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Niewiadomski Jozef: Nicht Gott stellt das Problem dar, der Mensch ist es!
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Nicht Gott stellt das Problem dar, der Mensch ist es!
(Predigt zum 24. Sonntag Lesejahr C und zum Jubiläum 70 Jahre Pax Christi Österreich, gehalten in der Jesuitenkirche am 11. September 2022 um 11.00 Uhr.)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2022-09-12

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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[Lesung: Ex 32,7–14; Evangelium: Lk 15–32]

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Die Zusammenstellung der biblischen Texte, in denen uns heute das Wort Gottes treffen soll, überrascht ein wenig. Da ist zuerst die Rede von einem Volk, das sich im sprichwörtlichen „Tanz ums goldene Kalb“ vergnügt. Überspitzt fokussiert, könnte man darin durchaus auch ein Bild unserer Konsumkultur sehen. Man isst und trinkt miteinander und auch der Sex kommt nicht zu kurz. Und wo liegt das Problem? Scheinbar nur bei Gott! Dieser erträgt es nicht, dass die Menschen „vom Weg“ abgewichen sind, „vom Weg“, den Gott ihnen vorgeschrieben hat. Also zürnt dieser Gott. Mehr noch: Er will reinen Tisch machen und nimmt sich vor, das undankbare Volk zu vernichten. „Auf einen solchen Gott kann ich verzichten“, wird der Durchschnittszeitgenosse sagen, der Zeitgenosse, der von der religionskritischen Öffentlichkeit permanent über die „Gewalttrunkenheit Gottes“ und gewaltgenerierende Religion aufgeklärt wird. Der Zeitgenosse, der längst schon davon überzeugt ist, dass das Zurückdrängen der Religion aus der Öffentlichkeit friedensstiftend sei (Heute ist der Jahrestag der Anschläge auf das World Trade Centre in New York im Jahr 2001 – das Ereignis potenzierte ja die Diskussion über die gewaltgenerierende Religion auf eine kaum zu übertreffende Weise). Ob der Hinweis auf den in der biblischen Erzählung vorkommenden Menschen dem Prediger hier weiterhilft? Es ist doch eine große Gestalt. Ein Politiker und Religionsführer zugleich. Diesem Menschen gelingt das, was sich die liberale Kultur von den modernen Religions-VIPs erwartet. Er besänftigt den gewaltbereiten Gott. Modern ausgedrückt: Er sorgt für ein gewaltfreies Gottesbild. Auch oder gerade angesichts des „Tanzes ums goldene Kalb“.

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Öffnet hier dieser Mensch, öffnet hier Mose, die Tür zu dem Weg, auf dem sich Jesus bewegt, wenn er mit Hilfe (von mehreren Kurzgeschichten, vor allem aber) der Geschichte vom barmherzigen Vater, einen Gott verkündet, der in grenzenloser Geduld und Barmherzigkeit auf jene Kinder wartet, die „vom Weg“ abgewichen sind? Die liturgische Leseordnung, die diese beiden Geschichten am heutigen Sonntag zu einer Einheit verbindet, scheint dies nahezulegen. Vom Zorn seinem jüngeren Sohn gegenüber, der seinen existentiellen „goldenen Kälbern“ auf seine Art und Weise huldigt (zumindest solange er das Geld dafür hat), vom Zorn, geschweige denn von Gewaltausbrüchen des Vaters finden sich im jesuanischen Gleichnis keine Spur. Ist also mit der Predigt von einem gewaltfreien und liebenden, letztendlich auch harmlosen Gott schon die Sache geritzt? Schön wäre es! Die biblische Überlieferung ist tiefsinniger als alle modern gestylten Toleranzträume und die Friede-Freude-Eierkuchen-Mentalität, von der sich selbst die Verkündigungspraxis nicht immer freimachen kann. Denn bloß zehn Verse weiter in der Fortsetzung unseres Lesungstextes (Ex 32,26-28) wird davon berichtet, wozu der Mensch selber fähig ist. Und dies ganz ohne Gott. Derselbe Mose, der mit seiner Bitte um Nachsicht und Toleranz bei Gott einen Erfolg sondergleichen erntete, geht anschließend selber auf Tuchfühlung zu seinen um das „goldene Kalb“ tanzenden Mitmenschen, findet sich – wenn Sie so wollen – in der Realität wieder und richtet im Lager jener Menschen, die „vom Weg“ abgewichen sind, ein Blutbad an. Sein Fürbittgebet bei Gott ganz vergessend, ruft er seinen Getreuen zu: „Wer für den Herrn ist, her zu mir. Jeder erschlage seinen Bruder, seinen Freund, seinen Nächsten!“ (Ex 32,26) Auf dass die Ordnung wiederhergestellt werde. Am Ende des Tages sind es gegen dreitausend Mann, die da niedergemetzelt wurden.

