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Niewiadomski Jozef: Mist produziert! Und dann? Predigt zum Laetare-Sonntag
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Mist produziert! Und dann? Predigt zum Laetare-Sonntag

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2023-03-23

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Predigt zum „Laetare-Sonntag“ (im Anschluss an Joh 9, 1-41), gehalten am 19. März 2023 um 11. 00 Uhr in der Jesuitenkirche

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Sie freuen sich nicht! Jene Nachbarn des Blindgeborenen, die sogar an der Identität des nun sehenden Bettlers zweifeln und den Geheilten zu den Pharisäern schleppen. Von denen springt aber auch kein Funke des freudigen Staunens. Der vertraute Anklagegestus ist sofort da und die Aktivierung der Detektivmentalität. Man schickt nach seinen Eltern, um sie zu befragen. Doch diese schlagen in dieselbe Kerbe ein, wie die Nachbarn und Pharisäer. Sie verschärfen sogar die Situation, distanzieren sich schlicht und einfach von ihrem Sohn, lassen ihn allein: er sei doch alt genug, kann also selber die Suppe auslöffeln. Ist das nicht eigenartig? Da wurde ein Mensch geheilt und keiner freut sich. Nicht einmal der Betroffene selbst! Was ist da durcheinandergeraten?  Sind sie alle so schockiert, dass sie zur Freude über das Wunder nicht fähig sind?

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„Wer hat gesündigt, so dass er blind geboren wurde?“ Die scheinbar irrwitzige Frage der Jünger ist alles andere als irrwitzig. Sie entspringt gar dem „gesunden Menschenverstand“; die Logik, die hinter ihr steckt, ist weit verbreitet und sie bestimmt das Denken und Urteilen von uns Menschen. Das Schuld- und Ursachendenken ist ja im Alltag hilfreich und oft auch notwendig. Die Logik von Ursache-Wirkung, Tun-Ergehen, Schuld und Strafe hilft halt, sich zurecht zu finden, zu prüfen, zu urteilen und zu planen. Doch dem Gebrauch der Logik folgt der Missbrauch auf der Spur. Wenn eindeutige Rückschlüsse gezogen werden: vom Ergehen auf das Tun, von vermeintlicher Strafe auf die vermeintliche Schuld, dann kann man problemlos Menschen auf ihre Schuld fixieren, dem Moralismus ohne Grenzen frönen und den dabei gewonnenen Genuss mit Lebensfreude verwechseln. Sünde, Schuld und Strafe werden so zur Zwangsjacke, in die Biographien eingezwängt werden. Und nicht nur Biographien. Ist das nicht einer der Aspekte, an denen unsere gegenwärtige Kultur krankt? Auch oder gerade im Kontext der schon längst zum Mantra verkommenen Kirchenkritik, die ja natürlich darauf hinweisen kann, dass diese Kirche gesündigt hat und es ihr deswegen so und nicht anders ergeht? Wem ist aber mit dem Moralismus und der Sündenbockjagd geholfen? Der Moralismus verdeckt nicht nur die eigentliche religiöse Perspektive, er kann nach und nach zur Blindheit führen: der Blindheit dem konkreten Menschen gegenüber, vor allem der Blindheit für sein Leid. Er sprengt ja die Zwangsjacke nicht, sondern schnürt sie nur noch fester zu. So paradox es aber klingen mag, gerade die Zwangsjacke verhilft zur Stabilität, zur Stabilität einer brüchigen Lebensgeschichte. Deren Verlust kann deswegen bei den Betroffenen zuerst kein Grund zur Freude sein, wie wir das im heutigen Evangelium sehen können.

