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Niewiadomski Jozef: Happy Birthday, liebe Kirche! Predigt zum Pfingstfest
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Happy Birthday, liebe Kirche! Predigt zum Pfingstfest
(Gehalten in der Jesuitenkirche am 24. Mai 2015 um 11 und um 18 Uhr)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2015-05-29

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

1
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Nein! Lauter Freude haben die Eltern mit diesem Kind nicht gehabt. Wie halt alle Eltern. Und wie alle Eltern bewahren auch die Eltern dieses Kindes, des Kindes, das heute seinen Geburtstag feiert, die Eltern bewahren die Stunde der Geburt, die ersten tastenden Gesten des Säuglings, die ersten lallenden Worte, vor allem aber die ersten Schritte, sie bewahren all das im Gedächtnis. Sie erzählen es hin und wieder dem erwachsenen Kind, wie das halt war, als die Tochter, als der Sohn sich zum ersten Mal aufgerichtet hat, ein paar Schritte gemacht und dann - plumps - gefallen ist. Die schlaflosen Nächte, das Gebrüll, das gerade dann losging, als die Mutter endlich eingeschlafen war, die sonstigen Probleme der Säuglingsperiode und des Kleinkindalters erscheinen im Rückblick meistens wie der schönste Urlaub.

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Kann es sein - liebe Schwestern und Brüder - dass dies auch der Fall ist bei unserem heutigen Geburtstagskind? Und auch bei seinen Eltern? Dass es da auch diesen verklärenden Blick gibt? Auf die Stunde Null! Hört man auf diese Eltern, so muss man wohl sagen, dass das, was da am Pfingsttag geboren, was am Pfingsttag aus der Taufe gehoben wurde, wohl das schönste Kind der Weltgeschichte ist. Und auch das beste. Auf jeden Fall der Inbegriff all der Sehnsüchte und Hoffnungen ganzer Generationen. So erzählen jedenfalls die Eltern dieser inzwischen wohl in die Jahre gekommenen Dame, einer Frau mit vielen Runzeln und Makeln, die auf ihre wechselvolle und dramatische Lebensgeschichte verweisen. Wo und was erzählen uns diese Eltern?

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Ganz nach Menschenart in einer klaren Sprache, also nicht in irgendeinem geheimnisumwitterten göttlichen Kauderwelsch, haben die Eltern dem Kind eine Geburtsurkunde übergeben und dies, sobald das Kind zu laufen begann und zum Vernunftgebrauch gekommen ist. Ein liebevoll gestaltetes Fotoalbum sozusagen, ein Album, in dem die ersten Augenblicke festgehalten wurden. So kann die alte Dame auch im Jahre 2015 anlässlich ihres Geburtstags darin blättern. Sie, die sie ja eine der bekanntesten Persönlichkeiten in unserer spätkapitalistisch liberalen Ego-Shooter-Gesellschaft ist. In einer Gesellschaft, in der jeder Mensch bloß um sich selber zu kreisen scheint. Mitten in dieser Welt lebend, ihren inzwischen mehr als tausendfachen Geburtstag feiernd, blättert die Ecclesia, blättert die Kirche in ihrer Geburtstagsurkunde, in ihrem Kindheitsalbum sozusagen, und sie staunt darüber, was da die Eltern an Bildern festgehalten haben. So staunt sie über den Sturm der Begeisterung in der Stunde der Geburt. Sie staunt über das sprichwörtliche Feuer unterm Arsch, oder auch über das Feuer überm Kopf. Sie sinnt nach über das pfingstliche Wunder des Verstehens. Und das tut sie gerade, weil sie mitten in einer liberalen Welt lebt, in einer Welt, die um des Verstehens willen Unsummen an Geld ausgibt, Sprachen lernt, mit allen möglichen Druckmitteln auch die Einheitssprache fördert - Englisch als Neulatein einer globalisierten Welt-, mit der sanften Gewalt der politischen Korrektheit Unterschiede nivelliert, uns alle also prompt für gleich erklärt, in der Hoffnung, dass wir uns dann besser verstehen. Diese liberale Welt macht dann aber doch die Erfahrung, dass nicht nur Missverständnisse an der Tagesordnung sind, dass Gewalt nicht nur nicht verschwindet, sondern Abgründe zwischen Menschen aufreißt, von denen unsere Großeltern nur in ihren schlechtesten Träumen verschlungen wurden, dass in der Ego-Shooter-Gesellschaft jeder doch nur um seine eigene Umlaufbahn kreist, so, als ob er das Zentrum der Weltgeschichte wäre. Mitten in dieser sich jung und eventfreudig gebenden Welt sinnt das Geburtstagskind über das Wunder des Verstehens nach, das Wunder, das sich an seiner Wiege ereignet hat. Und dies, obwohl oder vielleicht gerade deswegen, weil man die Unterschiede nicht einebnete. Die Unterschiede der Sprache, des Geschlechtes, die unterschiedlichen Berufe blieben ja erhalten, sie stellten aber nicht den Anlass dar für Diskriminierung, für Gewalt, sie boten keinen Anlass zu Feindschaft. Wildfremde Menschen schienen da einander zu verstehen, waren bereit, zu teilen, zeigten Empathie, sollten gar „ein Herz und eine Seele” gewesen sein. „Haben denn meine Eltern diese Geburtstagsstunde bloß verklärt?”, fragt sich die älter gewordene Dame im Jahre 2015. Oder war es damals wirklich so, weil ich die Eltern so hautnah erlebt habe, mich von ihnen nicht losreißen wollte, wie man dies halt in der Pubertät tut? War es wirklich so, weil ich damals sozusagen symbiotisch an der sprichwörtlichen Mutterbrust hing? An dem Busen des Heiligen Geistes, im Schoß des Vaters beheimatet!

