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Niederbacher Bruno: 24 Adventsimpulse
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24 Adventsimpulse

Autor:Niederbacher Bruno
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2021-12-01

Inhalt

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1.12.              Der Wolf und das Lamm

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Die Geschichte vom Wolf und dem Lamm geht gewöhnlich so: Der Wolf und das Lamm trinken am selben Bach. Da sagt der Wolf zum Lamm: „He Lamm, du machst mir das Wasser schmutzig.“ Antwortet das Lamm: „Das kann nicht sein, lieber Wolf, denn du trinkst oben am Bach und ich unter dir“. Sagt der Wolf: „Mrrr. Aber voriges Jahr hast du meinen Großvater beleidigt.“ Antwortet das Lamm: „Das kann nicht sein, lieber Wolf, denn voriges Jahr war ich noch gar nicht auf der Welt.“ Sagt der Wolf: „Mrrr. Dann fress ich dich trotzdem.“ Lüge und Gewalt. Fressen und gefressen werden. Das erleben wir auf dieser Erde. Bei Jesaja aber wird die Sehnsucht ausgedrückt, dass der Wolf bei Lamm wohnt: Nicht Lüge und Gewalt, sondern: Wahrhaftigkeit und Wohlwollen. Nicht fressen und gefressen werden, sondern: Leben und leben lassen.

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2.12.              Empfangen

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Im Advent begleitet uns Maria. Ich betrachte das erste freudenreiche Geheimnis ihres Lebens: „Jesus, den du vom heiligen Geist empfangen hast.“ Das ist auch das erste Geheimnis für mich. Ich bin ein Macher. Ich will leisten, Erfolg haben, aktiv sein. Wer will das nicht? Auch im Glauben wollte ich ein Macher sein. Es hat lange gedauert, bis ich überrissen habe: Im geistlichen Leben kommt es zuerst auf das Empfangen und Zulassen an. Gott sagt: „Nimm hin, Mensch, und empfange!“ Zulassen was ist: die vielen guten Dinge, aber auch das, was ich am liebsten ganz schnell aus meinem Leben verbannen möchte: Frust über die vielen Einschränkungen, Angst, Enttäuschung, Trauer. Maria sagt: „Es geschehe.“ Lass innerlich geschehen und gehe weiter! Das ist der erste Schritt, das erste Geheimnis auf dem Weg des Glaubens.

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3.12.              Der Morgenstern

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Der Advent ist voller wunderbarer Bilder. Eines dieser Bilder ist der Morgenstern (Phosphoros, Lucifer). Wenn der Morgenstern erscheint, ist es zwar noch finster, aber wir wissen: Die Nacht ist überstanden. Es wird bald Tag.

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  • Das ist wie wenn der Arzt sagt: „Sie sind überm Berg.“ Wir sind dann zwar noch krank und haben Schmerzen, aber alles ist plötzlich erträglich, denn wir wissen: Wir werden wieder gesund.
  • Das ist wie wenn wir nach einem bösen Streit sagen können: „Bitte verzeih mir!“ Die Verletzungen sind zwar noch da, aber der Tag einer vertieften Beziehung kann beginnen.
  • Das ist wie wenn wir im Glauben mit Gott ringen und merken: In der Nacht des Zweifelns und Ringens und Fragens geht uns ein Licht auf.
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Das sind Morgensternerfahrungen in unserem Leben. In einer O-Antiphon wird Jesus Christus ersehnt wie der Morgenstern: „O Morgenstern, Glanz des ewigen Lichtes und Sonne der Gerechtigkeit. Komm und erleuchte jene, die in Finsternis und Todesschatten sitzen.“

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4.12.              Die Seele nachkommen lassen

