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Sandler Willibald: Nachfolge Christi und das Double-bind der Autonomie-Erziehung.
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Nachfolge Christi und das Double-bind der Autonomie-Erziehung.
(Eine Skizze)

Autor:Sandler Willibald
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:# Ursprüngliche deutsche Fassung eines Vortrags auf der COV&R-Tagung in Paris 1998
Datum:2001-10-10

Inhalt

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1. Das double-bind der Autonomie-Erziehung

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Braucht Erziehung Vorbilder? Nach einer „Krise der Vorbilder" (1) wird auch innerhalb der Erziehungswissenschaften die Bedeutung von Vorbildern für den Erziehungsprozeß wieder deutlicher hervorgehoben.(2) Für die Theorie Girards hat die Nachahmung von Vorbildern eine zentrale Bedeutung. Zugleich erschließt sie aber auch in aller Schärfe deren abgründige Problematik. Mehrfach hat Girard auf die double-bind-Problematik eines zunächst scheinbar idealen Lehrer-Schüler-Verhältnisses hingewiesen: (3)

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Ein Schüler verehrt seinen Lehrer. Dieser ist für ihn Inbegriff der Vollkommenheit, und sein höchster Wunsch ist, auch so zu werden wie er. Das Lehrer-Schüler-Verhältnis ist hier zunächst ein ideales, und die Lernbedingungen sind optimal. Der Schüler wird zu besten Leistungen beflügelt. Der Lehrer erhält die schönste Bestätigung für seinen Unterricht und wird demgemäß gerne sein wirklich Bestes geben. Der Eifer des Schülers kann nun aber bald den Vorsprung des Lehrers gegenüber dem Schüler einebnen, und von da an ist es gut möglich, daß der Lehrer sich in seiner Vorsprungsrolle bedroht sieht. Er wird auf Distanz zum Schüler gehen, ihn weniger loben und anspornen. Den arglosen Schüler wird das irritieren. Fern davon, den Lehrer zu verdächtigen, wird er den Grund für dessen Reserviertheit im eigenen Ungenügen suchen. Er wird sich noch mehr anstrengen, damit die Position des Lehrers noch mehr bedrohen, und so auf noch größere Reserviertheit stoßen. - Es entsteht ein Teufelskreis, welcher den Schüler das Lehrer-Schüler-Verhältnis zerstört und den Schüler in die Verzweiflung treibt.

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Dieses Verhängnis des double-binds zwischen einer vordergründigen Botschaft „Ahme mich nach" und einer verdeckten Aufforderung: „Ahme mich nicht nach" ist plausibel und eindrucksvoll. Hat es aber eine grundsätzliche Bedeutung für die Erziehungsproblematik, oder trifft es nur einen zwar interessanten, aber doch seltenen Sonderfall? Girard hat darin einen Regelfall für unsere Kultur gesehen. (4) Ich stimme ihm zu und behaupte, daß sich darin ein zentrales Dilemma modernen Erziehungsverständnisses widerspiegelt. Seit mit der Aufklärung die Autonomie des Menschen zur zentralen (formalen) Zielbestimmung des Menschen wurde, kämpft Erziehung mit dem double bind des Erziehers, der seine Zöglinge auffordert: „Laß Dir von niemandem etwas sagen!"

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Wenn Autonomie besagt, daß der Mensch sich selbst Gesetz des Handelns ist, dann steht angesichts dieser Zielbestimmung jede Erziehung unter dem Verdacht der Indoktrination. Anderseits war aber für die Aufklärer von Anfang an unbestritten, daß der Mensch nicht schon selbstverständlich über Autonomie verfügt, sondern erst auf den Weg dorthin geführt werden muß. Von daher war Erziehung als Emanzipationsprozeß nicht nur legitimiert, sondern als höchst bedeutend bewertet.(5) Dennoch drohte sie, das Ideal der Autonomie zu unterminieren. Das äußerte sich zunächst in einer tiefen Kluft zwischen Theorie und Praxis der aufklärerischen Erziehung. (6) Lange Zeit bestand Erziehung im Gefolge der Aufklärung darin, daß Kinder in Richtung auf humane Ziele indoktriniert wurden. Erst in unserem Jahrhundert schlugen die Ideale von Würde und Selbstbestimmung auch der zu Erziehenden voll in die schulische Praxis durch. Damit wurde aber auch der innere Widerspruch aufgeklärter Erziehung in den Schulalltag hineingetragen. Lehrer sollen gegenüber den Schülern Partner sein und sie zugleich beaufsichtigen. Schüler sollen sich in der Schule frei fühlen, obwohl ihr Schulbesuch nicht frei ist. Sie sollen tun, was sie aus sich heraus wollen, aber nur solange sie wollen, was sie sollen. Ihre Eigenverantwortung ist gefragt, aber nur im vorgegebenen Rahmen.

