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Lumma Liborius: Schubert hat kein Sanctus komponiert
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Schubert hat kein Sanctus komponiert
(Anmerkungen zu einem beliebten Kirchenlied)

Autor:Lumma Liborius
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2013-07-22

Inhalt

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0. Einführung

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Die Überschrift dieses kleinen Artikels mag überraschen: Hat etwa ein bislang weitgehend unbekannter Innsbrucker Liturgiewissenschaftler die Entdeckung seines Lebens gemacht? Baut hinter ihm schon Guido Knopp die schwarzen Stellwände für die Dokumentation „Heilig, heilig, heilig – der größte Schwindel der Musikgeschichte“ auf, die dann zwischen „Karl der Große – Reichsgründer oder Fantasiefigur“ und „Schwarze Löcher – wir werden alle hineinfallen“ gesendet wird? Nein, ganz so dramatisch ist es nicht, und dennoch ist es eine Tatsache: Franz Schubert hat kein Sanctus komponiert.

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Die „Deutsche Messe“

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Es geht hier selbstverständlich um das „Heilig, heilig, heilig“ aus der „Deutschen Messe“ von Franz Schubert (D 872) aus dem Jahr 1827. Zumindest die erste Strophe ist im deutschen Sprachraum – mit einem starken Süd-Nord-Gefälle – eines der bekanntesten Kirchenlieder: „Heilig, heilig, heilig, heilig ist der Herr! Heilig, heilig, heilig, heilig ist nur Er! Er, der nie begonnen, Er, der immer war, ewig ist und waltet, sein wird immerdar.“ Die zweite Strophe ist seltener zu hören: „Heilig, heilig, heilig, heilig ist der Herr! Heilig, heilig, heilig, heilig ist nur Er! Allmacht, Wunder, Liebe, Alles ringsumher! Heilig, heilig, heilig, heilig ist der Herr!“

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Auch andere Teile aus der „Deutschen Messe“ sind in Verwendung, zum Beispiel „Wohin soll ich mich wenden“ oder „Ehre, Ehre sei Gott in der Höhe“. Schubert vertonte dabei Texte seines Zeitgenossen Johann Philipp Neumann (1774 –1849).

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Der Begriff „Deutsche Messe“ wirkt heute vielleicht irritierend. Seit dem II. Vatikanischen Konzil sind wir gewohnt, katholische Gottesdienste meist in der Volkssprache zu feiern. Da ist das Adjektiv „deutsch“ überflüssig. Anfang des 19. Jahrhunderts aber war das – jedenfalls in der umfassenden Form der „Deutschen Messe“ von Neumann/Schubert – geradezu revolutionär. Hier bot sich den Gläubigen die Möglichkeit, die Eucharistiefeier durch insgesamt acht Gesänge in der eigenen Sprache mitzuverfolgen und geistlich zu vertiefen, und das in zeitgenössischer Musik: sei es als einstimmiger Gemeindegesang, sei es als vierstimmiger Chor mit Instrumentalbegleitung. Die acht Gesänge tragen folgende Titel: 1. „Zum Eingang“, 2. „Zum Gloria“, 3. „Zum Evangelium und Credo“, 4. „Zum Offertorium“, 5. „Zum Sanctus“, 6. „Nach der Wandlung“, 7. „Zum Agnus Dei“, 8. „Schlussgesang“. Hinzu kommt noch als Anhang „Das Gebet des Herrn“.

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2. „Zum Sanctus“ und „Sanctus“

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Nehmen wir als Beispiel Nummer 1: „Zum Eingang“. Dieser Titel findet seine Entsprechung in der lateinischen Bezeichnung „Ad Introitum“, die schon 1000 Jahre zuvor für den Gesang zum Einzug verwendet wurde. „Introitus“ ist das lateinische Wort für „Einzug“, und wenn etwas „ad introitum“ gesungen wird, dann handelt es sich um den Begleitgesang zu diesem liturgischen Geschehen. Es wäre absurd, den Gesang „zum Einzug“ für den Einzug selbst zu halten, wenngleich es aus sprachökonomischen Gründen vorkommen kann, dass auch der Gesang „Introitus“ genannt wird. Findet sich bei Schubert ein Stück „zum Evangelium und Credo“, dann ist auch das selbstverständlich nicht selbst das Evangelium und Credo, sondern es ist ein Begleitgesang, während – im Ritus der damaligen Zeit – der Priester das Evangelium (still) liest und anschließend das Glaubensbekenntnis (still) rezitiert. Dasselbe gilt nun auch für Nummer 5: „Zum Sanctus“. Während der Priester (still) das Sanctus rezitiert, singt die Gemeinde ein Lied, dass dieses Geschehen betrachtet: ein Lied „zum Sanctus“. Dieses Lied ist aber selbstverständlich nicht „das Sanctus“.

