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Niewiadomski Jozef: Pfingsten in Zeiten der Pandemie: Ein Triptychon
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Pfingsten in Zeiten der Pandemie: Ein Triptychon
(Predigt in der Jesuitenkirche, gehalten am Pfingstmontag, 1. Juni 2020 um 11.00 Uhr)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2020-06-02

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Pfingsten 2020: Recht unterschiedliche Bilder tauchen da vor meinen Augen auf. Sie gehen ineinander über, formieren sich gleichsam zu einem Triptychon, einem Flügelaltar, bei dem das eine Bild die anderen deutet und von ihnen auch gedeutet wird. Da sind natürlich zuerst die Bilder aus der Zeit des Lockdowns. Karwoche, Ostern und die Osterzeit unter den Bedingungen der Pandemie! Keine öffentlichen Gottesdienste, viele verängstigte Menschen, Bilder der nicht begrabenen oder nicht kremierten Särge. Viel Leid, allzu viel Leid! Und immer und immer wieder Ansätze zur Diskussion in den Medien über die scheinbar abwesende Kirche. „Nicht systemrelevant“: hieß die schmerzhafte Diagnose. Bei den Spaziergängen durch die Wiesen des sympathischen Innsbrucker Stadtteils „Großer Gott“, in dem ich wohne, betrachtete ich die vielen Blumen und da fiel mir die Kurzgeschichte vom Löwenzahn ein. Wie vom Blitz getroffen blieb ich einmal stehen, als mir schlagartig die Einheit von Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten aufging.

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Das Geheimnis des Christentums hat viel mit dem Geschick des Löwenzahns gemeinsam. Christus hat Menschen begeistert und um sich gesammelt. Wie eine prächtige Blume ist diese Gemeinschaft aufgeblüht. Und dann? Dann war plötzlich alles anders. Die herrlich anzuschauende Blume schien abzusterben. Der Meister tot, die Jünger eingeschlossen, innerlich leer. Doch dann! Weder das verschlossene Grab noch die verschlossene Tür vermögen das Wunder klein zu halten. Und schon gar nicht die Wolken am Himmel. Tod, Auferstehung und Himmelfahrt Jesu verwandelten die scheinbar abgestorbene Löwenzahnblume zu einer Pusteblume. Ängstlich klammerte sich die kleine Schar an den Stiel. Merkte zuerst die stattgefundene Verwandlung nicht. Dass die gelben Zungenblüten zu Samen wurden. Ausgestattet mit winzigen Schirmen. Und da kam der Pfingstwind. Die Schirmflieger verstreuten sich und verstreuten auch den Samen in der ganzen Gegend. Brachten unzählige neue Blumen zur Welt.

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Liebe Schwestern und Brüder, die Botschaft des ersten Bildes ist klar: Wie der Löwenzahn bleibt das Christentum unausrottbar. Irgendwo blüht eine neue Blume auf. Dank des pfingstlichen Windes. Das harte Urteil, die Kirche sei im Leben der gegenwärtigen Gesellschaft und in unser aller Leben nicht „systemrelevant“, geht doch am Wesen dessen, was christlicher Glaube ist, ganz schön vorbei. Das Urteil verführt uns aber leider dazu, den Kern der Sache zu übersehen. Eigentlich bräuchten wir nur eines: uns Christus und dem Heiligen Geist zu überantworten. Dann wird die Kirche weiter blühen. Ist das nicht die Botschaft der heutigen Lesung (Apg 10,34a.42-48)? Die gläubigen Juden konnten es nicht fassen, dass auch auf die Heiden, auf jene, die „draußen vor der Tür“ bleiben, die Gabe des Heiligen Geistes ausgegossen wurde. Und dies noch vor der Taufe! Vor der sakramentalen Eingliederung in die Gemeinschaft der Kirche, von der institutionellen Einschreibung schon ganz zu schweigen. Irgendwo blüht die neue Blume auf! Das Christentum ist ja unausrottbar. Wie der Löwenzahn.

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Und dann taucht vor meinen Augen die zweite Tafel des Triptychons auf. Sie entspringt einem synchronen Blick auf die Geschichte der Kirche und ist motiviert durch jene zwei Gestalten, die den Pfingstsonntag 2020 liturgisch umrahmen. Das ist zuerst der Tagesheilige des 1. Juni. An diesem Pfingstmontag bildet der heilige Justin der Märtyrer den liturgischen Hintergrund. Um das Jahr 165 wurde er vor das römische Gericht, vor den Statthalter gezerrt. Aufgrund von Anschuldigungen, Vorurteilen und Halbwahrheiten wurde er zum Tode verurteilt und enthauptet: der erste christliche Philosoph. Ein Mann, der in seiner Jugend vom Wissensdurst getrieben wurde, diesen Durst bei allen modischen philosophischen Trends zu stillen suchte, x-Mal enttäuscht wurde, weil er schnell begriff, dass nicht die Wahrheit, sondern Geld und Macht die Moden in dieser Welt bestimmen. Bis er zur Wahrheit Jesu Christi fand und diese Wahrheit auch philosophisch vertiefte. Der Logos, der Sohn des ewigen Vaters, habe in der Seele eines jeden Menschen Spuren hinterlassen. Ganz gleich, was dieser Mensch glaubt oder auch tut. Weil in der Seele eines jeden Menschen diese Ableger der absoluten göttlichen Vernunft existieren, kann die Wahrheit Jesu Christi unmöglich Hand in Hand gehen mit brachialer Gewalt. Aus dem Mund dieses ersten christlichen Philosophen spricht also jener Geist, von dem das heutige Evangelium kündet (Joh 15,26-27; 16,1-3.12-15). Es ist der Geist der Wahrheit, dessen Bezeugung in der verkehrten Welt unter Umständen den Zeugen teuer zu stehen kommt. ‚Sie werden euch vor die Gerichte zerren‘, sagt Jesus zu seinen Nachfolgern. ‚Sie werden meinen, Gott einen heiligen Dienst zu leisten, wenn sie euch töten.‘