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Was passiert, wenn zur Kernbotschaft in der Erziehung die Aufforderung gehört: „Sei autonom!"? - Wer dem Inhalt der Aufforderung entspricht, verhält sich unerziehbar. Weil Autonomie aber als Ziel der Erziehung gesehen wird, gilt der derart Widerspenstige nicht als autonom, sondern eher als schwererziehbar oder asozial. Wer sich hingegen folgsam erziehen läßt, gerät gerade dadurch leicht in den Verdacht mangelnder Selbständigkeit. Er gilt als brav und uninteressant. Am besten fahren noch jene Schüler, die sich so widersprüchlich wie die Anforderung selbst verhalten: Sie passen sich faktisch an, gebärden sich aber zugleich als autonom. Das ist möglich, indem sie autonome Selbstbestimmung auf periphere Bereiche (Sprechweise, Kleidung, Haarschnitt) beschränken, die ebenso auffallend wie unwichtig sind. Die Autonomieerziehung selektiert so als erfolgreichste Strategie nicht echte Autonomie, sondern die Simulation von Autonomie.(7)

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Simulation von Autonomie ist eine zentrale Eigenart moderner Gesellschaften. Im wirtschaftlichen Bereich äußert sie sich in Moden und Werbung, wo nicht nur die Überlegenheit, sondern die Einzigartigkeit von Produkten (brands) den Konsumenten vermittelt wird, während die konkurrierenden Produkte sich tatsächlich immer stärker aneinander angleichen. (8) Es ist nicht frivol, Autonomie und deren Simulation zunächst hier zu orten.

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In ihrer vordergründigen Vielfalt versprechen die Produkte des Marktes den Konsumenten Individualität und Selbstunterscheidung von den anderen. Wer sich auf dieses trügerische Angebot einläßt und seine Identität durch Konsumgüter abstützt, verfällt dem Gegenteil des Versprochenen: Selbstentfremdung anstelle Selbstfindung und Homogenisierung anstelle einer Unterschiedenheit von anderen. Die Autonomie des (post-)modernen Bürgers droht sich zur freien Produktwahl im Supermarkt zu banalisieren.

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Im wissenschaftlichen Bereich äußert sich die Simulation von Autonomie in einer Originalitätssucht, die Wissenschaftler dazu verführt, eigene Ansätze zu etablieren und ihre Quellen zu verbergen. (9) Simulation von Autonomie befördert so den Zerfall von Wissenschaften in einen unüberblickbaren Pluralismus von Theorien, welcher wiederum den Forschenden in einen Eklektizismus treibt, der natürlich als ungenügend empfunden und deshalb möglichst verschleiert wird.

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In der Wirtschaft sollte sich das bessere Produkt durchsetzen, in den Wissenschaften die bessere Theorie. Damit dieses Konkurrenzprinzip funktioniert, ist eine echte Vielfalt notwendig, die auch überschaubar ist. Man braucht das Konkurrenzprinzip nicht direkt anzugreifen. Vielmehr läßt sich zeigen, daß es eine verhängnisvolle Tendenz in sich trägt, die Differenzen (konkurrierender Produkte und Ideen) nur an die Oberfläche zu treiben. So kommt es zu einer Scheinselektion zwischen im Grunde zunehmend identischen Konkurrenten.

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Es war nun die Rede von Uniformisierung, Banalisierung, Manipulation und Verschleierung. - All das sind äußerste Gegensätze zum Ideal der Aufklärung und der aufgeklärten Erziehung. Beunruhigend ist nun, daß diese Fehlentwicklungen im Gefolge des Autonomieprojekts auftreten und überdies unter dessen Flagge segeln. Diese Dialektik der Aufklärung fokussiert sich im double-bind der „Sei-autonom"-Erziehung.

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Wenn aufgeklärte Erziehung antritt, um den Menschen zu emanzipieren, d.h. ihn aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien, dann wird dieses Unternehmen angesichts der simulatorischen Selbstentmündigung der Menschen immer dringlicher. Wenn eine Steigerung aufgeklärt-erzieherischer Anstrengung aber zugleich diese Simulation ankurbelt, dann schließt sich ein Teufelskreis: Aufgeklärte Erziehung wird zunehmend eingesetzt zur Überwindung einer Entfremdung, die sie selber befördert. (10)

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Ich möchte im folgenden versuchen, aus analogen Problemstellungen in der Theologie eine Perspektive zur Überwindung dieses Verhängnisses zu gewinnen. (11)

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2. Analoge Problemstellung und Lösungsansatz in der Theologie

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In der Theologie gibt es immer wieder starke Tendenzen, welche die Erlösung, d.h. den Weg des Menschen zum Heil, als einen Erziehungsprozeß beschreibt. Gott bzw. Jesus Christus erscheinen dabei als ideales Vorbild. Die Dogmengeschichte dokumentiert aber auch massive Vorbehalte gegen solche Vorbildtheologien: die Nachahmung von Vorbildern sei ein viel zu äußerliches Mittel, um den Menschen auf sein tiefstes Ziel hin bewegen zu können. Die Wirkkraft göttlicher Heilsbeeinflussung müßte den Menschen viel tiefer, substantieller erfassen, als es durch die Nachahmung von Vorbildern möglich wäre.