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Es geschah zu der Zeit, als die ersten Eisenbahnen durch den wilden Westen fuhren. Ein Indianer wollte dieses tolle Gefährt ausprobieren und setzte sich in einen der Wagone, die von der mächtigen Lokomotive gezogen wurden. Der Zug setzte sich in Bewegung, rollte schnell und schneller. Aufmerksam sah der Mann, wie Landschaften, Berge, Täler, Wälder, Flüsse und Tiere an ihm vorbeiflitzten. Als der Zug in der nächsten Stadt Halt machte, stieg er aus – und legte sich auf den Boden. Die Leute, die vorbeigingen, wunderten sich und fragten: „Hey, was machst du da.“ „Ich muss warten“, sagte der Mann. „Warten? Worauf?“ „Auf die Seele“, sagte der Mann. „Ich muss warten, damit die Seele nachkommen kann.“ So geht es mir manchmal im Alltag. Da flitzt so viel an mir vorbei: Termine, Begegnungen, Erlebnisse. Advent sagt mir: „Halt an! Setz dich hin, sei still und warte.“ Ich nehme mir jeden Tag eine Zeit, in der ich warte und schweige. Ich lasse die Seele nachkommen und spüre: In dem Maß, wie die Seele nachkommt, komme ich auch bei Gott an. Gott und meine Seele: die beiden stecken unter einer Decke.

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5.12.              Geborgen sein

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Die Psalmen atmen Themen des Advents. Im Psalm 139 steht: „Du umschließt mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich.“ Jemand umgibt mich von allen Seiten und legt zugleich die Hand auf mich: Wie geht das? Niki Wandinger sagte: „Als meine Mutter mit mir schwanger war, da umgab sie mich von allen Seiten und konnte ihre Hand auf ihren Bauch legen und so auch auf mich.“ Advent drückt diese Sehnsucht aus, dass wir uns in Gott geborgen wissen wie ein Kind im Bauch der Mutter; dass wir in Gott leben, uns in Gott bewegen, in Gott sind: jetzt, heute, morgen… bis wir soweit sind, hineingeboren zu werden in das Leben der kommenden Welt. „Du umschließt mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich.“

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6.12.              Der Kairos

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Kairos sieht ein bisschen wie ein Hippie aus. Er hat, so sagt man, auf dem Kopf vorne einen großen Haarschopf, hinten aber ist er kahl. Er hat Flügel an den Füßen und springt unruhig durch die Straßen. Er taucht plötzlich auf; und schwupp, ist er schon wieder verschwunden. Man sieht nur mehr seinen kahlen Hinterkopf. Kairos steht für den rechten Zeitpunkt, für die Gelegenheit, die man am Schopf packen muss. Sobald sie da ist, muss man zugreifen. Wer schläft, zögert, zu spät kommt, sieht sie vielleicht noch von hinten, kann sie aber nicht mehr nützen. „Jetzt oder nie.“ Es gibt ihn, den rechten Augenblick, z. B. für eine Liebeserklärung, für eine Aussprache, für ein tröstendes Wort, für einen Tadel, für Zivilcourage, für eine Versöhnung, für einen Besuch, für Hilfsbereitschaft, für die Begegnung mit Gott, für eine Lebensentscheidung. Also: Seid wachsam! Das sagt auch Jesus. „Denn ihr wisst nicht, wann der kairos da ist“.

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7.12.              Liebesdialoge

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Heute ist Sant‘ Ambrogio, ein großes Fest für die Kirche von Mailand. Von diesem Bischof Ambrosius stammt das älteste Advents- und Weihnachtslied: „Komm du Heiland aller Welt!“ „Komm!“ Das ist der Sehnsuchtsruf des Advents schlechthin. Aber eigenartig, denke ich. Ich rufe mit der ganzen Kraft meines Herzens nach jemandem, von dem ich glaube, dass er eigentlich immer schon da ist. Es ist überhaupt eine merkwürdige Sprache, die wir oft in Gebet und Liturgie verwenden. Betrachtet man sie kritisch und distanziert, dann klingt vieles überfordernd oder gar unsinnig. Aber Moment mal, wer redet eigentlich so? Sind es nicht Liebende, die oft so reden? Ein Beispiel:

