- Leseraum
| Dies academicus 2005: Die Theologie in der Vielfalt ihrer KontexteAutor: | Waldenfels Hans |
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Veröffentlichung: | |
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Kategorie | fak |
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Abstrakt: | Wir dokumentieren den Vortrag vom em. Prof. DDr Hans Waldenfels SJ beim diesjährigen "Dies academicus" am 6. April 2005 zum Thema: "Viele Kulturen, viele Nationen, eine Theologische Fakultät". Neben diesem Vortrag hat es zum Thema mehrere Arbeitskreise gegeben, ein buntes "Fest der Kulturen", eine Eucharistiefeier und einen "Kreuzweg der Märtyrer 2005" zum 25-jährigen Todestag des ermordeten Erzbischofs Oscar Romero. |
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Publiziert in: | # Originalbeitrag für den Leseraum |
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Datum: | 2005-04-18 |
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Inhalt1
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Von der Kontextualität der Theologie zu sprechen, ist inzwischen ein Gemeinplatz. Unabgeschlossen ist die Diskussion um das Verhältnis von Text und Kontext(en) der Theologie, unabgeschlossen auch die Beschreibung der Kontexte selbst. Denn inzwischen merken wir einmal, dass es wenig Sinn macht, von der Kontextualität im allgemeinen zu reden und dabei die konkreten Kontexte zu übersehen. Sodann stellen wir fest, dass weltweit die Theologie aufgrund ihrer unterschiedlichen Kontexte unterschiedlich benannt wird. Wir kennen die so genannten „Genitiv-Theologien“ wie die Theologie der Befreiung, die Theologie der Religionen u.a., auch die mit einem bestimmten Attribut gekennzeichneten Theologien wie die afrikanische Theologie, die feministische Theologie, die ökumenische Theologie u.a.m. Zu sprechen ist also von den Unterdrückungen in der Welt, von den konkreten religiösen Situationen in den verschiedenen Erdteilen, in Afrika, in Lateinamerika mit dem Vordringen aggressiver amerikanischer Kirchen und Sekten, in Asien mit so unterschiedlichen Ländern wir Indien und Pakistan, China und Indonesien, den Philippinen, Korea und Japan, im stark von der Säkularisierung, aber auch von religiösen Aufbrüchen geprägten Europa. Eigene Felder sind die sozialen Schichtungen der Gesellschaft(en), das Verhältnis von Arm und Reich, das nach wie vor belastende Ungleichsverhältnis von Männern und Frauen in der allgemeinen Gesellschaft, aber auch in den religiösen Institutionen, zumal in unserer eigenen Kirche.
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Damit kommen wir zu einem zweiten Gesichtspunkt. Denn nicht selten wird übersehen, dass „Kontextualität“ nicht nur eine Sache der Außenperspektive ist, sondern dass es in der Kirche und folglich im Corpus der Theologie selbst eine Vielfalt von Perspektiven zu beachten gilt. Letzteres hat seit langem zu einer strukturellen Gliederung der theologischen Materie geführt. Ich erinnere an die bekannte Vierzahl der Fächerausrichtung: die biblischen, die historischen, die systematischen und die praktischen Fächer. In dem Maße, als die Fächer untereinander aber ihre Ausrichtung auf eine Mitte verloren haben bzw. verlieren, suchen sie diese auf je eigene Weise wiederherzustellen oder mit der eroberten Freiheit zu leben. Das aber führt zu neuen Problemstellungen.
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Im Rahmen des Selbstverständnisses der katholischen Theologie ist schließlich auf die Spannung zwischen Wissenschaftlichkeit und Kirchlichkeit zu achten. Gerade in den deutschsprachigen Ländern stellen wir fest, dass das Fach immer noch in vielen der alten Universitäten einen privilegierten Platz einnimmt. Das wiederum führt einmal dahin, dass in einer zunehmend „weltlichen Welt“ (J.B. Metz) der kirchliche Einfluss mehr und mehr mit Argwohn betrachtet wird. Sodann fühlen sich all jene Religionen, die in unseren Ländern an Boden gewinnen, benachteiligt, zumal wenn - im Gegensatz zu vielen frankophilen und angelsächsischen Ländern – das Studium der Religionen an den Universitäten keinen dem Christentum adäquaten Raum einnimmt. Bei allen Reorganisationen an unseren Universitäten tun die theologischen Fakultäten gut daran, den Religionswissenschaften einen adäquaten Ort im Fächerkanon der Universität zu sichern. Inzwischen beobachten wir zumindest neue Ortungen der jüdischen und islamischen Studien.
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Die Unruhe in diesem Feld führt auf jeden Fall inzwischen zu deutlichen Auflösungstendenzen im Spannungsfeld von Wissenschaftlichkeit und Kirchlichkeit zuungunsten der jeweils anderen Seite. So löst sich die Theologie entweder aus ihrer kirchlichen Rückbindung und entwickelt sich zu einer christlichen Religions-wissenschaft, oder aber sie betont ihre lehramtliche Kirchenbindung derart stark, dass der Wille zur Mitwirkung im Konzert heutiger Wissenschaften an Glaubwürdig-keit verliert oder gar Schiffbruch zu leiden droht; hier besteht dann die Gefahr, dass die Theologie auf die Dauer ihren Ort an den staatlichen Universitäten verliert. Der Vorwurf des Fundamentalismus richtet sich längst nicht mehr allein gegen den Islam, sondern stellt in bestimmten öffentlichen Kreisen auch die christlichen Kirchen und deren wissenschaftliche Reflexion, die Theologie, unter diesen Verdacht.
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Die theologische Fakultäten sehen sich somit mit einer Mehrzahl von Fragen und Aufgaben konfrontiert, die wir im Folgenden freilich nur andeutungsweise thematisie-ren können. Gleichwohl lässt sich sagen, dass die Fragenkomplexe miteinander den Kontext ausmachen, in dem die Theologie heute betrieben wird. Sprechen wir von Kontext, ist aber die andere Frage „Was ist und will heute die Theologie?“ noch gar nicht angesprochen. Es gibt aber keine Theologie ohne ihr Selbstverständnis, ohne ihren Auftrag, anders gesagt: ohne ihren „Text“. Wo aber der Text unbeachtet bleibt, besteht die Gefahr, dass „Kontexte“ zum „Text“ werden. Dann aber fällt nicht mehr, wie es die Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 4 formuliert, das Licht des Evangeliums auf die „Zeichen der Zeit“, sondern die „Zeitzeichen“, die Kulturen der Welt, die „Kontexte“ bestimmen den ursprünglichen Text der Theologie, werden zur kritischen Instanz und am Ende selbst zur wegweisenden Norm.
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Im Folgenden wird also von beidem zu sprechen sein: von der Theologie, ihrer Einheit und Mitte, und von der Vielfalt der Kontexte, in der die Theologie ihre Identität und ihre Einheit zu bewahren und zu vertreten hat. Das wiederum muss in einer Weise geschehen, dass sie auch da,
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● wo die Theologie methodisch von Anleihen bei anderen Wissenschaften lebt,
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● wo sie die Adressaten ihres Ansprechens und ihres Anspruchs in ihrer Fremdheit und Nähe zugleich in den Blick nimmt,
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● wo sie sich sprachlich in andere Kulturen und Ethnien, in den Bereich anderer Weltanschauungen und Religionen hinein vermittelt,
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nicht ihres Eigenen verlustig geht.
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Ich schlage drei Schritte vor:
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(1) die Betrachtung weltlicher Kontexte, weil die Theologie zu keiner Zeit weltlos und geschichtslos betrieben worden ist und betrieben werden kann,
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(2) den Blick auf den Kontext der Wissenschaften, weil gerade in unserer abendländischen, nachaufklärerischen Welt die Theologie nicht darauf verzichten kann, als wissenschaftliches Unterfangen ernst genommen zu werden.
