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Niewiadomski Jozef: Victima versus sacrificium. Nuancen der spannungsreichen Beziehung von Liebe und Opfer
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Victima versus sacrificium. Nuancen der spannungsreichen Beziehung von Liebe und Opfer

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:in: Lieben. Provokationen. Salzburger Hochschulwochen 2008. Hg. von Gregor Maria Hoff. Innsbruck: Tyrolia, 176-209.
Datum:2012-10-29

Inhalt

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1. In den Fängen des Opfers

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1.1 Der misslungene Aufstand

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Viridiana möchte eine gute Klosterfrau sein. Aufopferungsbereit. Sie weiß sich in der Nachfolge des Gekreuzigten und sie scheint auch das zu wissen, was Gottfried von Straßburg einst auf den Begriff gebracht hat in seinem Epos „Tristan und Isolde“. „Wem nie geschah von Liebe Leid, dem geschah auch Lieb von Liebe nie. Liebe und Leid, wann ließen die im Lieben je sich scheiden.“ Deswegen fügt sie sich Schmerzen zu. Willig ahmt sie jene Heiligen nach, die ihre Liebe auf diese Art und Weise gelebt haben. So kasteit sie sich und trägt auch eine Dornenkrone - wenn auch nur heimlich. Aus Liebe zum Gekreuzigten. Sie muss das Kloster verlassen, nimmt aber auch dieses Opfer willig an. Weil sie eine „Hacienda“ erbt, will sie ihre Liebe zum Gekreuzigten neu kontextualisieren. Den Weg der Nachfolge modernisieren. Nun ahmt sie andere Heilige nach; jene, die die Kirche in ihrer karitativen Dimension Wirklichkeit werden ließen. Deswegen sammelt sie Bettler und Behinderte, gibt sich mit Außenseitern ab und integriert die Opfer der Gesellschaft in die Gemeinschaft auf ihrem Hof. Die Outcasts können zwar arbeiten, müssen es aber nicht. Sie müssen aber miteinander beten; miteinander essen und trinken sie auch. Die Gemeinschaft scheint der Apostelgeschichte geradezu abgeschaut zu sein: Ein Herz und eine Seele ... weit und breit. Als eines Tages Viridiana die Hacienda verlässt, um Geschäfte in der Stadt zu erledigen, stürzt dieser Friede in sich zusammen. Die Begierdefalle holt die Bettler ein; sie wollen einmal so essen und auch so feiern, wie dies in ihrer Vorstellung die „hohen Herrschaften“ immer tun. So feiesie eine Orgie. Den Höhepunkt der Entfesselung ihres Begehrens stellt eine blasphemische Inszenierung des Letzten Abendmahles Jesu dar. Das Bild - dem Gemälde von Leonardo da Vinci nachempfunden - verhöhnt die Logik der Hingabe, die Logik der Allianz zwischen Liebe und Opfer und entlarvt das Hingabespiel der Viridiana als Heuchelei. Überrascht durch die Rückkehr der Exnonne, beruhigen sich die Bettler keineswegs; im Gegenteil, die Outcasts tappen in die Sackgasse der Begierdefalle völlig hinein. Sie viktimisieren die Frau, fügen ihr entsetzliches Leid zu und versuchen sie zu vergewaltigen. Die Ankunft der Polizei macht dem Spiel ein Ende. Nun ist der Traum von der Nachfolge des Gekreuzigten ausgeträumt. Paradoxerweise wird man sagen müssen, ausgerechnet an jenem Ort, wo sie Christus am Golgota am nächsten war, am Ort, an dem ihr die Rolle der victima mit Gewalt aufgedrängt wurde, verwirft Viridiana die Logik von Opfer und Liebe und entscheidet sich für die Logik des gesunden Menschenverstandes. Und diese hat bekanntlich wenig mit Opfer und Hingabe und auch wenig mit Liebe zu tun. So jagt sie die Bettler vom Hof, macht sie also auch zu Opfern. Die letzte Szene des gleichnamigen Films zeigt sie beim Kartenspiel. Sie flirtet mit ihrem Cousin, lässt sich auch von ihm verführen, übernimmt also neue Rollen im Spiel des Begehrens. Scheinbar neue Rollen! Der bürgerliche Durchschnitt, der Hauch von bequemer Alltagsmentalität und von alltäglicher Langeweile der Konsumexistenzen kehren auf die Hacienda ein.1

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Die filmische Provokation des Jesuitenzöglings - des spanisch-mexikanischen Meisterregisseurs Luis Bunuel - nahm die Wellen der kulturellen Trends vorweg. Der Aufstand gegen die Opfermentalität und die sexuelle Revolution sind im Jahr 1961 noch nicht das beherrschende Thema der alltäglichen popular culture gewesen; so feierte die Kritik den Film bloß als eine fundamentale Abrechnung mit der katholischen Moral. Im Rückblick, nachdem spätestens die 68er beides - den Aufstand gegen die Opfermentalität und die sexuelle Revolution - zum Inbegriff der Aufklärung stilisieren und wir inzwischen auch mit fragwürdigen Kehrseiten dieses Aufstandes konfrontiert werden, können wir eine tiefere Dimension auch dieser filmischen Provokation entdecken. Wie in den meisten seiner Filme ging es Bunuel auch in „Viridiana“ um das Spiel, ja um das Drama des Begehrens und um dessen Sackgassen. Und für eine davon steht eben das Opfer.

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Seit den Sechzigerjahren roch eben „Opfer“ förmlich nach einer antiaufklärerischen Kultur, sah doch noch Jürgen Habermas den „normativen Kern“ der Aufklärung darin, „die Moral des öffentlich zugemuteten sacrificium abzuschaffen“.2 Die Schlagworte waren auch eindeutig genug: Opfer und Verzicht sind nicht notwendig! Man kann das Spiel des Lebens ja auch anders organisieren. Anstatt Verzicht zu üben und sich selbst durch Aufopferung zu viktimisieren, soll sich jeder Mensch selbstverwirklichen! Auf seine Rechte achten! Vor allem soll er sich aber dem Konsum hingeben! Gerade in der Liebe. So wichtig und auch revolutionär die Sensibilisierung auf die erschreckende Dimension der nicht notwendigen Viktimisierungen war, die Kehrseite des kulturellen Umbruchs kann nicht übersehen werden. Hand in Hand mit der Aufkündigung der Opferrolle ging meistens auch die Verweigerung der Hingabe. Die aufgeklärten Post-68er wollten weder victima noch sacrificium kennen. Nur das emanzipierte Subjekt.

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1.2 Verhängnisvolles Erbe

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Stellt aber die Unterscheidung zwischen victima und sacrificium - zwischen victim and sacrifice - ein brauchbares Instrumentarium zur Behandlung der Zusammenhänge zwischen Liebe und Opfer dar? Hat nicht gerade der christliche Sprachgebrauch dazu geführt, dass die Bedeutungsnuancen beider Begriffe ineinander verschwammen und dies auch bis zur Unkenntlichkeit? Trotz mannigfaltiger Differenzierungen (auch im konfessionellen Bereich) blieb in der Geschichte der Christenheit immer nur eine vage Vorstellung vom Opfertod Jesu im gläubigen Bewusstsein erhalten. Vielleicht gerade auch deswegen, weil man aufgrund der vielen Bäume den Wald nicht mehr sah. So glauben zwar alle Christen, dass Jesus sich selber in seinem Tod dem Vater und auch den Menschen aus Liebe und in Liebe hingibt. Der Zusammenhang zwischen dieser inneren Haltung der Hingabe und dem äußeren Geschehen der Kreuzigung bleibt aber schwammig. Zahlreiche theologische Entwürfe sahen in Gott, dem Vater, den alleinigen Autor des ganzen Golgotageschehens. In der neueren Theologie brachte Jürgen Moltmann diesen Glauben auf kaum mehr zu überspitzende Formeln, wenn er davon sprach, dass der Vater „die kreuzigende Liebe“, der Sohn aber „die gekreuzigte Liebe“ sei.3 Mit Entschiedenheit trat er dafür ein, dass der paulinische Begriff „paradidonai - überliefern“ („Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns. Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben/überliefert – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“: Röm 8,32) mit Bedeutungsnuancen der Aktivität in die theologische Systematik zu integrieren sei. Demnach hätte der Vater den Sohn „hingegeben“, aber auch „verraten“, „verstoßen“, gar „getötet“. Jesus sei an seinem Gott und Vater gestorben, denn das Bekenntnis „Gott ist Liebe“ meint auch diesen, sich schon in der Ewigkeit abspielenden Prozess der Selbstdifferenzierung mit all den schmerzhaften Implikationen (von denen ja jede Scheidung ein Lied zu singen weiß!). Auf die Kurzformel gebracht: „Ehe die Welt war, war das Opfer in Gott.“4 Also sind Liebe und Opfer identisch; die Ausrichtung des eigenen Begehrens auf die Opferrolle sei ein Weg, an dem man sich mit Sicherheit der göttlichen Liebe nähern kann. Man könnte fast sagen: Stark wie die Liebe ist der Tod.5 Mit Entsetzen reagierte Dorothee Sölle auf das Werk „Der gekreuzigte Gott“. „Ich bin es leid, mich ... belehren zu lassen, dass Jesus an Gott kaputtging, dass Gott, jedenfalls in einer Person, ein Henker ist. Ich verstehe die leidende Liebe, aber unter einer, die kreuzigt, kann ich mir nichts vorstellen (außer den sadomasochistischen Bedürfnissen, die in allen Menschen stecken, und die hier ein Projektionsschema gefunden haben).“6

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In den Kirchen hat jedenfalls der Aufstand gegen die Opfermentalität eine wahre „Revolution“ ausgelöst. Mit dem Protest gegen einen scheinbar sadistischen Gott, der von den Menschen ein Opfer will und auch seinen Sohn am Kreuz schlachten lässt - zum Beweis seiner Liebe sozusagen -, mit dem Prostest gegen einen Gott, dem Liebe und das Leid zu ein und demselben Geschehen zu verschmelzen drohen, kehrten unzählige Christen den Kirchen und auch Gott den Rücken; diejenigen, die geblieben sind, wandten sich einem „liebevollen“ und harmloseren Gott zu. Ordenshäuser und Priesterseminare, die traditionellen Burgen der Opfermentalität - Sie wissen es eh: „Priesterleben, Opferleben“ -, begannen sich zu leeren. Tausende und Abertausende „Viridianas“ weiblichen und männlichen Geschlechts sind zu neuen Ufern aufgebrochen und haben neue Rollen im Spiel des Begehrens übernommen. Als ich selber zu Beginn der 70er-Jahre in der Exegesevorlesung von P. Nikolaus Kehl die These von der bedingungslosen Liebe Gottes zum Sünder hörte,7 da atmete ich tief durch. Gott liebt mich so, wie ich bin, mit all den Ambivalenzen. Er erwartet von mir zuerst weder Verzicht noch Aufopferung und schon gar nicht eine asketische Vergewaltigung meiner selbst – eine Labung für den Postpubertierenden. „Gott, der Liebhaber des Lebens“ (vgl. Weish 11,26) wurde mir zum Inbegriff der plausiblen Gottesbilder und „ich glaube an Jesus, um seiner Lebenslust willen“, zum bevorzugten Glaubensbekenntnis. Den mittelalterlichen Autoren nicht ganz unähnlich, buchstabierte ich mir „Das hohe Lied der Liebe“ als einen Traktat der Gotteslehre und entdeckte auf eine neue Art und Weise Freude am Christ- und auch am Priestersein. Ganze Generationen von Priestern, Theologinnen und Theologen, die von dieser „Revolution“ geprägt waren, bemühten sich damals und bemühen sich auch weiterhin darum, die Kraft der Liebe „in seelsorgerlichem Handeln und in Seelsorgestrukturen“ zeigen zu lassen.8