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Der Pfingstsonntag des Jahres 2020 ist umrahmt von den Gestalten der Märtyrer: des ersten christlichen Philosophen auf der einen Seite und des ersten Tiroler Märtyrers unserer Gegenwart auf der anderen Seite, war doch am Samstag vor Pfingsten der liturgische Gedenktag des Otto Neururer. Der Pfarrer von Götzens erlitt ein beispielloses Martyrium im Konzentrationslager. So verstörend es auf den ersten Blick klingen mag, so wahr ist es: der pfingstliche Wind hat die Schirmflieger der christlichen Pusteblume gar in den Alltag der Konzentrationslager verstreut. Mitten in den Höllen des 20. Jahrhunderts sind dort unzählige Löwenzähne aufgeblüht: Frauen und Männer, die aus der Kraft ihres Glaubens lebten. Otto Neururers Augen vermochten gar im sadistischen Folterer Spuren jener göttlichen Vernunft zu erblicken, von denen Justin der Märtyrer zeugte, wenn er sich weigerte, gar dem abscheulichsten Menschen die Würde der Abbildhaftigkeit des göttlichen Logos abzusprechen. „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“, betete Christus am Kreuz. Die unzähligen christlichen Märtyrer und Märtyrerinnen, diese herrlichen Löwenzahnblumen in den Konzentrationslagern lebten dort tagtäglich die Nächsten- und Feindesliebe. Sie waren für die Schergen sicher nicht „systemrelevant“, und doch: sie sind es gewesen, die sich durch ihr Geschick als Anwälte der Würde des Menschen erwiesen  haben.Und dann n noch ganz kurz ein Blick auf die dritte Tafel. Auch sie weist auf eine singuläre, auf ihre Art aber großartige Löwenzahnblume hin. War da auch ein pfingstlicher Schirmflieger von der christlichen Pusteblume am Werk? Es ist die Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Die Bevölkerung wird durch Kriegshandlungen und durch die auch nach dem Krieg ausbrechenden Pestepidemien regelrecht dezimiert. Ausgerechnet am Pfingstsonntag 1657 bricht in Braunschweig die Pestepidemie aus, die mehr als fünfeinhalb tausend Opfer fordern wird. In dieser Zeit entsteht ein Lied, das die christliche Grundhaltung in tödlicher Gefahr auf den Begriff bringt. Johann Georg Neumark dichtet 1641 nach der glücklichen Auflösung einer biographischen Sackgasse den Text: „Wer nur den lieben Gott lässt walten“, den er ausgerechnet im Jahr der Pestepidemie 1657 vertont. Ich möchte Sie alle einladen zu einer gemeinsamen Pfingstpredigt: Singen wir miteinander das Lied und halten wir uns das Bild des jungen Menschen in Not vor Augen, in einer Zeit, die vom Krieg und von der Epidemie dominiert wird (Gotteslob 424):

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1. „Wer nur den lieben Gott lässt walten
und hoffet auf ihn allezeit,
den wird er wunderbar erhalten
in aller Not und Traurigkeit.
Wer Gott, dem Allerhöchsten, traut,
der hat auf keinen Sand gebaut.

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2. Was helfen uns die schweren Sorgen,
was hilft uns unser Weh und Ach?
Was hilft es, dass wir alle Morgen
beseufzen unser Ungemach?
Wir machen unser Kreuz und Leid
nur größer durch die Traurigkeit.

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3. Man halte nur ein wenig stille
und sei doch in sich selbst vergnügt,
wie unser's Gottes Gnadenwille,
wie sein Allwissenheit es fügt;
Gott, der uns sich hat auserwählt,
der weiß auch sehr wohl, was uns fehlt.

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4. Es sind ja Gott sehr leichte Sachen
und ist dem Höchsten alles gleich:
Den Reichen klein und arm zu machen,
den Armen aber groß und reich.
Gott ist der rechte Wundermann,
der bald erhöhn, bald stürzen kann.

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5. Sing, bet und geh auf Gottes Wegen,
verricht das Deine nur getreu
und trau des Himmels reichem Segen,
so wird er bei dir werden neu;
denn welcher seine Zuversicht
auf Gott setzt, den verlässt er nicht.“

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Liebe Schwestern und Brüder, Pfingsten 2020, Pfingsten in Zeiten der Pandemie soll vom Geist der Dankbarkeit dominiert sein, nicht vom Geist des Ressentiments, dem Geist der Resignation oder gar dem Geist der Anschuldigung. Seien wir dankbar: Gott gegenüber und auch all jenen Menschen gegenüber, die vom Geist Gottes beflügelt – wenn auch oft auf anonyme Art und Weise (siehe die heutige Lesung) – durch ihr Handeln uns vor dem Schlimmsten bewahrt haben. Ich schließe da ein unsere Regierung und die Behörden, die durch entschlossenes Handeln den Mut bewiesen haben, genauso wie die unzähligen „Heldinnen und Helden des Alltags“, die sich um die alltägliche Normalität und Nächstenliebe bemüht haben. Die Blumenwiese unserer Gegenwart ist übersät von Löwenzahnblumen: Gott hat die Welt nicht verlassen. Sein Geist ist in ihr gegenwärtiger denn je!

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