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Dieser Vorbehalt erinnert zunächst an das Ideal autonomer menschlicher Subjektivität, welche der Mensch auch nur aus sich heraus erreichen kann, sodaß Erziehung demgegenüber in den Verdacht einer ungeeigneten äußerlichen Indoktrination kommt. (12) Wichtiger war aber ein anderes, dem ethischen Optimismus der Aufklärung weniger geläufiges Motiv: die Schuldverstricktheit des Menschen, die es ihm unmöglich macht, aus eigener Kraft und Initiative den Weg zum Heil zu gehen oder auch nur einem göttlichen Vorbild nachzufolgen.

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Diese Auseinandersetzung wurde ausgetragen im großen gnadentheologischen Streit zwischen Augustinus, dem Verfechter tiefer menschlicher Schuldverstricktheit und Pelagius, dem Anwalt einer Vorbildtheologie nach stoischem Muster. Der vollständige Sieg des Augustinus stellte die Weichen für eine westliche Theologie, in welcher Erlösung vor allem Erlösung von der Sünde war. Sünde wurde in aller Härte und Problematik gesehen, als etwas, das den Menschen bis in seine innersten Kräfte von Wollen und Erkennen hinein beeinträchtigt, so daß er aus eigener Kraft unmöglich aus diesem Sumpf herauskommt. Unter diesen Umständen war es plausibel, daß allein Gott die Mittel zur Erlösung bereitstellen konnte: indem er seinen Sohn in die Welt sandte, der durch den äußersten Einsatz seines Lebens im Kreuzestod die Wiederherstellung der durch Sünde verunstalteten Menschheit ermöglichte.

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In Gestalt der Satisfaktionslehre des Anselm von Canterbury war eine solche Soteriologie über viele Jahrhunderte maßgeblich für die christliche Theologie und Frömmigkeit. Erst in unserem Jahrhundert büßte sie ihre Plausibilität weitgehend ein. Seit dem Verlust hierarchischer Gesellschaftsstrukturen, die der Satisfaktionstheorie einen plausiblen Verstehenshintergrund bereitgestellt hatten, bietet Anselm heute keine leicht zugängliche Antwort mehr.

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Am ehesten konnte noch die Vorstellung von Jesus als Vorbild seine Heilsbedeutung für die Menschen verständlich machen. Als Vorbild wurde Jesus denn auch in verschiedenen Kontexten gehandelt: den aufgeklärten Ethikern war er der vorbildliche Moralist, den Linken der paradigmatische Revoluzzer, den Frauen der „neue, integrierte Mann" usw. Anders als es Paulus wollte, wurde Jesus allen alles, oder, wie A. Schweizer es formulierte: er wurde zur größten Projektionsleinwand der Geschichte. Abgesehen von dem damit aufsteigenden Projektionsverdacht hatte die Vorbildchristologie den Haken, daß es vom christlichen Bekenntnis von Jesus Christus als „wahrem Mensch und wahrem Gott" nur die erste Hälfte einzulösen vermochte.

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Angesichts dieser Probleme und mangels überzeugender theologischer Alternativen liegt die Frage nahe, ob man das Wirken eines Vorbildes nicht tiefer verstehen könnte, so daß man von Jesus Christus als erlösendem Vorbild sprechen kann, ohne ihn damit einfach in eine Reihe anderer vorbildlicher Menschen zu stellen. Diese Vermutung legt sich insbesondere vom Girardschen Mimesis-Begriff her nahe, der ja eine Beeinflussung des Menschen durch Vorbilder bezeichnet, welche alles andere als oberflächlich ist.

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Ein geeigneter Einsatzpunkt für solche Überlegungen ist der Streit zwischen Augustinus und Pelagius. Vielleicht liegt in der Vorbildtheologie des großen theologiegeschichtlichen Verlierers Pelagius doch ein wichtiges Korn der Wahrheit verborgen, verschüttet durch die wirkmächtige Gegentheologie des Augustinus. Gisbert Greshake hat diese Spur verfolgt und gezeigt, daß die Wirkung von Vorbildern für Pelagius (und mit ihm eigentlich für das ganze griechisch-antike Denken) ein keineswegs oberflächliches war. (13) Der Mensch behält zwar in sich die unverlierbare Fähigkeit zur freien Entscheidung (das hat Pelagius gegen Augustinus immer betont), aber in seinen faktischen Entscheidung ist er zutiefst geprägt von den Entscheidungen anderer: zunächst vom Willen des Schöpfergottes, dann vom Sündenfall Adams, schließlich vom neuen Vorbild Jesus Christus. Dabei ist für den wesentlich von Vorbildern abhängigen, durch die Sünde Adams fehlgeleiteten Menschen das Vorbild Jesus Christus keineswegs eine überflüssige Hilfe. Die Wirkung von Vorbildern reicht also für Pelagius zutiefst in den Selbstvollzug des Menschen hinein. Für Pelagius hat sie, wie Greshake festhält, eine ontologische Dimension.