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Er ruft sie um drei Uhr morgens an. Sie: „Alter, spinnst du, es ist fast vier Uhr morgens.“ Er: „Ich muss dir dringend was sagen. Es ist megawichtig.“ Sie: „Sag es mir morgen; ich schlafe jetzt.“ Er: „Ich liebe dich“ Sie: „Was?“ Er: „I love you.“ Sie „Hä?“ Er: „Man verdammt: ICH LIEBE DICH“ Sie: „Ich weiß. Ich wollte es nur noch einmal hören.“

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Das sind typische Liebesdialoge. Wir erzählen uns, was wir längst wissen. Wir erbitten, was längst erfüllt ist. Wir sagen den Namen der geliebten Person wieder und wieder. In Gebet und Liturgie gibt es Ähnliches. Wir rufen „Komm!“, obwohl wir glauben, dass Gott schon da ist. Wir bitten „Bleib bei uns!“, obwohl wir glauben, dass Gott uns nie verlässt. Wir bitten ihn um dies und das und glauben, dass Gott sowieso weiß, was wir brauchen. Wir rufen den Namen Jesus wieder und wieder. Das ist die Sprache der Liebe. Advent sagt: „Pflege diese leisen Dialoge der Liebe! Mit deinen Nächsten und mit Gott.“

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8.12.              Klopfzeichen

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Advent, Gottes Kommen in unser Leben. Wie kommt er? Nicht mit der Brechstange. Nicht mit Gewalt. Er fällt nicht mit der Tür ins Haus. Sondern es heißt: „Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme hört und mir öffnet, bei dem werde ich eintreten…“ (Offb 3, 20) Bei diesen Worten denke ich oft an das Gemälde von Holman Hunt: „The Light of the World“: Es ist Nacht, vielleicht bereits ein Dämmern des Morgens. Die Sterne funkeln. Jesus trägt eine Laterne. Mildes Licht geht von ihr aus. Er steht vor einer Tür. Ist es meine Tür? Sie sieht verwachsen aus und hat außen keine Klinke. Sie kann nur von innen geöffnet werden. Der Herr klopft an diese Tür. Er hämmert nicht, er pocht nicht. Sanft klopft er an und horcht. Werde ich diese Klopfzeichen hören? Wird die Tür sich öffnen?

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Maria machte auf. „Der Engel trat bei ihr ein und sagte: Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir.“ Wenn Gott kommt, erleben wir uns begnadet, geliebt; erleben wir: Gott ist nicht ohne uns, sondern mit uns, nicht gegen uns, sondern für uns.

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Der Schriftsteller C.S. Lewis, beschreibt Gottes Kommen in sein Leben so: „Ich fühlte, dass mir dann und wann eine freie Wahl gegeben wurde. Ich konnte die Tür öffnen oder sie verschlossen halten. Ich konnte den Panzer ablegen oder ihn anbehalten. Keine der beiden Möglichkeiten war Pflicht; keine Drohung und kein Versprechen war mit ihnen verbunden, obwohl ich wusste: die Tür zu öffnen oder den Brustpanzer abzulegen bedeutete das Unberechenbare. … Ich beschloss, zu öffnen … Und ich hatte das Gefühl als wäre ich ein Mensch aus (Eis) Schnee, der endlich zu schmelzen beginnt…“ (Surprised by Joy, 211-212).