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Die Geburtsurkunde lesend, im Fotoalbum der Kindheit blätternd wirft die in die Jahre gekommene Dame auch einen kurzen Blick auf die Zeit der Schwangerschaft und entdeckt, dass sie schon im pränatalen Stadium alles andere als ein einfaches Kind war. Gott selber, die dreifaltige Liebe ließ ja nichts unversucht, um das Kind in die Welt zu setzen. Jahrhundertelang warb diese Liebe wie ein verknallter Jugendlicher um die Liebe von Menschen und erlitt einen Schiffbruch nach dem anderen, wagte sich dann in der menschlichen Gestalt gar mitten in die Wirren der Weltgeschichte. Sie tat es, um jene Gemeinschaft aus der Taufe zu heben, die nicht bloß durch egoistische Interessen zusammengehalten wird, die nicht bloß Grenzen aufrichtet und Menschen ausgrenzt, eine Gemeinschaft, die sich nicht an den Sündenblockjagden aufgeilt, sondern aus ihrer Kraft lebt. Aus der Kraft der Liebe, der zuvorkommenden Liebe! Konsequenterweise auch aus der Kraft des Verzeihens, aus der Kraft der erfahrenen Vergebung. Der Same des göttlichen Wortes schien damals auch auf einen fruchtbaren Boden zu fallen. Jene, die unter der Last des Alltags stöhnten, jene, denen an den Grenzen ihres Lebens die Luft ausging, jene, die zu träumen wagten, sind - so könnte man es sagen - zum Fötus der neuen Gemeinschaft geworden. Der Kreis der ersten Jüngerinnen und Jünger als Keim des neuen Lebens! Der Prozess des Wachstums ist allerdings durch eine Dramatik sondergleichen gezeichnet gewesen. Immer und immer wieder wäre es bei dieser Schwangerschaft zu einem Abortus gekommen, zu einem Abbruch. Und dies nicht nur deswegen, weil die Welt diese Schwangerschaft zu einer ungewollten Schwangerschaft erklärte: Nein! Diejenigen, die selber den Keim des neuen Lebens ausmachten, gerieten in Zweifel, wandten sich gar gegen das werdende Kind, übten Verrat und Verleugnung, machten sich aus dem Staub und fingen halt wiederum an, um ihre eigene Umlaufbahn zu kreisen. Judas und Petrus haben ja kläglich versagt. Und die anderen? Sie rannten davon, weil sie halt Menschen waren, Menschen wie du und ich, die wir ja alle Möchtegernhelden sind, aber uns doch mit dem Durchschnitt begnügen. Der heillos in die Menschheit verliebte Gott schien am Karfreitag den endgültigen Schiffbruch erlitten zu haben. Das von ihm in die Welt gesetzte Kind hätte das Licht der Welt nicht erblickt, wenn nicht der Vater selbst, wenn nicht der Geist und wenn nicht der göttliche Sohn den Bruch und Abbruch mit ihrer Liebe überbrückt hätten.

