Das 2017 erschienene „What Remains of Edith Finch“ gilt mit seinen spielerischen und erzählerischen Finessen als moderner Klassiker, indem man die Geschichte der Familie Finch in immer wieder verschieden aufgebauten Binnenerzählungen erkundet. Doch was macht das Spiel so besonders und wie können wir uns ihm wissenschaftlich annähern? Um diese Fragen zu beantworten, lud die Forschungsgruppe Game Studies am 3.11. bei kostenlosem Eintritt in den Cinematographen ein und veranstaltete die erste Spielung im Leokino. Durch den Abend führte Dr. Gernot Howanitz (Institut für Slawistik), der nach der Spielung durch Dr.in Franziska Ascher (Institut für Germanistik) mit eben dieser und Dr. Tobias Unterhuber (Institut für Germanistik) und Magdalena Leichter, MA (Institut für Vergleichende Literaturwissenschaft) das Spiel diskutierte.
So argumentierte Leichter, dass die komplexe Anordnung an Geschichten eine besondere Stärke des Spiels ist. Es verschachtelt die intradiegetische Rahmenerzählung des Erkundens des hauses mit der Fülle an Geschichten rund um die tödlichen und tragischen Schicksale der einzelnen Familienmitglieder, die in Form einzelner Kapitel erzählt werden. Die verschlungene Architektur des hauses korrespondiert dabei mit der verschachtelten Erzählstruktur. Die Spieler:innen müssen es nach und nach durschreiten, während sie in immer neuen Zimmern (von denen die meisten anfänglich verschlossen sind) mehr über die Bewohner:innen erfahren. So ergeben sich generationenübergreifende Erzählungen über das Erinnern und Gedenken an die einzelnen Familienmitglieder, deren faktualer Gehalt allerdings schwer evaluiert werden kann und somit zwischen Überlieferung und Verdrängung oszillieren.
Am offensichtlichsten erscheint die innovative Raffinesse des Spiels jedoch auf der Ebene der Spielmechaniken, die sich von Kapitel zu Kapitel stark unterscheiden und die Besonderheiten der einzelnen Familienmitglieder aufgreifen. So verwies Ascher auf eines der drei vorgespielten Kapitel, in dem die monotonen Abläufe einer Fließbandarbeit spielmechanisch durch die immer selben Abläufe auf der rechten Hälfte des Controllers gespiegelt werden, während zugleich die Imagination der gespielten Figur mit der linken Hälfte des Controllers gesteuert werden. Diese Überlagerung der visuellen Geschehnisse auf dem Bildschirm setzt sich auch auf der erzählerischen Ebene fort, wodurch Mechanik und Erzählung eine kongruente Einheit bilden.
Letztlich machte Unterhuber den Punkt stark, dass wir es bei „What Remains of Edith Finch“ mit einer Erzählung par excellence zu tun haben, da es ständig darum geht gegen den Tod zu erzählen. Die Familienmitglieder mögen zwar alle jeweils einem sehr kruden Schicksal zum Opfer fallen, jedoch vergegenwärtigen die Kapitel damit nicht nur deren Tod, sondern erhalten die Figuren durch das Erzählen am Leben. Es sind Erzählungen über und somit auch gegen den Tod und das Vergessen.
Im Anschluss gab es noch spannende Diskussionen mit Fragen und Anregungen aus dem Publikum, wodurch eine dem Medium gerecht werdende Interaktion entstand. Die Forschungsgruppe möchte sich hiermit noch bei allen Beteiligten, Diskutant:innen und den finanzierenden Stellen Digitale Science Center, Institut für Germanistik, Institut für Slawistik und Institut für Vergleichende Literaturwissenschaft bedanken. Eine Fortsetzung ist aufgrund des großen Interesses bereits in Planung.
(Dejan Lukovic, Tobias Unterhuber und Felix Tenhaef)