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Victor Franz Hess zum 100. Geburtstag – Universität Innsbruck

Victor Franz Hess zum 100. Geburtstag

Vortrag Josef Kolb
am 8. April 1983, BRG Adolf-Pichler-Platz

Veranstalter:
Prof. Otto BISCHOF

Mitwirkende:
Prof. O. BISCHOF
Prof. J. KOLB
Prof. D. KUHN
Dr. H. OBERGUGGENBERGER

Gegen das Ende des letzten Jahrhunderts herrschte eine uns heute ganz unverständliche Überheblichkeit in der Fachwelt. Zum Beispiel hieß es: Es gebe kaum noch etwas in der Physik zu erforschen. Dann aber kam ungeahnt, spontan revolutionär die große Wende: Innerhalb von nur zwei Jahrzehnten hat sich das Bild vollkommen gewandelt: Es ist der krasse Übergang von der bisherigen klassischen Physik zu der modernen, zu der Quanten-, zu der Atom-Physik! Ein einmaliger Umbruch im naturwissenschaftlichen Denken!

1888 weist Hertz in Karlsruhe die elektromagnetischen Wellen nach. (Existenz der Radiowellen).

1895 entdeckt Röntgen in Würzburg die mysteriösen Strahlen, deren Natur rund eineinhalb Jahrzehnte unbekannt blieb.

1896 entdeckt Becquerel in Paris die Radioaktivität. Die beiden Curie stellen 1898 die ersten reinen radioaktiven Elemente her: Das Polonium und das Radium: Atomzeitalter!

1900 im Dezember stellt Planck in Berlin fest, daß beim glühenden Körper die Energieabgabe unstetig, d.h. in Energiequanten erfolgt: Ein unerhörtes Umdenken: Noch galt immer, daß die Natur keine Sprünge mache, daß alles Geschehen stetig ablaufe.

1905 stellt Einstein in Bern die spezielle Relativitätstheorie auf: Raum- und Zeitbegriffe bedürfen einer Korrektur. Masse ist eine Funktion der Geschwindigkeit. Masse kann in Energie verwandelt werden!


Victor F. Hess, Institut für Strahlenforschung Innsbruck, 1931

1931 tritt Victor F. Hess seine Professur an der Universität Innsbruck an und gründet das Institut für Strahlenforschung. Im Hintergrund sieht man ein Elektrometer. Mit einem ähnlichen Messinstrument ist ihm Jahre zuvor der Nachweis der Kosmischen Strahlen gelungen.

Victor F. Hess, Institut für Strahlenforschung Innsbruck, 1931

Diese umwälzenden Erkenntnisse ereigneten sich während der ersten zwei Lebensjahrzehnte des späteren Nobelpreisträgers Victor Franz Hess, der am 24. Juni 1883 auf Schloß Waldstein , in der Nähe von Deutsch Feistritz, nördlich von Graz, als Sohn eines Forstmeisters geboren wurde. Hess studierte 1901 bis 1905 an der Universität Graz Physik, wesentlich bei Prof. Pfaundler (Leopold von). Es ist nicht verwunderlich, daß er als Dissertationsthema noch die klassische Physik behandelte. "Das Brechungsvermögen bei Mischung zweier Flüssigkeiten unter Berücksichtigung der dabei auftretende Volumsänderung". Sein erfolgreiches Studium und die hervorragende Dissertation wurden durch eine Promotio sub auspiciis Imperatoris ausgezeichnet.

Diese erste wissenschaftliche Ehrung wurde ihm am 16. Juni des Jahres 1906 zuteil, somit wenige Tage vor Vollendung des 23. Lebensjahres.