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9.12.              Maria im Dornwald

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„In diesen Tagen machte sich Maria auf den Weg und eilte in eine Stadt im Bergland von Judäa.“ (Lk 1, 39) Im Lied „Als Maria übers Gebirge ging“ wird dieser Gang besungen, aber auch das Lied „Maria durch ein Dornwald ging“ dürfte seine biblische Wurzel in diesem Satz des Lukasevangeliums haben. Schwanger mit Gottes Wort, scheut Maria den Weg durch diesen Dornwald nicht. Man wird hier an die „Dornen und Disteln“ (Gen 3,18) einer gefallenen, verwundeten und misstrauischen Welt erinnert. Mich erinnern die Dornen auch an Mose (Ex 3). In der Steppe holt ihn die Vergangenheit ein. Er sieht die Dornen und das Gestrüpp seines Lebens. Aber genau dieser Dornbusch fängt an zu brennen ohne zu verbrennen; oder soll ich sagen: zu blühen? An den Dornen seines Lebens wird Mose in die Tiefe geführt und erfährt den Namen Gottes: Ich bin da.

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Die Dornen kennen wir: Ängste, Enttäuschungen, Einsamkeit, Krankheiten, der Stachel des Todes (1 Kor 15,55) und der Trauer. Der Advent wagt über unseren Dornwald ein Hoffnungslied anzustimmen. Die Begegnung mit dem erlösenden Gott geschieht da, wo ich ihm diese Dornen hinhalten kann. Und mit der Zeit bricht aus der einen oder anderen Dorne eine Rose. Unsere Verwundbarkeit macht uns menschlich, wir werden aufmerksam für andere, barmherziger, verständnisvoller… Sie macht uns auch offen für Gott: eine Tür, durch die Gottes Gnade zu uns kommen kann.

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Ein Beispiel: Mich begleitet eine Episode aus dem Leben von P. Emerich Coreth SJ. Ich wusste, dass er einmal einen schweren Herzinfarkt erlitt. Ich wusste aber bis vor kurzem nicht, wie er ihn beurteilte. Unsereins würde vielleicht sagen: ein schrecklicher Tag. In seinem Lebensrückblick schreibt P. Coreth aber: „Es war ein Gnadentag.“ Während er bei vollem Bewusstsein diesen Herzinfarkt erlebte, hatte er so etwas wie eine religiöse Erfahrung. Ihm schien, dass ihn „weder Tod noch Leben… scheiden können von der Liebe Gottes“ (Röm 8,38). Er konnte sich ganz fallen lassen. Ein Gedanke wie: Mir kann im Grunde nichts passieren, auch wenn ich sterbe. Ich bin in Gottes Hand. Aus der scheinbaren Dorne ist eine Rose für ihn erblüht.

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„Als das Kindlein durch den Wald getragen, da haben die Dornen Rosen getragen. Kyrie eleison!“

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10.12.           Unterwegs zu Elisabeth

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Im Advent begleitet uns Maria. Ich betrachte das zweite freudenreiche Geheimnis ihres Lebens: „Jesus, den du zu Elisabeth getragen hast.“ Maria ist auf dem Weg zu Elisabeth. Sie ist Missionarin. Mit dem göttlichen Wort ist sie auf dem Weg zu den Menschen. Auch wenn dieses Wort noch nicht fertig ausgewachsen ist, bringt es bereits Hoffnung und Freude. Elisabeth freut sich, und johannes, das Kind in ihrem Leib, ebenso (Lk 1, 41-42). So möchte auch ich mich als jemand verstehen, dem Gott ein Wort mitgegeben hat. Es wächst und reift in mir – durch mein Ringen, mein Zweifeln, meine Erfahrungen – und ist dazu da, Menschen eine Freude zu machen. Das kann es jetzt schon, auch wenn Vieles noch unfertig ist.

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11.12.           Der Freund des Bräutigams

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Was wäre der Advent ohne die Gestalt johannes des Täufers? Einmal wird er der „Freund des Bräutigams“ (Joh 3, 29) genannt. Die Idee der Freundschaft hilft mir, mein Leben mit Jesus Christus zu verstehen und zu gestalten. Freundschaft ist nichts Statisches. Da gibt es Bewegung, da gibt es Höhen und Tiefen und auch Krisen. Beten ist wie das Verweilen bei einem Freund – so Teresa von Avila – das Verweilen bei einem Freund, zu dem ich oft komme, einfach um bei ihm zu sein, weil ich sicher weiß, dass er mich liebt. Da drücke ich meine Freude über ein schönes Erlebnis oder eine gelungene Tat aus, da spreche ich von meiner Angst, meiner Trauer, meinem Schmerz. Und manchmal bin ich einfach da in seligem Schweigen.