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Das erinnert an die konstitutive Bedeutung der Girardschen Mimesis für den menschlichen Selbstvollzug. Zugleich besteht aber ein wesentlicher Unterschied in der pelagischen Annahme, daß die letzte Entscheidungsfreiheit des Menschen nicht wirklich angetastet wird. Und dieser Punkt war ja auch der entscheidende Einwand des Augustinus. Ich will hier auf die komplizierte Auseinandersetzung Augustinus-Pelagius nicht weiter eingehen, sondern die Problematik von Girard her weiterverfolgen. Welche Anfragen ergeben sich von einer Girardschen Mimetik her an die pädagogische Erlösungslehre des Pelagius, wie wir sie eben in der Deutung Greshakes gehört haben? Raymund Schwager hat den Einwand am schärfsten gefaßt: Pelagius und mit ihm Greshake haben die Ambivalenz der mimetischen Nachahmung radikal unterschätzt. Nachahmung ist nicht schon automatisch gut und problemlos, wenn das Vorbild gut ist. Aber genau diese optimistische Annahme hat Pelagius mit der griechischen Paideia-Philosophie von Platon bis zur Stoa gemeinsam. Das stoische Ideal einer „Nachahmung Gottes" unterstützt nicht nur ein wünschenswertes Vollkommenheitsstreben der Menschen, sondern kann auch eine subtiles Rivalisieren mit Gott auslösen. Schwager hat das an einem Text von Seneca aufgewiesen: (14) Seneca lehrt, der Mensch soll sein Leiden in göttlicher Gleichmut ertragen. Gelingt ihm das, ist diese Leistung für den Menschen größer als für den von Natur aus leidüberlegenen Gott. Seneca spricht dabei ausdrücklich davon, daß der Gott nachfolgende Mensch Gott übertreffen kann. Ist das noch Frömmigkeit, oder ein Rivalisieren mit Gott? (15)

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Im Rahmen des griechischen Denkens konnte diese Tendenz nicht zum vollen Durchbruch kommen, (16) sie hätte den Grundansatz der paideia-Frömmigkeit gesprengt. Aber sie bringt in das griechische Erziehungs-Erlösungsideal der Nachahmung Gottes eine wesentliche Ambivalenz. Sie bildet eine immanente Gegenbewegung zum Frömmigkeitsideal, welches dieses zu neutralisieren droht. Wenn wir uns an dieser Stelle an den Grundwiderspruch neuzeitlich-autonomer Erziehung erinnern, den wir eingangs aufgezeigt haben, dann merken wir, daß sich im Kontext der Vorbild-Frömmigkeit derselbe Widerspruch findet. Das göttliche Vorbild, das souverän in sich selber ruht, motiviert den strebenden Menschen zur Nachahmung. Aber zu der nachzuahmenden göttlichen Vollkommenheit gehört wesentlich eine absolute Unabhängigkeit und Überlegenheit. Vollkommen Gott nachgeahmt hat somit erst derjenige, der sich auch die absolute Unabhängigkeit und Überlegenheit Gottes angeeignet hat. Er muß unabhängig von Gott sein, muß selber ein Gott sein, ja er muß Gott von seinem Thron gestoßen haben.

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So signalisiert der vollkommene, autonome Gott den zur Nachfolge gerufenen Menschen zugleich „Ahme mich nach" und „Ahme mich nicht nach". Wenn es wahr ist, was griechisches paideia-Denken sagt, daß der Mensch für seine Selbstvervollkommnung zutiefst angewiesen ist auf die Nachahmung des göttlichen Ideals, dann führt dieses göttliche double-bind sein Leben in eine letzte Verzweiflung.(17) Das göttliche double-bind von „Ahme mich nach" und „Ahme mich nicht nach" spiegelt sich dann in jeder innerweltlichen Vorbild-Realisierung notwendig ab. Das Lehrer-Schüler-Verhältnis, in dem der faszinierende Lehrer den bewundernden Schüler zugleich anzieht und zurückstößt, ist dann mehr als eine bedauerliche Fehlentwicklung, - es ist der konsequente Ausdruck eines ontologischen Verhängnisses.