Nach seiner Promotion hatte Hess die Absicht, nach Berlin zu Drude zu gehen, um dort noch eine weitere optische Ausbildung zu erfahren. Dieser Plan wurde aber vereitelt, da Drude ganz unerwartet gestorben war. Ein diesbezügliches Studienstipendium war bereits genehmigt worden. Aber – wie so oft im menschlichen Geschehen – dieses ungünstige Ereignis war sicher für Hess die lebensentscheidende Wende in seiner Ausbildung, in seiner gesamten späteren, erfolgreichen wissenschaftlichen Tätigkeit. Sein Lehrer Pfaundler in Graz verschaffte ihm eine Arbeitsstätte bei Prof. Exner an der Universität Wien, am Zweiten Physikalischen Institut. Das bedeutete den Einstieg in das aktuelle Gebiet der Luftelektrizität, auf dem Exner und sein Kreis führend wirkten.

Gleichzeitig wurde er in Wien durch Egon von Schweidler in das moderne Forschungsgebiet der Radioaktivität eingeführt. (Sagt Hess selbst!). So verfügte der junge Physiker in kurzer Zeit über eine hervorragende Ausbildung sowohl auf dem Gebiete der luftelektrischen Vorgänge als auch Radioaktivität. Diese waren einmalig günstige Voraussetzungen die Inangriffnahme eines Problems, das manche Physiker schon länger beschäftigt hatte: Die Untersuchung der elektrischen Leitfähigkeit der Luft und ihre Ursachen: Buch! Man hatte nämlich festgestellt, daß auch bei sorgfältiger Abschirmung eines Luftraumes immer noch eine elektrische Leitfähigkeit – eine Restwirkung – übrigblieb.

Wo immer aber eine elektrische Leitung besteht, müssen Ladungsträger bereitgestellt werden. In der Luft müssen daher elektrisch geladene Teilchen, sogenannte Ionen, vorhanden sein. Diese können durch verschiedene Prozesse entstehen, vorwiegend aber durch radioaktive Strahlung. So ergab sich das fundamentale Problem: Wenn die radioaktiven Substanzen auf der Erde die Ursache der Luftleitfähigkeit sind, dann muß doch die Erzeugung der Elektrizitätsträger, also der Ionen, mit zunehmender Entfernung von der Erdoberfläche abnehmen.

Es lagen bereits derartige Vorversuche da: Wulf hatte auf dem Eiffelturm in Paris in 300 m Höhe Messungen genommen. Hess war von diesem Phänomen fasziniert und schloß, den Sachverhalt nun selbst mit aller Gründlichkeit Sorgfalt zu klären. Er bestimmte den Ionengehalt der Atmosphäre unter verschiedenen Bedingungen. Er begann damit, die Ionisation durch Gammastrahlung in Luft mit einem Radiumpräparat zu messen. 1500 Milligramm Radium standen ihm zur Verfügung.

Aus diesen Messungen konnte genau festgestellt werden, wie die ionisierende Wirkung der Gammastrahlung mit der Entfernung infolge der Absorption in der Luft abnimmt. Diese Meßergebnisse waren dann entscheidend für die Feststellung, daß die in großer Höhe beobachtete Ionisation nicht von der radioaktiven Strahlung des Bodens herrühren kann.

Hess entwickelte ein Meßprogramm mittels Ballonflügen, eine "Ionisationskammer" mit einem empfindlichen Elektrometer wurde gebaut. In den Jahren 1911, 12 und 13 wurden Ballonfahrten ausgeführt mit dem erstaunlichen Ergebnis, daß nicht – wie man erwarten hätte können – die Ionisierung mit der Höhe abnahm, sondern der Verlauf war so: In 1500 Meter war die Ionisation etwa gleich wie auf dem Erdboden. Dann aber erfolgte eine starke Zunahme: In 3500 Meter war sie bereits 4 mal größer und in 5000 Meter Höhe sogar 16 mal größer.

Um ganz sichere Meßergebnisse zu erzielen, unternahm Hess am 7. August 1912 einen Flug, bei dem er von Aussig an der Elbe startete und bis in 5300 Meter Höhe kam, wobei gleichzeitig immer drei Instrumente abgelesen wurden, um zuverlässige Daten zu erhalten.