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12.12.           Gaudete!

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Die Freude am Herrn ist unsere Stärke, heißt es beim Propheten Nehemia (8,10). Diese Freude nähren wir, indem wir bewusst immer wieder auf Gott schauen, oder besser gesagt: indem wir schauen, wie Gott auf uns schaut. Ich beginne meine Gebete mit der Vorstellung, dass Gott mit Liebe und Freude auf mich schaut, dass ich sein Geschöpf bin, dass er es gut mit mir meint und mich niemals verloren gibt. Jesus hat ganz aus diesem Blick gelebt, aus diesem Geist, der ständig auf ihn ruhte: „Der Geist des Herrn ruht auf mir“ (Lk 4, 18). Das war seine Stärke und das ist auch unsere Stärke.

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13.12.           Der Hahn

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In einem Dorf lebte ein Hahn, der jeden Morgen, als es noch dunkel war, aufstand, um laut zu krähen. Und siehe da: Es dauerte nicht lange, bis die Nacht zu Ende kam und die Sonne aufging. „Mein Werk“, dachte der Hahn, „meine große Aufgabe, meine Leistung. Würde ich nicht krähen, bliebe es Nacht auf Erden.“ Eines Abends stieg im Dorf eine große Party. Der Hahn war auch dabei, es wurde getanzt, gelacht und getrunken. Erst spät kroch er in sein Nest. Er schlief tief und fest und als er aufwachte, o Schreck, da stand die Sonne bereits hoch am Himmel. Er rieb sich die Augen und konnte es nicht glauben. „Zwickts mi, i man i tram!“, befahl er den Hennen. Aber es half kein Zwicken. Die Sonne war aufgegangen, obwohl er nicht gekräht hatte. Advent ist die Zeit des Umdenkens: Nicht mein Krähen, meine Anstrengungen, meine guten Werke machen es, dass Gottes liebende Sonne über mir aufgeht, sondern umgekehrt: Gottes Liebe macht es, dass ich krähe.

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14.12.           In einer dunklen Nacht

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Advent fällt bei uns in die Zeit, in der die Tage kürzer und die Nächte länger werden. Und genau in den längsten Nächten des Jahres feiern wir die Geburt des Erlösers. Gott in der Mitte der Nacht. Dies ist ein Gedanke, der dem heutigen Tagesheiligen gefiele: johannes von Kreuz, dem spanischen Karmelit, der von den Mitbrüdern in das Klostergefängnis gesteckt wird und im Dunkel die Nacht des Glaubens erlebt, dort aber auch diese dunkle Nacht lieben lernt und sie in Gedichten besingt, die heute zur Weltliteratur gehören. Eine Kostprobe:

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In einer dunklen Nacht,
voller Sehnsucht, in Liebe entflammt,
o glückliches Geschehen!,
entkam ich unerkannt,
als mein Haus schon stille lag […]
In jener glücklichen Nacht,
im Geheimen, als niemand mich sah,
blind ging ich dahin,
nur ein Licht mich führte,
das in meinem Herzen brannte […]
O Nacht, die du führtest!
O Nacht, liebenswerter als die Morgenröte!

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Ich dachte, die Nacht des Glaubens sei ein Übel: wenn Zweifel an Gott mich befallen, ich nicht mehr weitersehe, wenn ich nichts mehr finde, wo ich mich festhalten kann. Doch johannes von Kreuz lehrt mich, diese Nacht als verlässlichen Weg zu Gott zu sehen. Im Gebet, im Schweigen, im Hineinhorchen, im liebevollen Aufmerken – „als mein Haus schon stille lag“ – lasse ich diese Nacht zu, die Unsicherheiten, die Trockenheit, die Leere; ich öffne die Fäuste und lasse los, woran ich mich verkrampft festhalte – „blind ging ich dahin“ – und die Nacht beginnt mich zu führen zum schweigenden Gott – „O Nacht, die du führtest“.

