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Siebenrock Roman: Um welches Kohlenfeuer dreht sich mein Leben? Impuls für Tiroler Barocktage
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Um welches Kohlenfeuer dreht sich mein Leben? Impuls für Tiroler Barocktage
(Impuls am 24. 4. 2016: Tiroler Barocktage, Konzert 3: „Mozärtlich – Frühe Sakralwerke“. Pfarrkirche Petrus und Paulus in Götzens.)

Autor:Siebenrock Roman
Veröffentlichung:
Kategoriekurzessay
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2016-04-28

Inhalt

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Gegenüber dem vorgetragenen Text erweiterte Fassung.

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In diesem wunderbaren Raum, in dem alles schwingt und es ekstatisch ins Unfassbare verweist, weil der Barock alles Leben des Menschen vor allem seine ekstatischen Gefühle des Glücks und des Schmerzes ins österliche Licht der Versöhnung taucht, werden wir in dieser Stunde mit den Frühwerken von Mozart ein Gesamtkunstwerk erfahren dürfen. Gerade in solch erhebenden Stunden scheint es mir angebracht, uns an unseren Alltag zu erinnern, der in dieser Stunde nicht vergessen, sondern ebenso durch ein neues Licht verwandelt werden möchte. In dieser Kirche, die den Aposteln Petrus und Paulus gewidmet ist, können wir uns darin erinnern, dass sich uns aller Leben wie das des Heiligen Petrus an zwei „Kohlefeuern“ entscheidet. An zwei Kohlefeuern wurden ihm jene Fragen gestellt, die über sein Leben entschieden haben und die auch über unser aller Leben entscheiden werden.

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Die Feuerstellen unseres Lebens: universaler Horizont und Heimat

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Zunächst aber darf ich an zwei andere, wenn ich es einmal so ausdrücken darf, „Feuerstellen“ erinnern. Es sind jene „Feuerstellen“, die uns den universalen und den regionalen Rahmen unserer Existenz und unseres Lebens anzeigen. Die erste wärmt unser vertrautes Leben und wandelt die Umgebung in Heimat: unser Heim, die vertrauten Beziehungen; Orte, wo ich mich daheim fühlen kann, wo ich die Türe hinter mir schließen kann und wo ich nicht anzufragen brauche, um ein eintreten zu dürfen. Hierfür habe ich, wie Petrus, den Schlüssel. Dort allein bin ich zu Hause, wo ich immer eintreten kann und mich nicht für mein Kommen und mein Sein zu rechtfertigen oder gar zu entschuldigen habe. So viele Orte dieser Art gibt es nicht in meinem Leben. An anderen Orten spiele ich eine Rolle, habe zu funktionieren, bin ich auch einmal Gast; an den meisten aber ein Fremder, oft geduldet zwar, aber nicht wirklich ganz gewollt. Wer könnte aber leben, ohne unbedingt gewollt zu sein?

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Doch wir dürfen uns unserer grundsätzlich prekären Lage in der unendlichen Weite dieses immer noch expandierenden Universums nicht entziehen. Denn nur vor diesem Horizont wird das Wunder dieser Stunde der Kunst wirklich offenbar. Unser aller Leben auf diesem unserem blauen Planet hängt an einem ganz anderen, viel größeren, ja gigantischen Feuer. Die modernen Wissenschaften haben uns gelehrt, dass dieser blaue Planet, der unsere einzig mögliche „Heimat“ in einem unwirtlichen Universum darstellt, eine seltsam einzigartige Insel der Lebensmöglichkeit in einem, soweit wir sehen können, unwirtlichen und lebensfeindlichen Universum darstellt. Neben so vielen, höchst zufälligen Feinabstimmungen ermöglicht z.B. allein der richtige Abstand zur Sonne, diesem riesigen Wasserstofffusions-Reaktor, unser aller Leben auf dieser Erde. Wie fragil, gefährdet und gar nicht selbstverständlich dieses Wunder „Erde“ ist, wird uns immer mehr bewusst und erfüllt uns mit Sorgen und Dankbarkeit zugleich. Alles Leben wird immer eindrücklicher als absolut unwahrscheinlich und deshalb zu tiefst erstaunlich und deshalb fragwürdig erfahren in einem Universum, das sich immer noch ausbreitet. Wer sind wir also angesichts dieses unvorstellbar großen Universums? Fast nichts: „Nanosekundennichtse“! Doch in dieser Stunde werden wir Nanosekundennichtse sein, die von der Musik ergriffen selbst zu Musik werden. Musik?!

