunde ja”, meinen die anderen. Die Verzweiflung steht dem Priester förmlich ins Gesicht geschrieben. “Großer Gott .., wenn selbst ihr - ihr meine engsten Freunde - es nicht begreift: Ich kämpfe doch gegen das Böse, nicht gegen die Opfer des Bösen!”

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Der um denkbar größte Authentizität bemühte polnische Film “Popieluszko. Wolnosc jest w nas - Die Freiheit ist in uns selber”, der rechtzeitig zur Seligsprechung fertig wurde, verdichtet in dieser Szene das Dilemma, die begnadete Einmaligkeit und auch die unendlich große Einsamkeit des Heiligen: eine Einsamkeit, die er durchleiden muss. Und dies nicht nur dann, wenn er ganz auf sich allein gestellt im Badezimmer eingeschlossen weinend zusammenbricht, weil eine seiner engsten Mitarbeiterinnen die Drohbriefe laut vorgelesen hat und unter der Last dieser Drohungen schluchzend herausschreit: “Ich hasse sie, diese Schweine, ich hasse sie, ich werde niemals aufhören, sie zu hassen!” Er versucht, sie zur Besinnung zu bringen, merkt aber, dass er scheitert. Und auch nicht nur dann, wenn einer seiner Freunde, einer der Stahlwerkarbeiter aus der ersten Stunde der Solidarnosc-Streiks ihn aufsucht und ihm wortlos einen Zettel zusteckt, auf dem geschrieben steht, dass er gerade die Vereinbarung zur Zusammenarbeit mit der Geheimpolizei unterschrieben hat, weil man ihn gebrochen hat, er also wie einst Judas den Freund verraten hat. Da kann sich der Priester nur noch im Badezimmer einschließen und bitterlich weinen. Weinen, weil er sich letztlich so allein und damit auch ohnmächtig angesichts der Allgegenwart des Hasses, der Lüge und der Gewalt erlebt. Beim inszenierten Prozess vor zwei Jahren, bei dem die zynische Staatsanwältin die Streikführer des Stahlwerkes “Huta Warszawa” anklagte, indem sie die Wahrheit auf satanische Art und Weise verdrehte, konnte der Priester sich noch distanzieren. Ostentativ verließ er den Gerichtsaal, setzte sich im Gang hin und versuchte zu beten. “Ich fliehe vor dem Gefühl des Hasses, das in mir hochkommt”, sagte er zu einer seiner Mitgefährtinnen.

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In der Nacht des Todes - knapp drei Jahre später - wird ihm diese Art der Flucht nicht gegönnt. Auf der Fahrt zwischen Bromberg und Warschau wird er am 19. Oktober 1984 gekidnappt und von den sadistischen Agenten des Geheimdienstes gefesselt und geknebelt. Er vermag sich zwar aus dem Gepäcksraum des Entführungsautos zu befreien und nutzt gar einen kurzen Zwischenstopp, um zu fliehen - er rennt also um sein Leben und flieht auch, so wie er sein Leben lang vor der Übermacht des Hasses geflohen ist. Doch fangen ihn die Schergen ein, malträtieren ihn auf brutalste Art und Weise, mit in einen mit Steinen gefüllten Sack gesteckten Füßen wird der Schwerstverletzte in die Weichsel geworfen. In seiner Todesstunde ist er umringt von sadistischen Funktionären der Geheimpolizei - im Augenblick des Todes ist er jedoch allein! Allein auch mit dem in ihm aufkommenden Hass? Hass auf jene, die das Leben unzähliger Menschen auf dem Gewissen hatten? Hass auf jene, die nun sein Leben im 37ten Lebensjahr brutalst beendeten? Das wissen wir nicht. Die letzten Worte, die er in der Öffentlichkeit beim Abschied in Bromberg gesprochen hat, lauteten: “Beten wir, dass wir frei werden von der Angst, vor allem aber frei vom Wunsch nach Rache und Vergeltung.” - Er meinte also, frei von Hass. In den letzten Wochen seines Lebens, als die Verfolgung immer brutaler wurde und ihm auch längst klar war, dass er jederzeit mit dem Tod rechnen musste, verabschiedete er sich öfters - vor allem von den Ordensschwestern - mit der Bitte: “Beten Sie, dass ich in der Stunde des Todes nicht allein bin!” War nun das in den Fluten der Weichsel ertrinkende Opfer in seiner Sterbestunde allein, oder wurde er aufgefangen von jenem, der in seinem eigenen Tod scheinbar auch in die Bodenlosigkeit der Gottverlassenheit stürzte, der aber noch beten konnte: “Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!” - Sind sie doch selber nicht das Böse, sondern nur die Opfer des Bösen?