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(3) die Beachtung des Verhältnisses von Text und Kontext in der katholischen Theologie, weil in einem pluralistischen Gefüge Identität und Relevanz die grundlegenden Elemente eines auf Kommunikation angelegten Unternehmens darstellen.
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Zu allen Zeiten ist über die Inhalte christlicher Verkündigung von Menschen nachgedacht worden, die in einer bestimmten Umgebung gelebt haben und sich einer bestimmten Sprache bedienten. Insofern hat es immer zu dem Text, den es zu vermitteln galt, auch „Kontexte“ gegeben. Was in der heutigen Zeit jedoch immer stärker ins Bewusstsein tritt, ist die Tatsache, dass die Menschheit nicht zuletzt durch eine weltweite Vernetzung auf dem Gebiet der Kommunikationstechnologien in einer Weise zusammengerückt wird, wie das bis vor knapp 50 Jahren noch unvorstellbar gewesen ist. Es sind nämlich gut 50 Jahre her, seitdem allein die Ausstrahlung der Fernsehnachrichten in immer stärkerem Maße im Zuge der Urbanisierung der Welt die Unterscheidung von Stadt und Land einebnet und zugleich die Länder der Erde aufgrund der gleichzeitig weltweit ausgestrahlten Ereignisse immer näher aneinanderrückt. Niemals ist das so augenfällig geworden als in diesen Tagen, in den wir die letzten Tage und Stunden des verstorbenen Papstes Johannes Pauls II. mitverfolgen konnten. Inzwischen ist von einer geschätzten Milliarde Menschen weltweit die Rede, die allein zu Zeugen der eindrucksvollen Totenmesse geworden sein sollen.
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Was zunächst ein Vorzug der so genannten freien Welt zu sein schien, gilt seit dem Zusammenbruch der sowjetischen Machtblocks heute mehr oder weniger für die ganze Welt; es gilt „global“, wie es in dem heute gebräuchlichen Terminus heißt. Die Entwicklung der weltweiten Kommunikationsstrukturen ist aber dann nach wie vor unabgeschlossen; man denke nur an die vielfältigen Fortschritte in der IT-Branche, in den EDV-Systemen, im Internet, durch die e-Mail-Kontakte, den Mobilfunk u.a.m.
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Interessanterweise vollziehen sich die mit der Globalisierung gegebenen Tendenzen zu einer neuen Einheit und zu Uniformierungen in der Welt vor allem auf dem Feld der Technologie und Ökonomie und damit im materiellen Bereich, nicht im Geistig-Ideellen. Der Primat des Geistes droht dem Primat des Materiellen zu weichen. In der Umkehrung der Dinge wird dann die Hinwendung zur Vielgestaltigkeit der Welt zu einer Suche der geistigen Wahrnehmung. Tatsächlich wächst bei aller Tendenz zur Globalisierung und Uniformierung im Technischen zugleich das Bewusstsein für die Vielschichtigkeit der Pluralität innerhalb der einen Welt.
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Angesichts des alltäglich rapide wachsenden Wissensmaterials kommt es zugleich zu immer nachdrücklicheren Relativierungen der einzelnen Stand- und Blickpunkte. Absolute und alles beherrschende Standpunkte werden immer fragwürdiger. Das wiederum wirkt sich im Wissenschaftsgefüge aus, wenn man vergleichsweise auf die abendländische Wissenschaftsgeschichte mit ihrer Kulminierung in den klassischen Universalwissenschaften Philosophie und Theologie achtet. Philosophie und Theologie haben längst ihre beherrschende Orientierungsrolle verloren. Da aber die Theologie in der westeuropäischen Welt bis in das letzte Jahrhundert hinein im wesentlichen christliche Theologie war, ist das Christentum selbst in seinem Anspruch in höchstem Maße von den Entwicklungen der Moderne betroffen.
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40 Jahre nach Beendigung des 2. Vatikanischen Konzils macht es Sinn, an die definierende Beschreibung der Kultur in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 53 zu erinnern (1) :
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Mit dem Begriff Kultur wird in einem allgemeinen Sinn alles bezeichnet, womit der Mensch die vielfältigen Gaben des Herzens und des Leibes ausbildet und entfaltet; den Erdkreis selbst sucht er durch Erkenntnis und Arbeit in seine Gewalt zu bringen; das gesellschaftliche Leben sowohl in der Familie als auch in der ganzen bürgerlichen Gesellschaft macht er durch den Fortschritt der Sitten und Einrichtungen menschlicher; schließlich drückt er die großen geistigen Erfahrungen und Bestrebungen im Ablauf der Zeiten in seinen Werken aus, teilt sie mit und bewahrt sie, damit sie zum Fortschritt vieler, ja sogar des ganzen Menschengeschlechts dienen.
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Daraus folgt, dass die menschliche Kultur notwendig einen geschichtlichen und gesellschaftlichen Aspekt vor sich herträgt und dass das Wort Kultur oft einen soziologischen sowie ethnologischen Sinn annimmt. In diesem Sinne aber spricht man von einer Pluralität der Kulturen. Aus der verschiedenen Weise nämlich, die Dinge zu gebrauchen, die Arbeit zu leisten und sich auszudrücken, die Religion zu pflegen und die Sitten zu formen, Gesetze und rechtliche Einrichtungen festzulegen, die Wissenschaften und Künste zu mehren und das Schöne zu pflegen, entstehen verschiedene gemeinsame Lebensbedingungen und verschiedene Formen, die Güter des Lebens zusammenzufügen. So wird aus den überlieferten Einrichtungen das einer jeden menschlichen Gemeinschaft eigentümliche Erbe geschaffen. So bildet sich auch eine abgegrenzte und geschichtliche Umwelt, in die der Mensch eines jeden Volkes oder Alters eingereiht wird und aus dem er die Güter zur Förderung der menschlichen und gesellschaftlichen Kultur schöpft.
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Der hier in Ausführlichkeit zitierte Konzilstext findet in der heutigen Diskussion um die Kultur und die Kulturen, um Inter- und Intrakulturalität viel zu wenig Beachtung. Dabei bietet er eine geglückte Zusammenschau der verschiedenen Elemente, die es zu bedenken gilt. Kultur ist – gegenüber der Natur – ein Produkt menschlicher Gestaltung, somit ein anthropologischer Begriff. Er enthält Momente der geistigen wie der körperlichen, der individuellen wie der gesellschaftlichen, der inneren wie der äußeren Entfaltung. Er lenkt den Blick auf die Wissenschaften, die Künste und die Religion und führt angesichts der Pluralität des Menschseins, das sich in der Gegenwart wie in den geschichtlichen Perioden, aber auch in den verschiedenen geographischen Räumen entwickelt, notwendigerweise zu einer Pluralität von Erscheinungsweisen.