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Die „Revolution“ bekam aber nach und nach einen schalen Beigeschmack, wurde doch in dieser Zeit Religion - die Bindung an Gott, eine Bindung, die bisher sehr viel mit Liebe, aber auch mit Opfer und Hingabe, mit caritas, aber auch mit victima und sacrificium zu tun hatte - immer mehr in den Bereich von „Hobbyverhalten“ eingeordnet; die Beziehung zu Gott wurde selbst von den Gläubigen zunehmend auf dieselbe Ebene verlagert wie der Glaube an die Bedeutung von „Fangobädern“ und Vitaminpräparaten: „Der eine schöpft seine Kraft aus dem Gottesdienst, der andere aus einem Wellnesswochenende. Wo liegt da schon der Unterschied? Wenn es einem hilft, im Alltag ausgeglichener zu bleiben, ist die Sache ja gut! - Opferhaltung, Verzicht und Hingabe im Namen Gottes: als Zeichen der Liebe? Um Gotteswillen, nein! Wir sind doch keine Fundamentalisten!“ Spätestens in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts wurde das Opfer in all seinen Bedeutungsnuancen zu einem regelrechten religiösen und auch kulturellen Tabu. Nicht aber die Liebe. Diese trat - gerade in ihrem sexuellen Gewand - aus dem Tabubereich heraus und wurde zum bevorzugten Konsumartikel der emanzipierten Menschen.

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1.3 Provokation

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Deswegen ist es auch heute noch eine Provokation, beide Begriffe, „Liebe“ und „Opfer“, in einem Atemzug zu nennen. Die deskriptiv gedachte Verbindung lenkt die Aufmerksamkeit bloß auf die Missbrauchsopfer im Kontext sexueller Übergriffe. Die Filme über die Klosterinternate und die sadistischen Schwestern und Patres, die Schlagzeilen zum Thema „pädophile Priester“ engen die Vorstellungskraft der Zeitgenossen ein und legen das eindeutige Urteil nahe: Hinter jeder Schwelle religiös motivierter Hingabe lauert perverse sexuelle Gewalt; jedes Spiel der Hingabe sei bloß Verstellung und Heuchelei. Es ist demnach allzu logisch wenn die Medien den Papst, der eine Enzyklika: „Deus caritas est“ geschrieben hat bei seinen Reisen zuerst mit dem Problem der pädophilen Priestern bombardieren. Eine kulturpolitisch gepflegte programmatische Absage an das religiös verstandene sacrificium sei ja der medial strukturierten Öffentlichkeit der beste Schutz vor Perversionen. Verlässt man den Boden der Beschreibung zugunsten normativer Begrifflichkeit, will man also Liebe auf die Opfer- und Hingabefähigkeit hinterfragen, wird die Provokation noch stärker. Schon ein Hauch von Normativität, der auf die gezielte Allianz beider Begriffe drängt, weckt im Durchschnittsbürger den Horror des Fundamentalismus und einer reaktionären politischen Kultur. In unserem Zusammenhang soll die Provokation noch gesteigert werden: durch die Verankerung beider Begriffe im Kontext der mimetischen Theorie von René Girard. Dieser franko-amerikanische Denker, dem inzwischen auch ein Sessel in der Académie Française zuteil wurde und der sich des Öfteren als „Apologet des Christentums“ bezeichnet, provoziert.9 Und er provoziert zuerst gerade durch seine Theorie über die Transformationskraft des Opfers. Nimmt man ihn beim Wort, so wird man sagen müssen: Auf diese oder jene Art und Weise holt uns die Logik des Opfers ein. Mögen wir also strampeln wie wir wollen - wie Viridiana dies auch getan hat -, wir versinken in der Opferlogik immer tiefer. Auch oder gerade in der Liebe! Und warum dies? Weil das Opfer etwa eine anthropologische Konstante sei? Weil: Menschenleben – Opferleben; Fressen und gefressen werden; Aufstieg und Fall! Weil sadomasochistische Bedürfnisse in uns allen stecken? Weil es im Leben nichts umsonst gibt? Wir wollen uns an eine Antwort herantasten, indem wir aus unserer postmodernen Zeit und ihrer Logik hinaustreten und einen Rekurs wagen auf die Religionsgeschichte der Menschheit.

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2. Der Rahmen einer Theorie

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Mit einer Klarheit sondergleichen positioniert sich Girard im Kontext gegenwärtiger religionswissenschaftlicher Forschung. Er beschränkt sich nicht auf Aussagen über religiöse Verhaltensweisen der Menschen und die Zeugnisse der Tradition, sondern wagt auch ein Urteil über die Wahrheit von Religionen. „Die Völker erfinden nicht ihre Götter, sondern sie divinisieren ihre Opfer.“10 Was trägt das Urteil an neuen Erkenntnissen zu unserem Thema „Opfer und Liebe“ bei? Welche Konsequenzen bringt diese These für den Befund, dass die Götter selbst von den Menschen immer Opfer verlangten? Die Antwort ist klar: Es waren eben zuerst die vergöttlichten Opfer, die immer wieder nach neuen Opfern verlangten. Menschen also, die selber viktimisiert wurden, wollten neue victimae. So ganz nach dem Motto: Stark wie die Liebe ist auch der Tod! Eine solche Verbindung kann eben nur eine Opfermentalität denken. Als Beweis der Liebe! Oder aufgrund einer Bindung, aus der sich die Gruppe nur schwer lösen konnte, wenn sie nicht im allgemeinen Chaos enden wollte. Vielleicht beides zugleich. Wie ist das aber zu verstehen?

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In einer Welt, in der bei den Primaten das instinktgebundene Verhalten immer mehr dem mimetisch strukturierten Begehren Platz machte, in der aber die gesellschaftlichen Institutionen noch nicht existierten, mussten die diffuse Rivalität und die Gewalttätigkeit aller gegen alle immer wieder neu in die Gewalt aller gegen ein zufälliges Opfer - gegen den Sündenbock - umschlagen. Schlugen sie nicht um, so zerstörte sich die Gruppe durch das entfesselte mimetische Begehren. Schlugen sie um, so befriedete sich die Gruppe: sie überlebte. Aber sie überlebte auf Kosten des im blinden Zorn ausgestoßenen und getöteten Opfers. Dieser Umschlag markierte den Betroffenen die Wende vom Chaos zur Ordnung, stellte - wenn Sie so wollen - den Punkt dar, an dem die allerersten Bindungen erst entstehen konnten: auch die Liebesbindungen. Die Wahrnehmung des Unterschiedes zwischen der Gruppe und dem Opfer: „wir hier, das Opfer dort“, generiert ja die Kategorien des Raumes und der Zugehörigkeit. Die Rückbesinnung auf die „vorher“ erlebte Krise und den nun greifbaren Frieden generiert die Kategorien der Zeit; die gemeinsame Geschichte, die Geschichte miteinander, wird möglich. Das Opfer selbst bleibt im Rückblick in der Wahrnehmung der Gruppe durch gewaltsame Projektionen zugedeckt. Es sei doch an allem schuld, sowohl an der Krise als auch an deren Lösung. Als potentielles Opfer stellt es den Inbegriff des mysterium tremendum dar, weil all die Aggressionen der gesamten Gruppe in ihm ihren Fokus gefunden haben; als ausgeschlossenes Opfer mutiert es zum mysterium fascinosum, weil sich die Gruppe nach dem tödlichen Schlag auf eine geradezu mirakulöse Art und Weise in Frieden und Eintracht wiederfindet: versammelt um die gehasste und geliebte victima! Dämonisiert und vergöttlicht zugleich bekommt das Opfer einen gesellschaftsstabilisierenden Wert im Spiel des menschlichen Begehrens. Es wacht - wenn Sie so wollen - über Sicherheit und Frieden. Immer dann, wenn diese bedroht sind, wenn die diffuse Aggressivität und Rivalitäten überhand nehmen, wenn Bindungen aneinander brüchig werden, zürnt - in der Wahrnehmung der Betroffenen natürlich - die Gewaltgottheit und verlangt nach Wiederholung des ursprünglichen Szenarios. Fragen wir uns, wann denn heute mediale Sündenbockjagden entfacht werden? Um das durch Chaos bedrohte Leben zu retten, erwartet sie sich mehr als das normale und alltägliche Leben, als die Erfüllung der ganz normalen Pflichten: sich selber gegenüber, den anderen Menschen gegenüber und auch der Gottheit gegenüber. Der bürgerliche Durchschnitt reicht hier nicht aus. In der Krise erwartet die Opfergottheit vermeintlich mehr als das Leben, sie will die radikale Infragestellung des Lebens, sie will den Sturz, sie will den Tod. Damit das Leben wieder möglich wird, ein geordnetes Leben, eines, das aus dem Tod geboren wird. Wie schon damals bei der ursprünglichen Krise. Ja…, starkt wie die Liebe scheint auch der Tod zu sein. In der Krise sogar stärker! Die rituelle Nachahmung jener ursprünglichen Viktimisierung ist der Applikation eines Pharmakons zu vergleichen: Eine kontrollierte Menge an ritualisiert entfesselter Gewalt sollte die allgegenwärtige Aggressivität überwinden, ein Gegengift gegen das allgegenwärtige alltägliche Gift.11 Fragen wir uns, wann denn unsere Theater mit Vorliebe Tragödien auf den Spielplan setzen und uns die Opfer „zum Verzehr“ anbieten zwecks Katharsis!

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Es braucht nicht allzu viel an Phantasie, um es verständlich zu finden, dass in diesem - von gewaltsamen Projektionen geladenem - Raum des Zusammenlebens die Bereitschaft zur Übernahme der Rolle des Pharmakons, des ritualisierten Opfers zum höchsten Wert avancierte, zum Inbegriff der Liebe der Gemeinschaft und damit auch der Gottheit gegenüber, die ja ihrerseits selbst nichts anderes als ein Opfer war. Je wertvoller ein Mensch für eine bestimmte Gesellschaft war, umso größer war die Wahrscheinlichkeit, dass er im Krisenfall rituell viktimisiert wurde. Deswegen opferten Könige und Priester - oft selbst potenzielle Opfer - ihre eigenen Kinder und diese übernahmen auch willig die Opferrolle. Aus Liebe zu ihren Vätern und aus Liebe zur Gemeinschaft. Opferung und Hingabe als zwei Seiten von ein und demselben Vorgang prägen das Leben archaischer Gemeinschaften, stellen so etwas wie einen geheimen Subtext dar, der alle Lebensvorgänge prägt. Von diesem „sakralen Schleier“ geprägt, entdecken die archaischen Kulturen denselben Mechanismus auch in der Natur; der Veränderungsprozess erscheint ihnen als ein einziger Opfermechanismus. Leben und Sterben werden damit nicht nur als zwei Seiten von ein und demselben Geschehen gesehen; aufgrund der „erkenntnistheoretischen Allmacht des Opfers“ wird das Sterben als Ursprung des Lebens wahrgenommen und der Tod als das letzte Geheimnis der Wirklichkeit.