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Worauf will ich hinaus? Der berühmte Mystiker und Prediger aus dem Hochmittelalter johannes Tauler benutzt in einem ähnlichen Zusammenhang ein aussagekräftiges Bild. Das Pferd macht den Mist im Stall. Obwohl der Mist einen üblen Geruch verbreitet, zieht doch dasselbe Pferd mit großer Mühe denselben Mist auf das Feld. Darauf wächst dann der gute Weizen, der köstliche Wein und vieles andere mehr. All das würde nicht so wachsen, wäre der Mist nicht da. Freilich braucht es noch den Bauern, der den Mist auflädt und das Pferd führt. Und es braucht den Samen, den Acker, damit der übelriechende Mist seinen Beitrag zur Verwandlung leisten kann. Eines scheint dem Mystiker klar zu sein: unsere Fehltritte und Mängel, unsere Sünden und Schuld: all das, was wir tagtäglich produzieren und erfahren, es auch verdrängen oder aber auf andere abwälzen, all das können wir auf dem Acker des barmherzigen Gottes abladen, es dort in rechter Gelassenheit ausstreuen und mit Freude wahrnehmen, dass auf unserem Mist in unserem Leben doch noch Gutes und Köstliches gedeihen kann. Gott schreibt ja auf krummen Zeilen gerade.

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Und was hat das alles mit der Heilung des Blindgeborenen zu tun? Mit dieser Heilung hat Jesus eine Kulturrevolution für die Menschheit vollbracht. Zuerst wohl deswegen, weil er im Namen Gottes den Zusammenhang zwischen Sünde und dem Geschick des Blindgeborenen klar negierte, damit auch Empathie für derart leidende Menschen erst möglich machte. Mit seiner Aktion eröffnete er aber auch den im Sumpf des Moralismus steckenden Menschen eine neue Perspektive, schenkte ihnen anstatt der vertrauten, von Moralinsäure durchtränkten Zwangsjacke ein neues Paradigma für die Kunst der Lebensgestaltung. Es ist dies ein Glaubensparadigma, das diesen Namen auch verdient. Nicht Sünde-Schuld und Strafe sollen fortan Fix- und Haftpunkte sein, um die sich das Lebenskarussell des Menschen dreht, sondern das Wirken des barmherzigen Gottes. Auch oder gerade Sünde und Schuld können dann zur Bühne werden, auf der sich dieses Wirken Gottes dem konkreten Menschen offenbart. Wenn er den Mist seines Lebens nicht auf dem Acker seiner Mitmenschen ausstreut, sondern auf dem Feld des barmherzigen Gottes, von dem er auch die Vergebung – damit auch eine neue Lebensperspektive – empfängt.

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Und doch, doch… haben sich nicht nur die Zeitgenossen Jesu, also nicht nur die Akteure aus dem heutigen Evangelium, die im Blindgeborenen bloß die Frucht der Sünde sahen, sich deswegen über die wunderbare Heilung nicht zu freuen vermochten; nicht nur sie haben dieses neue, das jesuanische Paradigma nicht verinnerlicht. Und auch nicht nur all die anderen, die Jesus über den Weg liefen, sondern auch wir alle: wir alle haben die kulturgeschichtlich etablierte, von Moralinsäure durchtränkte Zwangsjacke nicht abgestreift und das jesuanische Paradigma nicht verinnerlicht. wie unsere Gegenwart mehr als deutlich bezeugt. Denn auch wir laden unseren Mist mit Vorliebe auf den vielfältigen Feldern unserer Mitmenschen. Deswegen stecken wir – so paradox es auf den ersten Blick klingen mag – mit all den Zeitgenossen Jesu unter einer Decke. Sie haben sich über seine Botschaft vom barmherzigen Gott, auf dessen Acker man den eigenen Mist abladen kann, nicht nur nicht gefreut. Vielmehr luden sie ihren Mist auf den Acker von Jesus selbst, lehnten ihn als Gotteslästerer ab, schlugen ihn ans Kreuz und produzierten damit wiederum Mist. Er aber, er zahlte uns nicht mit der gleichen Münze zurück. So wurde sein Kreuz zu jener Bühne, auf der die jesuanische Kulturrevolution vollendet wird, weil dort das Wirken des vergebenden Gottes unübertroffen greifbar wird.

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Liebe Schwestern und Brüder, die liturgische Verdichtung dieser jesuanischen Kulturrevolution im vierten Fastensonntag mit ihrem liturgischen Eröffnungsvers: „Laetare! Freut euch und trinkt euch satt an der Quelle göttlicher Tröstung“ sichert uns nur eines zu: Ganz gleich, wieviel an Mist wir in unserem Leben produzieren, Gottes Barmherzigkeit kennt keine Grenzen. Und das ist uns, die wir uns Christen nennen, der eigentliche Grund zur Freude!

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