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Darin besteht die schärfste Anfrage an die Paideia-Theologie. Und von ihr her muß der Pessimismus des Augustinus gegen die griechisch-pelagianische Vorbildtheologie absolut ernstgenommen werden. Zwingt das zur kompletten Preisgabe eines Mimesis-Denkens, wie Augustin wollte, oder läßt sich in dieser Aporie ein Ausweg finden? (18) Findet sich ein Ausweg, so ist er ebenso von Bedeutung für das Dilemma autonomer Erziehung.

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Versuchen wir, die Lösung des Augustinus nicht gegen ein Mimesis-Denken auszuspielen, sondern beides miteinander zu verbinden. Im Hinblick auf unsere Problemstellung läßt sich die Position Augustins gegen Pelagius in zwei Punkten zusammenfassen: Erstens vertritt er, daß das Vorbild nicht genügt, sondern der Mensch einer Stützung seines Nachahmungsstrebens bedarf. Zweitens konzipiert er diese Stützung als innere Gnade. Aus der Perspektive der mimetischen Theorie kann der erste Punkt gut übernommen werden: da auch die Nachahmung des Guten problematisch, nämlich rivalisierend sein kann, braucht der Mensch über ein gutes Vorbild hinaus eine Stützung dieser Nachahmung. Der zweite Punkt, daß diese Stützung als innere Gnade erfolgt - also ohne innerweltliche Vermittlung direkt von Gott her kommt, ist höchst problematisch. (19) Eine Alternative zu Augustins Annahme einer rein inneren Gnade besteht darin, daß die gnadenhafte Unterstützung der Nachahmung (die dank dieser Stützung zur heilvollen Nachahmung wird) selbst nochmals durch den Prozeß der Nachahmung (vom Vorbild her) vermittelt wird. (20) In formaler Fassung: Auch der Modus der Nachahmung (ob nun heilvoll oder rivalisierend) wird durch die Nachahmung bestimmt.

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Wie soll das geschehen? Darauf gibt es eine einsichtige Antwort von der mimetischen Theorie her. Der Fall des göttlichen double-bind zeigte bereits: der schlechte, nämlich rivalisierende Modus der Nachahmung wird dadurch angeregt, daß das Vorbild frei ist (oder frei erscheint) von aller Mimesis. Das double-bind kann aber dann überwunden werden, wenn das Vorbild selber begehrend auf ein Ziel ausgerichtet ist, und zwar auf ein Ziel, welches weit genug ist, um ohne Verlust mit dem Nachahmenden geteilt werden zu können.

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Wenden wir dieses Zwischenergebnis auf eine Paideia-Theologie an, so ergeben sich für eine heilvolle Nachahmung zwei (scheinbar) gegensätzliche Bedingungen: 1. Jenes Vorbild, welches den Menschen tatsächlich zur Vollendung führt, muß ein höchstes und insofern göttliches sein.(21) Diese Bedingung ist durch den theologischen Mimesis-Ansatz vorgegeben. 2. Jenes Vorbild muß selber ein mimetisch-nachahmendes sein, und das heißt für eine mimetische Anthropologie, die das Zusammenspiel von Nachahmung und Begierde als spezifische Eigenart des menschlichen versteht: Das Vorbild muß ein Mensch sein. - Beide Bedingungen zusammengefaßt: Jenes Vorbild, das den Menschen an sein Ziel bringen kann, muß zugleich wahrer Gott und wahrer Mensch sein.

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Damit haben wir von einer mimetischen-vertieften Vorbildtheologie direkten Anschluß an die klassische Christologie gefunden: Jesus Christus ist Heilsmittler gerade dadurch, daß er wahrer Gott und wahrer Mensch ist.

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Von daher könnte nun ein langer Weg der Einbindung und Reformulierung theologischer Zusammenhänge beginnen, der hier nur mehr angedeutet werden kann.

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Dieser mimetische Ansatz kann in einer biblischen Christologie grundgelegt werden, indem gezeigt wird, daß Jesus Christus sich gerade als mimetisches Vorbild im beschriebenen Sinn gebärdete: Einerseits verhielt er sich als überlegen gegenüber allen anderen innerweltlichen Vorbildern (z.B. Propheten); anderseits bezeichnete er sich aber nie selbst als Gott, sondern wahrte ein Verhältnis liebender Unterordnung gegenüber dem göttlichen Vater.

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Dieser mimetische Ansatz kann (und muß sogar) trinitarisch grundgelegt werden. Es stellt sich nämlich die Frage, ob das Problem des mimetischen double-bind wirklich gelöst oder nur auf die Person Jesu Christi verschoben wurde. Wenn Jesus Christus eine wahre menschliche Natur hatte und zur menschlichen Natur die mimetische Abhängigkeit von Anderen gehört, dann müßte Jesus ja selber dem mimetischen double-bind des göttlichen Vorbild-Vaters ausgeliefert gewesen sein. Die Lösung des Einwandes ist nur möglich, indem in Gott selber eine Relation guter Mimesis angenommen wird. Dazu müssen in Gott drei Personen unterschieden werden.