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Dass all das zu einer bleibenden starken Herausforderung für die Kirche wird, hat derselbe Konzilstext schon an einer früheren Stelle der Konstitution in der Nr. 44 zum Ausdruck gebracht, Dort ging es um die Hilfe, „die die Kirche von der heutigen Welt empfängt“:
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Die Erfahrung vergangener Jahrhunderte, der Fortschritt der Wissenschaften, die Schätze, die in den vielfältigen Formen der menschlichen Kultur verborgen sind, durch die die Natur des Menschen selbst vollständiger kund wird und neue Wege zur Wahrheit erschlossen werden, nützen auch der Kirche. Vom Beginn ihrer Geschichte an hat sie nämlich gelernt, die Botschaft Christi mit Hilfe der Begriffe und Sprachen der verschiedenen Völker auszudrücken, und hat überdies versucht, eben diese durch die Weisheit der Philosophen zu erhellen; zu dem Zweck nämlich, um das Evangelium sowohl dem Fassungs-vermögen aller als auch den Erfordernissen der Gebildeten, soweit es angemessen war, anzupassen. Diese angepasste Predigt des geoffenbarten Wortes muss freilich ein Gesetz aller Evangelisation bleiben. So nämlich wird in jedem Volk die Fähigkeit, die Botschaft Christi auf eigene Weise auszudrücken, geweckt und zugleich der lebendige Austausch zwischen der Kirche und den verschiedenen Kulturen der Völker gefördert. Zur Steigerung dieses Austauschs bedarf die Kirche – vor allem in unseren Zeiten, in denen sich die Verhältnisse sehr schnell ändern und die Denkweisen sich sehr unterscheiden – in besonderer Weise der Hilfe derer, die, in der Welt lebend, die vielfältigen Institutionen und Fachgebiete kennen und die Mentalität, die ihnen innewohnt, verstehen, ob es sich nun um Glaubende oder Nicht-glaubende handelt. Aufgabe des ganzen Volkes Gottes, insbesondere der Hirten und Theologen, ist es, mit Hilfe des Heiligen Geistes die vielfältigen Sprachen unserer Zeit zu hören, zu unterscheiden und zu deuten und sie im Licht des göttlichen Wortes zu beurteilen, damit die geoffenbarte Wahrheit immer tiefer erfasst, besser verstanden und angemessener vorgelegt werden kann.
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Da die Kirche eine sichtbare gesellschaftliche Struktur hat, nämlich das Zeichen ihrer Einheit in Christus, kann sie auch durch die Entwicklung des menschlichen gesellschaftlichen Lebens bereichert werden und wird durch sie bereichert, nicht als ob in der von Christus gegebenen Verfassung etwas fehlte, sondern um sie tiefer zu erkennen, besser auszudrücken und unseren Zeiten besser anzupassen. Sie nimmt auch dankbaren Herzens wahr, dass sie, in ihrer Gemeinschaft nicht weniger als in ihren einzelnen Kindern, mannigfaltige Hilfe von Menschen jedweden Ranges und jedweder Stellung empfängt.
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Beide Texte zusammen beschreiben eine Wirklichkeit, die jedem wachen Verstand offen vor Augen liegt; zugleich formulieren sie ein Programm, das umzusetzen uns nach wie vor aufgetragen ist. Wahrzunehmen ist die Pluralität der Völker und Kulturen, der Sprachen und Gestalten, in denen sie ihren Ausdruck findet. Weil aber das konkrete Wissen nicht von Anfang an vorausgesetzt werden kann, sondern einen ständigen Lernprozess fordert, der im Leben eines einzelnen Menschen nicht zu Ende kommen kann, erinnert die Kirche daran, dass wir von Glaubenden und Nichtglaubenden, von Menschen jeden Ranges und Alters lernen können. Die Kirche bekennt sich im Konzil zu einem vertieften Verständnis der Dinge. Es macht aber dann Sinn, wenn wir in unseren Tagen uns in unseren eigenen Rängen daran erinnern, welche Prinzipien das Konzil vor gerade 40 Jahren so eindrucksvoll und nachdrücklich in Erinnerung gerufen hat. Man hat heute nicht unbedingt den Eindruck, dass die Leitungsgremien unserer Kirche selbst nach wie vor für Lernprozesse offen stehen und Fortschritte in der Erkenntnis machen.
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Legt man aber nur die beiden zitierten Stellen der Pastoralkonstitution zugrunde, so eröffnet sich ein Rundblick, der tagtäglich seine Konsequenzen von uns allen einfordert, die wir in unterschiedlicher Weise verantwortlich in der Kirche stehen und arbeiten. Die Kulturen sind vielfältig. Sie sind unabgeschlossen und unterliegen dem ständigen Wandel und der Entwicklung. Es gilt zu sehen und zu unterscheiden. Auch der Unterscheidungsprozess ist immer neu zu vollziehen. Was diesen Prozess erschwert, ist die Tatsache, dass schon die Sprachkenntnisse des einzelnen in der Regel begrenzt sind. Das gilt freilich auch für Behörden, weltliche wie kirchliche. Ist es am Ende nicht doch eine Anmaßung, wenn in unserer Kirche oft zentralistisch über Übersetzungen etwa der liturgischen Texte, aber auch über theologische Texte aus außereuropäischen Kulturgebieten und in ihren Sprachen geurteilt wird? Hehre Prinzipien sind solange nutzlos, als sie zwar gedruckt, aber im konkreten Leben nicht umgesetzt und angewandt werden (können).
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Im Geflecht der Kulturen, auf die wir hier nicht konkreter eingehen können, tritt auch das Stichwort Religion auf. Wie schwierig es ist, diesem Begriff gerecht zu werden, zeigt bereits die Vielzahl von Definitionen in den verschiedensten wissenschaftlichen, aber auch gesellschaftlich-politischen Bereichen. Entsprechend kommt es keiner bestimmten Stelle zu, eine für alle verbindliche Definition zu entwickeln. Um nur zwei Momente zu nennen, die für das praktische Leben von Bedeutung sind:
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● Im politischen Bereich wäre es einfacher, mit einer allgemein anerkannten Definition zu arbeiten, um etwa gesellschaftlich schädliche oder gewalttätige religiöse bzw. im Zeichen von Religion auftretende Institutionen zu beschränken oder gar zu unterbinden. Im Übrigen erleben wir die Problematik dieser Frage gegenwärtig in den islamistischen Bedrohungen, in der chinesischen Religionspolitik wie auch in den selbsternannten „Religionen“, wie wir sie aus der amerikanischen Jugendkultur und heute aus der neureligiösen Szene weltweit kennen.
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● Ein zweites Moment betrifft die Grundorientierung bzw. die im Wort Religion zum Ausdruck kommende Rückbindung des Lebens. Bis in unsere Gegenwart hinein hatte es – zumindest in unserer Kulturwelt - die Religion mit der Bindung des Menschen an einen Gott bzw. an Gott schlechthin zu tun. Inzwischen wissen wir, dass die Gott-Rede und folglich die Gott-Bindung etwa in zentralasiatischen und fernöstlichen Religionen, zumal in den chinesischen Religionen und im Buddhismus, praktisch keine Bedeutung hat. Darüber hinaus ist die Bestimmung einer das menschliche Leben übersteigenden Orientierung für viele Zeitgenossen ohnehin nebulös bzw. verschwommen geworden, - so sehr, dass sich die Frage stellt, ob der Atheismus wirklich eine religiöse Gegenposition darstellt. Viel stärker ist das Bewusstsein der Ratlosigkeit, des Nicht-Wissens und der Überzeugung, nicht wissen zu können. Agnostizismus ersetzt den aggressiven, militanten Atheismus, und zwar ein leidender Agnostizismus, dem gegenüber ein wissender Glaubensstandpunkt nicht selten hochmütig und arrogant erscheint.
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Vor diesem Hintergrund ereignet sich die Begegnung der Religionen. Dabei ist es gleichgültig, ob die Vielzahl der „Religion“ genannten Bewegungen und Institutionen sich selbst als „Religion“ bezeichnet oder nicht. Wie wir aus der Väterzeit die Formel „anima naturaliter christiana“ kennen, setzt sich heute immer stärker wieder der Gedanke durch, dass der Mensch von Natur aus religiös ist. Freilich ist dabei zu beachten, dass für eine wachsende Zahl von Menschen „religiös“ nicht mehr notwendig die Bindung an eine organisierte, als Institution begriffene Religion besagt. „Religiös“ kann als Adjektiv auf Religion und Religiosität zurückgeführt werden. Inzwischen aber fallen Religion und Religiosität nicht selten auseinander. Menschen schätzen sich als religiös ein, auch wenn sie sich zu keiner bestimmten Religions-gemeinschaft bekennen. Wir begegnen auch immer mehr Menschen, die sich aus den unterschiedlichsten religiösen Traditionen das ihnen Genehme und Passende heraussuchen und dann ihren eigenen religiösen Cocktail mischen. Entsprechend nehmen synkretistische Einstellungen als Ausdruck individueller Religiosität heute rapide zu. Zudem gibt es eine wachsende Zahl von Menschen, die für sich eine religiöse Doppel- bzw. Mehrfachmitgliedschaft in Anspruch nehmen.