Dieser Tag kann als der eigentliche Entdeckungstag der Kosmischen Strahlung bezeichnet werden. Denn nun stand es für Hess fest, daß die beobachtete Zunahme der Ionisation niemals durch radioaktive Substanzen verursacht werden kann, sondern, wie Hess erklärte, durch eine bisher unbekannte Strahlung, die von oben kommt und kosmischen Ursprungs ist. So lautete die klare, überzeugte Aussage von Hess.

Hess konnte nicht ahnen, welch ungeheuer große Bedeutung der Kosmischen Strahlung in der modernen Physik zukommen sollte. Er war sich aber bewußt, etwas Grundlegendes gefunden zu haben. Die Hess'schen Ergebnisse erregten großes Aufsehen. Es stellte sich aber auch Mißtrauen gegenüber der Behauptung von H e s s ein; ein Prozeß, der bis in die Mitte der Zwanzigerjahre anhielt, obwohl Kohlhörster bereits 1913/14 durch seine Hochflüge die Hess'schen Messungen, die bis 5000 Meter reichten, vollkommen bestätigte und zudem ergaben, daß in 9000 Meter das Vierzigfache der Bodenintensität vorhanden ist.

Auch Prioritätsansprüche blieben nicht aus, vor allem von Kohlhörster und Millikan (USA). Aber die Zuerkennung von wissenschaftlichen Auszeichnungen, schließlich – als Krönung – der Nobelpreis im Jahre 1936 – somit ein Vierteljahrhundert nach den ersten Ballonfahrten! – schafften endgültig Klarheit.

In den ersten Jahren nach der Entdeckung war man der Auffassung, daß es sich um sehr harte Gammastrahlen handle, also um energiereiche Photonen. Daraus ergeben sich auch die verschiedensten Bezeichnungen für die neue Strahlung: Hess'sche-, Millikan'sche-, Ultragamma- (von Hess zunächst gewählt); Kosmische Ultrastrahlung, Höhenstrahlung (von Hess abgelehnt) bis man sich (vor allem Millikan und Hess) auf die Bezeichnung Kosmische Strahlung einigte.

Heute weiß man, daß die "Primär-Strahlung" hauptsächlich aus Protonen besteht. Diese treffen mit großer Geschwindigkeit auf die Atmosphäre und erzeugen beim Zusammenstoß mit Sauerstoff und Stickstoff in recht komplizierten Prozessen die "Sekundär-Strahlung". Diese setzt sich zusammen aus Photonen, (Gamma-Strahlen), Elektronen, Positronen, Myonen, Nukleonen. Dieses Gemisch messen wir auf der Erde.

Schon im Jahre 1913 hat Hess auf dem Hochobir in Kärnten (2044 m) Dauermessungen ausgeführt, um die Schwankungen der Strahlung festzustellen. Erstaunlicherweise wurde mit Beginn des ersten Weltkrieges der Kosmischen Strahlung nur mehr geringe Aufmerksamkeit geschenkt, ja man hatte sie fast vergessen!


Kehren wir nach dieser dramatischen Entdeckungsgeschichte zu Hess' persönlichem Werdegang zurück. 1910 habilitierte sich Hess mit der Arbeit: "Absolutbestimmung des Gehalts der Atmosphäre an Radium-Induktion". Im gleichen Jahre wurde er erster Assistent an dem von der Akademie der Wissenschaften neuerrichteten "Institut für Radiumforschung", dessen Direktor Stefan Meyer war. Hess fand in dieser Persönlichkeit einen Freund und großzügigen Förderer seiner Arbeiten. Es standen reiche Mittel zur Verfügung und eine Fülle von Problemen eröffnete sich in der Radioaktivität. 10 Jahre war Hess bei Stefan Meyer. Hess sagt selbst darüber: "Dies war wohl die schönste und glücklichste Zeit meines Lebens".

