This is a cache of https://www.uibk.ac.at/de/zeitgeschichte/40-jahre-zeitgeschichte-in-innsbruck/zeitgeschichten/zeitgeschichte-braucht-oeffentlichkeit/. It is a snapshot of the page at 2025-04-25T05:24:55.113+0200.
Zeitgeschichte braucht Öffentlichkeit – Universität Innsbruck
Bild_Tschenett

Zeitgeschichte braucht Öffentlichkeit

Univ.-Doz. Dr. Hans Heiss, einer von insgesamt fünf externen Habilitierten des Instituts für Zeitgeschichte, über die Entwicklung des Instituts und die Rolle der Historie in unserer Wendezeit

Text: Elias Tschenett

Am 15. Dezember 2023 traf ich in Brixen Hans Heiss, Historiker und früherer Politiker der Grünen aus Südtirol. Unser Gespräch fand in entspanntem Rahmen statt, im Hotel Elephant, das seit 1773 im Besitz der Familie Heiss ist. Anlass war das 40-jährige Jubiläum des Instituts für Zeitgeschichte an der Universität Innsbruck. Mit der Frage nach der Entstehung des Instituts starteten wir auch direkt in das Interview.

In den 1970er-Jahren, als Heiss selbst noch Student an der Universität Innsbruck war, existierte das Institut für Zeitgeschichte nicht. Heiss betont, dass die Zeitgeschichte als historische Teildisziplin in den 1980er-Jahren international an Bedeutung gewann, insbesondere im Kontext der verstärkten Fokussierung auf die NS-Zeit und zunehmend auch auf internationale Themen. Die Gründung des Instituts für Zeitgeschichte in Innsbruck unter der Leitung von Rolf Steininger im Jahr 1984 markierte daher einen bedeutenden Schritt in der Entwicklung der zeitgeschichtlichen Disziplin in Österreich. Heiss hebt hervor, dass Steininger „sehr bemüht war, das neu gegründete Institut von Anfang an auf eine solide Basis zu stellen und es auch in der Öffentlichkeit präsent zu halten“. Dabei scheute Steininger keine Anstrengungen und verlangte auch von seinen Mitarbeiter:innen ein hohes Maß an „Engagement und Opferbereitschaft“.

Heiss selbst stand zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht mit dem Institut in Verbindung, sondern befand sich Mitte der 1980er-Jahre in einer Phase der Berufsfindung. Er baute das Stadtarchiv in Brixen auf und arbeitete auch im Stadtarchiv München, bevor er später zehn Jahre lang am Südtiroler Landesarchiv in Bozen tätig war. Während der Zeit in den Archiven von Brixen und München hat er „das junge Zeitgeschichte-Institut und dessen Entwicklung stets aus den Augenwinkeln“ mitverfolgt. Heiss pflegte zu den jungen Assistenten am Institut für Zeitgeschichte zunehmend Kontakt und in dessen Umfeld mit Günther Pallaver, einem weiteren Historiker und Politikwissenschaftler aus Südtirol.

Seit 1997 nahm Heiss selbst Lehraufträge an der Universität Innsbruck an, jedoch zuerst an der Abteilung für Österreichische Geschichte, wo er eine Vorlesung über die Tourismusgeschichte der Alpen hielt. Zu dieser Zeit festigte sich auch der Kontakt zu Rolf Steininger und zu Michael Gehler, einem Experten für europäische Geschichte, der damals am Institut tätig war. Gleichzeitig entwickelte sich Heiss‘ Forschungsschwerpunkt der Regionalgeschichte mit dem Fokus Südtirol. Heiss selbst bezeichnet seine Forschungsinteressen als „einen Crossover von mehreren Disziplinen, darunter die historische Sozialforschung, die Wirtschafts- und Kulturgeschichte und die regionale Zeitgeschichte Südtirols in verschiedenen Zeiträumen vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart“. Erwähnenswert dabei ist, dass Heiss vor allem durch deutsche Historiker wie Jürgen Kocka, Hans-Ulrich Wehler und Thomas Nipperdey oder Kulturhistoriker wie Richard van Dülmen und Edward P. Thompson, aber auch durch Wiener und Salzburger Historiker wie Ernst Hanisch, Hans Haas, Reinhard Sieder und Hannes Stekl beeinflusst wurde, in Innsbruck durch Josef Riedmann.