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3. Das Sanctus

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Neumann hatte nicht im Sinn, ein Sanctus zu verfassen. Er wusste, dass da nichts zu verfassen war, denn das Sanctus gab es ja bereits. Es lautet „Sanctus, sanctus, sanctus Dominus Deus Sabaoth. Pleni sunt caeli et terra gloria tua. Hosanna in excelsis. Benedictus qui venit in nomine Domini. Hosanna in excelsis“ („Heilig, heilig, heilig, Herr Gott der Heerscharen. Voll sind Himmel und Erde von deiner Ehre. Hosanna in den Höhen. Gesegnet, der kommt im Namen des Herrn. Hosanna in den Höhen“) und es steht als Teil des Eucharistischen Hochgebetes im Messbuch – zu Schuberts Zeiten wie auch heute. Neumann schrieb einen Text, den die Gläubigen inspirieren konnte, während parallel dazu das Sanctus stattfand, indem es der Priester rezitierte, und zwar in einer Lautstärke, die die Menschen nicht hören konnten, und in einer Sprache, die die allermeisten nicht verstanden. Wenn aber Neumann kein Sanctus geschrieben hat, konnte auch Schubert kein Sanctus vertonen, sondern nur einen Gesang „zum Sanctus“ – genau so sagt es völlig korrekt die Überschrift des Stückes.

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Der Text des Sanctus setzt sich aus zwei biblischen Zitaten zusammen. Jes 6,3 und Ps 118,26 (= Mk 11,9 parr). Nun sollte nicht erst seit Karl-Theodor zu Guttenberg beim Umgang mit Zitaten höchste Vorsicht geboten werden. Für Christen gilt diese Sorgfalt umso mehr, wenn es um biblische Texte, also Urquellen des Glaubens geht. Und mehr noch: In der Liturgie wird zumindest das erste Zitat sogar als solches angekündigt, denn im Eucharistischen Hochgebet heißt es unmittelbar vor dem Sanctus (hier in der zu Schuberts Zeiten allein gebräuchlichen lateinischen Fassung): „Et ideo cum Angelis et Archangelis, cum Thronis et Dominationibus, cumque omni militia caelestis exercitus, hymnum gloriae tuae canimus, sine fine dicentes: Sanctus, sanctus, sanctus...“ („Und daher singen wir mit den Engel und Erzengeln, mit den Thronen und Herrschaften und mit der ganzen Armee des himmlischen Heeres den Hymnus deiner Ehre, ohne Ende sagend: Heilig, heilig, heilig...“) Das Sanctus wird als ein Einstimmen in den Hymnus der Seraphim (Jes 6,2) angekündigt, und da dieser Hymnus in der Vision des Jesaja wörtlich vorliegt, kann auch das Einstimmen nur wortgetreu erfolgen – wenn die einen „Zum Geburtstag viel Glück“ singen, können die anderen nicht mit „Viel Glück und viel Segen“ einstimmen; jedenfalls wäre das dann kein „Einstimmen“ mehr.

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Dabei ist unerheblich, welche Vorstellung jede und jeder einzelne von der Metaphysik der himmlischen Sphäre hat. Entscheidend ist, dass im Sanctus ein biblisches Zitat in der Liturgie kontextualisiert wird. Das Sanctus kann daher durch keinen anderen Text ersetzt werden – so wie die Aufforderung „Lasst uns beten, wie der Herr uns zu beten gelehrt hat“ (vgl. Mt 7,9) nur fortgeführt werden kann mit dem Vaterunser, nicht aber mit einer frommen Betrachtung „zum Vaterunser“, selbst wenn diese auch mit „Vater unser im Himmel“ beginnen sollte.