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Vor diesem weiten Horizont kann jetzt unsere Aufmerksamkeit auf jene beiden kleinen Kohlefeuer gerichtet werden, die das Leben des Heiligen Petrus entschieden haben. Die Botschaft dieser beiden Kohlefeuer, so meine ich, entscheidet auch letztlich über unser eigenes Leben. Im Neuen Testament wird das Wort „Kohlefeuer“ („anthrakian“) nur an zwei Stellen verwendet, nur im Johannes-Evangelium und nur im Zusammenhang mit dem Heiligen Petrus. Ich muss aber zunächst eingestehen, dass ich diesen Petrus mag. Er ist nicht nur der Fels und Sprecher der Glaubenden und der Apostel; oder wohl besser: Er ist dieser Sprecher, weil er so oft daneben steht, weil er bisweilen nicht weiß, was er sagen soll, und weil er die schärfste Rüge Jesu erfährt, die das Neue Testament kennt („Satan“: Mt 18,23). So ist er meinem Glaubensweg nahe. Petrus ist kein Held, nie perfekt. Er ist Fels und Verräter, ein Fels also, der weint und nur in beidem der Fels, auf den Christus seine Kirche bauen will. Und eben in dieser „Anti-Heldenhaftigkeit“ ist er mir Vorbild, weil er immer wieder den Mut aufbringt, umzukehren, neu zu beginnen. Die fromme Legende erzählt solches noch vom Ende seines Lebens: „Quo vadis/Wohin gehst Du?“ Dieser Petrus vertraut sich der Vergebung und Barmherzigkeit Gottes auch dann noch an, als jede Hoffnung durch die Fehlerhaftigkeit seines Verhaltens eigentlich vergeblich zu sein schien.1

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Damit nähern wir uns dem ersten Kohlenfeuer im Leben Petri. Es brennt im Vorhof des Palastes des Hohepriesters Kajaphas. Jesus war gefangen, vorgeführt, faktisch verurteilt. In dieser Situation antwortet Petrus auf die Frage, dass er wohl auch zum Gefolge dieses Jesus gehören würde, in gesteigerter Absetzung dreimal klar: „Nein, ich gehöre nicht dazu“ (Joh 18, 12-27). In den anderen Evangelien werden noch zwei andere Strategien erzählt, wie sich Petrus in dieser gefährlichen Situation, und gerade darin wieder uns typisierend, aus der Affäre ziehen wollte. Er stellte sich einfach dumm, indem er vorgab, die Frage nicht zu verstehen. Bei Lukas wird sogar gesagt, dass er im Blick auf Jesus beteuert hätte: „Ich kenne ihn nicht“ (Lk 22, 68). Und dann krähte der Hahn, jener Hahn, den der Herr schon beim gemeinsamen Mahl angekündigt hatte. Und im Zeichen des Hahns, der hier wie in so vielen Kirchen zu finden ist, werden auch wir an unseren Verrat erinnert. Wie stehen wir zu dem gefangenen Menschen, der bespuckt und geschlagen wird, bald gegeißelt und mit Dornen gekrönt und schließlich gekreuzigt wird? Wie stehen wir zu diesem Menschen, der das Bild des Menschen überhaupt ist? Verstehen wir die Frage nicht? Gehören wir nicht zu ihm? Kennen auch wir diesen Menschen nicht? Die Frage des ersten Kohlefeuers unseres Lebens verweist uns auf den Menschen, diesen Menschen; und zwar in einer Situation, die uns etwas kosten kann: „Ecce homo!“.