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Wichtig ist es aber dann, für den Bereich der Religionen deutlicher zu erkennen, dass ein Allgemeinwissen über die Ursprungs- und Idealgestalt einer Religion für den heute geforderten Dialog der Religionen nicht mehr ausreicht. In gewissem Sinne stellt der Begriff „Dialog der Religionen“ eine Verkürzung dar. Denn wir begegnen den Religionen weniger als geschichtlichen oder gesellschaftlichen Systemen und Institutionen, nicht mehr primär in Büchern oder auf Reisen, in den Zeugnissen der Architektur, Kunst und Literatur. Wir begegnen ihnen vielmehr in konkreten Menschen, die unter uns leben und sich zu einer Religion oder einer religiösen Ausrichtung bekennen. Folglich spiegelt sich der religiöse Pluralismus immer weniger in der Vielfalt religiöser Organisationen und Strukturen wider, sondern in der Vielgesichtigkeit der Menschen. Religion wird damit gleichsam zu einem biogra-phischen Phänomen. Das will im Umgang mit den Religionen beachtet sein. Die Biographien der Menschen aber sind einmal geprägt von Fragen und Aporien, sodann von Entdeckungen, die der einzelne Mensch in seinem Leben macht und die ihm zum Anlass werden, das weitere Leben so oder so zu gestalten.
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Wer sich heute mit der Religion und den Religionen befasst, kommt somit einmal an der Geschichte der Religionen nicht vorbei, sodann aber auch nicht an den Lebensgeschichten der Menschen, die sich zur Religion, zu dieser oder jener Religion bekennen. Das hat zur Folge, dass wir nur noch selten von einem abgeschlossenen Studium der Religionen oder auch einer bestimmten Religion sprechen können. Denn das Studium der Religionen setzt stets ein Miteinander von theoretischen Beobachtungen und praktischem Umgang, von Reflexion und Erfahrung voraus. Nicht ohne Grund ist heute vielerorts die Rede von Spiritualität. Spiritualität aber hat es wesentlich mit der Innenseite von Religione zu tun, mit den geistlichen Antrieben, die den einzelnen Gläubigen beseelen. Theologische Refle-xion ohne spirituelle Erfahrung ist folglich ein hölzernes Eisen.
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Bei unserem 2. Schritt ist zu beachten, dass die Theologie, wie wir sie heute erleben, keineswegs von Anfang an so war, sondern vielmehr in einem geschichtlichen Werdeprozess zu dem geworden ist, was sie heute ist. Es hilft deshalb auch nicht viel, wenn wir allein die etymologische Bedeutung des Wortes prüfen. Entscheidend ist viel mehr, dass die Theologie im Zusammenhang mit der Wissens- und Wissenschaftsgeschichte und der Ausbildung wissenschaftlicher Reflexion und Methodik zu dem geworden ist, was sie heute ist. Für ihre Geschichte ist einmal zu beachten, dass sie sich früh der griechischen Philosophie gestellt hat und bemüht war, dem Anspruch dieser Philosophie zu entsprechen. Nicht ohne Grund verweist Joseph Ratzinger in einem neueren Werk erneut darauf, dass am Anfang der christlichen Ausbreitung nach der frühen Verfolgungszeit im Römischen Reich weniger die Auseinandersetzung mit fremden Religionen im Vordergrund stand, sondern die Bemühung, als eine frühe Art von Aufklärung die „wahre Philosophie“ zu sein (2) . Sodann ist zu bedenken, dass mit der Entfremdung von östlichem und westlichem Christentum seit dem Mittelalter sich auch die Gestalten theologischer Reflexion stark von einander entfernt haben. Während seither das westliche Christentum nicht zuletzt mit Hilfe des Kirchenrechts immer stärker seine Außengestalt ausbildete und verstärkte, stellen wir im östlichen Christentum einen ausgeprägten Zug zur Innerlichkeit und zur Mystik fest. Beides hat seine unüberseh-baren Konsequenzen für das Verhältnis von Staat und Kirche wie auch für die Theologie.
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Die neuzeitliche Auflösung der universitas scientiarum in eine große Zahl autonomer Einzelwissenschaften führte schließlich auf unterschiedliche Weise in den Ländern der westlichen Welt entweder zur Entfernung der Theologie aus den öffentlichen Universitäten und zu ihrer Gettoisierung oder – wie vor allem in den deutsch-sprachigen Ländern – zu einer bislang noch vertraglich gesicherten Privilegierung der Theologie(n) – katholisch wie protestantisch – im Umkreis der übrigen Fakul-täten. Da aber die Theologie nur als Wissenschaft an den säkularen Universitäten bestehen kann, führte die Entwicklung der Wissenschaft selbst zu der für die Theologie schwierigen Spannung zwischen der vernunftgesteuerten Autorität der Wissenschaften und der kirchlich-hierarchischen Autorität des kirchlichen lehramtes, anders gesagt: zwischen einer neu Gestalt gewinnenden Spannung von Vernunft und Glaube (3) .
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Dabei ist im Rahmen der pluralistischen Ansätze zu beachten, dass auch Begriffe wie Wissenschaft und Vernunft ihrerseits keineswegs mehr jene Eindeutigkeit besitzen, die im allgemeinen Gebrauch der Begriffe implizit vorausgesetzt wird. Ich verweise auf zwei Beobachtungen, die das illustrieren.
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● Während im angelsächsischen wie auch im französischsprachigen Raum science eine stark naturwissenschaftliche Orientierung impliziert, wirkt im deutschsprachigen Raum bis in die Gegenwart das Gegenüber von Geistes- und Naturwissenschaften nach. Dieses Gegenüber bleibt auch da bestehen, wo die Bezeichnung „Kultur-wissenschaften“ den Begriff „Geisteswissenschaften“ überdeckt. Die Emanzipation der Natur- und Technikwissenschaften aus dem Gesamtbereich der Wissenschaften hat in unseren Breiten viel länger gedauert als in anderen Ländern der westlichen Welt. Zu beachten ist sodann, dass es in der Konkurrenz der beiden Grundbereiche keineswegs nur um inhaltliche Abgrenzungen geht, sondern auch um die Eigen-ständigkeit der jeweiligen Wissenschaftsmethodik.
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● Unabgeschlossen ist auch die Diskussion um die als Orientierungspunkt genannte Vernunft. Längst sind wir zur Einsicht zurückgekehrt, dass die mittelalterlichen Denker in ihren Beschäftigungen mit Vernunft und Verstand, intellectus und ratio, Verstehen und Wollen, Rezeption und Aktion viel weiter von gedanklichen Engführungen entfernt waren als viele Wissenschaftler der Gegenwart. Wolfgang Welsch mag als Repräsentant für eine vielseitige Beschäftigung mit der Vernunftfrage in postmoderner Zeit gelten (4) .
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In diesem Gewirr wissenschaftlicher Selbstreflexionen findet sich heute auch die Theologie. Da wir sie hier als christliche, um nicht zu sagen: römisch-katholische Theologie verstehen, ist im Folgenden eine jener Seiten zu nennen, die uns in ihrer Bedeutsamkeit vielleicht erst in der Neuzeit voll aufgeht.