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4. Die heutige Situation und das neue „Gotteslob“

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Das II. Vatikanische Konzil hat herausgestellt, dass die Klerikalisierung der römischen Liturgie nicht deren eigentlichem Sinn entspricht. Das Sanctus kommt nicht dem Eucharistievorsteher allein zu, sondern der ganzen Gemeinde, mehr noch: der ganzen Kirche. Somit ist die Rollenaufteilung zwischen einem Priester, der den „offiziellen Teil“ der Liturgie vollzieht, und einer Gemeinde, die sich währenddessen mit anderen Dingen, zum Beispiel Betrachtungsliedern „zur Liturgie“ beschäftigt, dem Wesen der Liturgie abträglich. Das Sanctus ist von allen gemeinsam zu singen. Nachdem der lateinische Text des Sanctus aus dem Griechischen übersetzt wurde und dieser wiederum auf zwei alttestamentlichen, im Ursprung hebräischen Versen beruht, ist nun auch eine weitere Übersetzung in die deutsche Sprache kein Problem. Dass dabei verschiedene mögliche Textvarianten herauskommen können, ist ebenfalls kein Problem (das war es über einige Jahrhunderte auch in lateinischen Bibelübersetzungen nicht, ehe sich dann eine davon allgemein durchsetzte). Ein Problem besteht aber darin, wenn ein Betrachtungslied „zum Sanctus“ nun „als Sanctus“ verwendet wird, ohne dabei semantisch Jes 6,3 und Ps 118,26 abzubilden – genau das aber ist dem Schubert-Heilig widerfahren. (Ich bin sicher, dass Schubert entsetzt wäre, wenn er das erleben müsste, mehr aber noch Neumann, der es nie gewagt hätte, seine fromme Betrachtung für einen liturgischen Text zu halten, der einen biblischen Hymnus verdrängen könnte.) Es geht dabei nicht darum, was im Zuge der Liturgiereform von der kirchlichen Autorität erlaubt oder verboten wurde (oder zuerst erlaubt, dann wieder verboten oder umgekehrt). Es geht nur darum, was aus sachlichen Gründen sinnvoll ist, und hier ist feszuhalten: Nur ein Sanctus kann ein Sanctus sein, alles andere ist ein „falsches Zitat“ und würde in jedem theologischen Proseminar als Fehler angestrichen.

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Völlig zurecht werden sich daher im Stammteil des neuen „Gotteslobs“, das derzeit vor seiner Einführung steht, nur Sanctus-Gesänge finden, die tatsächlich dem Text des Sanctus entsprechen (auch wenn sie dies durchaus mit gewissem Interpretationsspielraum bei der Übertragung ins Deutsche und der Memorierbarkeit z.B. in Reimform tun). Neben vier lateinischen (Nr. 106, 110, 115, 118) sind dies 16 deutschsprachige Fassungen (127, 129, 132, 135, 138, 190–200) – da sollte sich für jedes ästhetische Empfinden etwas Passendes finden lassen.

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Die populäre erste Strophe des „Schubert-Heilig“ ist ebenfalls abgedruckt, aber nicht als Sanctus – denn es ist ja keines –, sondern im Kapitel „Lob, Dank und Anbetung“ (388) – denn das ist es durchaus! Es ist zu hoffen, dass die Liturgieverantwortlichen diesen Wink mit dem Zaun verstehen. Es ist keineswegs verboten, das Schubert-Heilig zu singen; aber es ist sachlich falsch, es als Sanctus zu singen, denn es verfälscht sonst ein Zitat aus der Heiligen Schrift, dem wichtigsten Schatz des christlichen Glaubens und der Liturgie (vgl. SC 24). Aber warum nicht mit den Worten Johann Philipp Neumanns und der Komposition Franz Schuberts, die bis heute die Herzen zutiefst berühren können, gelegentlich eine Eucharistiefeier eröffnen oder beenden, eine Andachtsstunde gestalten oder ein Rosenkranzgebet abschließen? 200 Jahre katholischer Seelenregungen können kaum irren. Nur: Das „Schubert-Heilig“ ist kein Sanctus und wird nie eines sein.

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