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Für eine theologische Anthropologie ergibt sich, daß der Mensch sein „Heil" d.h. sein Ziel umfassender Selbstwerdung in Gemeinschaft, durch mimetische Ausrichtung auf andere grundsätzlich erreichen kann. Durch die Auflösung des fundamentalen double-binds erscheint das Verhältnis zwischen Menschen nicht mehr als zwangsläufig rivalisierend. Menschen können sich aufeinander in nichtkonfliktiver Weise beziehen, wenn ihnen die Ausrichtung auf den unendlichen Gott gemeinsam ist. Die mimetische Ausrichtung auf Gott ist also gemeinschaftsbildend bzw. gemeinschaftswahrend. Dieser Ansatz könnte in einer mimetischen Ekklesiologie weitergeführt werden.

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Von diesem mimetischen Ansatz her läßt sich die Unterscheidung zwischen Nachahmung und Nachfolge gut einholen. Nachfolge Christi besagt ja eine Ausrichtung an den Zielen Christi („den Willen des Vaters tun"), ein Einstimmen in seine begehrende Bewegung auf den Vater zu, im Unterschied zur Nachahmung im Sinne des Kopierens eines Vorbildes.

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Wegen des einheitlichen Grundansatzes lassen sich mit dieser Theorie heilsamer Mimesis auch gut die Girardschen Analysen rivalisierender, zu Gewalt führender Mimesis verbinden. Die Erbsündentheologie, die sich von daher ergibt, (22) führt dann zu einer Vertiefung der Vorbildchristologie in Richtung auf eine Kreuzestheologie.

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3. Lösungsperspektiven für die double-bind-Problematik bei der Autonomie-Erziehung

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Unsere Überlegungen zur mimetischen Theologie legen eine Reformulierung des Autonomiebegriffs als relationalen Begriff nahe. Autonomie besagt dann nicht mehr ein selbstgenügsames Existieren, demgegenüber jeder Einfluß von außen (und mithin alle Erziehung) als entfremdend verdächtigt werden muß, sondern ein dynamisches Darüberhinaus (23) des Menschen gegenüber jedem einzelnen Innerweltlichen, ob Mensch oder Gegenstand. Da diese Dynamik zwar über jedes Innerweltliche hinaus, aber nicht am Innerweltlichen vorbei realisiert werden kann, ist eine grundsätzliche Angewiesenheit so verstandener Autonomie auf Andere und damit eine ursprüngliche Vermittlung von Autonomie und Heteronomie erreicht. (24) Mit einem solchen Autonomiebegriff kann tatsächlich gefolgert werden, daß autonome Vorbilder (Erzieher) die Autonomie ihrer Zöglinge fördern, womit die Aporie emanzipativer Erziehung vom Ansatz her lösbar ist.

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Abschließend möchte ich den skizzierten Ansatz noch zwei naheliegenden kritischen Anfragen aussetzen.

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1. Die Geschichte der Religionskritik belegt doch vielfach, daß die Gebundenheit des Menschen an Gott nicht dessen Autonomie, sondern dessen Heteronomie besagt.

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Antwort: Das hängt vom Gottesbild ab. Die mimetische Theologie erschließt Gott über den Weg Jesu Christi als demjenigen, über den hinaus nichts glücklicher nachgeahmt werden kann, also gerade in der Weise einer unüberbietbaren freilassenden Nachahmung.

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2. Wenn die Nachahmung in die Mittelpunkt der Anthropologie bzw. der Erziehung gesetzt wird, wie soll dann Kreativität, die Entstehung von Neuem möglich sein?

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Antwort: Im ersten Abschnitt habe ich deutlich gemacht, daß eine Fixierung auf eine isolierende Autonomie nur den Anschein von Innovation erweckt. Originalität wird simuliert, wohingegen strukturell eine immer größere Verähnlichung erfolgt. Könnte es nicht sein, daß bei einer gewissen Form der Bejahung von Nachfolge diese Dialektik gerade umgekehrt spielt? D.h. daß es Formen der Nachfolge gibt, bei denen gerade unter dem äußeren Schein der Angleichung wirklich Neues heranwächst.(25) Nachahmung ist nur dann geistlose Wiederholung, wenn ein Verhalten äußerlich kopiert wird. Mimesis ist vom Ansatz her aber nicht Verhaltenskopie sondern die Resonanz auf eine seinsmäßige Begehrensbewegung. Die Weite einer möglichen Variation der nachgeahmten Begehrensbewegung gegenüber der vorgegebenen hängt von der Weite des gemeinsam angestrebten Zieles ab. Wenn das Ziel jede innerweltliche Begrenzung (welche Rivalität erzeugen kann) übersteigt (so nämlich kann die theologische Aussage, daß das Ziel Gott ist, übersetzt werden), dann ist die Variationsbreite der mimetischen Nachahmung auch maximal.