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Liebe Schwestern und Brüder, mit der gerade stattfindenden Seligsprechung von Jerzy Popieluszko bekennt die Kirche, dass diesem Menschen die Gnade geschenkt wurde - die Gnade, die ihm dazu verhalf, durch alle Schwierigkeiten hindurch, durch alle Stunden des Zweifels, ja durch Verzweiflung und Angst hindurch - letztendlich frei von Hass zu sterben, frei vom Wunsch nach Vergeltung und Rache, dass er also in aller Einsamkeit, die er durchleiden musste, in der Einsamkeit jenes Menschen, der sich in einer durch Lüge und Gewalt vergifteten Umwelt um Wahrheit bemüht, der in einem durch Angst, Verleumdung und Einschüchterung entstellten Alltag die Nächsten- und Feindesliebe lebt, dass ihm also die Gnade geschenkt wurde, am Geheimnis Jesu Christi als Märtyrer Anteil zu haben. Nicht nur durch den gewaltsamen Tod, den er starb, sondern und vor allem durch die Gesinnung, in der er starb. Er starb, um das Böse zu überwinden: das Böse, das die Menschen seiner Zeit und seiner Umgebung knechtete, dieses Böse durch die Kraft des Guten zu überwinden: durch die konsequent gelebte Liebe und die konsequent bezeugte Versöhnungsbereitschaft, durch eine Versöhnung, die in der Wahrheit gründet.

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Wer ist nun Jerzy Popieluszko? Wie sah sein Lebensweg aus, der Lebensweg dieses jüngsten Märtyrers der Katholischen Kirche, der sein Martyrium vor 25 Jahren mitten in Europa erlitt? Dieser unser Zeitgenosse  - ich könnte fast sagen ein Kollege, ist er doch bloß vier Jahre älter als ich - wurde in jenem Jahr zum Priester geweiht, in dem ich als blutjunger Student nach Innsbruck kam. Wer weiß, vielleicht bin ich ihm in den Straßen von Warschau begegnet, oder aber bei der Wallfahrt nach Tschenstochau? Als Sohn eines Kleinbauern 1947 in Ostpolen geboren, erlebte er den stalinistischen Terror noch bewusst. Er bekam mit, dass Menschen verschwanden, dass der 21 jährige Onkel Alfons von den kommunistischen Schergen erschossen wurde, dass die Atmosphäre der Angst und des Hasses den Alltag prägte. Von den tiefgläubigen Eltern lernte er das Vertrauen zu Gott. Als Kind drückte ihm die Mutter den Rosenkranz in die Hand mit der Bemerkung: “Dieser Rosenkranz wird dich schützen, er wird dir Vertrauen schenken. Du sollst ihn immer bei dir haben und immer wieder beten, in Gefahr beten”. Als Kaplan der Solidarnosc verschenkte ksiadz Jerzy (der Priester Jerzy, wie er dann landesweit genannt wurde) Hunderte von Rosenkränzen. Er drückte sie den verhafteten Aktivisten in die Hände mit den Worten: “Habt keine Angst! Der größte Feind des Menschen ist nicht die Polizei, es ist auch nicht der Geheimdienst. Der größte Feind des Menschen ist die Angst”. Seinen eigenen Rosenkranz hatte er schon in den 60er-Jahren verteidigt, als er vom Priesterseminar weg zum Militärdienst eingezogen den Befehl verweigerte, den Rosenkranz von seinen Fingern abzustreifen. Daraufhin musste er stundenlang bis zum Umfallen in voller Ausrüstung in der eisigen Kälte stehen. Da fiel er zum ersten Mal auf. Denn ansonsten war er unauffällig, ein mittelbegabter Student, der gerade sein Studium schaffte, der als Kaplan eher durch seine Schwächen auffiel, weil er nicht gut singen konnte und auch gesundheitlich angeschlagen war. Immer wieder versetzt, landete er nach acht Jahren Kaplanszeit als Resident in der Pfarre St. Stanislaus in Warschau. Eigentlich abgeschoben, durfte er sich gerade noch um die Seelsorge der Krankenschwestern kümmern. Bis zum August des Jahres 1980, an dem sich das Wunder ereignete. Am 31. August 1980, an einem Sonntag, fand jener Zufall statt, der diesen schüchternen, ängstlichen und unauffälligen Mann in eine Ikone des Mutes, des kompromisslosen Einstehens für die Wahrheit und des unermüdlichen Einsatzes für Benachteiligte verwandelte. Eine Delegation der streikenden Arbeiter bat im bischöflichen Ordinariat in Warschau um eine Messe am Streikgelände. Da das Stahlwerk im Gebiet der Pfarrei St. Stanislaus lag, wurde die Bitte an die Pfarre weitergeleitet. Und da alle Priester der Pfarre an diesem Sonntag beschäftigt waren, fuhr der Resident zum Gelände. Er feierte am Gelände der “Huta Warszawa” Eucharistie: zum ersten Mal in der Geschichte des kommunistischen Polens.  Die Streiks, die zur Herausbildung der Solidarnosc-Bewegung führten, näherten sich dem Höhepunkt. Popieluszko war von den Werkarbeitern fasziniert, von ihrer einfachen und geradlinigen Frömmigkeit. Es entstand so etwas wie Liebe auf den ersten Blick. In kürzester Zeit war er zum “Herz” dieser streikenden Gruppe, zum Freund, zu jenem modernen Seelsorger, der an der Seite ganz konkreter Menschen steht.  An der Seite von Menschen, die für ihre Grundrechte kämpfen. Die Arbeiter und der Priester wuchsen aneinander.