1920 erhielt Hess die Berufung zum Extraordinarius nach Graz, gleichzeitig auch einen Ruf nach Amerika zur U.S. Radium Corporation in Orange, N.J. So mußte Hess eine Entscheidung treffen. Er bat um Beurlaubung in Graz, nahm das amerikanische Angebot an. In dieser neuen Funktion hat er ein Laboratorium eingerichtet; er war an leitender Stelle tätig und zudem noch Consulting Physicist im U.S. Bureau of Mines in Washington – eine sehr ehrenvolle Berufung für einen Ausländer!

Während dieses zweijährigen Amerika-Aufenthaltes hat sich Hess besonders mit Fragen der medizinischen Anwendung des Radiums und der Bestimmung des Radiumgehalts von Erzen befaßt.

Nach zweijähriger Beurlaubung kehrte er zurück nach Graz. Ende April 1923 nahm er seine Lehrtätigkeit wieder auf. Am 1. April 1925 wurde er zum Ordinarius ernannt. In dieser Grazer Zeit widmete sich Hess zunächst wieder luftelektrischen Untersuchungen. Es entstand das Buch "Die Leitfähigkeit der Atmosphäre und ihre Ursachen"; ebenso ein Beitrag zum Lehrbuch Müller-Pouillet, zusammen mit Benndorf , "Luftelektrizität". Bald aber wurde die Erforschung der Kosmischen Strahlung wieder aktuell, angeregt durch Millikan und Hoffmann in Königsberg. 1927 führte Hess auf dem Sonnblick (3100 m) eine einmonatige Registrierung durch. Bei dieser Exkursion hat der damalige Student Steinmaurer mitgewirkt. Es war eine mühsame Forschung, die schweren Geräte und Bleiabschirmungen – ohne Bahn – in diese Höhe zu bringen! In den beiden Sommern 1927 und 1928 führte eine luftelektrische Expedition Messungen auf Helgoland aus.

1931 folgte Hess einem Ruf nach Innsbruck. Der 1. Oktober 1931 ist der Starttermin für Innsbruck. Hess wurde Vorstand des neuerrichteten "Institutes für Strahlenforschung". In Innsbruck stand Hess auf dem Höhepunkt seiner wissenschaftlichen Tätigkeit. Durch Unterstützung in- und ausländischer Stellen konnte auf dem Hafelkar in einer ehemaligen Baubaracke ein Laboratorium eingerichtet werden. Ab Herbst 1931 erfolgte dort bereits Dauerregistrierung der Kosmischen Strahlung.

Auf der 1. Seite des Gästebuches vom Hafelekar steht unter "August 1931": "Station für Ultrastrahlen-Forschung auf dem Hafelekar (2300 m) errichtet von Prof.Dr.V.F.Hess", Victor Franz Hess .

Im Juli 1931 hatte Steinmaurer in Königsberg eine Steinke-Apparatur für das Hafelekar übernommen, die als Standard-Meßeinrichtung diente. Diese Steinke-Apparatur bestand aus einer Ionisationskammer (22,6 Liter, gefüllt mit CO2 bei 10 bar) und einem Lindemann-Elektrometer. Die ständige Betreuung der Anlage erforderte so manchen Fußmarsch zum Hafelekar-Laboratorium. Dieses wurde später noch bereichert durch Zählrohre und Nebelkammer mit Magnet, sowie Kernspurplatten.

Hess' Wunsch war die Erfassung der zeitlichen Variation durch Dauermessung; die periodischen Schwankungen (Orts- und Sternzeit). Auch der Temperatureinfluß und die Sonnenaktivität wurden untersucht.