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15.12.           Wachet auf!

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Der Vater klopft an die Zimmertüre seines Sohnes: „Anton, wach auf!“ Der ruft zurück: „Ich will nicht aufstehen, Papa!“ Darauf der Vater: „Steh auf, du musst in die Schule!“ „Ich will nicht zur Schule gehen“, entgegnet der Sohn. „Warum denn nicht“, fragt der Vater? „Aus drei Gründen“, sagt Anton: „Erstens ist es sooo langweilig, zweitens ärgern mich die Schüler, und drittens kann ich die Schule nicht ausstehen.“ Der Vater erwidert: „So mein Sohn, dann sage ich dir drei Gründe, wieso du in die Schule musst: erstens ist es deine Pflicht, zweitens bist du 39 Jahre alt, und drittens bist du der Klassenlehrer.“ „Also, wach auf!“ (Aus: Anthony de Mello, Der springende Punkt) „Wach auf!“ Das ruft mir auch der Advent entgegen:

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  • Wenn ich mich an etwas vorbeimogeln will: „Wach auf!“
  • Wenn ich den Tatsachen nicht ins Auge blicken will: „Wach auf!“
  • Wenn ich eine wichtige Entscheidung auf die lange Bank schiebe: „Wach auf!“
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16.12.           Der Tau

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Der Prophet Jesaja überrascht uns im Advent mit immer neuen Bildern. Er verwendet auch das Bild vom Tau (Jes 45, 8). „Tauet, ihr Himmel! Rorate coeli!“ Und auch beim Propheten Hosea (14,6) steht: „Ich werde für Israel da sein wie der Tau.“ Gott ist da wie der Tau. Nicht  Regenguss, der die geschwächten Pflänzchen wegspült, nicht Hagel, der sie knickt, nicht Schnee, der sie zum Erfrieren bringt, sondern Tau. Tau umgibt die Pflanze von allen Seiten, benetzt und belebt sie vollständig und doch auf die sanfteste Art. Dass Gott zu uns kommt wie der erfrischende Tau – das ist die Sehnsucht des Advents.

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17.12.           Die Straße zu Gott

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Advent mit dem Propheten Jesaja. Er überrascht mit Bildern: Bildern der Sehnsucht und der Hoffnung. Heute spricht er von der Straße für unseren Gott. Man kann es auch aus unserer Perspektive sehen und sagen: Eine Straße zu Gott. Es ist die Sehnsucht, dass wir uns im Dschungel oder in der Wüste des Lebens nicht verlieren, sondern unseren Weg finden und ihn gehen.

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Ich denke an Straßen, die andere für uns gebaut haben und bauen: Eltern, Pfarrer, Freunde, Heilige, Vorbilder: Zugänge, die sie uns eröffnet haben durch die Art, wie sie ihr Leben gelebt haben.

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Ich denke an Straßen, die wir anderen Menschen bauen: Kindern und Menschen um uns. Wo wir ihnen Zugänge eröffnen: zum erfüllten Leben, zu Gott.

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Vor allem erinnert mich das Bild von der Straße, dass wir unterwegs sind. Wir sind noch nicht am Ziel, wir müssen noch nicht vollendet. Da darf improvisiert werden, da kann man mit Unfertigem leben. Dies zu glauben, befreit von Druck. Wir sind unterwegs. Und immer gehen wir auf das eine große Weihnachten zu, auf das Fest der Gemeinschaft mit Gott. Und wir ahnen, dass Gott, der uns am Ziel empfängt, immer schon mit uns auf dem Weg ist.