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Das zweite Kohlenfeuer im Leben Petri hat der Auferstandene selbst bereitet, an dem er den Jüngern, nachdem er sie zu einem erneuten, jetzt überaus erfolgreichen Fischfang ermutigt hatte, Essen bereitete. An diesem Kohlenfeuer erhebt der Auferstandene keine Vorwürfe, erinnert nicht an Flucht und Verrat, er stellt dem Petrus und allen seinen JüngerInnen bis heute nur eine Frage, jene Frage, die über unser aller Leben entscheidet: „Petrus, …, liebst Du mich?“ Dreimal wird er gefragt, und alles gibt Petrus schließlich dem Herrn anheim: „Herr, Du weißt alles, Du weißt, dass ich Dich liebhabe (Joh 21, 15-17). In dieser Frage kommt die zentrale Botschaft des ganzen Evangeliums in dieser Erzählung zum Ausdruck. Denn dieses Evangelium kennt nur ein Gebot, das Jesus exemplarisch in der Fußwaschung vorgelebt hat (Joh 13): „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“ (Joh 13,34). Diese Frage nach der Liebe ist so zentral, dass der erste Johannesbrief sagen kann: „Gott ist Liebe und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm“ (1 Joh 4, 16). Diese Liebe aber zu Gott, den wir nicht sehen, kann nach der gesamten Bibel nur in der Liebe zum Nächsten Wirklichkeit werden (1 Joh 4,20-21; Mk 12,30-31 par), ja auch in der Liebe zum Feind (Mt 5,44-45). Überfordert uns dieser Ruf Jesu nicht noch radikaler als alle anderen Anforderungen, die an unser Leben gestellt werden.

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Was also bedeutet jene „Liebe“, auf die es in unserem Leben letztlich ankommt? Was meint dieses Wort „Liebe“, das heute ebenso verschandelt ist, wie alle Worte unserer Geschichte, die uns auf ein Ideal verweisen. Alle Worte, nicht nur das Wort „Gott“, sind mit Blut besudelt und kontaminiert. Inmitten der Verunstaltungen unserer Geschichte fragen wir in dieser Stunde der Kunst, die als „ars sacra“, als „Heilige Kunst“, immer eine Unterbrechung darstellt, nach jener „Liebe“ am zweiten Kohlefeuer, ohne die alles nichts wäre. Nanosekundennichtse welcher Liebe?

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Eros – Philia – Agape: die drei Grundformen der „Liebe“

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Im Gegensatz zur deutschen Sprache hatte das Neue Testament aus der griechischen Tradition für „Liebe“ drei Begriffe zur Verfügung: „eros“, „philia“ und „agape“. Diese drei Begriffe wurden in der traditionellen Theologie unserer Kirche in verschiedene Formen der Liebe übersetzt und zueinander in Beziehung gesetzt.2 Der Begriff „Eros“ meint die Liebe der Begierde („amor concupiscentiae“). Wir sind bedürftige Wesen, wir brauchen nicht nur Essen und Kleidung, sondern Zärtlichkeit und körperliche Nähe. Besonders die leibliche Liebe und die innigste Verbindung zwischen den Menschen ist vom „Eros“ durchdrungen. Deshalb ist diese Bedürftigkeit für uns als Geschöpfe gut und wir sollten uns ruhig eingestehen, dass wir nicht restlos selbstlos sein können. Wir sollten daher lernen, zu genießen. Dieser Eros entwickelt seine Kraft vor allem in der Liebe des Wohlgefallens („amor conplacentiae“), also im Entzücken, in der Freude an den Dingen des Lebens und vor allem an anderen Menschen, ja an diesem einen Menschen. Der Eros ist auch jene Macht der Faszination am anderen, an diesem Tun, ja am Denken und an der Wahrheit selbst. Doch diese „Begierde-Liebe“ birgt die Gefahr in sich, weil sie von unserem Defizit ausgeht, egoistisch und narzistisch zu werden, nur um sich selbst zu kreisen. In der fast immer wieder dominant werdenden Sorge und Angst um sich selbst meint der Mensch als Mangelwesen, so oft zu kurz zu kommen, zu wenig an Anerkennung und Zuneigung zu erhalten oder erhalten zu haben. Deshalb kann diese „Liebe“ ins Gegenteil kippen, in Aneignung, Gewalt und Unterdrückung; und, wie Erich Fromm es sagte, in pures „Haben-Wollen“. In dieser Sorge und Angst kommt es fast unausweichlich zu jener Rivalität, die heute mimetische Rivalität genannt wird.3 Dann will ich nicht nur etwas, sondern fast in unendlicher Variation das, was gerade der Rivale oder das von mir bevorzugte Vorbild will.