1933 gelang es durch die ROCKEFELLER FOUNDATION, zwei weitere Steinke-Apparaturen anzuschaffen. Dadurch konnten Parallel-Messungen auf dem Kar und in Innsbruck durchgeführt werden (Steinmaurer-Habilitation 1935). Durch diese Ausrüstung konnten Absorptionsmessungen in Pb, Fe usw., die Variation der Strahlung und ihre Zusammensetzung, sowie die Wechselwirkung mit Materialien studiert werden. Auch biologische Experimente an Kaninchen, Fliegen, Samen und Bakterien führte Hess mit Eugster (Schweizer Arzt) aus. Daraus entstand Eugster-Hess: "Die Weltraum-Strahlung und ihre biologische Wirkung!" (1940 bzw. 1949 New York).

Die auf dem Hafelekar exponierten spurenempfindlichen Photoplatten (Zusammenarbeit mit Wien: Stetter, Blau, Wambacher) zeigten die ersten Kernexplosionen. Das große Ereignis während seiner Innsbrucker Tätigkeit bildet die Nobelpreis-Verleihung für die Entdeckung der Kosmischen Strahlen. Der Preis wurde zwischen Hess und Anderson geteilt, der in der Kosmischen Strahlung das Positron, das erste Antiteilchen, entdeckte.

Hess hielt einen 4-semestrigen Zyklus "Physik für Vorgeschrittene". Ich selbst habe noch die Vorlesung über Elektrizität bei Hess gehört. Er hat seine Vorlesungen stets sorgfältig vorbereitet. Sein Grundsatz: "Lehre und Forschung muß Hand in Hand gehen".

Hess hat schon vor dem 1. Weltkrieg eine weltweite Überwachung der Kosmischen Strahlung angeregt. Realisiert wurde dieses Bestreben erst im Internationalen Geophysikalischen Jahr 1957/58. Heute dient die Station auf dem Hafelekar, die mit modernen Geräten ausgerüstet ist, als ein Glied in einer Kette von Stationen der Dauerregistrierung der Kosmischen Strahlung.

Im Jahre 1937 folgte Hess der Berufung nach Graz als Nachfolger von Benndorf. Das Hafelekar-Forschungslabor wurde Doz. Steinmaurer übertragen. Im Gästebuch findet sich am 6.6.1937 die Eintragung von Hess: "Erster Besuch als Nicht-Innsbrucker". Die Grazer Zeit war durch politische Ereignisse jener Tage überschattet.

Die neuen Machthaber von März 1938 entfernten brutal alles, was nicht gesinnungsgleich war: Hess wurde in den Ruhestand versetzt, dann mit 12. September 1938 ohne Pension entlassen. Ein ähnliches Schicksal erlitt E. Schrödinger. Hess war – so wie in seiner wissenschaftlichen Arbeit nur der Wahrheit dienend – auch unbeirrbar in seiner weltanschaulichen Einstellung!

Hess folgte einer Berufung an die FORDHAM UNIVERSITÄT New York. Im Herbst 1938 ging er mit seiner Frau nach Amerika. Mitte November 1938 nahm er die Lehrtätigkeit an der FORDHAM UNIVERSITÄT auf. 1944 wurde Hess amerikanischer Bürger. In seinem Innern ist er aber Österreicher geblieben.

An seiner neuen Wirkungsstätte hielt Hess Vorlesungen (zweijähriger Zyklus) über: Atomphysik, Kernphysik, Kosmische Physik, Meteorologie, Atmosph. Elektrizität. Bevorzugte Themen der Forschung waren Fragen der Ionisierungsbilanz der Atmosphäre, Radioaktivität von Gesteinen, Radio-biologie und des Strahlenschutzes.

In der Zeit 1938–52 entstanden mehr als 30 Veröffentlichungen. Im Sommer 1953 habe ich Hess in New York zweimal besucht und dabei auch die FORDHAM Forschungsstätte besichtigen dürfen. Nach dem Krieg hat Hess Österreich wiederholt besucht. Zu einer Rückkehr an eine österreichische Lehrkanzel konnte er sich nicht entschließen. 1948 hielt Hess bei seinem dreimonatigen Österreich-Aufenthalt eine Gastvorlesung in Innsbruck.