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Die Ausrufung des Kriegszustandes am 13. Dezember 1981 verwandelte das Land in ein Inferno des Hasses, der Angst und der Einschüchterung. Tausende und Abertausende waren interniert, Unzählige verloren ihre Arbeit. Massenweise verließen Menschen ihr Land, sie flohen. In diesem Zustand der Anormalität wagte es der inzwischen landesweit bekannte Priester, die Normalität zu leben. Er lud in die Kirche ein, machte also zuerst  das, was jeder Priester macht. Er lädt Menschen zu Messen für das Vaterland ein! Tausende und Abertausende kommen. “Da uns die Freiheit des Wortes weggenommen wurde, hören wir auf die Stimme des eigenen Herzens und des eigenen Gewissens - und denken wir an unsere Schwestern und Brüder, die der Freiheit beraubt sind”, predigte er bei der ersten Messe für das Vaterland im Januar 1982. In vier Jahren wurde er zur Nationalikone. Neben Johannes Paul II wurde er für das polnische Volk zum wichtigsten Idol, für den kommunistischen Staatsapparat zum verhasstesten Gegner, einem Gegner, der seit April 1982 bis zu seinem Tod 24 Stunden am Tag beobachtet, kontrolliert und immer wieder schikaniert wurde. Dabei hatte er nichts Außergewöhnliches verkündet, er stand nur dafür ein, wofür das Evangelium steht: das Böse durch die Kraft des Guten zu überwinden und so das Böse, nicht aber die Opfer des Bösen zu bekämpfen. Dem begnadeten Priester gelangen fortan kleine und große Wunder in diesem anormalen Alltag. Wenn er es etwa schaffte, für den totgeschlagenen Maturanten Grzes eine Trauerzug von etwa 50.000 Menschen friedlich quer durch Warschau zu führen und alle Provokation der unzähligen eingeschleusten Agenten im Keim zu ersticken. Oder aber wenn er Hunderttausende von Arbeitern zur Wallfahrt nach Tschenstochau brachte.

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Zu einem Wunder wurde auch sein Begräbnis am 3. November 1984 in der Kirche St. Stanislaus. Trotz der Einschüchterung durch die Polizei, trotz Behinderungen und trotz Kontrollen, die Konsequenzen nach sich zogen, kamen über 600.000 Menschen zu seinem Begräbnis und verwandelten den Stadteil Zoliborz in einen Ort, an dem Zeugnis von der Wahrheit abgelegt wurde - mitten in einem Land, in dem der Staatsapparat zwar das Monopol der Wahrheit für sich beanspruchte, die lebendige Wahrheit aber mit Polizeiknüppeln niederschlug. In einem solchen Land leben die Heiligen in einem Dilemma: Weil begnadet, stechen sie hervor, sind auch einmalig, ziehen Unzählige in ihren Bann, bewirken Unmengen an Gutem. Weil ihr Zeugnis radikal ist, erleben sie aber auch radikale Einsamkeit, werden zu Opfern: Sie werden zu Opfern, die in Einsamkeit - scheinbar in Einsamkeit - ihr Geschick erleiden.

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“Beten Sie zu ihrem Sohn?”, wurde die neunzigjährige Mutter des Priesters vor etwa zwei Wochen gefragt. “Ich bete zu Gott”, gab die alte Frau den Journalisten zur Antwort, “aber über den Umweg meines Sohnes”, fügte sie hinzu und lächelte die Fragenden an. Heute darf sie der Seligsprechung ihres Sohnes beiwohnen und sich freuen. Sich freuen auch darüber, dass - wie sie selber sagte - sich immer mehr Menschen im ganz normalen Alltag bemühen, das Böse durch die Kraft des Guten zu überwinden. Möge der selige Priester Jerzy Popieluszko uns ein Fürsprecher sein, dass auch wir zu jenen Zeitgenossen gehören, denen diese Gnade geschenkt wird: die Gnade der Überwindung des Bösen durch das Gute.

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