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Wenn diese basale Liebe der Bedürftigkeit nicht inhuman werden soll, dann bedarf sie einer Weiterentwicklung oder einer Einbettung in die „philia“, in die „Liebe der Freundschaft“. „Freundschaft“ ist sowohl für die heidnische Antike als auch für das Evangelium des Johannes die höchste aller menschlichen Beziehungen und vor allem deshalb das Fundament aller menschlichen Gemeinschaft, weil gerechtigkeit allein als zu abstrakt nie das Gefühl der Glückseligkeit zu vermitteln vermag. So sagt Jesus zu seinen JüngerInnen, dass er sie nicht mehr Knechte, sondern Freunde nennt, weil sie alles empfangen hätten, was er vom Vater empfing (Joh 15,15). In diesem Sinne kann die Tradition sagen, dass unsere Gottesbeziehung selbst als Freundschaft verstanden werden könnte, um so zu Freundschaft mit allem zu werden, ja auch zur Freundschaft mit dem Tod. Nicht nur Franz von Assisi hat im Sonnengesang solche Annahme ausgedrückt. Solches ist auch von Mozart überliefert: „Da der Tod der wahre Endzweck unseres Lebens ist, so habe ich mich mit diesem wahren, besten Freund des Menschen so bekannt gemacht, daß sein Bild allein nichts Schreckliches mehr für mich hat.“4

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In der Freundschaft nämlich wandelt sich der Eros und seine „Liebe des Wohlgefallens“ in die „Liebe des Wohlwollens“ („amor benevolentiae“), in der der Freund sich um das Wohl des anderen, des Freundes selbst sorgt. Er will, dass es dem anderen gut geht, weil er selbst sein ganzes Ich zu verschenken bereit ist. Daher will er das, was dem Freund gut tut; und das in vollkommener Freiheit der eigenen Bestimmung. In der Freiheit der Freundschaft wandelt sich die Liebe in jene Hingabe, die griechisch mit dem Wort „agape“ und lateinisch mit dem Wort „caritas“ ausgedrückt wird. Nach dieser Liebe, der „Hingabe-Liebe“ werden wir am zweiten Kohlenfeuer gefragt. Lieben wir so, dass wir immer weniger um uns selbst besorgt ganz das Wohl und das Gute des anderen suchen und wollen, dass wir wollen, dass es zuerst und zuletzt dem andern gut geht, dass die Rivalität in positive Sorge sich wandelt? Von dieser Liebe kann das Evangelium sagen: „Eine größere Liebe hat niemand als die, dass er sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Joh 15,13). Aber: Ist eine solche Liebe aber überhaupt möglich? Sind solche Aussagen nicht doch letztlich nur billiges Gerede und Beschwörungen in besonders sentimentalen Stunden?