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Wie sollen wir nun mit dieser Erkenntnis umgehen? Sollen wir uns nicht, wenn auch verspätet, der Strategie der Aufklärung - die ja von der Nichtexistenz der Götter überzeugt war - anschließen und - den Irrtum der Völker erkennend - diese Opferreligiosität als den Inbegriff der Barbarei anprangern und deren etwaige Rückkehr mit jenem Anathema belegen, mit dem unsere demokratische Kultur die braunen Ideologien ahndet? Läuft die Position Girards - trotz allen gegenteiligen Anscheins - nicht auf eine aufklärerische Negation des Opfers hinaus? Ja und Nein! Auf der einen Seite ist Girard dem aufklärerischen Denken vergleichbar, weil er die Projektionsmechanismen der archaischen Religion, damit auch die Täuschung der religiösen Menschen offenlegt und auch glaubwürdig erklärt. Er unterscheidet sich aber von der aufklärerischen Kultur in der Bewertung dieser Täuschung. Diese war - und ist - überlebensnotwendig. Die Entstehung des Religiösen ist für Girard identisch mit dem Gründungsvorgang einer archaischen Gesellschaft. Und die so verstandene Religion - die Bindung der Gesellschaftsmitglieder aneinander, die sich durch die Bindung aller an das gemeinsame Opfer ergab - kann unmöglich zu einem „Hobby“ degradiert werden, ohne dass die Gesellschaft sich selbst zerstört. Die Strategie der Identifizierung des Opfers mit der Liebe und der Liebe mit dem Tod schuf diesen Kulturen einen Raum der relativen Stabilität. Und dies nicht nur angesichts der ganz großen Krisen. Auch im Kontext der alltäglich vergifteten Atmosphären. Die Dämonisierung und Divinisierung der Opfer stellte ja nicht den Anfang des Problems dar, sondern bereits dessen Lösung. Wo ist aber das eigentliche Problem zu suchen?

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Im Spiel des menschlichen Begehrens und in der Begierdefalle! Was soll das nun bedeuten? Nähert man sich der mimetischen Theorie vom Hintergrund des traditionellen Menschenbildes her, in dem der Mensch als ein rationales Wesen erscheint, ein Wesen, dessen Leidenschaften nur einen Unfall darstellen, so wird man viele Folgerungen dieses Beitrags nicht nachvollziehen können. Eine Frage bleibt dann freilich offen: Vermag das traditionelle Menschenbild die Dynamik des modernen Lebens noch zu erklären? Muss es nicht gerade angesichts der beispiellosen Entfesselung des Begehrens und der Leidenschaften, und dies auf planetarischer Ebene, nicht kritisch auf seine Prämissen hinterfragt werden? Der franko-amerikanische Analytiker von archaischen Gesellschaften scheint bei der Reflexion über die „Figuren des Begehrens“ einiges von der Dynamik der postmodernen Kulturen begriffen zu haben, jener Kulturen, die sich zwar von Gott und auch vom Opfer auf eine programmatische Art und Weise verabschiedet haben, die sich aber in ihrer Rationalität allzu gerne von kollektiven Projektionen genauso verführen lassen wie die Primaten an den Uranfängen der Zivilisationen. Vielleicht waren die Erfinder der Metapher „global village“ näher beim Kern der Wahrheit als alle Fortschrittsoptimisten; vielleicht steht unsere medial strukturierte Kultur den archaischen Gesellschaften viel näher, als uns allen dies bewusst ist.

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Wie schon bei seiner Theorie des Opfers provoziert der durch eine Konversion zum überzeugten Katholiken gewordene Denker12 unsere Denkgewohnheiten auch durch seine Analyse der Begierdefalle. Von welchen Spielen des Begehrens ist also bei ihm die Rede? Was begehrten die Primaten damals und was begehren die aufgeklärten Bürger des 21. Jahrhunderts? „Money, sex and entertainment!“, wird die coole Generation heutiger Youngsters sagen. Warum sind aber dann diese Bürger, die genug Geld und auch genug fun und eine Menge Sex haben, unzufriedener denn je? Die Zeiten der Sexualrepression sind doch längst vorbei; dank Beate Uhse & Co, dank Pille, Viagra und dank Kondome befinden wir uns doch alle auf dem Zenit der sexuellen Freizügigkeit. Warum sind wir dann unzufrieden und frustriert? Warum sind die Terminkalender der Psychiater und Psychoanalytiker voll? Schlicht und einfach, weil in unserer Fantasie die anderen Menschen scheinbar mehr haben, mehr erleben und auch mehr wert sind. Unsere Seitenblickegesellschaft hat uns gnadenlos der Dynamik des Begehrens ausgeliefert und wir tappen alle nach und nach in diese Begierdefalle hinein. Die mimetische Theorie nimmt Abschied von Marx und von Freud und deren Vorstellung, dass das Begehren an Objekte gebunden bleibt: an ökonomische und sexuelle Objekte, dass es also irgendwann befriedigt werden kann. Freilich spielen Triebe und Instinkte auch beim Menschen eine rudimentäre Rolle. Sie werden aber mimetisch umgeformt. Das ist ja auch zuerst der Ausweis dessen was „Menschsein“ bedeutet. Diese Wahrheit hat sich die fast schon allmächtig gewordene Werbungsindustrie zu eigen gemacht. Problemlos beerbte sie die Pädagogik, die die Nachahmung als repressiv verabschiedete, sich dem emanzipatorischen Impuls verschrieb und so den Weg frei gemacht hat für die Geburt der scheinbar emanzipierten „Post-68er-Generationen“. Mit Fernsehen und der allgegenwärtigen Werbung groß geworden, entdeckten sie den Konsum und machten auch die Erfahrung, dass der Hunger immer größer wurde. Die mimetische Transformation des theoretischen Rahmens von Freud und Marx macht klar, dass eine Befriedigung des Begehrens, vor allem aber auch eine Auflösung der Konflikthaftigkeit unter den Menschen durch die „Befriedigung der Bedürfnisse“ nicht erreicht werden kann. Was die „Post-Beate-Uhse-Generation“ im Bereich der Sexualität langsam gelernt hat, das lernen wir alle nun im Kontext der Globalisierungsdebatte. Der homo oeconomicus ist letztendlich weder ein rational kalkulierendes Wesen noch ein Wesen, das bloß Hunger hat. Er ist zuerst und zutiefst ein nachahmendes Wesen, ein Wesen, das sich - wie etwa an der Börse - auch in ökonomischen Zusammenhängen „herdenmäßig“ verhält.

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Auf den ersten Blick muten die Grundthesen der mimetischen Theorie banal an. Menschen begehren das, was andere begehren, sie möchten das sein, was andere sind, sie möchten sich an die Stelle des anderen setzen, ihr Begehren wird konkret erst beim Vergleich mit dem begehrenden Modell. Solche einfachen Thesen weiten unseren Blick auf das Dilemma, dem die vielen „Viridianas“ von damals ausgesetzt waren und diejenigen von heute ausgesetzt bleiben – jene Viridianas, die mit aller Gewalt sich emanzipieren wollen, immer mehr aber in die Begierdefalle hineintappen. Sie machen zuerst verständlich, warum in einer Gesellschaft, in der die Haltung der Aufopferung einen unbefragten kulturpolitischen Wert darstellt, Opfer zum bevorzugten Modell des mimetischen Begehrens werden konnten. Auch der opferkritische Trend kann als Ergebnis mimetischer Trends erklärt werden. Schlussendlich aber wird es klar, warum trotz der Negation der Opfermentalität Viktimisierungen nicht weniger werden und uns die Logik des Opfers immer wieder neu einholt. Auch, oder gerade in der Liebe. „Die Verliebtheit und die Liebe mit dem Auge eines anderen“ gibt es nämlich nicht nur bei Shakespeare.13 Und auch nicht die daraus entstehende Rivalität. Immer dann, wenn der Liebhaber seinen Fuß auf den Balkon seiner Geliebten setzt, sind seine Gedanke bei seinem Rivalen. Bedenkt man aber, dass das Begehren unbegrenzt bleibt - es ist eine „profundior et universalior appetitio“ - und die Objekte des Begehrens fast immer begrenzt (die Toppositionen, die allen unseren Studierenden in den Werbeprospekten der Studien in Aussicht gestellt werden, sind halt nicht verfielfältigbar, von den Menschen, in die man sich verliebt, gerade deswegen auch verliebt, weil sie vom besten Freund geliebt werden, schon ganz zu schweigen), so wird man mit einer Milchmädchenrechnung konfrontiert: Rivalität, diffuse Aggressivität, Neid, Selbstzweifel und Depressionen sind die tagtäglichen Konsequenzen der Entfesselung des mimetischen Begehrens. Der Kollaps von Ordnungen stellt die extremste Folge des Phänomens dar. Um solch tödlichen Sackgassen ausweichen zu können, vermehrt die Postmoderne zwar die Zahl der Figuren des Begehrens. Und sie vermehrt die Zahl der Inszenierungen ein und desselben Spiels. Zu jeder Zeit, an jedem Ort kann eine Orgie steigern, die Begierde kann sich auf „Das große Fressen“14 und auf „Die große Stille“15 richten.

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Die postmoderne Differenzierung beseitigt aber die Grundschwierigkeit nicht. Im Gegenteil, der durch mimetische Theorie geschärfte Blick nimmt eher die Dramatisierung wahr. Die Entfesselung des mimetischen Begehrens - auch oder gerade auf planetarischer Ebene - geht Hand in Hand mit dem wachsenden Bedarf nach Sündenböcken, dem Bedarf nach victimae, auf die sich - fast schon ganz nach dem archaischen Muster - die diffuse Aggressivität mit einer Selbstverständlichkeit sondergleichen entladen kann. Und der beste – weil immer verfügbare - Sündenbock bin ich mir selber! Natürlich leben wir im Kontext moderner Rechtsstaatlichkeit, natürlich kann es keine mechanische Übersetzung der archaisch-sakralisierten Kultur in eine durch Gewaltmonopolisierung und Gewaltenteilung gekennzeichnete postmoderne Gegenwart geben, natürlich hat auch der Markt selber seinerseits Züge eines Gewaltmonopols sui generis übernommen. All diese Einschränkungen vermögen die Grundsatzschwierigkeit nicht aus der Welt zu schaffen. Der enorme kulturelle Verbrauch an Sündenböcken in unserer Gesellschaft, die fortschreitende Viktimisierung aufgrund einer Justizkultur, die den Opferungsprozess nicht mehr stoppt, sondern diesen mimetisch geradezu fördert (so ganz nach dem Motto: willst Du heute etwas erreichen, musst Du dich schon als Opfer inszenieren),16 schlussendlich die mediale Sakralisierung der Opferikonen („Natascha-Kampusch-Story“) weisen deutlich darauf hin, dass der prinzipielle Abschied von der Opfermentalität und von einem opferlüsternen Gott, der die Opfer forderte, gründlichst misslungen zu sein scheint. Stellen etwa Salzburger Festpiele 2008 mit ihrem Motto: „Stark wie die Liebe ist der Tod“ ein Zeichen der kulturpolitischen Wende dar? Mit Erstaunen nehmen jedenfalls die heutigen „Viridianas“ wahr, dass ihre Kinder zwar noch nicht in den Klöstern, aber immerhin im Cyberspace und in den Clubs und Kellern „Viktimisierungsspiele“ inszenieren, sich freiwillig in Opferrollen begeben, nach Gelegenheiten suchen, wo sie ihre Kraft scheinbar aus der Infragestellung des Lebens – ja aus dem Tod - schöpfen können. Ihre Suche nach entertainment macht aber vor allem nicht halt vor der Sündenbockjagd. Mit archaisch anmutender Wollust viktimisieren sie andere Menschen, oft ohne einen rational nachvollziehbaren Grund. Eine Kultur, die sich mit aller Gewalt von der Opfermentalität zu befreien suchte, findet sich heute auf vielfältige Art und Weise in den Fängen der Opferrationalität wieder. Damit schließt sich aber der Teufelskreis der Begierdefalle. Das entfesselte mimetische Begehren führt zu Viktimisierungen und verschleiert diese. Kann die „erkenntnistheoretische Allmacht des Opfers“ falsifiziert werden?