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Anmerkungen:

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 1. Vgl. Margarete Mitscherlich, Das Ende der Vorbilder. Vom Nutzen und Nachteil der Idealisierung. München-Zürich: Piper 1986, sowie die in der folgenden Anmerkung genannten Werke.

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2. Vgl.: Vor-Bilder. Realität und Illusion. Salzburger Hochschulwochen 1996: Hg. H. Schmidinger, Graz: Styria 1996. - Christ werden braucht Vorbilder. Beiträge zur Neubegründung der Leitbildthematik in der religiösen Erziehung und Bildung: Hg. G. Biemer, A. Biesinger, Mainz: Matthias Grünewald Verlag 1983. - Ahlborn, Hans-Ulrich: Werteerziehung durch Vorbildlernen. Tugenden in moderner Sicht. Frankfurt a. Main: VAS-Verlag 1996. -

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3. Ein double-bind ist eine widersprüchliche Aufforderung, wobei der Widerspruch meist zwischen einer offenen Aufforderung und einer gegensätzlichen verdeckten besteht. Gregory Bateson hat die massiv irritierende Wirkung von double-binds aufgedeckt und konnte aufzeigen, daß Schizophrenie mit einer verbreiteten double-bind-Kommunikation im Elternhaus zusammenhängt. Vgl. besonders G. Bateson, Vorstudien zu einer Theorie der Schizophrenie, in: ders., Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven, Frankfurt a. Main: Suhrkamp 1981, 270-301. Girard hat die double-bind Theorie mehrfach aufgegriffen aber auch modifiziert. Vgl. R. Girard, Das Heilige und die Gewalt. Einsiedeln-Zürich-Köln: Benziger 1987, 217f; ders., Things Hidden since the Foundation of the World. London: Athlone Press 1987, 219-222.

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4. „Dies ist keineswegs auf einige pathologische Fälle beschränkt (wie die amerikanischen Psychologen meinen, die den double bind herausgearbeitet haben): Die doppelte widersprüchliche Abhängigkeit oder eher das Netz von widersprüchlichen Abhängigkeiten, in das sich die Menschen gegenseitig ohne Unterlaß verstricken, muß uns als eher banales Phänomen, ja vielleicht als das banalste schlechthin erscheinen und als das eigentliche Fundament aller Beziehungen der Menschen untereinander." Girard, Das Heilige und die Gewalt 217.

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5. „Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung. Er ist nichts, als was Erziehung aus ihm macht" (I. Kant, Vorlesung über Pädagogik, Akad.-A. 9,443).

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6. Zum folgenden vgl. Krüger, Heinz-Hermann: Erziehungswissenschaft in den Antinomien der Moderne, in: Einführung in Grundbegriffe und Grundfragen der Erziehungswissenschaft. Hg. H.-H. Krüger, W. Helsper, Opladen: Leske + Budrich 1995, 319-326, hier: 320f.

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7. Cf. the works of Jean Baudrillard, especially: „Der symbolische Tausch und der Tod", München 1982.

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8. Vgl. N. Bolz, Kult-Marketing. Die neuen Götter des Marktes. Düsseldorf: Econ 1995.

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9. Vgl. R. Girard, Wenn all das beginnt ... Ein Gespräch mit Michel Treguer (BMT 5). Thaur-Wien-München/ Münster: Druck- und Verlagshaus Thaur / LIT 1997, 69-71.

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10. Diese beunruhigende Analyse wird dadurch bekräftigt, daß sich die Widersprüchlichkeit von Zeitdiagnosen zur Erziehung von ihr her zwanglos erklärt, etwa wenn zugleich von einem „Ende der Erziehung" (z.B. N. Postman) und von einer Pädagogisierung des ganzen Lebens und aller Lebensbereiche gesprochen wird.

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11. Das ganze Unernehmen liegt im Umfeld der Theorie Girards. Die Problemstellung ist die Angleichung mimetischer Doubles im kulturellen Erziehungsprozeß: Für die Beteiligten erscheinen die Differenzen, die Vielfalt maximal; der unbeteiligte Beobachter gewinnt den Eindruck von Scheindifferenzen und einer Banalisierung Banalisierung der Vollzüge, Ziele, Konflikte...

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Der Umweg über die Theologie legt sich nahe, um vermittels einer Theorie der positiven Mimesis (welche auch für Girard im Gebiet der Theologie/jüdisch-christlichen Religion liegt) die negative Mimesis zu überwinden.

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12. Das berechtigte Anliegen dieses Einwandes, nämlich daß der erlöste Mensch wesentlich frei ist und deshalb Erlösung nur aus der menschlichen Freiheit heraus erreicht werden kann, wurde in der Theologie nicht erst seit der neuzeitlichen Wende zum Subjekt gesehen, sondern bereits im frühen Mittelalter etwa bei Anselm von Canterbury (z.B. Cur deus homo II.6).