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Diese „Hingabe-Liebe“, so meine ich, ist gar nicht so selten anzutreffen. Ja, ich bin der Meinung, dass wir alle davon leben, als einzelne, als Gruppe, ja sogar als gesamte Gesellschaft. Immer leben wir von Menschen, die mehr geben als sie nehmen, die nicht zuerst rechnen, sondern schenken. Es gibt sie auch unter uns, auch hier in diesem Dorf. Es ist die Mutter oder der Vater, die Kindern nicht nur das Leben schenken, sondern manche Nacht und Stunde am Krankenbett wachen oder in vielen Stunden des Gesprächs und der Präsenz mit ihnen auf dem Weg bleiben. Es gibt auch nicht wenige Familien in diesem Land, die sich um ihren pflegebedürftigen Angehörigen kümmern. Es sind aber auch z.B. die Feuerwehrleute, die auch hier im Einsatz retten und bei aller Übung und Vorbereitung, sich immer realen Gefahren aussetzen und vollen Einsatz zeigen. Es ist also nicht nur, aber auch jene beispielhafte Person, die ins Wasser springt, um eine andere zu retten. Es sind vor allem jene Personen, die wie selbstverständlich da sind, wenn der Notruf gewählt wird: Bergrettung, Rotes Kreuz, Notfallärzte und viele, viele mehr. Sie gehören ganz selbstverständlich zu den Menschen in Not, weil sie nicht vorübergehen und vorbeischauen, sondern da sind. Und es gibt so viele Ehen und Partnerschaften, aber auch Freundschaften und andere Formen der Lebensgemeinschaft, in denen einer für den anderen eintritt und so gute und schlechte Tage bestanden werden können.

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Musik und unsere „Ewigkeits-Augenblicke selbstvergessender Hingabe“

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Auch wir selbst, deren Herzen vielleicht müde und verhärmt durch so viele Enttäuschungen und Verletzungen geworden sind, können in diese Liebe gelangen und uns immer wieder neu an ihr erfrischen? Wir gelangen in diese Liebe, wenn uns die Erfahrung eines Augenblicks der Ewigkeit inmitten unseres Lebens eröffnet wird: Wenn sich, wie hier in diesem Raum symbolisch in allen Bildern und Ecken, wenn sich in unserem Leben der Himmel öffnet und wir uns gerade darin als unbedingt bejaht und gewollt erfahren dürfen. Wie öffnet sich aber in unserem alltäglichen Leben der Himmel? Ich meine, wenn uns ein Augen-Blick der Hingabe geschenkt wird, die alle Sorge um uns selbst hinter sich lässt. Einen Augenblick der Ewigkeit nenne ich jenen Moment, in dem wir von der tief in uns steckenden Angst und Sorge um uns selbst befreit, ganz Hingabe geworden sind. Wo wir uns so genommen worden sind, dass wir hernach uns als vollkommen präsent erfahren haben: der Anblick der ersten Sonnenstrahlen über den Bergen, der Blick in die strahlenden Augen eines Kindes, die Ekstase der Zuneigung, der Kampf für gerechtigkeit und Anerkennung oder auch nur ein Regentropfen der auf meiner Fingerspitze zu ruhen scheint. Überall kann Zeit zur Ewigkeit werden. Einer der wunderbarsten Orte dieser Erfahrung jedoch ist die Kunst, insbesondere die Musik. Für solche „Augenblicke der Ewigkeit“ ist vielleicht die Musik deshalb der herausragende Ort, weil Musik flüchtig, nicht greifbar ist. Die Töne kommen und gehen und vollenden das Werk im Verklingen. Und, auch wenn ein Werk geschrieben und in diesem Sinne abgeschlossen ist, ist es als Meisterwerk unerschöpfbar immer neu zu erkunden. Gehen wir ein wenig dieser Möglichkeit der Musik in der Spur der „Hingabe-Liebe“ nach.

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Es ist zunächst die Hingabe des Komponisten an das Werk, an die Musik selbst. Wolfgang Amadeus Mozart bleibt hierin der ewige Meister, Hingabe bis zum Sterben an die Musik. Ein Leben, das Musik geworden ist. Und, solange es Menschen geben wird, wir seine Musik so viele unerschöpfbar weiter in ihren Bann und so in den Dienst am Werk ziehen.