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3. Und der „göttliche Aufstand“?

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Die mimetische Theorie weist in diesem Zusammenhang auf die eigentliche Revolution in der Geschichte der Menschheit hin. Es ist dies der Einbruch der Offenbarung in die geschlossene Welt mythischer Sakralisierungen von Opfern. Dem religionskritischen Befund, dass die Völker ihre Götter zwar nicht erfinden, sie aber wohl ihre Opfer divinisieren, der daraus abgeleiteten anthropologischen Einsicht, dass Menschen, die selber viktimisiert wurden, neue victimae wollen und diesen Zusammenhang auch unwillkürlich verschleiern, stehen alttestamentliche Revolutionen gegenüber, Revolutionen, die wir heute zu wenig zu schätzen wissen. „Die hebräische Bibel verweigert jede Dämonisierung-Divinisierung der Opfer der blutrünstigen Menge.“17 Damit macht sie das menschliche Opfer kultur- und religionspolitisch erst sichtbar. Der sich offenbarende Gott ist also nicht mit einem vergöttlichten Menschen identisch. Und er verabscheut nichts so sehr wie die kultischen Opfer. Diese stellen ihm gar den absoluten Gräuel, die Verwirrung der „heidnischen“ Völker und eine falsche Antwort auf das Spiel des menschlichen Begehrens dar. Das Rezept: Entfesselung des mimetischen Begehrens auf Teufel komm raus und die Begleichung der Rechnung auf Kosten der victimae führt in eine Sackgasse. Dieser göttliche Aufstand gegen die sakrifizielle - auf Opfer aufbauende - Kultur setzt an der anthropologischen Ebene an: bei der Bindung des menschlichen Begehrens. „Höre, Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft.“ (Dtn 6,4f.) Diese Bindung stellt nicht den Inbegriff der Intoleranz, wie dies uns Jan Assman einzureden versucht18, sie stellt den Beginn der humanisierung des Religiösen dar. Sie bleibt nicht abstrakt; sie soll sich zuerst in der Kultivierung des Begehrens zeigen. Gerade das mimetische Begehren soll kultiviert und nicht erst entfesselt und dann auf Kosten der anderen befriedet werden. „Du sollst nicht begehren deines Nächsten...“, lautet ein zentraler ethischer Imperativ, der geradezu als Zusammenfassung des ganzen Dekalogs gesehen werden kann.19 Die Botschaft der Propheten - dieser wichtigsten Kritiker einer Opferkultur in der Menschheitsgeschichte - bleibt in diesem Kontext angesiedelt.

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Im Unterschied zur Logik der Postmoderne setzten sie aber an die Stelle der kultischen Überlistung der diffusen Aggressivität nicht den Konsum und auch nicht den Selbstverwirklichungstraum, sondern den ethischen Ernst. Der wahre Gott will das Opfer nicht, aber er will Gerechtigkeit und Barmherzigkeit im Umgang der Menschen miteinander - und dies sogar weltweit! Anstatt der kultischen Katharsis sollten also Ethik und die persönliche Gotteserfahrung vorrangig sein. Doch trotz des prophetischen Engagements findet keine qualitative Veränderung im Verhalten der Menschen statt. Mehr noch, Propheten selbst wurden in die Rolle der Sündenböcke gedrängt. Sie wurden auch im Namen Gottes verfolgt und fielen ihren Zeitgenossen zum Opfer. Allen voran jenes namenlose Opfer, dem man nachträglich den Titel „Gottesknecht“ gegeben hat. Es ist eine Gestalt, die geradezu den Inbegriff der victima darstellt und die Merkmale des Opfers in sich vereint, ein Außenseiter par excellence: missgebildet und auch psychisch krank, von Menschen verachtet und bis in den Tod verfolgt. Und dies im Namen Gottes, der scheinbar diese Opferung auch wollte. Deswegen wurde er nach dem gewaltsamen Tod verscharrt, bei den Ruchlosen und Verbrechern. Von außen betrachtet ein perfekter Sündenbock also; einer, der in seiner Rolle von den Verfolgern in dieser Rolle im Spiel ihres Begehrens auch nicht wahrgenommen wird. Das entfesselte Begehren hat ja keine Sündenböcke. Nur diesen legitimen Gegner da, jenen, der selber an seiner Viktimisierung Schuld trägt. Das Szenario, bei dem die Gewalt auf die vertraut archaische Art und Weise überlistet werden sollte, war also da. Doch der Prozess misslang: „Wir glaubten, Gott hätte ihn geschlagen. Wir glaubten, der Tod des Knechtes sei mit dem Willen Gottes konform. Doch nicht Gott war es. Unsere Schuld lag auf ihm. Wir waren es. Wir haben uns verirrt in unserer Verfolgung. Gott rettete ihn aber, den, der sein Leben als ‚Sühne´ hingab. Jener Gott, der diesen Menschen schon seit eh und je berufen und begnadet hat.“ (Vgl. Jes 52,13-53,12)

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In den Gottesknechtsliedern fokussiert sich die für unsere Thematisierung der Zusammenhänge von „Liebe und Opfer“ zentrale Gotteserfahrung. Die Beseitigung des Sündenbocks, die Viktimisierung eines Menschen im Namen Gottes führt nicht zum Zusammenschluss der Gemeinschaft kraft der traditionell begriffenen „Transformationskraft des Opfers“. Nicht die Verschleierung der Verantwortung und die Ableitung der Aggression auf einen Dritten stellen den Inbegriff der Rationalität dieser Texte dar. Die Täter fanden zwar zusammen, die diffuse Gewalt wurde auch überlistet, aber auf einem völlig anderen Weg, als dies bei den archaischen Opferungen der Fall war. Die erkenntnistheoretische Allmacht der viktimisierten Menschen, die ihrerseits immer nur neue victimae fordern, ist gebrochen. Die Täter haben hier die Unschuld des Geopferten erkannt, damit auch ihre eigene Schuld an der Viktimisierung. Vor allem aber haben sie seine Identität jenseits seines Opferdaseins und auch seine aktive Haltung im Sterben wahrgenommen. Er ließ sich nicht nur töten. Er gab sein Leben hin. An wen? Und für wen? An einen Gott, der identisch sein könnte mit dem Inbegriff der Projektionen, an das mysterium tremendum et fascinosum? An jene ihn verfolgende Gemeinschaft, eine Gemeinschaft, die im Kontext der Viktimisierungsvorgänge doch fundamental verwirrt wird? Entscheidend für unsere Lektüre der Gottesknechtslieder ist die Wahrnehmung der Differenzen im Prozess selbst. Der Gott, dem sich der Knecht in seinem Sterben hingab, ist wohl derselbe Gott, der diesem Knecht schon immer sein Ohr jeden Morgen geweckt hat (vgl. Jes 50,4), nicht aber jene sakrale Größe, die im Kontext der Zusammenrottung als Bindeglied zwischen Opfer und Täter entsteht. Dass diese Größe von den Verfolgern deutlich wahrgenommen wurde, dafür bürgt das klare Schuldbekenntnis: „Wir glaubten, Gott habe ihn verfolgt. Doch wir haben geirrt.“ (Vgl. Jes 53m,4-6.) Rückblickend erkennen die Täter, dass es im ganzen Prozess wohl ein Bindeglied gab, doch war dieses nicht die Frucht der Gewalterfahrung, der Viktimisierung und der Projektionen. Nicht die Frucht des Todes, so ganz nach dem Motto: Stark wie die Liebe ist der Tod! Vielmehr dürfte das Bindeglied aus der aktiven Haltung der Hingabe, aus dem sacrificium des Knechtes gekommen sein, aus einer Hingabe, die alles andere war als bloß die Kehrseite der Viktimisierung, der Opferung durch die Täter. Das Geschick des Gottesknechtes lüftet also den sakralen Schleier. Leben und Sterben stellen nicht zwei Seiten von ein und demselben Geschehen dar, Liebe und Tod sind nicht janusköpfige Gesichter des ein und desselben Mysteriums. Für das Leben bürgt jener Gott, der den Knecht „schon im Mutterleib berufen hat“ (vgl. Jes 491), und auch der Knecht selber, der im Leben und Sterben sich diesem seinem Gott hingibt – sein sacrificium also. Dieser Gott bildet den Inbegriff eines mysterium fascinosum. Dessen Liebe hat auch die Kraft, die größten mysteria tremenda zu wandeln. Aber nicht über die Köpfe der Menschen hinweg.20

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4. Transformierende Kraft des sacrificiums

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„Wer sagt, er opfere sich für andere, der lügt. Der eine spielt gerne Karten, der nächste liebt Frauen, ein anderer geht ständig zum Pferderennen. Ich mag Kinder. Für mich bedeuten sie kein Opfer. Ich tue es nicht für sie, sondern für mich. Ich brauche das. Dem Gerede von Aufopferung sollte man keinen Glauben schenken. Das ist nichts als Lüge und Heuchelei.“21 Doktor Korczak ist Kinderarzt und Pädagoge. Mit dieser klaren Absage an die Opfermentalität scheint er zuerst dem ideologischen Garten der Postmoderne entsprungen zu sein. Wenn man für einen Augenblick vergisst, was man sonst über diesen Mann weiß, und nur die vorliegende Aussage analysiert, so wird man wohl dem Urteil zustimmen, seine Aussage könnte aus einer der vielen medialen Talkshows der Gegenwart stammen. Insofern scheint sie sich problemlos in die uns allen doch bestens vertrauten Rationalitätsschemata der Gegenwart zu fügen: Das Leben sei im Grunde ein Spiel, ein Spiel, das uns allen unterschiedliche Rollen anbietet. Man soll sie nach dem Prinzip der Liebe zum Leben auswählen, „rational choice“ ist angesagt, Opfer also meiden. Ganz nach dem Motto: Nimm deine Zukunft in die Hände, so wie du deine Hobbys in den Händen hast, und deine Liebesaffären. Take it easy! Pass also auf, dass du dem Menschen, der dich liebt, nicht zum Opfer fällst (unsere Scheidungsrate weiß ja davon schon ein Lied zu singen) und dass du die Menschen, die du gerne hast, selber nicht viktimisierst (lass dich also rechtzeitig scheiden!). Jedem also das Seine, man soll ja das tun, was man mag. Um Opferschicksale und auch Opfermentalität zu vermeiden, soll man sich nicht allzu nahe auf die Pelle rücken. Und die Durststrecken im Leben und die Ausdauerkraft? Natürlich Training, Coaching, v.a. aber der Erfolg, der Ruhm und die Überzeugung, in eine sinnvolle Sache Zeit und Leben zu investieren, sorgen schon für die nötige Motivationskraft. Spuren solcher Mentalität wird der Zeitgenosse auch in der Umgebung von Doktor Korczak finden: „- Du, wer ist der Doktor eigentlich? ... - Du weißt nicht, wer er ist, den kennt doch jeder. Er ist der berühmteste Pole auf der Welt. - Aber er ist doch ein Jude? - Er ist auch der berühmteste Jude“. Korczak scheint ein Idol zu sein, ein Mensch, der geschätzt und bewundert wird und von der Masse der Radiozuhörer auch geliebt. Er hat ja Freunde und Anhänger.