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18.12.           Still, still!

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Advent, Zeit der Stille. Mein Meditationsmeister pflegte zu sagen: „Gottes Sprache ist die Stille.“ So setze ich mich täglich hin und werde still. „Du kommst und gehst – schreibt Rilke – die Türen fallen viel sanfter zu, fast ohne Weh‘n. Du bist der Leiseste von allen, die durch die leisen Häuser geh‘n.“ In Wachheit warte ich. Bei Kierkegaard heißt es: „Als sein Gebet einfacher wurde hatte er immer weniger und weniger zu sagen; zuletzt wurde er ganz still. Er wurde still, ja, was womöglich ein noch größerer Gegensatz zum Reden ist: ein wurde ein Hörer. Beten heißt still werden und warten, bis der Betende Gott hört.“ In der Stille fange ich an, zum Hörenden zu werden. Etty Hillesum, die Jüdin aus Holland, entdeckt dies in jungen Jahren. Je enger es um sie wird, desto mehr entdeckt sie Gott in sich. Und in der Baracke des KZs schreibt sie: „Eigentlich ist mein ganzes Leben ein unablässiges „Hineinhorchen“ in mich selbst, in andere und in Gott. Und wenn ich sage, dass ich „hineinhorche“, dann ist es eigentlich Gott, der in mich „hineinhorcht“: Das Wesentlichste und Tiefste in mir, das auf das Wesentlichste und Tiefste in dem anderen horcht. Gott zu Gott.“

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19.12.           Das Reich Gottes ist nahe

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„Das Reich Gottes ist nahe!“ (Mt 10, 7), sagt Jesus im Advent. Und seine Jünger sollen dies verkünden. Gott ist nahe! „Wie nahe?“, könnte man fragen. Nelly Sachs schreibt: „Gott ist nur ein Gebet weit von uns entfernt.“ Gott ist nur ein Gebet weit von mir entfernt. Gut, das zu wissen. Ob ich Zeiten der Freude oder der Trauer erlebe, ob ich fest im Glauben stehe oder von Zweifeln beunruhigt werde: Ein Gebet geht immer.

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20.12.           Die Schwangerschaft

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Das wohl bekannteste Bild für den Advent ist das der Schwangerschaft. Maria empfängt das Wort Gottes. Sie gibt ihm Raum. Sie geht damit schwanger. Sie trägt es über das Hügelland von Judäa zu Elisabeth. Sie bringt es auf die Welt. Das ist auch ein Geheimnis für uns: Für jede und jeden von uns gibt es Worte Gottes. Die Bibel ist voll von göttlichen Worten: Du bist begnadet. Ich bin mit dir. Fürchte dich nicht! Wähle das Leben! Sei barmherzig! Diese Worte wollen in uns lebendig werden. Wir können sie empfangen, ihnen Raum geben, mit ihnen schwanger gehen, sie zu den Menschen tragen. Ich kenne viele, die die großen Worte Gottes auf die Welt bringen: jemand hat ein aufmunterndes Wort für dich, einer gibt dir mehr Liebe als du verdienst, eine hört gut zu und versteht dich, einer sagt: „Es tut mir leid. Das war nicht richtig. Bitte verzeih mir!“, eine hört auf zu rechnen und verschenkt Zeit und Mittel an Arme; zwei sagen zu einander: „Ich liebe dich und verspreche dir, dich nie im Stich zu lassen.“

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21.12.           Der Schlüssel