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Es sind dann die Ausführenden, die sich mit Leib und Seele ganz dem Werk schenken, und in der Hingabe selbst zu Musik werden, weil sie nicht mehr von Ängsten und Sorgen um das Gelingen bedrängt werden. Harnoncourt hat uns indes gelehrt, dass diese Hingabe uns immer wieder neu herausfordert, dass dieses Risiko immer neu gesucht werden muss. Denn immer können wir auch scheitern. Immer öffnet die Hingabe ein Fenster der Verwundbarkeit. Und doch wäre ohne solche sich öffnende Hingabe unser Leben arm, ganz arm. Deshalb sollten wir von Schubert lernen, dass auch eine „Unvollendete“ ein Meisterwerk sein kann, dass, auch wenn unser Leben immer ein Fragment, immer unvollendet bleiben wird, gerade so unser Meisterwerk wird, weil letztlich die Liebe der Hingabe zählt und uns rettet, nicht das Machen, Können und nie das Siegen.

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So können auch wir Zuhörenden Musik werden, wenn wir neben dem Alltag auch alles Deuten und Beobachten hinter uns lassen und uns ganz in hingebendem Hören mit den Musizierenden im Werk vereinen. Dann aber kann sich im Ereignis der Kunst die Erfahrung realer Gegenwart, reiner Präsenz einstellen. Denn wenn diese Stunde von dieser Liebe der Hingabe geprägt ist, kann es geschehen, dass wir von etwas berührt werden, was, wie Mozart es kurz vor seinem Tode sagt, nicht von dieser Welt ist, dass wir jene Erfahrung ahnen können, die der Heilige Augustinus als „Frieden“, als „Pax“ bezeichnet hat. In einem solchen Augenblick werden wir, wie es wiederum Augustinus ausdrückt, von jenem leichten Flügelschlag des Herzens berührt5, der die Zeit aufhebt, wo keine Regung der Sehnsucht und des Denkens diesen Frieden vollkommener Präsenz unterbricht. Solcher „Flügelschlag des Herzens“ bewirkt, dass wir so weg sind, dass wir erst danach erkennen, wie ganz da wir waren. Solche Augen-Blicke, in der Zeit zu Ewigkeit wird, schenkt uns diese Liebe der Agape und Caritas, die sich gerne in der um sich selbst unbesorgten Hingabe an die Musik einstellt. Diese musikalische Gabe der Ewigkeit wünsche ich uns in dieser Stunde.

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Allein, diese Erfahrung ist nicht möglich, ohne jene große Gefährdung unserer Selbstverständlichkeiten, die die MystikerInnen aller Kulturen uns bezeugen. Wer einmal von einem solchen „Ewigkeits-Augenblick“ berührt worden ist, bleibt voller Sehnsucht, er weiß sich gerufen und darin zutiefst vom ganz Anderen bejaht, ja ergriffen und neu gestaltet. Ein so berührter und dadurch verwandelter Mensch erfährt, dass er hier letztlich nirgendwo zu Hause ist, dass wir alle Pilgerinnen sind auf jenes Ziel hin, in das uns die Musik, auch die Töne dieser Stunde, vorausgehen werden.

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Woher kommt uns Hilfe?

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Doch diese Kirche, die das Gedenken an den Märtyrer Otto Neururer und eine sehr dunkle Stunde unserer Geschichte in das Licht der Auferstehung taucht, erinnert uns daran, dass alle Mystik und alle erhabenen Gefühle Eitelkeit und Tand sind, wenn wir morgen am Kohlefeuer unseres Alltags wieder sagen: Ich kenne diesen Menschen, diesen gefesselten und bedrängten Menschen nicht. Ich habe mit diesem nichts zu tun. Musik aber ist eine Ermutigung dazu, diesen Menschen anzusehen. Cecilia Bartoli, die Sängerin und Intendantin der Salzburger Pfingstfestspiele, hat dies in der letzten Woche so gesagt: „Aber ich glaube daran, dass sie Musik helfen kann, unseren Planeten zu retten. Es heißt doch immer, wir müssen lernen zu teilen. In der Musik geht es auf einer abstrakten Ebene um nichts anderes“.6

