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Wandinger Nikolaus: „Was ihr den Geringsten getan habt“ – Hoffnung im Gericht
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„Was ihr den Geringsten getan habt“ – Hoffnung im Gericht

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2008-11-27

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Lesungen: Ez 34,11-12.15-17; (1 Kor 15,20-26.28); Mt 25,31-46

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Liebe Gläubige,

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heute am Christkönigsfest stellt uns die Kirche Christus als Weltenrichter vor. Sie gibt uns das Gleichnis vom Endgericht vor, das über Generationen die Vorstellungen vom Letzten Gericht und von der Einteilung der Menschen in Erlöste und Verdammte bestimmt hat. Oft wurde es als Drohbotschaft verstanden und mit dem Gedanken eines Tags des göttlichen Zornes in Verbindung gebracht. Nach der Liturgiereform ist der Gedanke dieses dies irae aus der Totenliturgie verschwunden; man sträubte sich gegen die Vorstellung, Gott oder gar Jesus würden wie zornige Rächer auftreten und die Menschen verdammen. Aber wird dadurch Gott nicht weichgespült? Nehmen wir das Gleichnis noch ernst, wenn wir einfach die zweite Hälfte weglassen? Wo bleibt dann Gottes Gerechtigkeit? - so fragen wie­de­rum viele. Sehen wir uns also dieses Evangelium genauer an. Vielleicht überrascht uns ja dabei einiges.

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Zunächst stellt das Gleichnis klar fest: Unser letztes Ziel, ja das letzte Ziel aller Völker - Errettung oder Verdammung - entscheidet sich an unserem Verhalten zu Christus. Ob wir ihm Gutes getan haben oder nicht, daran entscheidet sich das Urteil. Dazu passt, dass über Jahrhunderte Christen und Christinnen überzeugt waren, dass nur sie erlöst werden können, weil sie ja die einzigen seien, die Christus anerkennen. Diese Auffassung aber ist das erste Missverständnis, welches das Gleichnis vom Endgericht bei genauerem Hinsehen zerlegt. Überraschenderweise wissen ja weder die Verdammten noch die Geretteten, wann oder wo sie Jesus begegnet sein sollen. Beide sind sehr erstaunt darüber, dass sie Jesus irgendetwas getan oder nicht getan haben sollen, bis sie der so berühmt gewordene Satz „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder [oder Schwestern] getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt 25,40) aufklärt. Es kommt nicht darauf an, dass man Jesus kennt oder gar als Sohn Gottes anerkennt, um ihm etwas Gutes oder Schlechtes zu tun. Denn Jesus identifiziert sich so mit allen Menschen, dass alles, was einem Menschen getan wird - Gutes oder Böses - ihm getan wird.

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Eine erste Folgerung ist also: Auch wenn sich das letzte Heil oder Unheil am Verhalten zu Christus entscheidet, ist es dafür nicht nötig, Jesus zu kennen oder als Sohn Gottes anzuerkennen. Er wird sich erst beim Endgericht für alle als solcher zu erkennen geben. Dieses Gleichnis beschränkt also die Heilsmöglichkeit keineswegs nur auf Christinnen oder Christen. Für alle Menschen gilt: was ihr den Geringsten getan habt, das habt ihr - ohne es zu wissen - Christus getan, und danach werdet ihr beurteilt werden. Theologen wie Karl Rahner, der in der Krypta der Innsbrucker Jesuitenkirche ruht, mussten das erst entdecken, damit die Kirche am Zweiten Vatikanischen Konzil lehren konnte, dass Gott Wege kennt, auch Menschen zu retten, die keine Christinnen oder Christen sind.

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Als Zweites ergibt sich aber: Wenn wir nachher aus der Kirche gingen, einen hilfsbedürftigen Menschen sähen und uns denken würden „Ach, dem helfe ich jetzt, denn was ich ihm getan habe, habe ich Christus getan und das hilft mir im letzten Gericht", dann hätten wir die Botschaft des Gleichnisses noch immer nicht verstanden. Denn da ist von niemandem die Rede, der sagt: „Ja, Herr, ich weiß schon, dass ich dir damals zwei Euro gegeben habe für eine Wurstsemmel" - nicht weil das Beispiel zu profan ist, sondern weil es Jesus um etwas anderes geht. Die guten Taten, die wir nur tun um im Endgericht gut dazustehen, die zählen nicht. Es zählen nur jene, bei denen wir uns im Augenblick des Tuns der Verbindung zu unserem Heil gar nicht bewusst sind; die, bei denen die Frage „Herr, wann, habe ich dich hilfsbedürftig gesehen?" echt und nicht nur gespielt ist.