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Wir haben zuvor schon darauf hingewiesen, dass die abendländische Theologie schon früh zur Konkurrentin der griechischen Philosophie mit ihren metaphysischen und damit alles und jedes betreffenden Ansprüchen geworden ist. Doch gerade der universale Anspruch, den das Christentum erhebt, führt heute zu weltweiten Einsprüchen. Das hat im Letzten damit zu tun, dass der christliche Universal- bzw, - in der älteren Terminologie: - Absolutheitsanspruch von einer historisch greifbaren Menschengestalt, Jesus von Nazaret, ausgeht. Die Grundlage eines unbegrenzten Anspruchs bildet also hier eine raum-zeitlich begrenzte menschliche Existenz.
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Unvergessen steht bereits seit Lessing, also lange, bevor sich das Bewusstsein eines vielseitigen Pluralismus durchgesetzt hat, die These seiner Schrift Über den Beweis des Geistes und der Kraft im Raum (5) :
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Zufällige Geschichtswahrheiten können der Beweis von notwendigen Vernunftwahrheiten nie werden.
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Über die Frage, wie hier dem reinen Relativismus ausgewichen werden und bei allen Rückbindungen an die Geschichte und an geschichtlich bestimmtes Denken dennoch von Absolutheit gesprochen werden kann, wird seither gestritten. Der Streit hat nicht zuletzt im interreligiösen Bereich – auch ohne Rekurs auf Lessing – insofern eine Fortsetzung gefunden, als das Christentum selbst sich immer mehr als eine „Weltreligion in der Welt der Religionen“ wiederfindet (6) . Die Wahrheitsfrage gehört seither verstärkt in die Agenda unserer wissenschaftlichen Reflexion. Dabei darf es sich die abendländische Geisteswissenschaft, auch die Theologie, nicht zu einfach machen, indem sie naiv von einem allen gemeinsamen Wahrheitsbegriff ausgeht. Vielmehr ist das Gemeinsame im Diskurs immer neu zu erschließen. An dieser Stelle darf ich auf meinen Beitrag Das Christentum im Streit der Religionen um die Wahrheit verweisen, in dem ich aufgezeigt habe, dass der Wahrheitsbegriff in den Religionen vielschichtiger ist, als es die Reduktion der Frage auf eine reine Aussagewahrheit vermuten lässt (7) .
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In diesem Zusammenhang ist nicht zu übersehen, dass die in der Neuzeit gewachsene Aufmerksamkeit für die Geschichte auch die Gewichte der inner-theologischen Arbeit neu verteilt. Dabei haben die geschichtlichen bzw. die „empirischen“ Fächer der Theologie einen neuen Rang bekommen. So ist die Biblische Theologie keineswegs mehr eine reine Hilfswissenschaft der Dogmatik, sondern ein wissenschaftlicher Fächerkomplex eigenen Ranges. Das wird nicht zuletzt daran erkennbar, dass es in ihr keineswegs mehr allein um text- und kontextkritische Forschungen geht, sondern dass zahlreiche Exegeten in ihrer Arbeit auch die in den biblischen Büchern erscheinenden theologischen Konzeptionen erschließen und damit die Dogmatiker bzw. die Systematiker ganz allgemein einladen, die Grundlagen ihrer eigenen Fächer – Dogmatik, Fundamentaltheologie, Moraltheologie etc. – in Richtung auf eine biblische Grundlegung zu überprüfen und zu erneuern.
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Das historische Interesse trägt sodann Früchte in den theologischen Fächern, die der Geschichte gewidmet sind, zumal der Kirchengeschichte, aber auch in jenen Sektionen der übrigen Fächer, in denen auf deren geschichtliche Entwicklung sowie deren eigenen Umgang mit der Geschichte reflektiert wird. Dogmengeschichte und Dogmenentwicklung gehören spätestens seit der Mitte des letzten Jahrhunderts zu jenen Themen, die nicht selten auch für das Verhältnis von Theologie und lehramt zur Provokation werden. Die einfache Berufung auf eine lehramtliche Aussage ist längst kein Anlass mehr für die Beendigung von Debatten. Der ursprüngliche Titel des unvergessenen Aufsatzes aus dem Jahre 1951, den Karl Rahner anlässlich der Erinnerung an Chalkedon verfasste: Chalkedon – Ende oder Anfang? kann im Nachhinein sehr wohl als eine Programmansage für die Folgezeit verstanden werden (8) .
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An dieser Stelle kann nun nicht ausgeführt werden, wie sehr eine detaillierte Beschäftigung mit der kirchlichen Vergangenheit, mit Geschichte und Tradition, seine unübersehbaren Konsequenzen für Gegenwart und Zukunft der Kirche hat. Die ängstlichen Blockaden bestimmter Diskussionen durch lehramtliche Stellen sind nicht zuletzt von hier aus nur zu gut nachzuvollziehen. Denn es ist ja die Geschichte der Kirche, die überaus deutlich erkennen lässt, wie sehr sich ihre Gestalt, auch ihre Strukturen und das Autoritätsverhalten im Laufe der Jahrhunderte geändert haben. Die Gefahr, immer in der zuletzt erreichten Stufe die allgemein gültige Norm zu erblicken, ist verständlicherweise groß. Nicht umsonst aber steht die Kirche heute immer wieder vor der Frage, wie Jesus sich wohl wirklich seine Nachfolge-gemeinschaft gedacht hat.
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Das führt uns zurück zu der zu Beginn dieses Abschnitts formulierten Problematik von Geschichtlichkeit und Systematik, anders gesagt: von Partikularität und Universalität, partikulärer Faktizität und universaler und damit zeitloser Geltung. Diese Problematik findet nicht zuletzt dadurch ihre Verschärfung, dass sie aus der Außen- wie aus der Binnenperspektive ansteht. Wir haben sie zuletzt in den binnentheologischen Raum hinein verfolgt und dabei zugleich auf die Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung, der sich vor allem die praktischen Fächer der Theologie widmen, hingewiesen. Wir dürfen aber nicht übersehen, dass es gerade die hier angesprochenen Fächer sind, die der Theologie mit ihren methodischen Verfahrensweisen den Zusammenhang mit den übrigen universitären Fächern und Disziplinen sichern.
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Ohne hier auf das Spezifisch-Theologische einzugehen, bleiben aber das Verhältnis von Partikularität und Universalität wie auch die Frage der Wahrheitsfähigkeit des Menschen Fragenkomplexe, die dem außertheologischen Raum zuzuordnen sind. Deshalb kann die gesamte theologische Systematik, nicht nur die Fundamental-theologie, ihren Orientierungspunkt nicht allein in den lehramtlichen Vorgaben erblicken, vielmehr muss sie sich zugleich immer neu um die möglichen Weisen einer umfassenden Kommunikation mühen. Die Frage einer allgemeinen Geltung ist wesentlich eine Frage der sprachlichen Vermittlung und der Befähigung des Menschen zu einer Übersetzung von allem für alle (9) . Zu den wichtigsten Neuansätzen des 2. Vatikanischen Konzils gehört deshalb die Einsicht, dass dem heutigen Pluralismus, dem ethnisch-kulturellen sowohl wie dem religiösen, auf friedvolle Weise nur begegnet werden kann, wenn der Umgang miteinander vom Dialog bestimmt ist.
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Das neue Grundgesetz menschlichen wie menschheitlichen Umgangs lautet „Dialog“. Wie wir zuvor die doppelte Front der Theologie als Außen- und Binnenperspektive bezeichnet haben, so müssen wir nun darauf bestehen, dass das Grundgesetz „Dialog“ heute im Außen- wie im Binnenbereich von Kirche und Theologie Anerkennung findet. Es trägt nicht zur Glaubwürdigkeit der Kirche bei, wenn sie zwar für den Außenbereich Freiheit und dialogischen Umgang fordert, aber im Binnen-bereich immer noch häufig mit Sprech- und Denkverboten arbeitet. Der zwischenmenschliche Dialog im politischen wie in anderen Lebensbereichen lebt aber zunächst vom Vertrauen, vom Respekt voreinander, von der Achtung der so genannten „Menschenrechte“ u.ä.. Wo all das nicht gegeben ist, erschöpfen sich „Dialoge“ oder „Gespräche“ in Höflichkeit und Belanglosigkeit, führen sie nicht zur Auseinandersetzung um lebensnotwendige Sachverhalte, schon gar nicht um Wahrheitsfragen.