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Deshalb ist wahre Kunst nicht Genuss oder Unterhaltung, sondern hat an jenem Geheimnis Anteil, um dessentwillen dieser Raum allein gebaut worden ist. Kunst ist immer Wandlung. In dieser Stunde setzen wir uns der realen Gefahr aus, diesen Raum nicht mehr so zu verlassen, wie wir eingetreten sind, weil wir unser Herz an jene Wirklichkeit verlieren können, die hier Gegenwart werden will. Ein solcher Ewigkeits-Augenblick bleibt in uns als Stachel der Sehnsucht, weil auf einmal das Rivalisieren und Angeignen hinter uns liegt. Deshalb rettet uns nicht unser Können, Machen und Leisten, sondern jene Kraft, aus der alles wächst: Sehnsucht und Hingabe. Dieser erfüllte Augenblick öffnet uns den Himmel, ganz im Einklang mit diesem Raum, der nicht nur die Heiligen, sondern das ganze Land und alle BesucherInnen in jenen Himmel hinein ziehen möchte, der gerade hier, mitten unter und in uns aufgeht.

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In diesem Sinne möchte ich uns allen für diese Stunde abschließend noch ein Bekenntnis mitgeben, das der große Theologe der reformatorischen Tradition, Karl Barth, der jeden Morgen seine Arbeit mit Mozart und der Tageszeitung begann, gerade zu Mozart in folgendem Bild ablegte: Er „…sei (sich) nicht schlechthin sicher, ob die Engel, wenn sie im Lobe Gottes begriffen sind, gerade Bach spielen... (er sei sich) … aber sicher, daß sie, wenn sie unter sich sind, Mozart spielen und daß ihnen dann doch auch der liebe Gott besonders gerne zuhört.”7 Schenken wir also in selbstvergessender Hingabe, wie Gott und die Engel, unser Ohr und unser Herz ganz Wolfgang Amadeus Mozart.

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Anmerkungen

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    1 Nur in dieser Hoffnung auf die je größere Barmherzigkeit Gottes hat er sich in seinem Verrat von Judas unterschieden.

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    2 Ich greife in der lateinischen Tradition auf die 28. These von Karl Rahner in seinem Codex „De gratia“ zurück (bald in: De Gratia. Sämtliche Werke 5. Teilband 2.)

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    3 Dieser Begriff mit der entsprechenden hintergründigen Kulturtheorie geht auf den franzöisch-amerikanischen Literatur- und Kulturwissenschaftlicher René Girard zurück (siehe als erster Überblick: Palaver, Wolfgang, René Girards mimetische Theorie. im Kontext kulturtheoretischer und gesellschaftspolitischer Fragen. (Wien u.a. 32008).

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    4 In einem Brief vom 4. April 1787 heißt es: “Da der Tod, um es genau zu nehmen, der wahre Endzweck unseres Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Menschen so bekannt gemacht, daß sein Bild nicht allein nichts Schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel Beruhigendes und Tröstendes. Und ich danke meinem Gott, daß Er mir das Glück vergönnt hat, mir die Gelegenheit zu verschaffen, ihn als den Schlüssel unserer wahren Glückseligkeit kennen zu lernen. Ich lege mich nie zu Bette, ohne zu bedenken, daß ich vielleicht so jung als ich bin den andern Tag nicht mehr sein werde. Und es wird doch kein Mensch von allen die mich kennen sagen können, daß ich im Umgang mürrisch oder traurig wäre! Und für diese Glückseligkeit danke ich alle Tage meinem Schöpfer und wünsche sie von Herzen Jedem meiner Mitmenschen.”

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    5 „toto ictu cordis“ (Augustinus, Confessiones IX, 10, 24).

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    6Bartoli, Maria, Maria mia. Interview, geführt von Christine Lemke-Matwey: DIE ZEIT. Kultursommer 18. April 2016, 4–6, hier 6.

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    7Barth, Karl, Wolfgang Amadeus Mozart. Zürich 152002, 12.

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