Jana Sophie Kesenheimer
Die Balance zwischen Kopf und Beinen
(09.01.2024)
Im Winter verbringt Jana Kesenheimer ungewöhnlich viel Zeit hinter dem Schreibtisch, zumindest für ihre Verhältnisse: „Wenn es kalt wird und das Wetter länger schlecht ist, komme ich mit der Arbeit am besten voran“, erzählt die gebürtige Schwarzwälderin. Nur gesessen und gearbeitet wird allerdings auch während der Wintermonate nicht. „Zum Ausgleich gehe ich dann Langlaufen und mache Skitouren.“ Für ihre große Leidenschaft, das Radfahren, bleiben ihr die Rollen zuhause und der eine oder andere Ausflug ins schneelose Tessin. „Dazu kommt das Krafttraining, für das ich sonst wenig Zeit habe“, fügt sie hinzu. Und das braucht sie auch. Denn im Sommer sucht sie ihre Herausforderungen auf Ultradistanzen zwischen 500 und mehreren tausend Kilometern – wenn es die Arbeit und die Urlaubstage zulassen. Seit vier Jahren nimmt sie auch an Ultra-Cycling-Bewerben teil und zählt mittlerweile zu den weltweiten Top-Athlet:innen in der Disziplin.
Stadtflucht
„sportlich war ich schon immer“, meint Kesenheimer. „Das hat mir vor allem mein Vater mitgegeben. Der ist selber begeisterter Radfahrer.“ Und das war auch der Grund, warum es sie vor sieben Jahren nach Innsbruck verschlagen hat – ein Aufenthalt, der nur auf Zeit geplant war: „Ein Jahr oder so hatte ich eigentlich vorgestellt“, meint die Sozialpsychologin. „Ich habe damals in München im Marketing eines großen Automobilkonzerns gearbeitet“, berichtet sie. Doch was nach dem Studium in Tübingen wie eine gute Karriere ausgesehen hatte, war so gar nicht das ihre. „Ich wollte da eigentlich nur weg. Aus der großen Stadt, von der For-Profit-Arbeit und überhaupt.“ Freunde empfahlen ihr Tirol vor allem wegen der vielen Möglichkeiten, hier ihrer sportleidenschaft zu frönen. So packte sie ihre Sachen – und ihr Rad –, kehrte der bayrischen Großstadt den Rücken und machte sich auf in die Alpen, ohne jemals zuvor in Innsbruck gewesen zu sein. „Hier habe ich dann sehr schnell meine eigene ‚Bubble‘ gefunden: Leute, die gleich ticken wie ich, die die gleiche Begeisterung für sport haben und mehr. Und natürlich viele Berge, viel Natur und viele schöne Strecken.“
Auf eigene Faust
So sehr sie die sehr eng gestrickte Rad-Community, sowohl in Innsbruck als auch international, zu schätzen weiß: Bei Rennen ist Kesenheimer auf sich alleine gestellt – und zwar völlig. Denn sie überwindet die gewaltigen Distanzen „fully self-supported“, also ohne Team und ohne koordinierte Unterstützung. Fahrradreparaturen muss sie selbst vornehmen – oder eine Werkstatt finden die auch allen anderen zur Verfügung steht. Wasserflaschen füllt sie an Brunnen, öffentlich zugänglichen Wasserhähnen oder in Gewässern. Und wenn die vor dem Rennen vorbereitete Ration an gesalzenen Kartoffeln aufgebraucht ist, verpflegt sie sich in Supermärkten – „oder an der Tankstelle. Da muss man nicht so lange anstehen“, lacht Kesenheimer. Auf Hotels verzichtet sie meisten. Das Einchecken würde zu lange dauern. „Für die drei bis vier Stunden pro Nacht lohnt sich das nicht. Da schlafe ich lieber draußen.“ Das spart auch Geld. Denn ihre Spesen trägt sie selbst. „Ich bin zwar in der glücklichen Lage, mit Specialized einen Sponsor für meine Räder und Dresses zu haben. Aber das Geld für Anreise und den Rest kommt aus meiner eigenen Tasche.“
Spitzenklasse
Doch auch wenn sie, wie der größte Teil der Ultracycling-Community, ihrem sport „nur“ neben dem Beruf nachgeht, meint sie es ernst: Wenn Kesenheimer an den Start geht, ist nicht die Bestplatzierung in der Frauenwertung ihr Ziel, sondern eine Zeit, die in die Top-10 der Männer fällt, „was mir bei den zwölf Rennen, an denen ich bislang teilgenommen habe, vier oder fünf Mal gelungen ist“, sagt sie. Darunter auch das Schweizer „Dead Ends and Dolci“, bei dem sie 500 Kilometer Distanz und 9.000 Höhenmeter in 23 Stunden und 45 Minuten überwunden hat.
Doch Platzierungen sind für Teilnehmer:innen an den Ultra-Veranstaltungen bei weitem nicht alles. Das beweist unter anderem die „Japanese Odyssey“, bei der Kesenheimer dieses Jahr zum ersten Mal dabei war: Eine zwölftägige Tour, die auf 2.700 Kilometern quer durch Japan führt – und bei der es weder Zeiten noch eine Wertung gibt. „Der einzige Wermutstropfen dabei war die Anreise“, meint Kesenheimer, die sich sowohl im sport als auch in ihrer Forschung Nachhaltigkeit verschrieben hat. Deswegen versucht sie, so weit es möglich ist, auf Flüge zu verzichten. Zu den meisten Rennen gelangt sie mit dem Zug. „Nachhaltigkeit ist ein ganz wichtiger Teil des Spirits des sports. Aber manchmal lässt es sich eben nicht vermeiden.“
Stur und zielstrebig
Dass der eigene berufliche Kontext ihr einen Vorteil verschafft, glaubt die Psychologin nicht. Die Fähigkeit, Höchstleistungen zu erbringen, sei größtenteils intuitiv, meint sie: „Ich habe mir nie viele Gedanken darüber gemacht, was für eine Strategie ich anwenden muss. Das ist eher ein gewisses Maß an masochistischer Tendenz, allem voran aber mein sturer Charakter.“ Und der macht sich nicht nur beim sport bemerkbar, sondern auch in der Wissenschaft. „Beides sind Marathons. Beides verlangt Durchhaltevermögen. Und in beides beiße ich mich hinein.“ Auf ihren Beruf zugunsten einer Profi-Karriere zu verzichten, kann sie sich allerdings nicht vorstellen. „Das ergänzt sich für mich viel zu gut. Ich brauche diese Balance zwischen meinem Kopf und meinen Beinen“, ist sie überzeugt.
(Autor: Daniel Feichtner)
Steckbrief
Name
Jana Sophie Kesenheimer
Funktion
Post-Doc am Institut für Psychologie
An der Uni seit
2016
Wohnort
Innsbruck
Herkunft
Horb-Mühringen im Schwarzwald