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Liebe Schwestern und Brüder, was sagt uns, uns, den Modernen, die wir auch permanent um unsere „goldenen Kälber“ tanzen, was sagt uns diese Überlieferung? Zuerst wohl etwas, was die liberale, die Religion global an den Pranger stellende Welt permanent verdrängt. Bei der Frage der Gewalt stellt nicht Gott das Problem dar, sondern der Mensch. Und welcher Mensch? Nur der gottlose? Nur der, auf den wir problemlos mit dem Finger zeigen können, weil er scheinbar der Böse ist? So überraschend es nun klingen mag, ist es zuerst jener Mensch, der im zweiten Teil des Gleichnisses vom barmherzigen Vater vom Ressentiment geradezu zerfressen wird, sich deswegen über die Nachsicht und die Güte des – seiner Meinung nach – ungerechten Vaters beschwert und durchaus in der Lage wäre, seinen jüngeren Bruder zu erschlagen. Aus purem Neid, aus dem Gefühl der ihn treffenden Ungerechtigkeit, aus dem Bedürfnis, klare Verhältnisse zu schaffen: nicht nur in seinem familiären Umkreis, sondern in einer auf dem Vulkan tanzenden Welt. Vom Ressentiment geradezu zerfressen, gleicht der ältere Sohn dem biblischen Kain (der seinen jüngeren Bruder Abel auch erschlagen hat). Was bedeutet das im Kontext dieser Predigt? Mose aus der Fortsetzung des Textes unserer heutigen Lesung, Kain und der ältere Sohn aus dem heutigen Evangelium stecken im Grunde unter einer Decke. Und was ist mit uns?

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Liebe Schwestern und Brüder, viele Mitglieder der Pax-Christi-Bewegung feiern heute diesen Gottesdienst mit uns. Im Jahr des verheerenden Krieges in der Ukraine, eines Krieges, der in der Öffentlichkeit schon als ein religiöser Kreuzzug gegen die liberale Konsumkultur einer um das „goldene Kalb“ tanzenden Welt legitimiert wurde, in diesem Jahr, feiert „Pax Christi Österreich“ sein siebzigstes Jubiläum. Die Organisation, die sich dem Engagement für die Gewaltfreiheit und Versöhnung im politischen Kontext verpflichtet weiß, ringt – wie auch wir alle – um die richtige, vom Glauben motivierte, Haltung im Kontext dieses Krieges. Allen möglichen Alternativen soll eine gemeinsame Basis zugrunde liegen, der sich gerade „Pax Christi“ verpflichtet weiß. Und was ist das? Für die Artikulierung derselben greife ich nicht auf – wie es sich bei einer Predigt dieser Art gehören würde – (ich greife nicht auf) den Papst Franziskus zurück, sondern auf Michail Gorbatschow.

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Anlässlich seines Todes fiel mir ein Interview in die Hände, welches dieser Ausnahmepolitiker im Jahr 2000 der vatikanischen Zeitung „L’Osservatore Romano“ gegeben hat. Verblüffend ehrlich spricht er dort von dem entscheidenden Einfluss auf die Wandlung seiner politischen Einstellung. Er verdanke diese Wandlung dem christlichen Denken, das für ihn in der Person von Johannes Paul II. verkörpert wurde. Die zentrale Aussage des Interviews lautet: „Das Problem des Menschen ist nicht nur das Problem der totalitären Ideologien, nicht nur das von Gewalt und Krieg. Das Problem des Menschen besteht im Menschen selbst und die Lösung dazu kann man nur im Herzen der Menschen finden.“ Der Prediger knüpft hier bei der Frage, ob wir mit dem älteren Bruder, dem Mose aus der Fortsetzung der Geschichte der heutigen Lesung, gar mit Kain unter einer Decke stecken (der Prediger knüpft hier) an: Genau an dem Punkt (den Gorbatschow benennt) setzt nämlich der Vater aus dem jesuanischen Gleichnis vom barmherzigen Vater an, wenn er zu dem ressentimentgeladenen älteren Sohn hinausgeht, selber also zu ihm Brücken baut, auf die Veränderung seines vom Neid vergifteten Herzens hinzielt, damit auch die Fähigkeit und die Bereitschaft zur Versöhnung fördert. Mit dieser Logik baut nämlich das Gleichnis die Brücke über jenen Abgrund, der sich vor Mose aufgetan hat, nachdem er mit seiner Bitte um Nachsicht bei Gott einen Erfolg sondergleichen geerntet hat, selber aber dann dem Gewaltrausch verfallen ist und so in den Abgrund fiel. Das Gleichnis zeigt schon den existentiellen Weg Jesu voraus. Wie Mose erfährt Jesus einen Gott, der Nachsicht und Toleranz mit den Menschen hat, die vom Weg abgewichen sind. Im Unterschied zu Mose greift aber Jesus selber nicht zur Gewalt. Weil sich in ihm der gewaltfreie Gott inkarniert, kann er die Gewaltfreiheit auf eine radikale Weise leben, sich gar töten lassen, um durch seinen Tod hindurch Versöhnung zu schenken. Und auf welche Weise? Sein Geist, der Geist, von dessen Kraft er selber gelebt hat und den er uns schenkt, dieser Geist verändert unsere Herzen.

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Liebe Schwestern und Brüder, im Hinblick auf die Gewalt stellt nicht Gott das Problem dar, sondern der Mensch. Ist damit Gott überflüssig geworden? Nein: Er ist die entscheidende Kraft zur Veränderung der menschlichen Herzen, damit auch die Quelle der Versöhnung. Deswegen brauchen wir heute nicht weniger Religion, sondern mehr. Mehr von der Religion, die uns zur Versöhnung befähigt. Zur Versöhnung in unseren Häusern, in unseren Gemeinden und in unserer Welt.

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