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Jeder Dialog hat es wenn es dem Wortsinn entsprechend um einen worthaften Austausch geht, mit der Sprache zu tun. Sprachen aber setzen Kenntnisse voraus, und wo es um Menschen geht, die unterschiedliche Sprachen sprechen und die Sprache des Partners nicht kennen, müssen Menschen einbezogen werden, die gleichsam auf beiden Seiten des Ufers zu Hause sind, sich also in den Sprachen derer, die Gesprächspartner werden wollen, auskennen. Solange die verschiedenen Sprachen gewisse Verwandtschaften aufweisen, weil sie mehr oder weniger im gleichen Kulturraum beheimatet sind, fällt die Bedeutsamkeit der Sprachbefähigung vielleicht weniger ins Gewicht. Wo wir es dagegen mit Sprachen unterschiedlicher Kulturbereiche zu tun bekommen, ist dem Sprachproblem vertiefte Aufmerksamkeit zu schenken. Aus diesem Grunde habe ich seit längerem vertreten, dass all diejenigen, die sich auf den interreligiösen Dialog einlassen wollen und ihr Studium in diese Richtung betreiben, eigentlich eine Sprache aus einem fremden Kulturbereich kennen, zumindest lesen, wenn nicht auch sprechen können sollten. Anders gesagt: Nicht jeder, der sprechen kann, ist damit heute auch schon dialogfähig.
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An dieser Stelle zeigt sich im Übrigen die große Chance einer Theologischen Fakultät wie der Innsbrucker mit den verschiedenen ihr verbundenen Kommunitäten, in denen Internationalität seit Jahren und Jahrzehnten lebendig ist. Sie sind Orte der Einübung neuer Formen von Konvivenz und werden, wo diese überdies bewusst gemacht und reflektiert wird, zu „Laboratorien“ internationalen Verstehens und Verhaltens.
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Bei alle dem gewinnt in unseren Tagen die Gestalt des Anderen deutlich an Profil. Das aber signalisiert zugleich eine bedeutsame Änderung in der Einstellung der Menschen zueinander. Tatsächlich ereignet sich hier ein „Umdenken“ im wörtlichsten Sinne des griechischen Wortes „Metanoia“. Wir erfahren uns als Wesen, die ihren eigenen Standpunkt verlassen und gleichsam vom „anderen Ufer“ her sehen und urteilen können. Wenn wir aber im Denken vom Anderen her verstehen, was es für den Menschen bedeutet, dass er nicht alles, was ist, nur von seinem eigenen, sondern immer auch von einem anderen, oft fremden Standpunkt aus sehen und beurteilen kann, ja muss, dann besagt das gegenüber dem cartesianischen Ansatz zu Beginn der Neuzeit eine grundlegende Neuorientierung. Nicht mehr das „Ich denke, darum bin ich“ ist die grundlegende Option zur Selbstfindung und Selbstverwirklichung, sondern die Selbstentäußerung, die zum „Nicht-Ich“ führt, setzt wahrhaft Kräfte frei, um zum wahren Menschsein zu finden. Dass es heute gilt, eine Vielfalt von Egoismen individueller wie auch kollektiver Art zu überwinden, dämmert vielen freilich erst langsam.
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An dieser Stelle erhalten religiöse Botschaften, Einladungen und Optionen heute eine unverkennbare Chance. In der Beschäftigung mit dem Anderen befinden wir uns einmal in unserer eigenen Tradition, fühlen sich heute viele inspiriert vom jüdisch-christlichen Dialog, denken viele an Emmanuel Lévinas. Wer aber bei der Betonung des Anderen „Nicht-Ich“ sagt, ist auch nicht fern von der Mitte des buddhistisch-christlichen Dialogs. Nun erschöpft sich das „Nicht-Ich“ buddhistisch nicht darin, eine Erkenntniskategorie zu sein. Vielmehr impliziert es den Vollzug des „Nicht-Ich“ im alltäglichen Leben, indem es den Menschen antreibt, sich von jeder falschen Ich-Verhaftung freizumachen, buddhistisch gesagt: zu „entleeren“. Von hier aus ist inzwischen längst im Blick auf Phil 2,6-8 eine christliche Grundoption wieder entdeckt worden, nämlich die Einübung des Kenotischen:
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(Christus Jesus) war Gott gleich,
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hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein,
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sondern er entäußerte sich
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und wurde wie ein Sklave
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und den Menschen gleich.
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Sein Leben war das eines Menschen,
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er erniedrigte sich
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und war gehorsam bis zum Tod,
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bis zum Tod am Kreuz. (10)
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Bei all unseren Überlegungen geht es um die Theologie, ihren Ort und ihre Zeit, in einer Formel von Hans-Jürgen Höhn gesagt: um die „Theologie, die an der Zeit ist“ (11) . Raum und Zeit sind die entscheidenden Momente, den Kontext zu bestimmen. Wer von Kontexten spricht, darf aber den Text nicht – wie wiederholt gesagt - aus den Augen verlieren. Nun ist zwar auch „Theologie“ kein ursprünglich christlicher Terminus, sondern aus der griechischen Philosophie geborgt. Geht man aber der Übertragung dieses Begriffes nach, so kann im jüdisch-christlichen Kontext „Gott“, also theos, nicht wie ein Sachobjekt behandelt werden, über das der Mensch erkennend verfügt. Wenn wir den Begriff jüdisch-christlich verstehen, sehen wir in der Theologie besser einen Prozess, in dem „Gott zur Sprache kommt“ (12) . So formuliert, ist dann „Gott“ das Subjekt der im Begriff der Theologie implizierten Aussage. Anders gesagt: „Gott“ ist hier nicht gleichsam das Ende eines menschlichen Such- und Denkprozesses, sondern ein unerwartetes und nicht zu berechnendes, freies Ereignis der den Menschen tragenden Wirklichkeit. Fachlich ausgesagt: „Gott offenbart sich selbst“, oder nochmals anders formuliert: „Gott teilt sich selbst in Freiheit und Fülle dem Menschen mit.“ Jedenfalls wird Gott zuerst als Subjekt erfahren, ehe der Mensch sich seiner als Objekt bzw. als eines „Sachverhalts“ zu bemächtigen sucht.
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Zwei Dinge werden an dieser Stelle deutlich:
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● Wer „Theologie“ sagt, kommt nicht umhin, vom theos seiner Theologie zu sprechen. Dabei reicht es nicht aus, von „Gott“ gleichsam im allgemeinen zu sprechen. Vielmehr geht es um den Gott, der sich selbst frei und in seiner Fülle dem Menschen mitteilt, so dass die theologische Reflexion deutlich der Begegnung mit diesem Gott bzw. der Gotterfahrung folgt. Hier ist aber zu beachten, dass die Rede von der Gotterfahrung relativ spät in den theologischen Diskurs Eingang gefunden hat.
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● Sodann aber kommt, wer immer „christliche Theologie“ betreibt, nicht umhin, von Jesus von Nazaret, dem Christus, zu sprechen. Der theos christlicher Theologie ist denn auch niemand anders als der Gott Jesu Christi, also ein Gott der Geschichte und ein Gott der Menschen.