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Das bedeutet: Die Höllenpredigt, die Menschen Angst machen will, damit sie Gutes tun, verfehlt den Sinn dieses Gleichnisses ebenso wie der Vorsatz, Gutes zu tun, weil man es Jesus tut und er uns danach richtet. Natürlich heißt das nicht, man solle nichts Gutes tun. Aber das Gleichnis betont: wenn wir deshalb Gutes tun, damit wir in den Himmel kommen, dann ist das nicht die richtige Haltung für den Himmel. Nur wenn wir gar nicht daran denken, dass sich daran unser Heil entscheidet, zeigen wir unser wahres Gesicht: Lieben wir die Menschen, sogar die Geringsten, wie uns selber oder lieben wir nur uns selber? Spätestens beim jüngsten Gericht wird es deutlich werden.

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Aber halt! Bedeutet das nicht wieder Drohbotschaft statt Frohbotschaft? Noch dazu ist ja in dem Gleichnis nur von guten Taten oder deren Unterlassung die Rede. Wir wissen aber doch, dass wir auch grobe Schnitzer begehen: lügen, beneiden, geringschätzen, hassen - wenn nicht Schlimmeres. Müssten wir im Endgericht nicht zugeben, dass wir Christus viel öfter links liegen gelassen oder gar verletzt als ihm Gutes getan haben?

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Um das zu überlegen müssen wir über unser heutiges Evangelium hi­naus­schau­en. Denn zwischen dem Jüngsten Gericht und diesem Gleichnis liegt ein heilsgeschichtlich entscheidendes Ereignis: der Tod und die Auferstehung Jesu. Derselbe Jesus, der behauptet, er beurteile die Menschen im letzten Gericht nach dem Verhalten zu ihm, er wurde selber vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt. Und er hat sich so mit den Geringsten der Welt identifiziert, dass er dieses Leiden und Sterben auf sich genommen hat und ganz so wurde wie die allerletzten: die, denen man sogar das Leben zerstört.

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Und durch seine Haltung in diesem Geschehen ändert sich etwas an der Vorstellung des letzten Gerichts. Diese Haltung zeigt sich sehr deutlich in Jesu Gebet am Kreuz, das lukas uns überliefert. Der König, der Richter sein wird am Jüngsten Tag, er hat an seinem letzten Tag für die Menschen, die ihn verurteilten und hinrichteten, gebetet: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun" (Lk 23,34). Sollte er am Jüngsten Tag, wenn er als Richter wiederkommt, seine eigene Bitte zurückweisen? Oder ist zu erwarten, dass er seine Bitte erhört, und jene in seine Verzeihung am Kreuz einbezieht, die ihn getötet, verletzt oder geringgeschätzt haben - ob damals auf Golgota oder später in den Geringsten der Weltgeschichte und denen unserer Lebensgeschichten? Ich denke, das ist zu erwarten; ich denke, das ist die Frohe Botschaft, auf die wir hoffen dürfen.

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Aber was ist dann mit der Gerechtigkeit Gottes? Und was ist mit dem Ernst, den uns doch eigentlich das Gleichnis vom Endgericht vor Augen führt?

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Liebe Gläubige,

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ich glaube nicht, dass davon etwas verloren geht. Das Gleichnis vom Endgericht beweist uns jeden Tag aufs Neue, wie klein unsere Liebe zu Gott und den Menschen ist; es zeigt uns, wie entfernt wir sind von der wahren Gottes- und Nächstenliebe, eben weil wir tagtäglich so viele Menschen nicht beachten, missachten oder ihnen gar schaden. All das haben wir Christus getan - und wir verdanken es nur der Güte eines Erlösers, der sogar für seine Henker gebetet hat, dass uns das nicht in einen Abgrund stürzt. Die Gerechtigkeit Gottes wird sich darin erweisen, dass wir die Vergebung, von der ich überzeugt bin, dass Jesus sie uns anbieten wird, nur annehmen können, wenn wir uns zuerst unserer Schuld stellen. Da gibt es kein Verleugnen, Verdrängen oder Verharmlosen mehr; keine Ausreden und Rationalisierungen: wir müssen zuerst unserer eigenen Lieblosigkeit ins Auge schauen, bevor wir die Vergebung des hingerichteten Richters annehmen können.

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Und doch: Wenn wir sehen, dass der vergeben kann, den man unschuldig ermordet hat, weil er sich mit allen identifizierte; und wenn wir sehen, dass er sich auch mit uns identifiziert hat, weil auch wir schon in der Situation des oder der Geringsten waren und Unrecht erlitten haben; wenn wir also sehen, wie Christi Liebe alle Hindernisse überwindet, dann besteht Hoffnung, dass wir unserer Lieblosigkeit ins Gesicht sehen und sie von ihm überwinden lassen können. Und so könnte es sein, dass nichts vom Ernst des Gleichnisses verloren geht und am Ende doch alle zu den Erlösten des Gerichts gehören, das Christus, der König, einst halten wird.

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