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4.1 Opfer eines widergöttlichen Regimes, der Gewalt und des Hasses

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Der Film des polnischen Meisterregisseurs Andrzej Wajda zerstört gleich zu Beginn solch postmoderne Illusionen von jenem Spiel des Lebens, in dem die Lebensrollen wie Hobbys gewählt und abgewählt werden können. Kaum ist die Handlung ins Rollen gekommen, werden die Juden im Ghetto zusammengepfercht. Mit roher Gewalt wird ihnen eine Rolle aufgedrängt, allerdings eine, die sich nicht in der postmodernen Beliebigkeit zu anderen Rollen addieren lässt. Es ist die Rolle, die dem ganzen Leben eine neue Richtung vorgibt, und zwar die des unausweichlichen nahenden Todes. Den scheinbar allmächtigen Tätern sind die Juden victimae und sonst gar nichts. Als ob sie an ihnen ihr Glaubensbekenntnis verifizieren wollten: Stark wie die Liebe, ach wo denn, stärker als die Liebe ist die Gewalt und natürlich auch der Tod.

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Was hat diese Viktimisierung, eine Viktimisierung, die den Zusammenbruch der bürgerlichen Welt verdichtet, für unsere Frage nach Liebe und Opfer zu bedeuten? Die durch mediale Sakralisierung von Opfern erzogene Generation von politisch korrekten Zeitgenossen, Menschen, die sich zwar wie Viridiana von der Opfermentalität programmatisch verabschiedet haben, und dies, weil sie so modern sind und nur noch nach Liebe und Selbstverwirklichung trachten, die aber dennoch durch und durch den Fängen des Opfers verhaftet bleiben, werden dazu neigen, den Geist der Solidarität mit dieser Schicksalsgemeinschaft zu assoziieren. Die Opfer also, nur weil sie Opfer sind, zu verklären. So wie Viridiana! Auch sie erlag dem Trugschluss, die Gemeinschaft der Bettler sei so etwas wie „ein Herz und eine Seele“, und dies bloß deshalb, weil diese victimae der Gesellschaft sind. Gibt es eine Solidaritätsgemeinschaft der Opfer? Hingabe aneinander, ein sacrificium der victimae? Diese Frage stellt sich zuerst im Allgemeinen, dann aber auch in diesem besonderen Fall. Wajdas Film zeigt das Ghetto als den Ort der Verschärfung menschlicher Ambivalenzen, gar menschlicher Schuld und Sünde. Die Figuren des Begehrens werden durch die Ghettomauer nicht transformiert. Was bewirkt also die Viktimisierung? Welche Spiele des Begehrens und welche Begierdefallen werden da sichtbar?

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Da verflucht beispielsweise ein reicher Mann seinen Reichtum, und dies nur deswegen, weil er von all den entfernten armen Verwandten belagert wird. Seine Lieben rücken ihm allzu nahe auf die Pelle, klagen die familiäre Solidarität ein und wollen durchgefüttert werden. Die gewieften Schmuggler und Hehler wissen gerade im Ghetto ihren Reichtum zu vermehren: „Wissen Sie, wie viel Geld es im Ghetto gibt?“, fragt einer der Schmuggler den verdutzten Arzt und Pädagogen. Die Hehler schrecken nicht davor zurück, ihre Schicksalsgenossen nach Strich und Faden auszunehmen. Sehen sie das tremendum des Alltags nicht, die Viktimisierung durch die Nazischergen? Natürlich sehen sie es und wissen es zu rationalisieren: „Der Pöbel ist´s, der sterben muss.“ Die Funktionsträger der Administration leiden unter der Mittäterrolle, in die sie unfreiwillig aufgrund ihres Amtes und der Neudefinition ihres Lebens durch die Nazischergen geraten sind. Sie glauben zwar, durch ihre Entscheidungen das Schlimmste zu verhindern, müssen aber bald erkennen, dass sie mit jeder Entscheidung, die sie treffen, immer tiefer in den Abgrund der Opferlogik stürzen und letztendlich den Selbstmord als den einzig denkbaren Ausweg aus der Sackgasse wählen werden. Einige glauben sich mit Gewalt über die Ausweglosigkeit hinwegschwindeln zu können. Unzählige aber führen - wenn auch unter verschärften Bedingungen - ein scheinbar normales Leben, sie kämpfen den täglichen Überlebenskampf samt dem „normalen Chaos der Liebe“.

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4.2 Liebe bis in den Tod hinein

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Auch Korczak liebt. Er liebt Kinder, und er liebt sie bedingungslos. Das hat er schon vor der Ghettoisierung gemacht. Die Viktimisierung durch die Nazis vermag zuerst an dieser Grundentscheidung nichts zu ändern. So setzt er tagtäglich seine ganze Energie daran, das Überleben der Kinder abzusichern, sie vor dem Hungertod zu retten und vor der Gewalt der Nazischergen. Mit seinen Mitarbeitern und auch mit Hilfe der Kinder organisiert er einen fast normalen Alltag für andere. Die Normalität seines Alltags scheint gerade darin zu bestehen, dass er für andere da ist, als der Inbegriff dessen, was Theologen Proexistenz nennen. Für andere da sein. Er zahlt den Preis dafür, dass die zweihundert Kinder ihre Kinderrolle, nicht aber die aufgedrängte Rolle der Opfer leben können. Wie oft gerät er dabei an die Grenzen? „Wir waren schon so oft verzweifelt“, klagt er gegenüber seiner engsten Mitarbeiterin und Freundin Stefa. In einer solchen Situation betet er: „O Gott, was habe ich Dir angetan, dass Du mich gerade vergisst, da ich meine Füße im Dorngestrüppe fand und meine Hände und Herz bluten. Ich rufe: ‚Menschen´. Doch niemand antwortet. Ich rufe... ‚Mama´ ... und nichts. Und in der letzten der Anrufungen schreie ich: ‚Mein Gott´. Und auch nichts. Ich bin allein!“22 Oder doch nicht? Die Freunde außerhalb und innerhalb des Ghettos haben den genialen Pädagogen nicht vergessen. Sie besorgen ihm falsche Papiere und organisieren die Flucht. Doch er lehnt es ab, seine Kinder zu verlassen. Konfrontiert mit dem Befehl zur Deportation, stellt er sich schützend vor seine Kinder, geht mit ihnen, ja ihnen voraus in den sicheren Tod in Treblinka. Der Mann, der Kinder liebte, der „das Gerede von Aufopferung als Lüge und Heuchelei“ bezeichnete, der von sich selber einmal sagte, er werde nach dem Krieg Waisenhäuser für deutsche Kinder führen, opferte doch sein Leben aus Solidarität mit den wehrlosesten victimae eines widergöttlichen Regimes. Zwischen den vielfältigen Akten der Viktimisierung durch die Nazis und dem Tod in Treblinka steht seine Freiheitsentscheidung, nicht nur nicht zu fliehen, sondern den Gewalttod auf sich zu nehmen und das Schicksal seiner von ihm geliebten Kinder zu teilen. Die freie Entscheidung, den Gewalttod auf sich zu nehmen, stellt den Inbegriff dessen, was man mit „sacrificium“ beschreiben kann, dar. An wen gibt sich aber der Doktor hin? Und warum? Warum nimmt seine Liebe zu Kindern eine solch leidvolle Gestalt an? Diese Hingabe selbst kann weder evolutionsbiologisch erklärt noch kulturpolitisch instrumentalisiert werden. In den Zwängen solcher Rationalitäten wäre wohl die Flucht angesagt. Stellt seine Hingabe vielleicht nur die banale Folge seiner Bindung dar? Irgendwann war es zu spät, er konnte nicht mehr aussteigen, sein Hobby ist ihm zum Verhängnis geworden. Oder noch schärfer: Ist das sacrificium Ausdruck masochistischer Verwirrung - das Opfer der Nazis macht sich selbst zum Opfer? So paradox es klingen mag, die Logik, von der die Selbstmordattentäter in ihrer Hingabe verblendet werden, ist rational nachvollziehbarer als die Entscheidung dieses Pädagogen. Dies umso mehr, als er selber seine Kinder nie gelehrt hat, die Deutschen zu hassen. War er also ein Verrückter oder ein Held?

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Jedem, der das Neue Testament auch nur flüchtig kennt, wird der johanneische Satz in den Sinn kommen: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ (Joh 15,13) Damit diese selber nicht sterben müssen oder vor einem noch größeren Übel bewahrt bleiben, wird der Zeitgenosse - und nicht nur dieser - den biblischen Satz ergänzen. Aus dieser Logik schöpften auch der Film „La vita è bella“23 und die Figur des Guido - jenes Vaters, der seinen Sohn im KZ rettet - ihre Überzeugungskraft. Dem Kinderarzt aus dem Warschauer Ghetto nicht ganz unähnlich, schützt dort der Vater seinen Sohn vor der Eindeutigkeit der Opferrolle, lässt ihn „in einem anderen Spiel“ spielen, weil er das Viktimisierungsspiel der Nazis neu definiert und selber auch den Preis für diese Transformation zahlt. Und er rettet damit das Leben seines Sohnes. Korczak konnte aber seine Kinder nicht retten. Das wusste er ganz genau, gerade in dem Augenblick, in dem er seine Freiheitsentscheidung traf. Trotzdem setzte er alles dran, die - den Kindern von den Nazischergen aufgedrängte - Opferrolle zu verwandeln und die „Spielregeln“ selber - aus der Motivationskraft seiner Liebe zu Kindern - zu bestimmen. Mit seinem Tun kommt er in Wajdas Film dem unausweichlichen Geschick und den Tätern zuvor, selbst den Deportationsmarsch zum Umschlagplatz definiert er zu einem „Ausflug“ um und gestaltet diesen auch dementsprechend. Mit solchen Bildern provoziert Wajda den heutigen Zuschauer, weil er in dieser extremen Situation das fundamentale Bekenntnis zu Bildern gerinnen lässt: Die Liebe hat die Kraft, die Wirklichkeit neu zu schaffen! Sie ist eindeutig stärker als der Tod.