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13. Vgl. G. Greshake, Gnade als konkrete Freiheit. Eine Untersuchung zur Gnadenlehre des Pelagius. Mainz: Grünewald 1972.

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14. Vgl. R. Schwager, Der wunderbare Tausch. Zur Geschichte und Deutung der Erlösungslehre. München: Kösel 1986, 108, sowie die dort zitierten Belegstellen bei Seneca: De benef. III 15, Ep. 53,11f.

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15. Biblisches Denken war in diesem Punkt wesentlich sensibler. Das Genesis-Buch enthält eine bemerkenswerte Spannung zwischen der Berufung der Menschen „wie Gott zu sein" (Gen 1,27) und deren eigenmächtigen Anspruch „wie Gott zu sein" (vgl. Gen 3,4f). Das erste ist der Inbegriff der Verheißung, das zweite der Inbegriff der Sünde. Die Heils- und Sündengeschichte kann verstanden werden als der dramatische Weg der (verlorenen und wiedergefundenen) Unterscheidung zwischen diesen so diametralen Verwirklichungsformen des „Sein wie Gott".

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16. Das wurde erst mit der Neuzeit möglich, insbesondere in der Religionskritik Nietzsches und Sartres.

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17. In Variation der berühmten Worte Kierkegaards (vgl. Krankheit zum Tode) könnte man sagen: Diese Verzweiflung besteht darin, entweder verzweifelt wie Gott sein zu wollen oder verzweifelt nicht wie Gott sein zu wollen.

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18. Eine Rehabilitierung der Vorbild-Theologie durch Modifikation und Vertiefung ist auch deshalb von Interesse, weil Augustins Gnadentheologie gerade in ihrer forcierten Absetzung von Pelagius große Probleme hervorgerufen hat: die Weltlosigkeit des Gnadenverständnisses und die Prädestinationslehre.

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19. Wenn die göttliche Gnade nicht mit der menschlichen Freiheit vermittelt wird, dann erscheint sie als Konditionierung dieser Freiheit von außen. Die Überlegung, daß Gott ja nicht notwendig seine innere Gnade bereitstellt, führt dann fast zwangsläufig in Augustins problematische Prädestinationslehre.

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20. Eine kohärente Argumentation müßte diesen Schritt in zwei Schritte aufteilen: 1. die Stützung einer richtigen Nachahmung welthaft vermittelt; 2. im Prozeß der Nachahmung vermittelt, weil eine mit dem Vollzug unverbundene Vermittlung ein notwendiges Zusammentreffen von in sich unverbundenen Momenten postulieren ließe...

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21. Man könnte hier Anselm von Canterburys Gottesdefinition variieren: Gott ist „id quo maius imitari nequit" - jenes Vorbild, über das hinaus keines mehr möglich ist.

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22. Vgl. R. Girard, Shakespeare. Les feux de l'envie, Paris 1990, 391-397. Vgl. auch R. Schwager, Rückblick Rückblick, in: Dramatische Erlösungslehre. Ein Symposion. Hg. J. Niewiadomski u. W. Palaver, Innsbruck - Wien: Tyrolia 1992, 356f; ders., Erbsünde und Heilsdrama. Im Kontext von Evolution, Gentechnologie und Apokalyptik. Münster: Lit 1997. - W. Sandler, Befreiung der Begierde. Theologie zwischen René Girard und Karl Rahner, in: Vom Fluch und Segen der Sündenböcke. Hg. Niewiadomski J., Palaver W., Thaur: Kulturverlag 1995, 49-68.

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23. „Darüberhinaus" besagt hier keine direkt inhaltlich beschreibbare Qualität, sondern als negativer Grenzbegriff ein radikales Ungenügen innerweltlicher Bezugsziele. Als solches müßte die Hypothese eines solchen Darüberhinaus humanwissenschaftlich diskutierbar (und aufweisbar) sein. Die Theologie kann hier ansetzen, indem sie aufgrund ihres spezifischen Formalobjekts auf dieses Darüberhinaus ausdrücklich reflektieren kann.

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24. Ursprüngliche Vermittlung besagt, daß das Verhältnis von Subjektivität und Alterität grundsätzlich widerspruchsfrei konzipiert ist. Nicht behauptet ist damit, daß dieses Verhältnis ein problemloses wäre. Für die Analyse der Problematik solcher Beziehungen bietet sich die Girardsche Theorie an.

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25. Vgl. R. Girard, Wenn all das beginnt ... Ein Gespräch mit Michel Treguer (BMT 5). Thaur-Wien-München/ Münster: Druck- und Verlagshaus Thaur / LIT 1997, 69-71.

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