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Der Advent ist voller wunderbarer Bilder. Eines dieser Bilder ist der Schlüssel. Wer den Schlüssel besitzt, hat Zugang zum Haus, zum Zimmer, zur Zelle. Viele Märchen erzählen von verschlossenen Türen und Käfigen, von verlorengegangenen Schlüsseln, die unter dem Schnee oder dem Kopfkissen der Königin gefunden werden. Eine O-Antiphon lautet: „O Schlüssel Davids… komm und öffne den Kerker der Finsternis und die Fessel des Todes.“ Manchmal vergleiche ich mich mit einem Haus. Da gibt es Zimmer, die ich gerne öffne und herzeige. Da gibt es Zimmer, in die ich nur Freunden Einblick gewähre. Und da gibt es Kellerräume, die niemandem offenstehen, und in die ich selber auch nicht gerne gehe, wo die Gefangenen meiner Seele hausen: Enttäuschungen, Trauer, Einsamkeit, Angst, Schmerz und Schuld. Advent ist Ausdruck der Bitte, dass ich die Schlüssel zu allen Räumen meiner Seele Christus übergeben kann, dass er mich aufschließt und mich erlöst und mich eins macht mit mir und mit Gott.

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22.12.           Der Schlussstein

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Der Advent ist voller wunderbarer Bilder, mit denen wir ausdrücken, wer Jesus Christus für uns ist. Eines dieser Bilder ist der Schlussstein. In einer O-Antiphon heißt es: „O Schlussstein, der den Bau zusammenhält: o komm und errette den Menschen, den du aus Erde gebildet.“ Schlusssteine findet man an Decken, Bögen und Brücken. Schlusssteine sind enorm wichtig. Sie vollenden das Bauwerk und – sie halten es zusammen. Nimmt man den Schlussstein heraus, stürzt das Bauwerk in sich ein. Christus, der Schlussstein, der den Menschen zusammenhält: diesen Menschen, der aus Erde gebildet, diesen irdenen und zerbrechlichen Menschen. Ohne Christus zerfallen wir in Teile. Mit ihm ergeben die Puzzleteile unseres Lebens ein sinnvolles Ganzes. Der bekannte Jesuitengeneral P. Pedro Arrupe SJ sagte einmal: „Christus ist für mich alles… Nehmen Sie Christus aus meinem Leben, und alles wird zusammenstürzen, wie ein Körper, dem man das Skelett, den Kopf und das Herz wegnimmt.“

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23.12.           Der Besuch

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„Gott hat sein Volk besucht“ (Lk 1,68) heißt es, und „durch die barmherzige Liebe unseres Gottes wird uns besuchen das aufstrahlende Licht aus der Höhe“ Lk 1, 78). Welch schönes Bild wird uns da im Lobgesang des Zacharias geschenkt: das Bild vom Besuch. Wenn liebe Menschen ihren Besuch ankündigen, kommt Freude auf. Ich fange an, aufzuräumen, herzurichten, mich einzustellen. Gott kommt auf Besuch! Ein kühner Gedanke! Ich stelle mich ein, räume innerlich auf, erwarte sein Kommen – da fällt mir ein: Er ist ja eigentlich schon da. Meine ganzen Bemühungen und Umkehrversuche sind bereits von ihm getragen. Denn wenn einmal Weihnachten ist, dann ist Gott nie mehr ohne uns und wir sind nie mehr ohne ihn.

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24.12.           Das Kind

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Advent führt uns zum Kind in der Krippe. Warum zum Kind? Was kann uns ein kleines Kind über den großen Gott beibringen? Es sagt uns etwas darüber, wie Gott uns entgegenkommt und wie wir ihm begegnen können. Erwachsenen gegenüber erlebe ich die Kommunikation nicht leicht. Ich überlege: Was darf ich sagen? Was nicht? Was denkt er wohl von mir? Was hält sie von mir? Ich kalkuliere. Kleinen Kindern gegenüber ist das ganz anders. Da habe ich keine Angst. Da vergesse ich mich und bin ganz da. Da zählt nicht, wozu ich es gebracht habe und was ich alles leiste. Das lehrt mich das kleine Kind über den großen Gott: dass ich keine Angst vor ihm haben muss, dass ich mich vor ihm nicht beweisen und verstellen muss; dass ich vor ihm ganz ich sein darf, ja noch besser: mich vergessen und einfach da sein kann.

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