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4.3 Gottesknecht des zwanzigsten Jahrhunderts

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Die Figur des Doktor Korczak im Film erinnert an die Figur des Gottesknechtes, der scheinbar auch einen sinnlosen Tod stirbt. Ja, sie ist zutiefst dem Grundnerv der hebräischen Bibel nachempfunden, weil sie sich, ähnlich wie das biblische Volk Israels, nicht durch die erkenntnistheoretische Allmacht der Opfer lähmen lässt. Ganz im Gegenteil, sie interpretiert die Wirklichkeit um aus einer Kraft, die nicht von der aufgedrängten Opferhaltung her kommt, aus einer Kraft, die von außen her in das geschlossene Ghetto, aber auch in die „gepanzerten“ Wände einer biologischen Existenz hineindrängt. Eben, aus der Kraft der Transzendenz. Die Macht des Todes über die menschliche Vorstellungskraft erklärt die mimetische Theorie durch den Hinweis auf die Divinisierung der Opfer. Menschen, die selbst viktimisiert wurden - im Kontext der Krise geopfert wurden -, verlangen nach neuen victimae; diese Opfermentalität, die sich das Leben nur in Form des Sterbens vorstellen kann, schafft den Eindruck, das Leben sei eine Frucht des Todes. Es ist die Logik des „Heidentums“: Das mysterium tremendum ist gleichzeitig auch das mysterium fascinosum; Tod und Leben sind spiegelbildlich gleich. Die Offenbarung des wahren Gottes besteht aber in der Inversion dieser Logik. Nicht Gott ist es, der die Opferung verlangt. Die Figuren des Begehrens treiben uns an; die Sündenbockjagd, die Viktimisierung und Selbstviktimisierung sind bloß Folgen des entfesselten mimetischen Begehrens. Der religionsgeschichtliche Segen über solche Prozesse wird durch den Gott der Offenbarung problematisiert: Was landauf, landab die Regel war, stellt für dieses Volk einen Gräuel dar. Und warum? Durch seine Bindung an einzelne Menschen („Du hast mich betört und ich ließ mich verführen“, vgl. Jer 20,7), an ein Volk („Als Israel jung war, gewann ich ihn lieb“, vgl. Hos 11,1) schenkt der transzendente Gott der menschlichen profundior et universalior appetitio ein Ziel. Und erst aufgrund dieser Erwählung, also aufgrund einer Liebesgeschichte, wird Israel zu einem Volk; ja, es wird zum Subjekt. Und man darf nicht vergessen, dass subjectum etwas mit Unterwerfung zu tun hat, hier mit der Unterwerfung unter den Willen Gottes. Israel wird also zu etwas Besonderem. Aus der Kraft dieser Bindung, aus der Kraft dieser Liebe kann das kleine Volk nicht nur Geschichte umdeuten, es hebt in seiner Vorstellungskraft die meisten der banal geltenden Gesetzmäßigkeiten auf. Es betrachtet das Leben mit den Augen dessen, der dieses Volk erwählt hat. Ganz gleich, wo es leben muss und wie: im bürgerlichen Reichtum und in Freiheit oder im Elend und im KZ.

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Warum dieser Exkurs? Es war Friedrich Nietzsche, der nicht nur am Alten Testament das Ressentiment einer Sklavenreligion auszusetzen hatte, sondern auch die In-Frage-Stellung der sakrifiziellen Logik beklagte. Der biblische Gott wolle die Opferung der Menschen nicht, aber die Gattung besteht doch nur durch das Opfer - so Friedrich Nietzsche24. Die nationalsozialistische Ideologie und auch Hitler selbst müssen im Kontext mimetischer Rivalität mit dem Gott der Offenbarung gesehen werden. Die Beseitigung des Gottesknechtes Israel sollte die neue heidnische Gemeinschaft besiegeln und den Impuls der Offenbarung des einen, wahren Gottes im Blut ersticken. Dem Gott, der kein Opfer will, sollte der Mund gestopft werden, gerade mit jenen Opfern, die für die Glaubwürdigkeit seiner Offenbarung, dass ein Leben ohne Opfer möglich ist, Zeugnis ablegten, jenen Opfern, die er durch seine Beziehung zu ihnen zu mehr als zu bloßen Opfern gemacht hat. Die Auslöschung des jüdischen Volkes sollte der sakrifiziellen Logik zum Endsieg verhelfen. Das ausgelöschte Volk, die stummen Opfer sollten in alle Zukunft hin die biblische Revolution als Irrtum entlarven.

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Fragt man in diesem Zusammenhang nach der Bedeutung des sacrificium von Menschen wie Korczak, so wird man folgern müssen, dass gerade sie durch ihre Bindung an Gott und die freie Entscheidung, aus Liebe zu anderen in den Tod zu gehen, das nationalsozialistische Vorhaben aus den Angeln gehoben haben. Weil sie dokumentierten, dass sie im Grund niemals die Viktimisierung akzeptierten, dass sie ihre ihnen von Gott geschenkte Identität bis zum letzten Augenblick bewahrt haben. Korczak weigert sich im Film, die Armbinde zu tragen, wird deswegen auch immer wieder geschlagen. „Warum trägst du die Armbinde nicht, es ist ein Gesetz“, brüllt ihn ein SS-Mann an. „Es gibt menschliche und göttliche Gesetze“, gibt Korczak zur Antwort. Weil er sich dem göttlichen Gesetz verpflichtet weiß, weil er sich - trotz aller psychologischen Schwierigkeiten - von seinem Gott getragen weiß, kann er die Liebe zu Kindern auch im Gang nach Treblinka leben. Damit wandelt er sein eigenes Geschick und das seiner Kinder. Sie sind nicht bloß victimae der Nazis, sie sind Personen, die einander lieben und sich aneinander und an Gott hingeben. Freilich wird unsere von Opfern und Gewalt faszinierte Kultur den Einwand nicht unterdrücken können, dass diejenigen, die ihren Widerstand mit Gewalt ausführten, der Ideologie ein Ende bereitet haben. Deswegen schätzt sie auch den Aufstand im Warschauer Ghetto, den Doktor Korczak drängt sie an den Rand. Auf dem Hintergrund der mimetischen Theorie darf die Schwierigkeit nicht tabuisiert werden, dass die Gewalt des Opfers immer auch im Kreislauf mimetischer Rivalität mit dem Täter steht, damit auch den Täter in seiner Rationalität bestätigt. Diesen Teufelskreis und auch die Sprengung desselben wollen wir nun am Beispiel des Geschehens der Kreuzigung Jesu analysieren.

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4.4 Sacrificium versus victima im Geschick Jesu

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Wie ist der Zusammenhang zwischen Viktimisierung und Hingabe, zwischen victima und sacrificium im Tod Jesu zu bestimmen? Auf welche Art und Weise kommen dort Liebe und Opfer zusammen? Der wahre Gott der Offenbarung, Gott, der die Liebe ist, will ja das Opfer nicht. Er will Gerechtigkeit und Barmherzigkeit im Umgang der Menschen untereinander. Er liebt, aber er liebt die Menschen nicht nach dem romantischen Muster: „Wem nie geschah von Liebe Leid, dem geschah auch Lieb von Liebe nie.“ „Wenn du mich liebst, dann stirb für mich!“ Nein, Gott will nicht, dass Menschen für ihn sterben, er lässt sich nicht dekonstruieren als divinisierte victima, die ihrerseits neue victimae fordert. Seine Göttlichkeit nährt sich nicht aus dem Tod, genauso wie die Göttlichkeit Jesu nicht. Dieser ist nicht deswegen Sohn Gottes, weil er am Kreuz gestorben ist. Auch ist er nicht ein divinisierter Sündenbock. Obwohl, von außen her betrachtet gleicht seine Kreuzigung jedem Sündenbockphänomen. Es war Kajephas, der diese mythische Logik auf den Begriff brachte. Es ist besser, dass ein Mensch stirbt, als dass alle sterben (vgl. Joh 18,14). Die Kreuziger und die Gaffer mögen das Spiel der Gewalt im Tod Jesu analog zu den archaischen Szenarien der Viktimisierung im Namen Gottes gesehen und auch an all den Projektionsmechanismen Anteil gehabt haben.

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Jesus selber spielte aber in einem anderen Spiel25. Er definierte die Regeln neu und eine Minderheit von Jüngerinnen und Jüngern vermochte das auch zu erkennen. Die Menschen machen Jesus zum Opfer, er selbst entzieht sich aber den Tätern, schlägt nicht zurück, bleibt aber auch nicht nur ein gehandeltes Opfer - ein Ding, über das die Täter nach Belieben verfügen. Nein, er entzieht sich den Tätern, verlässt das Spiel der Gewalt und gibt sich an seinen Vater hin. So mögen die Täter über seinen Körper verfügen, den innersten Kern seiner Person erreichen sie dadurch nicht und verfehlen damit auch ihr Ziel, den Gekreuzigten auf eine victima - auch auf eine victima nach dem Willen Gottes - zu reduzieren, seine Identität auf das Opfersein zu begrenzen, das Opfer also zu einer Projektionswand für ihre geballten Aggressionen zu transformieren. Dieses Opfer ist sperrig - weil es über eine Identität verfügt, die nicht das Ergebnis des mimetischen Begehrens ist. Es ist die Identität des Sohnes, die Steigerung der Beziehung, die dem Gottesknecht zuteil wurde.

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Ist das alles nicht aber eine Haarspalterei, die uns nicht weiterführt? Jean Amery hat in seiner Erinnerung aus Auschwitz „Jenseits von Schuld und Sühne“26 über die extremen Foltererfahrungen geschrieben, über die Vermischung der Rollen zwischen Tätern und Opfern und er hielt fest, dass gerade fromme Juden und Christen oft eine erstaunliche Resistenz im Folterprozess zeigten, weil sie sich den Folterern durch ihren Glauben entziehen konnten. In den stundenlangen makabren „Spielen“ kam es immer wieder zur Symbiose zwischen Täter und Opfer, weil der Täter nicht nur verletzten will, nicht nur über den Körper die Macht gewinnen will, er will das Opfer qua Opfer im mimetischen Spiel dominieren, dieses in seiner Identität voll bestimmen. „Du bist nichts anderes als das, was ich aus dir mache - bist bloß ein Stück Dreck.“ Richtet das Opfer sein Begehren direkt auf den Willen des Henkers, gibt es seine Identität preis, gibt sich das Opfer dem Henker hin (lässt es sich viktimisieren, nicht nur physisch, sondern psychisch), so hat der Henker sein Ziel erreicht. Der Henker und das Opfer treten in ein vielfältiges Feld mimetisch strukturierter Beziehungen, sadomasochistische Konstellationen und Rollentausch sind dann die Folgen. Der direkte Hass des Opfers auf den Täter schafft nur oberflächliche Distanz - in der Phantasie des Opfers beseitigt der Hass den Täter; dessen Stelle bleibt aber nicht leer. Das Opfer selbst steht in Gefahr, an die Stelle des Henkers zu treten und ist auf dem besten Weg, sich selbst zu viktimisieren - zu opfern. Der Hass scheint in Liebe umzuschlagen, in jene Liebe, die vom Liebenden, auch von sich selbst, problemlos das Leiden, ja den Tod als Beweis der Liebe fordert.

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Die Selbstopferung stellt als Inbegriff des Missbrauchs nichts anderes dar als die mimetisch bedingte Ersetzung des Opferers durch das Opfer selbst. Das mimetisch strukturierte Begehren verführt ja ständig dazu, auch die Liebe und natürlich auch den Hass als Beseitigung des anderen zu begreifen - man will einander in Liebe auffressen, damit auch einander viktimisieren, oder in Hass einander treffen und töten, damit derselbe an die Stelle des anderen tritt.