Die ersten Schritte am Institut für Zeitgeschichte an der Universität Innsbruck unternahm Heiss als Lehrender im Jahr 2000. Mit Michael Gehler leitete er zusammen auch zwei Jahre lang, vom Sommersemester 2004 bis inklusive Sommersemester 2006 ein Seminar für Diplomand:innen und Dissertant:innen. Darauf blickt Heiss, der sich mittlerweile aus der Politik und dem Berufsleben in den Ruhestand zurückgezogen hat, aber immer noch publizistisch und als konfliktfreudiger Kommentator in Südtirol tätig ist, als anstrengende, aber lehrreiche Zeit zurück, da beide sehr unterschiedliche Themen- und Forschungsansätze verfolgten, sich jedoch gut ergänzten.

Im Rahmen des Lehreprogramms des Zeitgeschichte-Instituts hielt Heiss ebenso regelmäßig Vorlesungen. Dabei ist ihm in guter Erinnerung, dass seine erste Lehrveranstaltung im Wintersemester 1999/2000 über den italienischen Faschismus großen Anklang fand. Auf diesen Erfolg aufbauend erweiterte Heiss sein Kursangebot und ging vom italienischen Faschismus zur Nachkriegszeit in Italien und zur Gründungsphase der Republik über. Dabei war ihm wichtig, dass nicht nur der enge regionalhistorische Südtiroler Fokus im Mittelpunkt stand, sondern vor allem auch die italienische Situation, die in Südtirol und in Österreich viel zu wenig bekannt war.

Zur heutigen Öffentlichkeitswirkung des Instituts für Zeitgeschichte und generell der Geschichtswissenschaften äußert sich Heiss bemerkenswert kritisch. So ist er beispielsweise der Meinung, dass das Institut seit den 2000er-Jahren in der Öffentlichkeit und dem medialen Diskurs an Bedeutung eingebüßt habe. Das begründet er damit, dass er zu wenige Interventionen in Bezug auf aktuelle globale, europäische und regionale Problematiken wahrnehme. Auch davon unabhängig sieht Heiss den Stellenwert der Geisteswissenschaften generell gegenüber den MINT-Fächern sinken, und dagegen müsse angekämpft werden. Einen Weg dahin sieht der ehemalige Politiker und Parlamentarier auch hier, sozusagen den Kreis der Bedeutung von Öffentlichkeitsarbeit schließend, in einem erneut stärkeren und präsenteren – vor allem medialen – Auftreten und in Kommentaren zur Politik.

Doch auch an den Entwicklungen im universitären System selbst übt Heiss Kritik. Dabei steht er besonders dem Bologna-Prozess sehr reserviert gegenüber. Ihm fehlt im heutigen System die Selbstmotivation der Studierenden, und er bemängelt, dass viele durch die Verregelung des Studiums und der daraus erwachsenden Belastungen im Vergleich zu früher, als er selbst noch Student war, sich weniger frei entfalten und eigene Interessen entwickeln können.

Das Interview endete mit der Frage, ob Heiss noch etwas auf dem Herzen liegt, das er gerne loswerden würde. Darauf folgte ein kämpferischer Appell:

„Ich glaube, wir stehen aktuell in einer wirklichen Wendezeit […]. Es gibt auf vielen Ebenen radikale Brüche und Umbrüche. Ob in der Ökologie, im Klimabereich, in den internationalen Mächtegleichgewichten und in der Wirtschaftsentwicklung. […] Und wir als Historiker:innen müssen uns bewusst sein, dass wir alle Anstrengungen darauf setzen müssen, hier unseren Beitrag zu leisten, um analytische Instrumente und erhellende Perspektiven zu entwickeln, um Antworten auf diese brennenden Fragen geben zu können. Das ist unsere Aufgabe und die müssen wir stärker wahrnehmen, als dies eigentlich vielfach der Fall ist.“

Gerade zum 40-jährigen Jubiläum des Instituts für Zeitgeschichte bietet Heiss‘ Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven nicht nur anregende Einblicke in die Entwicklung der Geschichtswissenschaft, sondern stellt auch eine motivierende Herausforderung dar, die Rolle der Historie in einer sich wandelnden Welt neu zu bewerten und entschlossen zu vertreten.


zurück zu den "Zeitgeschichten"

Nach oben scrollen