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Die Betonung dieser beiden Punkte, die dann weiter in der trinitarischen Theologie, aber auch im Gott-Mensch-Verhältnis Jesu, schließlich im Blick auf die Weisen seiner Lebendigkeit in der Geistwirklichkeit, in der Nachfolgegemeinschaft u.a.m. zu entfalten sind, markieren zugleich die entscheidenden Zugänge zur Mitte christlicher Theologie. Auch wenn wir das in diesem Rahmen nicht ausführlicher entfalten können, so wollen wir abschließend doch einiges anmerken, was sich im Hinblick auf den zentralen „Text“ aus der Beschäftigung mit dem bzw. den Kontexten heute ergibt.
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Gerade weil die Reflexion der Kontexte Werk der menschlichen Beobachtungsgabe ist, ist bei einer vom Christentum inspirierten Befassung mit der Gottesfrage zu beachten, dass der Mensch hier in seinen Bestreben an die Grenzen seines Bemühens gelangt. Die Grunderkenntnis besteht denn auch darin, dass wir Gott als den „Unverfügbaren“ erkennen. Die Anerkennung dieser Einsicht besagt zugleich, dass wir uns jeden Urteils über die Freiheit und die Möglichkeiten dieses Unverfügbaren enthalten. Nur die Enthaltung dieses Urteils befähigt den Menschen, dass er sich als den von diesem Unverfügbaren Getragenen, Umfangenen, am Ende gar als Angesprochenen erfährt, zum „Hörer des Wortes“ (K. Rahner) wird und seine Sinne sich für den unverwechselbaren Gott öffnen (13) .
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Entgegen der gerade in der Neuzeit gewachsenen Ansicht ist „Gott“ kein menschliches Denkprodukt, folglich auch keine menschliche Projektion, wie vielfach unter Missachtung der Unterscheidung von Gott und Gottesbildern gedacht wird. Der christliche Gottesglaube gründet vielmehr in der Bezeugung einer geschichtlich erfahrenen Existenz, im Leben und Sterben des Jesus von Nazaret. Die Vermittlung dieser Erfahrung ist eine eigene Geschichte. Sie beginnt damit, dass wir uns nicht damit zufrieden geben, die Gestalt Jesu ihrerseits allein aus den Kontexten seiner Zeit und den Zusammenhängen der ihn bezeugenden biblischen Anfangsschriften zu erklären. Zu den wichtigsten Aufgaben der Theologie gehört es denn heute auch, die Bedeutung und Bedeutsamkeit der Geschichte und des Geschichtlichen gegenüber allen menschlichen System- und Herrschaftsentwürfen zu erkennen.
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Was am Ende des 2. Teiles in den Blick kam, der Ruf des Kenotischen und die Einladung zur radikalen Selbstentäußerung, verbindet sich heute nicht zuletzt mit der Wiederentdeckung der Mystik als des eigentlichen Ortes der Gotteserfahrung und einer wahrhaft christlichen Negativen Theologie. Wir stoßen in der theologischen Forschung heute an vielen Stellen auf Strukturen und Gedankengänge, die Theologen von anderen Denkern entlehnt und übernommen haben. Im Bereich abendländischer Mystik war es in starkem Maße der neuplatonische Einfluss, der erst langsam in seinen Grenzen erkannt und durch eine radikale Hinwendung zur christlichen Kreuzesbotschaft überholt wird (14) . Zum anderen geht es um die Erfahrung selbst.
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Im Schlusskapitel seines neuesten Werkes Mystik im Kontext (vgl. A. 14) kommt Alois M. Haas in Auseinandersetzung mit dem berühmten und vieldiskutierten Rahner-Wort vom „Fromme(n) von morgen“, der ein „Mystiker“, also ein „Erfah-render“ und somit „Erfahrener“ sein wird, auf die „moderne und postmoderne Problemlage“ zu sprechen (496f.). Hier stellt er fest:
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In der postmodernen Beliebigkeit überlebt die mystische Erfahrung nur noch als ein literarisches Zitat, nicht mehr als ein Lebenszeugnis. Es kommt hinzu, dass der alle kulturellen und religiösen Institutionen durchwaltende Positi-vismus mit seinem Triumph des materiell Verifizierbaren und daher allein als wirksam Erachteten heute sowohl für Religion wie für Mystik kaum einen idealen Nährboden darstellt. ... Andere, rational orientierte Systeme der Weltdeutung – die Psychologie oder die Philosophie – bedrohen die Weltdeutungskapazität der Mystik aufs gründlichste.
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Damit finden wir uns in gewissem Sinne bei früheren Überlegungen wieder. Interessanterweise gibt es aber auch im Hinblick auf „einen möglichen Ausweg“ eine Konvergenz. War zuvor von Selbstentäußerung und „Leerung“ die Rede, so führt Haas aus der Sprache mittelalterlicher Mystik den Begriff des „Lassens“ mit seinen Verbindungen „verlassen“ (als Verbum) und „Gelassenheit“ ein. Zugleich ruft er aus einem satzhaften, worthaften Bedenken in den Raum der Erfahrung zurück:
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Der Mensch, der sich in seiner Kontingenz als angewiesen auf eine ihnletztlich tragende und unvordenklich liebende Instanz erkennt und erfährt, ist offen für die Offerte eines Glaubens, der sicherlich weniger satzorientiert ist als vielmehr eine Erfahrung intendiert, die dem Geheimnis Gottes gerechter wird. Stichwort für diese Haltung ist ́Gelassenheit́. Sie ist die Voraussetzung eines authentischen Selbstvollzugs im Sinne christlicher Mystik. Zunächst meint das Wort ́verlasseń und ́lasseń in einem aktiven Sinn. Insbesondere die Besitzstrukturen unseres menschlichen Daseins – die materiellen und die geistigen – stehen dabei im Vordergrund. Wenn ́Gelassenheit́ im Sinn einer Tätigkeit Raum gefunden hat, kann sie eine Haltung des Seins werden. Wer gelassen hat, kann gelassen sein. (498)
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Hier ist nun zu bemerken: Unsere Überlegungen zu Text und Kontext erschöpfen sich weder da, wo die Kontexte bedacht werden, noch da, wo wir uns auf den Text besinnen, im Worthaft-Satzhaften. Es ist gerade die Einsicht, dass das aus der lebendigen Erfahrung quellende Wort Leben spendet und somit weniger nach dem Wort, das erklärt, als nach dem Wort, das bewirkt, gesucht werden muss: verbum efficax. Erst wo die Gottesfrage zum Ruf nach Gotteserfahrung wird, eröffnet sich die Chance, wahrhaft Gottes inne zu werden.
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Für die Theologie heißt das: Sie muss immer neu ihrer doppelten Bewegung eingedenk sein. Einerseits muss sie im wahrsten Sinne des Wortes Gott zur Sprache kommen lassen, den „theos“ zum „logos“. Andererseits aber ist es die bleibende Aufgabe der Theologie, den Menschen als „Hörer des Wortes“ in das Geheimnis Gott einzuladen und einzuführen, - in einem von Karl Rahner geborgten Begriff gesagt: „mystagogisch“ zu sein (15)
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Ein Letztes ist hier in Kürze anzusprechen. Auch wenn der Mensch den Punkt erreicht, wo er sich auf das Unverfügbare bzw. den Unverfügbaren hin loslässt und so zur Gelassenheit findet, liegt der Text christlicherseits noch nicht wirklich offen. Wir tun heute gut daran zu erkennen, dass gerade außerhalb des Christentums nicht so sehr die Gottsuche sich als Zugang zu unserer Religion erweist, schon gar nicht die Beschäftigung mit der Institution Kirche und ihren Strukturen, sondern der Blick auf die Jesusgestalt. Die Frage, die Jesus seinen Jüngern gestellt hat: „Für wen halten mich die Menschen?“ (Mk 8,27 par.) ist inzwischen zu einer Menschheitsfrage geworden. Längst ist zu erkennen, dass die Beschäftigung mit Jesus außerhalb der Kirche zu den spannendsten Themen der Theologie gehört. Dabei fallen verschiedene Dinge auf:
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● Wichtiger als die Gottheit Jesu erscheint vielen Menschen seine nicht zu leug-nende Menschheit und Menschlichkeit. Interesse findet einmal, dass Jesus ein wahrhaft menschliches Leben mit all seinen Höhen und Tiefen geführt hat, sodann dass sich in seinem Leben das Menschsein in Vollkommenheit, die „Humanität“ ohne jedes Versagen, widerspiegelt. In gewissem Sinne wird auf Jesus gleichsam an Gott vorbei geschaut.