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Gemäß dem christlichen Bekenntnis ist Jesus von solchen mimetischen Verführungen frei. Er kann sich dem Viktimisieren entziehen, ist also nur oberflächlich betrachtet eine victima, weil er sich an seinen Vater hingibt. Er befreit sich aus der Position der victima durch Hingabe an den anderen. Er stirbt in der aktiven Haltung der Hingabe an den lebendigen Gott, einen Gott, der nicht identisch ist mit den Göttern der Gewalt, er stirbt in der aktiven Haltung, die ihrerseits nur eine Antwort ist auf die Haltung des Vaters zum Sohn (dieser wird vom Vater seit eh und je geliebt). Aus der Kraft der liebenden Hingabe des Vaters an den Sohn und der liebenden Hingabe des Sohnes an den Vater - und nicht aus der Kraft mimetischer Rivalität zwischen Tätern und Opfern - kann sich das Opfer Jesus nun auch mit anderen Opfern identifizieren. Er ist nicht der hilflose Helfer - deswegen missbraucht er die Opfer nicht -, er setzt sich nicht an ihre Stelle nach den Mustern des mimetischen Begehrens. Er identifiziert sich: Alles, was dem Geringsten angetan wird, wird mir angetan (vgl. Mt 25,31-46). Der Geringste bleibt in seiner Identität erhalten. Nur die ihm zugefügte Viktimisierung wurde von Christus übernommen. Mehr noch: Er kann in den ihn misshandelnden Tätern, jenen, die ihn töten, nichts anderes erblicken als das, was er schon immer in den Sündern erblickt hat, die Opfer der Verblendung, Opfer der Sünde, der Gewalt, des mimetischen Begehrens, Opfer der eigenen Tat sind. So handelt er in seinem Opferstatus. Er handelt aber anders als die Opfer es normalerweise tun: wenn sie hassen, wenn sie Vergeltung wünschen, wenn sie sich symbiotisch mit dem Täter verbinden, obwohl oder gerade weil sie mit ihm kämpfen. Er vergibt: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (vgl. Lk 23,34).

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So stirbt er in der Haltung der Hingabe an den Vater. Und vermittelt durch diese Hingabe auch in der Hingabe an seine Gegner, an die Sünder, an uns. Sein Tod ist demnach von außen gesehen das Ergebnis einer Viktimisierung, sein Sterben ist von innen her betrachtet ein Akt der Liebe, der Übergabe des Lebens an den Vater und ein Akt der radikalen Feindesliebe uns Menschen gegenüber. Durch diesen Akt der Feindesliebe wird das tremendum der Viktimisierung nicht ungeschehen gemacht, wohl aber verwandelt. Die Verwandlung ist nicht ein Ergebnis des dialektischen Umschlags vom Tod ins Leben. Christus gibt sich an seinen Vater hin (sacrificium) und nimmt in diese Hingabe all die Viktimisierungsvorgänge (all das vergossene Blut) hinein. Damit geht der Schrei der Opfer der Weltgeschichte nicht ins Leere. Der Vater, der den Gekreuzigten auferweckt, und der Geist (Parakletos - Anwalt!) verhelfen den Opfern zum Recht. Nicht durch Rache! Sondern dadurch, dass sie eine Versöhnung zwischen Opfern und Tätern ermöglichen (gar durch den Abgrund des Todes hindurch). Dies wird nicht zuletzt durch die Auferweckung deutlich gemacht. Diese zeigt nämlich sehr deutlich, was der Vater zur Überwindung der Gewalt in jener Situation tun kann, in der die Menschen in der Falle des Opfers gefangen sind. Dem Gleichnis von den bösen Winzern gemäß (Mk 12,1-12) reagiert der Vater auf die Ermordung seines Sohnes mit einer klaren Abrechnung. Er lässt die Mörder niedermetzeln und verpachtet den Weinberg an andere. Nicht so reagierte Gott auf die Ermordung des fleischgewordenen Wortes: Er weckt den Gekreuzigten auf und dieser erscheint denjenigen, die im entscheidenden Moment versagt haben, mit der Botschaft des Friedens und der Vergebung. Die Botschaft wirkt erst recht revolutionär, wenn sie in den apokalyptischen Deutungszusammenhang hineingestellt wird. Der Glaube an die Auferweckung stellt einen fundamentalen Bestandteil apokalyptischer Deutungsmuster dar. Normalerweise fügt sich aber dieser Glaube in das Klima des apokalyptischen Ressentiments oder gar in das Schema der Rache der Opfer an den Henkern, damit auch in die Logik der Begierdefalle ein. Der berechtigte (und in der theologischen Diskussion immer wieder festgehaltene) Aspekt der Gerechtigkeit und der Hoffnung, dass der Mörder nicht über sein Opfer triumphiert, ist in vielen apokryphen apokalyptischen Schriften bis zur Unkenntlichkeit entstellt. „Auferweckung zur ewigen Schmach“ wird in dieser Welt der Täuschung und Lüge meistens zur Projektionsfläche eigener Selbstgerechtigkeit und einer Aggressivität gegen die Feinde, die stärker ist als der Tod. Die Auferweckung Jesu greift zwar das apokalyptische Motiv auf, transformiert es aber radikal.27 Es wird ja jener auferweckt, der den Gott der Feindesliebe lebte. Damit wird aber die vermeintliche Stärke des Hasses gegen Gottlose radikal in Frage gestellt. Mehr noch: Dem Gläubigen wird ein klares Verifikationskriterium bei der Entscheidung für Liebe oder Hass, für Gewalt oder Gewaltverzicht vor Augen geführt. Weil diese Auferweckung bereits mitten in dieser Geschichte stattfindet, werden Liebe und Gewaltverzicht als Gottesprädikate verifiziert, Hass und Gewalt dagegen endgültig falsifiziert. Das sacrificium Christi zeigt also den radikalen Vorrang des Lebens und der Liebe dem Tod gegenüber. Das wird durch die Szene vom Letzten Abendmahl noch einmal unterstrichen. Durch die Deuteworte Jesu: Das ist mein Leib, für euch hingegeben. Das ist mein Blut, für euch vergossen; durch die Metapher von Brot und Wein wird der ganze Weg Jesu noch vor dem gewaltsamen Tod umgedeutet28. Es ist dies dieselbe Logik, wie sie Korczak im Ghetto anwendet oder Guido in „La vita è bella“: Vor der Viktimisierung wird dem ganzen Vorgang ein anderer Sinn gegeben.

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4.5 Eucharistie und die Kraft des sacrificiums

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Das für mich schönste und überzeugendste Beispiel der Darstellung dieser Logik im Alltag, in dem der Status der victimae nicht verändert werden kann, stellt der Film von Volker Schlöndorff „Der Neunte Tag“ dar.29 Basierend auf einer authentischen Geschichte des Luxemburger Priesters Jean Bernard30, der Urlaub aus dem KZ Dachau bekommen hat, aber dann freiwillig dorthin zurückkehrt, weil er sich nicht auf die Kooperation mit den Nazis einlassen wollte und ihm im Fall der Flucht angedroht wurde, dass alle luxemburgischen Geistlichen in Dachau erschossen werden. Der filmische Bernard, Abbé Henri Kremer, entscheidet sich zurückzukehren in jene scheinbar ausweglose Situation, aus der vorläufig nur der Tod einen Ausweg zu bieten hat. Er kehrt freiwillig an jenen Ort zurück, an dem er und auch andere Priester ihr eigenes Spiel spielen. Von der KZ-Schergen zu Opfern und nur zu Opfern degradiert, geschlagen, schikaniert, buchstäblich aufs Kreuz aufgezogen, feiern die Priester Eucharistie. Sie machen also das, was Christus tat, bevor er von seinen Gegnern im Spiel der Gewalt viktimisiert wurde. Im Film „Der Neunte Tag“ ist diese Feier die einzige Handlung, die nicht notwendig ist. Physiologisch nicht und auch nicht gewaltsam aufgedrängt, sondern aufgrund freier Entscheidung vollzogen - eben gefeiert. Nur in diesem Kontext erleben sich die Priester als Handelnde, eben als Täter - als Mitspieler in einem Drama, dem Drama des Lebens, das aber Gott selber und nicht KZ-Schergen zum Autor hat und auch nicht die mimetisch strukturierten Figuren des Begehrens von Tätern und Opfern. So durchbrechen sie zeichenhaft die Zwänge. Durch diese Feier sind sie keine durch die verkommene Sprache der Henker erniedrigte Schicksalsgemeinschaft, sondern eine Gemeinschaft, die das Wunder der Hingabe erleben darf.

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Der Auftrag Christi: „Tut dies zu meinem Gedächtnis“31, heißt eben nicht: Bringt Opfer dar, viktimisiert andere und euch selbst im Namen Gottes, wohl aber: Verbindet euer faktisches Opferverhalten und eure Opfererfahrung mit einer Hingabehaltung. Weil Christus in seiner Hingabe all die Widersprüchlichkeiten von unseren Beziehungen erlitten hat und verwandelte, kann der Ritus keine Neuinszenierung von Krise sein, es ist auch kein therapeutisches Gespräch, keine Familienaufstellung. Das Sakrament stellt bloß die Vergegenwärtigung der durch Christus erlebten und gewandelten Krise dar. Unsere Opfererfahrungen werden in Verbindung gebracht mit dem heilsgeschichtlichen Drama und werden gewandelt.

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Ein Hinweis auf die wandelnde Kraft der Hingabe von Korczak findet sich auch im Film von Wajda. Der Film endet mit einer Vision. Der Wagen, in dem die Kinder zusammengepfercht wurden, löst sich in einem dunklen Tunnel vom Zug ab, bleibt auf den Geleisen stehen. Ein strahlendes Licht durchflutet die Gegend. Die Tür des Wagens öffnet sich. Korczak und die Kinder springen vom Zug ab und gehen gelassenen Schrittes dem Licht entgegen. In dieses eindeutige Hoffnungsbild wird die Aufschrift eingeblendet: „Korczak und die Kinder kamen 1942 in den Gaskammern von Treblinka um.“

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Die letzten Beispiele konfrontieren uns mit Extremsituationen. Das Ghetto und das KZ stehen für die radikale Verschärfung der Konflikte, die wir auch im Alltag erleben können, vor allem im Kontext der Viktimisierung. Die Beispiele greifen jene Opfererfahrung auf, die eben nicht mehr verhindert, die auch nicht, selbst nicht durch Gewalt, abgewendet werden kann. Auch wenn es dabei eindeutige Täter gibt, trägt die Anklage der Täter und deren Verfolgung und Verurteilung wenig zur Veränderung der Situation der victimae bei. Was haben die toten Kinder von Treblinka von einer Anklagekultur, die sie in alle Zukunft als Opfer verewigt und ihnen dadurch einen Status gibt, den sie selber nicht wollten? All die kulturpolitischen Aspekte des Umgangs mit Viktimisierungen wie Verhinderung der Opfer oder Bestrafung der Täter greifen bei diesen Beispielen nicht. Die Beispiele weisen auf einen Rest der Opfererfahrung hin, der bleibt, auch durchlitten wird und verwandelt werden muss. Ansonsten wird er zu einer „Zündschnur“ für neue Opferungen. Es sind ja viktimisierte Menschen, die neue victimae fordern. All diese Beispiele weisen auch auf jene Strategie des Glaubens hin, die eine unausweichliche Opfererfahrung neu definiert und auch neu erlebt: als Geschehen der Hingabe. Unsere postmoderne Kultur hat diesen Umgang verlernt. Deswegen vergrößert sich der „Abfall der Moderne“32, jene Opfer, die mit dem Schweigen zugedeckt in die Alltagsbanalität entlassen werden und deswegen auch neue Opfer produzieren. Das Spektrum dieser Opfer reicht von den alten, verlassenen Menschen, die zwar gefüttert und gepflegt werden, deren Leiden aber kulturell als sinnlos eingestuft wird, bis hin zu jenen Jugendlichen, die als hoffnungslose Versager der Straße überantwortet werden und ihr Leben oft selbst wegwerfen. In diesem Kontext müssen wir neu die Strategie der Verwandlung der Opfererfahrung lernen.