Am 8. August 1951 besuchte Hess das Hafelekar-Laboratorium. Im Gästebuch steht: "Wieder einmal – nach 13-jähriger Pause – hier oben am Kar. Eine schöne Erinnerung an sieben schöne Jahre in Innsbruck, mit meinem alten Mitarbeiter, Prof. Steinmaurer". Am 23. Juni 1958, also einem Tag vor seinem 75. Geburtstag, finden wir die Eintragung im Gästebuch: "Als 75-er hatte ich noch einmal Gelegenheit, die alte Wirkungsstätte zu besuchen. Ein schöner, unvergeßlicher Tag".

Am 17. Dezember 1964, also im 82. Lebensjahr, ist Hess in Mount Vernon bei New York, wo er seinen Wohnsitz hatte, gestorben.


Die große Lebensleistung von Hess besteht in der Entdeckung der Kosmischen Strahlung, an deren Weiterentwicklung er im Kreise vieler Physiker in aller Welt mit großem Erfolg mitgewirkt hat. Hess selbst bekennt: "Die Arbeiten auf dem Hafelekar kann ich wohl zusammen mit jenen des Jahres 1912 – die zur Entwicklung dieser neuen Strahlung geführt haben – als mein Lebenswerk bezeichnen".

Die Bedeutung der Kosmischen Strahlung geht schon daraus hervor, daß in ihr neue Elementarteilchen entdeckt wurden: Positron; Mesonen (Pi- und K-); Myon; Hyperonen. Die Kosmische Strahlung gab wertvolle Anregungen für Meteorologie, Astronomie, Biophysik, Weltraumforschung und ganz besonders für die Hochenergiephysik. Die Kosmische Strahlung ist bis in die Gegenwart ein sensationelles Forschungsobjekt, In ihr befinden sich Teilchen, die energiereicher sind (um viele Zehnerpotenzen) als jene der größten Beschleunigungsanlagen.

Prof. Hess' Treue zu seiner Aufgabe und Berufung, zu seiner Lebenseinstellung, zum Idealismus, wird am besten durch die Opfer gekennzeichnet, die er dafür erbrachte. Für seine überragenden wissenschaftlichen Leistungen hat Hess zahlreiche Ehrungen erhalten: Die Akademie der Wissenschaften in Wien erkannte schon früh die Bedeutung der Entdeckung der Kosmischen Strahlung und verlieh ihm bereits 1919 den Lieben-Preis. 1932 erhielt er den Ernst Abbe-Gedächtnis-Preis mit der Abbe-Medaille. 1936 erhielt er den Nobelgreis.

Hess war Mitglied der österreichischen Akademie der Wissenschaften; Mitglied der päpstlichen Akademie der Wissenschaften; Fellow der American Physical Society; Träger des Österreichischen Ehrenzeichens für Wissenschaft und Kunst, Ehrendoktor der Universität Innsbruck (1958); Ehrendoktor der Tierärztlichen Hochschule Wien; Ehrendoktor der Fordham University New York; Ehrendoktor der Loyola University Chicago.

Hess lehnte jede Gewaltmethode strikt ab. Er war eine liebenswürdige Persönlichkeit. Seinen Schülern – auch in persönlichen Angelegenheiten – wohlwollender Berater, hilfsbereit zu allen, die ihm höflich und freundlich entgegen kamen. Rat und Hilfe schenkte er so manchem in Amerika und unterstützte nach dem Krieg viele in Europa. Er diente mit ganzer Hingabe der Wissenschaft, war durch Fleiß, Begeisterung und Charakter ein leuchtendes Vorbild für seine Mitarbeiter, an die er hohe Anforderungen stellte.

An ihn denken wir stolz und dankbar, wenn wir in der Bundeshymne von unserem Vaterland sagen: "Heimat bis Du großer Söhne".

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