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„Friede sei mit euch!”, das waren Seine ersten Worte. Gerichtet an jene, die sich aus dem Staub gemacht haben, ihn verleugnet haben, versagt haben, die - so könnte man es auch sagen - ihn wiederum enttäuscht haben, weil sie ihren Part im Prozess der Schwangerschaft denkbar schlecht gespielt haben. Durch ihr eigenes Versagen, vor allem aber durch die verzeihende Liebe haben sie gelernt, dass Vergebung von entscheidender Bedeutung ist im Zusammenleben von Menschen. Ja, liebe Schwestern und Brüder, die in die Jahre gekommene Dame, das Geburtstagskind von heute, die Kirche, blickt zurück auf die nicht unproblematische Zeit ihres Werdens und freut sich umso mehr über das Wunder ihrer Geburt. Sie verdankt diese, wie halt alle Kinder es tun, einzig und allein ihren Eltern. Erstaunt muss sie immer wieder feststellen, dass ihre Eltern in ihr die prachtvollste Frucht ihrer Liebe sehen, die Frucht der Liebe des dreifaltigen Gottes. Und dies trotz all der Pannen und Sackgassen, die sie sich in ihrer Pubertät leistete, trotz all der Scheußlichkeiten, die sie sich im Lauf ihrer langen Geschichte zuschulden kommen ließ. Trotz einer gewissen Müdigkeit, hin und wieder gar der resignativen Stimmung, der sie im fortgeschrittenen Alter verfällt.

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An Pfingsten feiert die Kirche, feiern also wir alle, die wir ja diese Kirche sind, an Pfingsten feiern wir Geburtstag. Und was bekommen wir da zu hören? Von den Neidern in Sachen Weltanschauung, von all den Konkurrenten auf dem religiösen Supermarkt, von all den Ideologen, die in einer Ego-Shooter-Gesellschaft den Inbegriff des Himmels auf Erden erblicken, deswegen als isolierte Individuen bloß um ihre eigene Umlaufbahn kreisen, auch wenn sie dauernd außer Atem geraten? Was bekommt die alte Dame, was bekommen wir von der Welt, in der wir leben, was bekommen wir da zu hören? Die Palette der Reaktionen ist breit. Sie reicht von den noblen und distanzierten Anerkennungsworten bis hin zum Spott, zu Verleumdung und grenzenlosem Hass. Tagtäglich kann das Leben des Geburtstagskindes bedroht sein. Die gestern stattgefundene Seligsprechung des Märtyrers Erzbischof Oscar Romero, der heutige Solidaritätstag mit der Kirche Chinas erinnern an diese ekklesiale Möglichkeit, zeigen deutlich, dass diese Welt mit dem Geburtstagskind von heute nicht nur lauter Freude hat, dass sie oft deswegen dieses Kind gerne aus der Welt schaffen würde. Wenn schon nicht ganz umbringen, so doch zumindest in die Katakomben einer hermetisch abgeriegelten Privatsphäre hineindrängen würde.

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Und was bekommt das Geburtstagskind zu hören von seinen Eltern? Von den göttlichen Eltern? Diese hatten ja nicht nur lauter Freude mit ihrem Kind. Ganz nach Menschenart singt heute die heiligste Dreifaltigkeit dem Geburtstagskind, singt sie also uns allen, die wir uns da als Kirche versammelt haben: Happy Birthday! Happy Birthday, liebes Kind! Happy Birthday, du liebe Kirche! Und der Heilige Geist, der ja der göttliche Anwalt all der Schwachen ist, flüstert hinzu: „Hey, ganz gleich, was andere von dir erzählen, was sie dir zu Recht vorwerfen und was sie dir auch an Unrecht andichten, ganz gleich, was dir in der Welt widerfährt, vergiss Eines nicht: deine Eltern! Vergiss deinen Ursprung nicht! Vergiss nicht, wer du bist! Du bist das Kind der grenzenlosen Vergebungsbereitschaft Gottes, die ja allein alle Missverständnisse beseitigt, Kommunikation über alle Grenzen und Barrieren ermöglicht und selbst für die Ego-Shooter-Gesellschaft überlebensnotwendig ist. Vergiss aber auch nicht, du warst, du bist und wirst bleiben auch eine sündige Kirche. Das Sich-Eingestehen der eigenen Schwäche, der eigenen Sündhaftigkeit erniedrigt dich keineswegs und schafft auch keine krankmachenden Schuldgefühle. Gekoppelt an die erfahrene Vergebung verhindert es die Sündenbockjagd, das Steinewerfen auf andere und macht dich erst so liebenswert. So liebenswert menschlich! Deswegen lieben wir dich ja, wir drei: der Vater, der Sohn und auch ich. Also noch einmal: Happy Birthday! Und feiere schön!”

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