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Die Strategie der Verwandlung, eine Strategie, die aus dem Glauben entspringt, geht davon aus, dass nicht der Tod das letzte Geheimnis ist, sondern die Liebe. Christen formulieren es so: Gott ist die Liebe, eine Gemeinschaft von Personen, die in Hingabe aneinander das Leben ermöglichen, erhalten, heilen und Opfer und Tod verwandeln. Christen glauben also nicht, dass, ehe die Welt war, schon das Opfer in Gott war, wohl aber, dass die liebende Hingabe aneinander und an andere der Inbegriff der göttlichen Liebe ist. Das christliche Bekenntnis zur Trinität und zur Menschwerdung des Sohnes, zur humilitas Christi wird auf eine neue Art und Weise plausibel, wenn man die Bilder des mimetisch strukturierten Begehrens zu den vielleicht gelungensten Trinitätsbildern, den Bildern der Philoxenia, in Beziehung setzt. Mit dem aneignenden Begehren: „Ich begehre das, was du begehrst; ich will an deine Stelle treten“, dem Inbegriff der Usurpation und des Hochmuts, die zur Entdifferenzierung und Auflösung von Identitäten führen, korrespondiert das Bild der Gastfreundschaft Gottes: das Bild der sich verschenkenden Beziehung, die sich, weil sie sich verschenkt, auch öffnen und Menschen aller Rassen und Sprachen, aller Schichten und Gruppen integrieren kann. Wenn wir irgendwann zu glauben meinen, dass Gottes Liebe von uns den Tod will, so wissen wir - gerade aus der Erfahrung der Kreuzigung Jesu -, dass dies eine durch Sünde und Gewalt verschleierte Perspektive ist. Nur der Sünde erscheint die Hingabe automatisch als Aufforderung zu sterben. Das ist der Irrtum der Stünde: „Wenn du mich liebst, dann stirb für mich!“ Weil die Sünde und die Gewalt, das Leben, das sich in der Hingabe eröffnet, nicht unverzerrt wahrnehmen können, wollen sie mehr als das Leben, sie wollen die Infragestellung des Lebens, sie wollen den Tod. In dem Moment, in dem die Sünde und die Gewalt ihren Einfluss auf unsere Vorstellungskraft verlieren, zeigt sich, dass Hingabe, dass sacrificium eine Haltung des Lebens und der Liebe ist und bleibt - und niemals eine relatio der Vernichtung. Es muss also die Sünde sterben, damit klar wird, dass Liebe eine gewaltfreie Beziehung ist. Und wie stirbt die Sünde? Nicht durch die Gewalt, sondern durch die Vergebung. Gott will ja nicht den Tod des Sünders, wohl aber, dass er sich bekehrt und lebt und liebt. Und den allerersten Schritt tut Gott selber, indem er sich uns in Jesus mit der Haltung einer bedingungslosen Sündenvergebung nähert!

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Anmerkungen

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1 Informationen zum Film und zum Regisseur findet man unter: http://www.filmzentrale.com/rezis/viridianask.htm; http://de.wikipedia.org/wiki/Viridiana

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2 Jürgen Habermas, Die postnationale Konstellation. Politische Essays (Edition Suhrkamp 2095). Frankfurt a. M. 1998, 152.

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3 Vgl. v.a. Jürgen Moltmann, Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie. München 1972.

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4 Zur Rekonstruktion und für die Quellenhinweise vgl. Józef Niewiadomski, Die Zweideutigkeit von Gott und Welt in J. Moltmanns Theologien. Innsbruck 1982, 79-94.

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5 So auch das Motto der Salzburger Festspiele 2008.

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6 Dorothee Sölle, zit. nach Niewiadomski (s. Anm. 4) 59, Anm. 134.

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7 Vgl. Nikolaus Kehl, Die Botschaft Jesu. Innsbruck 1972 (Manuskript der Vorlesung für die Hörer).

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8 Vgl. Clemens Sedmak, Die politische Kraft der Liebe. Christsein und die europäische Situation. Innsbruck 2007, 62.

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9 Dieser Denker passt nicht in die vertrauten akademischen Schemata. Der promovierte Historiker wird zum Literaturwissenschaftler an amerikanischen Top-Universitäten, zuletzt in Stanford. Dieser Literaturwissenschaftler legt aber ein Theoriekonzept zu den Fragen der Anthropologie, Ethnologie, Religionswissenschaft, Sozialwissenschaft und zuletzt auch zu den Fragen der Theologie vor. Ein Genie oder ein Scharlatan? Girard verstört vor allem die Theologen, weil er die Tradition kritischer Apologie revitalisiert und unverblümt über die Unterscheidung zwischen wahr und falsch spricht und die Wahrheit im jüdisch-christlichen Kontext ansiedelt. Ist er etwa ein Fundamentalist? Er fasziniert aber die Querdenker. Ulrich Gumbrecht (Eifersucht, Neid, Mord und der gesellschaftliche Zusammenhalt. René Girard - ein Denker der gespannten Extreme, in: NZZ 41 vom 18./19. November 2006, 71) rühmte „das Aufhellungspotenzial seiner Ideen“; diese sind nicht nur „Pausenfüller auf der derzeit leeren intellektuellen Bühne“. Girard verstört und fasziniert; deswegen lesen ihn viele Theoretiker - manche auch nur heimlich -, weil er einen alternativen Denkrahmen zum kulturpolitischen Mainstream der Gegenwart vorlegt, damit auch zum Nachdenken anregt und auf die blinden Flecken unserer Diskussionen aufmerksam macht. Zu Girard vgl. Wolfgang Palaver, René Girards mimetische Theorie. Im Kontext kulturtheoretischer und gesellschaftspolitischer Fragen, Münster 2003.

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10 René Girard, Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz. Eine kritische Apologie des Christentums. München 2002, 94.

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11 Es ist kein kulturgeschichtlicher Zufall, wenn unser Begriff der Pharmaka auf den griechischen Begriff phármakos und auch auf jenen Bürger der athenischen Gesellschaft zurückgeht, der von der Gesellschaft unterhalten und mit Privilegien ausgestattet wurde, der aber in der Krisensituation geopfert wurde. In seiner Verfilmung der „Medea“ hat Pier Paolo Pasolini „das Ende“ eines solchen Sündenbocks eindrucksvoll festgehalten. Der Pharmakos lebt in der antiken Polis auf den Tag hin, an dem er geopfert wird. Rituelle Tänze gehen in Pasolinis Film der Opferhandlung voraus. Kaum ist das Opfer getötet und in Stücke zerteilt, schon fangen die sich in einer Extase sondergleichen befindenden Menschen das Blut in Schalen auf. Sie rennen auf die Felder und gießen das Blut unter die Weinstöcke. Das Opferblut soll Wachstum bringen; es soll das Leben erzeugen. Pasolini setzt den archaischen - transkulturellen und transhistorischen - Glauben ins Bild, dass alles Leben im Opfer seinen Ursprung hat und dass Viktimisierung eine Lebensstrategie ist. Mit seiner Theorie liefert Girard eine plausible Erklärung. Der Glaube kommt nicht aus der Beobachtung der Natur; im Gegenteil, das Erlebnis einer gewalttätigen Befriedung durch den Sündenbockmechanismus wird von den Völkern auf die Natur projiziert. Weil das soziale Leben durch das Vergießen des Blutes möglich wurde und wird, übertragen die Völker die Handlung auch in die Zusammenhänge biologischer Fruchtbarkeit.

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12Der Hinweis auf die Bindung Girards an den katholischen Glauben ist an dieser Stelle inhaltlich motiviert, stellt doch die Anthropologie des Autors eine „wissenschaftliche Fassung der Erbsündenlehre“ dar. So das Urteil von Peter Sloterdijk, Erwachen im Reich der Eifersucht. Notiz zu René Girards anthropologischer Sendung, in: R. Girard, Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz (s. Anm. 9) 250.

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13 Vgl. René Girard, A Theatre of Envy: William Shakespeare. New York 1991.

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14 So hieß im Deutschen der berühmte kulturkritische Film aus dem Jahr 1973 („La Grande Bouffe“), der die Sackgasse einer einzig auf Konsum ausgerichteten Kultur zeigte. Das entfesselte Begehren führt unausweichlich in den Tod hinein. Zum Film vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Das_große_Fressen

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15 Vgl. den Film von Philip Gröning aus dem Jahr 2005: http://de.wikipedia.org/wiki/Die_große

_Stille

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16 Vgl. Pascal Bruckner, Ich leide, also bin ich. Weinheim 1996, und seine Grundthese, dass der moderne Mensch durch die Justizpraxis dazu gezwungen wird, sich selbst als Opfer zu inszenieren, um Recht oder Vorteile zu bekommen.

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17 René Girard, Ich sah Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz (s. Anm. 9) 149.

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18 Vgl. Jan Assmann, Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur. München 1998.

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19 Vgl. dazu: René Girard, Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz (s. Anm. 9) 21-34.

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20 Vgl. das Urteil von Girard in diesem Zusammenhang: „Gott selber wendet das Schema des Sündenbocks wieder an, diesmal allerdings auf seine eigenen Kosten, um es umzustürzen.“ René Girard, Mimetische Theorie und Theologie, in: Vom Fluch und Segen der Sündenböcke. Hrsg. von Józef Niewiadomski und Wolfgang Palaver. Thaur 1995, 28.

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21 Janusz Korczak, zitiert nach dem Film von Andrzej Wajda, Vorspann; alle sonstigen Zitate auch nach dem Film von Wajda. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Korczak_(Film)

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22 Fragment des Klagegebets von Janusz Korczak aus der Gebetssammlung: „Allein mit Gott. Gebete derjenigen, die nicht beten“ aus dem Jahr 1922 (Neuauflage auf polnisch: Warszawa 2005, hier 43f.).

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23 Vgl. zum Film: http://de.wikipedia.org/wiki/Das_Leben_ist_schoen

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24 Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Fragmente, Frühjahr 1888, in: Studienausgabe (G. Colli; E. Montinari) 13, München 1989, 470.

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25 Vgl. Raymund Schwager, Jesus im Heilsdrama. Innsbruck 1990, v.a. 109-153; 232-273.

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26 Jean Améry, Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten. München 1966.

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27 Zu den Problemen mit der Eschatologie und der Apokalyptik in diesem Kontext vgl. Józef Niewiadomski, Subversive Hoffnung in der apokalyptischen Welt von heute. Scheinbar undogmatische Reminiszenzen, in: Prinzip „Subversive Hoffnung“. Hrsg. von Herbert Stettberger. Münster 2004, 41-60.

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28 Vgl. Józef Niewiadomski, Stolpersteine auf dem Weg zwischen Ritus und Sakrament, in : KatBl 129 (2004), 94-101, hier 100.

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29 http://de.wikipedia.org/wiki/Der_neunte_Tag

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30 Vgl. Jean Bernard, Pfarrerblock 25487. Dachau 1941-42. Luxembourg 2004.

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31 Zum Eucharistieverständnis vgl. Józef Niewiadomski, Konturen einer Theologie der Eucharistie, in: Matthias Scharer und Józef Niewiadomski, Faszinierendes Geheimnis. Innsbruck-Mainz 1999, 75-105.

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32 Vgl. Zygmunt Bauman, Verworfenes Leben. Die Ausgegrenzten der Moderne. Bonn 2005.

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