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● In seinem Menschsein ist Jesus offensichtlich ein Vorbild für alle Zeiten. Nach ihm kann man sich ausrichten, an ihm sich orientieren. Diese Orientierung betrifft seinen Umgang mit den Menschen, aber auch die Widerspiegelung der Ordnung dieser Welt, sein Wissen um das Getragensein von der Unverfügbarkeit Gottes und eine offene Zukunft.
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● Angesichts der Normativität dieses exemplarischen Lebens verschiebt sich der Ansatz für den universalen bzw. den Absolutheitsanspruch des Christentums. Nicht eine Lehraussage macht den Inhalt des Anspruchs aus, sondern die Bedeutsamkeit einer Person, des Lebens und Sterbens Jesu für alle Menschen. Die bleibende Frage betrifft einmal das Angebot, Weg für alle Menschen zu sein, noch mehr aber dann das für viele Zeitgenossen heute skandalöse Ansinnen, Jesus sei der einzige zielführende Weg unter Ausschluss aller anderen „Wegweiser“. Freilich macht heute den Anspruch, einen Weg zur Erfüllung für alle zu weisen, noch nicht den Unterschied zu allen anderen Religionen aus. Denn den Anspruch, Weg zu einer universalen Heilsvermittlung, also eines Heils für alle, erheben praktisch alle Weltreligionen.
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● Die Jesusfrage erfährt erst dort ihre eigentliche Zuspitzung, wo aus dem „Wegweiser“ zum Heil und zur Vollendung der einzige und wahre Mittler des Heils und der Vollendung in Person wird, anders gesagt: wo das menschenmögliche Verständnis des Menschen Jesus sich in die Gottesfrage umkehrt und die Erkenntnis wächst, dass sich der unverfügbare Gott in Jesus von Nazaret ein Gesicht und das Wort schlechthin geschaffen hat. Die christliche Theologie wird daher immer neu sagen müssen, was ihr die Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazaret wirklich bedeutet.
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Wir sehen: Für das Christentum beginnt der Weg zu Gott nicht im Denken, sondern in der Hinwendung zur bzw. in der Wahrnehmung der Geschichte. Diese Einsicht wird in ihren vielfältigen Konsequenzen nach wie vor zu wenig bedacht. Unser Denken hat aber nur dann eine wirkliche Chance, wenn der Mensch sich in das Undenkbare hinein loslässt und den Raum für den Unverfügbaren frei gibt. Was die Vorfahren in der theoria als höchstesGut erkannt haben, beginnt heute dort wieder zu wirken, wo der Mensch sich der Grenzen seines Tuns und seiner Gestaltung bewusst wird und darin erfährt, dass er nur im Lassen, im Loslassen, in der Gelassenheit in das Geheimnis der letzten Wirklichkeit eintauchen kann. Glaubende und überzeugte Christen dürfen dann unbekümmert die Frage stellen: Wer in der Geschichte der Menschheit hat denn überzeugender das Sich-Loslassen verkörpert als der Gekreuzigte und den Menschen auf den Weg der Nachfolge gerufen?
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Blicken wir an dieser Stelle nochmals auf die europäische Theologie unserer Tage, so liegt ihre Chance wie auch ihre Aufgabe vielleicht gerade darin, die Spannung zwischen Jesus- und Gottbindung und die Einübung in das unverkrampfte und mutige Loslassen in die Tiefe und Fremdheit des uns in Jesus nahe gekommenen Gottes in die verschiedenen Orte und Zeiten der Welt hineinzutragen und hineinzuleben. Aktiv beschrieben, findet die Haltung des Loslassens aber am Ende nirgendwo anders Ausdruck als in der Solidarität und Zuwendung zu jedem anderen, zu dem jeweils „Nächsten“, der Anspruch auf meine Liebe hat.
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Anmerkungen:
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1. In den Konzilsübersetzungen folgen wir der überarbeiteten Version in Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil. Bd. 1. Freiburg 2004.
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2. Vgl. J. Ratzinger, Glaube – Wahrheit – Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen. Freiburg 2003; dazu meine Rezension in ZMR 89 (2005) 72-74..
| 103
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3. Vgl. dazu die Enzyklika Johannes Pauls II. Fides et ratio vom 14.9.1998; kommentierend H. Waldenfels, „Mit zwei Flügeln“. Paderborn 2000; M. Delgado / G. Vergauwen (Hg.), Glaube und Vernunft – Theologie und Vernunft. Aspekte ihrer Wechselwirkung in Geschichte und Gegenwart. Fribourg 2003.
| 104
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4. Ich nenne nur eines seiner Hauptwerke: Vernunft. Die zeitgenössische Vernunftkritik und das Konzept der transversalen Vernunft. Frankfurt 1995.
| 105
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5. G.E. Lessing, Werke Bd. VI. Neu bearbeitet von F. Fischer. Frankfurt 1965, 285.
| 106
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6. So der Untertitel meiner Vorlesungsreihe an der Berliner Humboldt-Universität im Wintersemester 1992/93; vgl. H. Waldenfels, Phänomen Christentum. Eine Weltreligion in der Welt der Religionen. Freiburg 1994; Neuauflage: Bonn 2002.
| 107
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7. Vgl. HFTh2 II 199-219: auch H. Waldenfels, Begegnung der Religionen. Theologische Versuche I. Bonn 1990, 305-319; ders., Auf den Spuren von Gottes Wort. Theologische Versuche III. Bonn 2004, Teil IV.
| 108
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8. Vgl. den Nachdruck in: Schriften zur Theologie I 169-222. Zur Diskussion des damit gegebenen Verstehensprozesses vgl. auch meine Überlegungen in: Kontextuelle Fundamentaltheologie. Paderborn 32000, Teil V.3.
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9. Zur Sprachproblematik vgl. ausführlicher H. Waldenfels, Gottes Wort in der Fremde. Theologische Versuche II. Bonn 1997, Teil I: Sprachen als Brücken in die Fremde.
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10. Vgl. zu dieser Problematik seit meinem Buch: Absolutes Nichts. Zur Grundlegung des Dialogs zwischen Buddhismus und Christentum. Freiburg 31980, auch meine Überlegungen zur Sache in: Faszination des Buddhismus. Mainz 1982, sowie in meinen: Theologische(n) Versuche II (A..9), 167-331, und III (A..7), 301-317 u.ö.
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11. So der Titel eines von H.-J. Höhn herausgegebenen Buches. Paderborn 1992.
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12. Vgl. zum Folgenden meine: Kontextuelle Fundamentaltheologie (A.8), 31-42.
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13. Zuzustimmen ist dem Hinweis, dass die Rede von der „Unverfügbarkeit“ auch ihren Anwendungsbereich im Anthropologischen hat. Gerade da, wo auch der Mensch – theologisch nicht zuletzt im Hinblick auf seine Gottebenbildlichkeit – als „unverfügbar“ gesehen wird, beginnt im Übrigen die gleichfalls unabgeschlossene Diskussion um das Personverständnis in seiner Spannung von Individualität und Relationalität neu.
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14. Vgl. neben den früheren Werken von A. M. Haas, vor allem: Gottleiden – Gottlieben. Frankfurt 1989, neuerdings:Mystik im Kontext. München 2004.
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15. Vgl. dazu die schematische Darstellung in meiner: Kontextuellen Fundamentaltheologie (A..8) 16.
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