- Leseraum
| Stammzellforschung - allmählich fallen alle SchrankenAutor: | Leibold Gerhard |
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Veröffentlichung: | |
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Kategorie | kommentar |
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Abstrakt: | Der Kommentar nimmt kritisch Stellung zu einem Beschluss des EU-Rats und -Parlaments und zur Position des evangelischen Theologen Ulrich Körtner (vgl. 'Die Presse', 21.5.20 |
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Publiziert in: | # Publiziert in: Die Presse, 5. Juni 2002, S.2 |
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Datum: | 2002-06-05 |
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InhaltsverzeichnisInhalt1
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Das Erwartete ist eingetreten: EU-Rat und- Parlament haben mehrheitlich einen Kompromiss bei der öffentlichen Förderung der Stammzellforschung beschlossen. Der Widerstand der österreichischen Bundesregierung hatte keinen Erfolg. Die Einigung in Brüssel ist ein Anlass, noch einmal zu bedenken, worum es geht.
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Naturwissenschaftlich betrachtet steht der Terminus 'Stammzellforschung' für ein Forschungsfeld, in dem sich Entwicklungs- und Zellbiologie, Embryologie und Reproduktionsmedizin, Humangenetik und Krankheitsursachenforschung zu einem interdisziplinären Ansatz verbunden haben. Dieser Ansatz zielt darauf ab, jene Vorgänge zu verstehen, durch die aus einer befruchteten Eizelle ein komplexer Organismus entsteht, zu dessen Fähigkeit eine lebenslange, freilich abnehmende Fähigkeit der Selbsterneuerung gehört. Ist 'Stammzellforschung' das Zauberwort für den Weg zur Einsicht des Menschen in die bislang verschlossenen Kräfte des Lebens? 'Stammzellforschung' bringt deshalb wie kaum ein anderes Wort die eigentliche Pointe der neuen „Lebenswissenschaften" zum Ausdruck, nämlich jenes Wissen über das Leben zu gewinnen, das uns in den Stand versetzt, Leben in einer nie zuvor gekannten Weise zu schaffen und zu erhalten.
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Nun steht aber 'Stammzellforschung' nicht nur für eine medizinische Vision, sondern ebenso für eine ethische Herausforderung. Die Frage der ethischen und rechtlichen Zulässigkeit der Forschung an embryonalen Stammzellen berührt den Bestand grundlegender menschlicher Wertüberzeugungen. Inwieweit darf im Dienst der Heilung von Menschen und der darauf bezogenen Forschung anderes menschliches Leben genutzt werden? Wo liegt die Grenze, die selbst einer hohen Zielen dienende Forschung gezogen ist? Der Schritt der Medizin in die molekulare Medizin bedeutet - sofern er nicht nur eine in Enttäuschung endende Ankündigungswelle darstellt - den Eintritt in ein neues Paradigma, das eine bis dahin unbekannte Weise der Gestaltung menschlichen Lebens durch den Menschen selbst eröffnet.
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In dieser dramatischen Lage ist es richtig, sich der Bedeutung zu versichern, die dem Verhältnis des Menschen zu seiner Natur für das normative Selbstbild zukommt, das wir als die Grundlage von Ethik und Recht betrachten. Die aktuelle Debatte hat bereits deutlich gemacht, dass keine Lösung vertretbar ist, die nicht zeigen kann, dass sie von der Unverfügbarkeit der dem Menschen zukommenden Würde ausgeht und die Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens entsprechend in Rechnung stellt. Allerdings gibt es trotz gemeinsamer Grundüberzeugungen eine Pluralität von Positionen, wie die Spannung von unbegrenztem Erkenntnistreben und humaner Nötigung zur Selbstbegrenzung am besten erträglich gemacht werden kann.
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Unzweideutig hat sich Ulrich H.J. Körtner, evangelischer Theologe an der Universität Wien und Mitglied der Bioethikkommission des Bundeskanzlers, am 21. Mai d.J. in dieser Zeitung für die Mehrheitsposition auf europäischer Ebene ausgesprochen, also: Stammzellforschung ja, aber unter strengen Zulassungskriterien.
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Demgegenüber haben sich vor einiger Zeit die Katholisch-Theologischen Fakultäten Österreichs in einer gemeinsamen Stellungnahme für ein uneingeschränktes Verbot embryonaler Stammzellforschung eingesetzt. Sie machen sich die Position zu eigen, dass der menschliche Embryo bereits in der frühesten Phase ein Gut darstellt, das als solches von Beginn seiner Existenz an in der Weise zu schützen ist, wie menschliche Lebewesen generell zu schützen sind. Diese Position beruht auf den guten Gründen, nach denen die Entwicklung des mit der Befruchtung entstehenden Lebewesens als ein Kontinuum aufzufassen ist. Jede andere Annahme über den Beginn der Schutzwürdigkeit ist dem Einwand der Beliebigkeit und der Interessenabhängigkeit ausgesetzt. Die ethische Bewertung des menschlichen Lebens wird nicht aus von Biologen beobachtbaren Sachverhalten abgeleitet, nimmt aber auf empirische Indikatoren Bezug und kann somit auf sachliche Angemessenheit beurteilt werden. Das ist keine Form von Naturalismus.
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Entscheidung von Brüssel ist falsch. Der österreichische Widerstand ist richtig.
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