Gregor Schusterschitz
Derzeitige Tätigkeit:
Ich bin seit 1996 im diplomatischen Dienst tätig und seit August 2019 stellvertretender Ständiger Vertreter bei der EU. In dieser Funktion bin ich Österreichs Botschafter im Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV, bzw. Coreper) Teil 1, der sich mit den Themen Verkehr, Umwelt, Energie, Landwirtschaft, Fischerei, Beschäftigung, Soziales, Gesundheit, Industrie, Binnenmarkt, Forschung, Bildung, Kultur, Jugend, sport, Raumfahrt, Gleichstellung und Konsumentenschutz beschäftigt. Der AStV trifft sich ein bis zweimal wöchentlich und verhandelt vor allem EU-Gesetze, bevor sie den MinisterInnen zum Beschluss vorgelegt werden.
Studium:
Ich habe von 1990 bis 1996 Jus und von 1991 bis 1995 Politikwissenschaft/Fächerbündel an der Universität Innsbruck studiert und habe jeweils ein Gastsemester in Linz (Jus) und Washington DC (Politikwissenschaft) absolviert.
- Warum hast Du Dich/haben Sie sich für das Studium der Politikwissenschaft entschieden? Welche Alternativen gab es für Dich/Sie sonst noch?
Ich wollte immer verstehen, wie politische Prozesse funktionieren und wie man politische Systeme gestalten kann. Daneben habe ich auch Jus studiert und im Fächerbündel viele historische Fächer. So hatte ich immer den Staat als Studienobjekt: Jus: wie er sein sollte; Politikwissenschaft: wie er wirklich ist; und Geschichte: wie er war.
- Wofür hast Du Dich/haben Sie sich im Studium am meisten begeistert?
Am meisten hat mich das Studium politischer Systeme und politischer Theorien, also Fragen, die man früher Staatsphilosophie genannt hat, interessiert: wie organisieren sich Staaten und politische Systeme, wie kann man Rechtsstaatlichkeit und Demokratie „wissenschaftlich“ und politisch absichern und verbessern. In diesem Bereich waren insbesondere die Lehrveranstaltungen von Prof. Anton Pelinka sehr inspirierend. Wohltuend im Gegensatz zum Jus-Studium war die Vielzahl von Proseminaren und Seminaren und damit das Arbeiten in kleineren Gruppen im direkten Kontakt mit den Lehrenden.
- Hattest Du/hatten Sie zu Beginn des Studiums bereits eine Idee, wo Du/Sie nachher landen würdest/würden?
Mir war immer schon klar, dass ich Diplomat werden wollte. Ich habe das Studium allerdings weniger als konkrete Vorbereitung darauf gesehen, sondern als Möglichkeit, sich eine umfassende Bildung zuzulegen, was die spätere Arbeit als Diplomat erleichtern sollte. Während des Studiums habe ich auch etwas mit dem Journalismus geflirtet und diverse Praktika gemacht, bin dann aber letztendlich beim Berufsziel Diplomat geblieben.
- Und wie bist Du/sind Sie zu der jetzigen Stelle gekommen?
Ich habe meine Karriere 1996 im Völkerrechtsbüro des Außenministeriums begonnen, war dann Presseattaché an der österreichischen Botschaft in Prag und Stellvertreter des Botschafters an der Botschaft in Den Haag, als ich Anfang 2006 für die österreichische EU-Präsidentschaft als Rechtsberater das erste Mal an die Ständige Vertretung bei der EU kam, damals faszinierte mich der Tätigkeitsbereich des AStV I besonders, da dort viel Gesetzgebungsarbeit stattfindet, die sich direkt auf das Leben der Menschen auswirkt. Nach einigen Jahren als Leiter der Völkerrechtsabteilung im Außenministerium kehrte ich daher als Botschafter im AStV I nach Brüssel zurück, ging jedoch nach einem Jahr als Botschafter nach Luxemburg. In den letzten beiden Jahren meiner Luxemburg-Zeit war ich gleichzeitig Brexit-Delegierter, pendelte also regelmäßig zwischen Luxemburg und Brüssel. Da für meine jetzige Funktion EU-Erfahrung in besonderem Maße gebraucht wird, kehrte ich 2019 in meine jetzige Funktion zurück.
- Was hat Dir/Ihnen im Nachhinein besonders geholfen, nach dem Studium einen Job zu finden?
Einerseits die Themenbreite, die man beim Studium mit Fächerbündel abbilden kann, andererseits die starke Ausrichtung an Proseminaren und Seminaren, wo man eine gute Schulung im Erstellen von Texten und Präsentation von Themen samt Diskussion erhält. Das verschafft einem Selbstsicherheit im Umgang mit Anderen.
- Was machst Du/machen Sie in Deinem/Ihrem Job?
Verhandeln, verhandeln und nochmals verhandeln. Wöchentlich gibt es eine Vielzahl von Gesetzgebungsakten, zu denen wir unter den 27 Mitgliedstaaten und dann mit dem Europäischen Parlament eine Einigung finden müssen. Dabei können die meisten Vorschläge mit Mehrheit beschlossen werden. Daher müssen wir ständig Koalitionen bilden und uns zielführende Verhandlungstaktiken mit unseren Verbündeten aber natürlich auch mit den zuständigen Ministerien in Wien überlegen, die inhaltlichen Vorgaben kommen natürlich aus den Hauptstädten.
- Inwieweit hat Dir/Ihnen da das Studium geholfen?
Gerade die Frage, wie verschiedene gesellschaftliche Interessen in verschiedenen Systemen aggregiert, ausgewählt und durchgesetzt werden, hat mir beim Verständnis von Verhandlungsprozessen auf EU-Ebene sehr geholfen.
- Was sind die wichtigsten Erfahrungen aus Deiner/Ihrer Studienzeit?
Es gibt sehr unterschiedliche Studierende: Jene, die intellektuell offen und flexibel sind, und jene, die schon klar strukturierte Gedankengebäude und Ideologien haben und sich ungern mit anderen Ideen auseinandersetzen. Das hat gerade meine Erfahrungen des Politikwissenschaftsstudiums geprägt.
- Woran denkst Du/denken Sie besonders gern zurück?
Die Möglichkeit, verschiedenste Lehrveranstaltungen zu besuchen und sich mit den verschiedensten Themen unter Anleitung engagierter ProfessorInnen und AssistentInnen zu beschäftigen. Aber auch an die Möglichkeit, sich die Zeit frei einzuteilen und gerade die vielfältigen sportmöglichkeiten in Innsbruck zu nutzen.
- Was würdest Du/würden Sie heute anders machen bzw. bereust Du/bereuen Sie im Zusammenhang mit dem Studium etwas besonders?
Ich würde vielleicht doch sofort ein Doktoratsstudium anschließen, schade, dass ich das nie geschafft habe.
- Zu guter Letzt: Gibt es einen Rat, den Du/Sie aktuellen Studierenden für ihren Einstieg in die Berufswelt mitgeben möchtest/möchten?
Sich breit aufstellen, intellektuell neugierig und flexibel sein.
Stand: 27. Dezember 2022